Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas

Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts

Prozess
{T 7}
U 185/05

Urteil vom 20. Oktober 2005
IV. Kammer

Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Durizzo

Parteien
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdeführerin,

gegen

O.________, 1963, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Fiechter, Poststrasse 6, 9443 Widnau

Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 16. Februar 2005)

Sachverhalt:
A.
O.________, geboren 1963, erlitt am 2. Juni 2003 als Mitfahrerin einen Autounfall. Sie verletzte sich dabei am rechten Fuss (nicht dislozierte Metatarsale-I-Fraktur) und klagte in der Folge über Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen und emotionale Labilität. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) erbrachte zunächst die gesetzlichen Leistungen, teilte der Versicherten jedoch mit Verfügung vom 2. August 2004 mit, dass die nunmehr noch geklagten Beschwerden organisch als Folge des erlittenen Unfalls nicht mehr erklärbar seien. Sie schloss den Fall ab und stellte die Versicherungsleistungen per 16. August 2004 ein. Daran hielt sie auch auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 2. November 2004).
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 16. Februar 2005 teilweise gut und wies die Streitsache zur ergänzenden Abklärung und zum Neuentscheid an die SUVA zurück.
C.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides.

Während O.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen lässt, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 117 V 360 Erw. 4a, 361 Erw. 51, 115 V 134 Erw. 3, 135 Erw. 4a; vgl. auch BGE 129 V 181 Erw. 3.1 und 3.2), insbesondere bei Schädel-Hirntraumen (BGE 117 V 369), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.
2.1 Die Vorinstanz ist gestützt auf die Aktenlage davon ausgegangen, dass die Versicherte beim Autounfall vom 2. Juni 2003 ein mildes Schädel-Hirntrauma erlitten habe. Sie zog dabei in Erwägung, dass sich zwar im Aufnahmebericht des Spitals Y.________, in welches die Beschwerdegegnerin eingeliefert worden war, keine entsprechende Diagnose findet. Insbesondere wurden keine Bewusstlosigkeit, keine Übelkeit oder Erbrechen, keine Kopfschmerzen und keine Amnesie festgestellt. Jedoch hatte die Versicherte gegenüber der SUVA-Case-Managerin am 28. Juli 2003 angegeben, sie habe am Tag nach dem Unfall ein Beule am Hinterkopf bemerkt, es seien starke Kopfschmerzen aufgetreten und sie leide seither an Vergesslichkeit. In der Folge liess sie sich am 16., 17. und 24. September 2003 im Spital X.________, Klinik Z.________, untersuchen, wo neuropsychologische Auffälligkeiten festgestellt wurden. In einem zuhanden der Strafuntersuchungsbehörden erstellten Gutachten vom 25. August 2004 führen die Ärzte der Klinik Z.________ aus, dass die Versicherte ein deutliches Defizit aufweist beim Einspeichern und längerfristigen Behalten von verbalem Material sowie bei der Wiedererkennungsleistung. Diese Gedächtnisstörung war gemäss testpsychologischen
Nachkontrollen über elf Monate etwa konstant geblieben. Die ursprünglichen Auffälligkeiten bezüglich Exekutivfunktionen (Arbeitstempo und kognitive Flexibilität) hatten sich dank Training leicht verbessert. Nach Angaben der Gutachter leidet die Versicherte seit dem Unfall zudem an einer Persönlichkeitsveränderung; sie wurde reizbar, aggressiv und ängstlich, zieht sich vermehrt zurück und wird während des Tages müde. Mit Hilfe von Psychotherapie und antidepressiver medikamentöser Behandlung konnte nur eine leichte Verbesserung erzielt werden. Der Arbeitgeber bestätigte in einem Schreiben vom 1. September 2004, dass es der Versicherten an Einsatzwillen und Ehrgeiz nicht fehle, ihre Leistung wegen mangelnder Konzentration und Vergesslichkeit jedoch zu 30 % unter dem Durchschnitt ihrer Arbeitskolleginnen liege.
