Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung VI

F-1643/2021

Urteil vom 19. April 2021

Einzelrichterin Regula Schenker Senn,

Besetzung mit Zustimmung von Richter David R. Wenger,

Gerichtsschreiber Daniel Grimm.

1. A._______, geboren am (...),

2. B._______, geboren am (...),
Parteien
beide Iran,

Beschwerdeführerinnen,

gegen

Staatssekretariat für Migration SEM,

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung
Gegenstand (Dublin-Verfahren);
Verfügung des SEM vom 31. März 2021

Sachverhalt:

A.
Die Beschwerdeführerin 1 ersuchte am 10. Januar 2021 im Bundesasylzentrum in Zürich, zusammen mit ihrer minderjährigen Tochter (Beschwerdeführerin 2) und ihrem volljährigen Sohn C._______, um Asyl nach. Ein Abgleich der Fingerabdrücke der Beschwerdeführerinnen mit der «Eurodac»-Datenbank ergab, dass die beiden bereits am 6. Januar 2021 in Slowenien Asylgesuche gestellt hatten (Akten der Vorinstanz [SEM act.] 12).

B.
Im Rahmen des Dublin-Gesprächs gewährte das SEM den Beschwerdeführerinnen am 27. Januar 2021 das rechtliche Gehör zur Zuständigkeit Sloweniens für die Durchführung der Asyl- und Wegweisungsverfahren, einer allfälligen Rückkehr dorthin sowie zum medizinischen Sachverhalt. Die Beschwerdeführerin 1 erklärte hierbei im Wesentlichen, es nicht gemocht zu haben, in Slowenien zu sein. Sie und ihre Kinder seien hierhin gekommen, weil die Schweiz als sicheres Land gelte und sie hierbleiben möchten. Auf der Flucht habe es viele Probleme gegeben. Sie seien mehrmals deportiert worden und hätten auch im Wald übernachten müssen. Nachdem sie in Slowenien von der dortigen Polizei erwischt worden seien, habe man ihnen die Fingerabdrücke genommen und sie während zehn Tagen zwecks Quarantäne in einem Camp platziert. Anschliessend seien sie für zwei bis drei Tage in ein anderes, abgelegenes Camp gekommen. Danach seien sie nach Italien weitergereist. Zum medizinischen Sachverhalt gab die Beschwerdeführerin 1 an, psychische Probleme zu haben und Medikamente einnehmen zu müssen. Diese seien ihr in Serbien verschrieben worden, nachdem sie einem Arzt ihren Gesundheitszustand geschildert habe. Eine bestimmte Diagnose kenne sie nicht. In den slowenischen Asylunterkünften habe es keinen Arzt gegeben und sie habe, als die Medikamente aufgebraucht gewesen seien, keine neuen erhalten (SEM act. 23).

Die Beschwerdeführerin 2 bestätigte die Ausführungen ihrer Mutter und ergänzte, das zweite Camp in Slowenien sei schmutzig gewesen. In diesem Land sei es zwar sicher, die dortige Lage aber schlecht gewesen. Die Reise sei beschwerlich und gefährlich gewesen, weshalb es ihr psychisch nicht gut gehe. So habe sie Albträume und könne nicht schlafen (SEM act. 21).

C.
Im Anschluss an die Befragung legte die zugewiesene Rechtsvertretung den Bericht eines serbischen Arztes ins Recht (SEM act. 27). Am 9. Februar 2021 reichte sie zudem zwei Arztberichte zu Konsultationen der Beschwerdeführerinnen in Zürich nach (5. bzw. 8. Februar 2021 im Ambulatorium Kanonengasse, SEM act. 28 und 29).

D.
Am 18. Februar 2021 wies die Vorinstanz die Beschwerdeführerinnen darauf hin, dass für ihre Asylverfahren voraussichtlich Slowenien und für dasjenige von C._______ aufgrund der «Eurodac»-Treffer voraussichtlich Kroatien zuständig sein werde. In diesem Zusammenhang ersuchte das Staatssekretariat die Beschwerdeführerin 1 sowie ihren Sohn um schriftliche Einwilligung zur Durchführung eines gemeinsamen Dublin-Verfahrens mit Slowenien für alle Familienmitglieder. Ferner wurden sie gebeten, sich zu einem allfälligen Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihnen zu äussern (SEM act. 30).