2.2 Im Weiteren hat das kantonale Gericht erwogen, dass diese Beschwerden nicht nur in einem natürlichen, sondern auch in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfall stehen. Zur Begründung hat es angeführt, dass es sich dabei um einen schwereren Fall im mittleren Bereich gehandelt habe und die Kriterien, welche nach der Rechtsprechung in Fällen von Schädel-Hirntraumen zu berücksichtigen sind, in gehäufter Weise erfüllt seien (BGE 117 V 382 ff. Erw. 4b und c). So habe der Unfall unter dramatischen Umständen stattgefunden, die Versicherte leide unter Dauerbeschwerden und sei dadurch in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Die Vorinstanz bejahte daher die Leistungspflicht der SUVA im Grundsatz und wies die Sache zur Ermittlung der konkreten Ansprüche zurück.
3.
Die SUVA hat weder im Einspracheentscheid noch in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und den von der Versicherten geklagten Beschwerden verneint. Bezüglich des adäquaten Kausalzusammenhanges bestreitet sie, dass die Versicherte ein Schädel-Hirntrauma erlitten habe. Eine solche Diagnose sei in den Akten nirgends ausgewiesen und es fehle auch das bunte Beschwerdebild nach solchen Verletzungen. Ob die Beschwerden auch in einem adäquat-kausalen Zusammenhang zum Unfall stünden, sei daher nach der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133) zu prüfen. Bei einem mittelschweren Unfall, wie ihn die Versicherte erlitten habe, seien die für die Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges massgebenden Kriterien nicht in genügender Zahl vorhanden.
4.
4.1 Die Qualifikation des Ereignisses vom 2. Juni 2003 als schwerer Unfall im mittleren Bereich ist mit Blick auf die in vergleichbaren Fällen, insbesondere Autounfällen, ergangene Rechtsprechung nicht zu beanstanden (in BGE 129 V 323 nicht publizierte Erw. 3.3.2 des Urteils F. vom 25. Februar 2003 [U 161/01] und dort zitierte Urteile) und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht gerügt.
4.2 Zu prüfen bleibt die adäquate Kausalität. Nach der Rechtsprechung genügt es zu deren Bejahung im Grenzbereich der mittelschweren Unfälle zu den schweren sowohl bei Schädel-Hirntraumen (BGE 117 V 384 Erw. 4c) wie auch bei psychischen Fehlentwicklungen (BGE 115 V 140 f. Erw. 6c/bb), wenn ein zusätzliches Kriterium in besonders ausgeprägter Form gegeben ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Wie die Vorinstanz ebenfalls zutreffend erwogen hat, ereignete sich der Unfall unter dramatischen Umständen. Nach den polizeilichen Erhebungen hat die Lenkerin des Autos nachts um etwa 00.25 Uhr bei einer Geschwindigkeit von 110 bis 120 km/h auf der Autobahn ein totes Tier - einen toten Dachs, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat - wahrgenommen und das Steuer nach rechts herumgerissen. Auf der rechten Fahrbahn befand sich aber ein zweites Auto, sodass sie das Steuer wieder nach links drehte und daraufhin die Herrschaft über das Fahrzeug verlor. Dieses trieb gegen die Mittelleitplanke, nachdem es sich zuvor (nach den unwidersprochenen Aussagen der Versicherten) zwei Mal um die eigene Achse gedreht hatte. Das Auto überschlug sich und schlitterte in der Folge auf dem Dach gegen die rechte Fahrbahn, kollidierte dort mit einem Zweitauto,
und kam, noch auf dem Dach liegend, auf der linken Fahrbahn zum Stillstand. Die Lenkerin und die Versicherte befanden sich immer noch im Fahrzeug, als ein drittes Auto in das auf dem Dach liegende Unfallfahrzeug prallte und dieses einige Meter wegschleuderte. Nach den von der Polizei angefertigten Fotos wurde das Auto total zerstört. Das Kriterium der Eindrücklichkeit des Unfallereignisses ist angesichts dieser Umstände in besonders ausgeprägter Form erfüllt. Der adäquate Kausalzusammenhang ist damit auch bei einer Beurteilung nach der Praxis zu den psychischen Fehlentwicklungen zu bejahen und der vorinstanzliche Entscheid im Ergebnis zu bestätigen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die SUVA hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 20. Oktober 2005
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : U_185/05
Datum : 20. Oktober 2005
Publiziert : 06. November 2005
Quelle : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Unfallversicherung
Gegenstand : Unfallversicherung


BGE Register
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