E.
In ihrer Stellungnahme vom 25. Februar 2021 bekräftigten die Beschwerdeführerinnen, die Situation in Slowenien habe sich für sie als unzumutbar erwiesen. Die hygienischen Zustände seien abschreckend gewesen und in der Asylunterkunft habe es weder Betreuung noch medizinische Unterstützung gegeben. Die Familie sei deshalb nicht bereit, ihr Einverständnis zur Durchführung von gemeinsamen Dublin-Verfahren mit Slowenien zu geben. Seit dem Tod des Ehemannes der Beschwerdeführerin 1 vor fünf Jahren sei zwischen den Betroffenen ein Abhängigkeitsverhältnis entstanden. Dieses sei aus den streng patriarchalischen Strukturen im Iran erwachsen. Seither kümmere sich C._______ um alle Angelegenheiten. Wegen des in Slowenien Erlebten und aufgrund der beschriebenen Abhängigkeit ersuchten sie darum, für die ganze Familie gemeinsame Asylverfahren in der Schweiz durchzuführen (SEM act. 32).

F.
Am 5. März 2021 ersuchte das SEM die slowenischen Behörden um Übernahme der Beschwerdeführerinnen gemäss Art. 18 Abs. 1 Bst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO).

G.
Die slowenischen Behörden stimmten dem Übernahmeersuchen am 18. März 2021 gestützt auf die genannte Bestimmung zu (SEM act. 36).

H.
Mit Verfügung vom 31. März 2021 (eröffnet tags darauf) trat die Vorinstanz in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG (SR 142.31) auf die Asylgesuche der Beschwerdeführerinnen nicht ein, verfügte ihre Überstellung nach Slowenien und forderte sie auf, die Schweiz am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu verlassen. Gleichzeitig beauftragte das SEM den Kanton Zürich mit dem Vollzug der Wegweisung, händigte den Beschwerdeführerinnen die editionspflichtigen Akten gemäss Aktenverzeichnis aus und stellte fest, dass einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid keine aufschiebende Wirkung zukomme (SEM act. 38).

Am 1. April 2021 legte die zugewiesene Rechtsvertretung ihr Mandat nieder (SEM act. 41).

I.
Mit Rechtsmitteleingabe an das Bundesverwaltungsgericht vom 12. April 2021 beantragen die Beschwerdeführerinnen, die vorinstanzliche Verfügung sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, ihre Pflicht oder ihr Recht auf Selbsteintritt auszuüben und sich für die Asylverfahren zuständig zu erklären: Eventualiter sei die Sache zwecks vollständiger Abklärung des Sachverhalts und Neubeurteilung an das SEM zurückzuweisen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchen sie um Erlass vorsorglicher Massnahmen, Erteilung der aufschiebenden Wirkung, Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses (BVGer act. 1).

J.
Am 13. April 2021 setzte die Instruktionsrichterin gestützt auf Art. 56 VwVG den Vollzug der Überstellung per sofort einstweilen aus (BVGer act. 2).

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Das Bundesverwaltungsgericht ist zuständig für die Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen des SEM (Art. 105 AsylG, Art. 31 und 33 Bst. b VGG). Auf dem Gebiet des Asyls entscheidet es in der Regel - und so auch vorliegend - endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

1.3 Die Beschwerdeführerinnen haben am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, sind durch die angefochtene Verfügung berührt und haben ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie sind daher zur Einreichung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 105 AsylG und Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 3 AsylG sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG).

1.4 Die Beschwerdeführerinnen beantragen die Ansetzung einer Nachfrist zur Begründung ihres Rechtsmittels. Sie hätten aufgrund der kurzen Frist keine Möglichkeit gehabt, einen Anwalt beizuziehen und die Beschwerdeeingabe ohne juristische Hilfe eingereicht. Die in gutem Deutsch verfasste Beschwerde enthält jedoch sowohl eindeutige Rechtsbegehren als auch eine Begründung. Insbesondere wird darin kurz dargelegt, weshalb die Vorinstanz den medizinischen Sachverhalt nicht genügend abgeklärt haben soll. Es ist daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerinnen entsprechenden Support erhalten haben. Im vorinstanzlichen Verfahren hatten sie zudem eine zugewiesene Rechtsvertretung, welche das Mandat am 1. April 2021 niedergelegt hat. Da die Beschwerde den gesetzlichen Anforderungen genügt und es den Beschwerdeführerinnen trotz der im Dublin-Verfahren vorgegebenen kurzen Rechtsmittelfrist möglich gewesen wäre, sich an die kantonale Rechtsberatungsstelle zu wenden, ist dem Gesuch um Ansetzung einer Nachfrist nicht stattzugeben.

2.
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters oder einer zweiten Richterin (Art. 111 Bst. e AsylG), ohne Durchführung eines Schriftenwechsels und mit summarischer Begründung, zu behandeln (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG).

3.

3.1 Mit Beschwerde in Asylsachen kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

3.2 Bei Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1 -3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 3.1; 2012/4 E. 2.2, je m.w.H.).

4.

4.1 Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen Staates prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss Dublin-III-VO. Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betreffende Mitgliedstaat einer Überstellung oder Rücküberstellung zugestimmt hat, auf das Asylgesuch nicht ein (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 6.2).

4.2 Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO). Im Fall eines sogenannten Aufnahmeverfahrens («take charge») sind die in Kapitel III (Art. 8-15 Dublin-III-VO) genannten Kriterien in der dort aufgeführten Rangfolge (Prinzip der Hierarchie der Zuständigkeitskriterien; vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO) anzuwenden, und es ist von der Situation im Zeitpunkt, in dem die betreffende Person erstmals einen Antrag in einem Mitgliedstaat gestellt hat, auszugehen (Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO). Im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens («take back») findet demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III statt (vgl. zum Ganzen BVGE 2017 VI/5 E. 6.2 und 8.2.1 m.H.).

4.3 Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, die antragstellende Person, die während der Prüfung ihres Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder die sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Massgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wiederaufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO). Die Dublin-III-VO räumt den Schutzsuchenden kein Recht ein, den ihren Antrag prüfenden Staat selber auszuwählen (vgl. BVGE 2010/45 E. 8.3).

5.

5.1 Ein Abgleich der Fingerabdrücke der Beschwerdeführerinnen mit der «Eurodac»-Datenbank ergab, dass sie am 6. Januar 2021 in Slowenien um Asyl nachgesucht hatten. Die slowenischen Behörden stimmten dem Übernahmeersuchen am 18. März 2021 zu. Die Zustimmung stützte sich auf Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO (SEM act. 36). Die grundsätzliche Zuständigkeit Sloweniens ist somit gegeben.

5.2 Nachfolgend ist demnach im Licht von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO zu prüfen, ob es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Slowenien würden systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen würden (E. 6) und ob nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO das Selbsteintrittsrecht auszuüben ist (E. 7).

6.

6.1 Slowenien ist Signatarstaat der EMRK, des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) sowie des Zusatzprotokolls der FK vom 31. Januar 1967 (SR 0.142.301) und kommt seinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen nach. Es darf davon ausgegangen werden, dieser Staat anerkenne und schütze die Rechte, die sich für Schutzsuchende aus den Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (sog. Verfahrensrichtlinie) sowie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (sog. Aufnahmerichtlinie) ergeben.

6.2 Unter diesen Umständen ist die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO nicht gerechtfertigt.

7.

7.1 Jeder Mitgliedstaat kann abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO; sog. Selbsteintrittsrecht). Dieses Selbsteintrittsrecht wird im Landesrecht durch Art. 29a Abs. 3 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311) konkretisiert. Erweist sich die Überstellung einer asylsuchenden Person in einen Dublin-Mitgliedstaat als unzulässig im Sinne der EMRK oder einer anderen die Schweiz bindenden, völkerrechtlichen Bestimmung, muss die Vorinstanz die Souveränitätsklausel anwenden und das Asylgesuch in der Schweiz behandeln (BVGE 2015/9 E. 8.2.1; 2010/45 E. 7.2).

7.2 Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das slowenische Asylsystem keine systemischen Mängel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 zweiter Satz Dublin-III-VO aufweist (vgl. etwa Urteile des BVGer D-715/2021 vom 19. Februar 2021 S. 6 f.; F-4659/2020 vom 24. September 2020 E. 4.1; D-2962/2020 vom 2. Juli 2020 S. 8 f.). Die Beschwerdeführerinnen haben in diesem Zusammenhang denn kein konkretes und ernsthaftes Risiko dargetan, die slowenischen Behörden würden sich weigern, sie wiederaufzunehmen und ihren Antrag auf internationalen Schutz unter Einhaltung der Regeln der Verfahrensrichtlinie zu prüfen. Den Akten sind ferner keine Gründe für die Annahme zu entnehmen, das Land werde in ihrem Fall den Grundsatz des Non-Refoulement missachten und sie zur Ausreise in ein Land zwingen, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr laufen würden, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden. Die Vermutung, Slowenien halte seine völkerrechtlichen Verpflichtungen ein, kann im Einzelfall zwar widerlegt werden. Wie eben erwähnt, bedarf es hierfür aber konkreter und ernsthafter Hinweise. Dies gelingt den Beschwerdeführerinnen, die sich ohnehin nur kurze Zeit in diesem Land aufgehalten haben, mit den aus dem Vorverfahren bekannten Vorbringen indes nicht.

7.3 Die Beschwerdeführerinnen machen in der knappen Rechtsmitteleingabe vom 12. April 2021 geltend, in der Schweiz trotz ihrer psychischen Probleme nicht richtig untersucht worden zu sein und rügen damit sinngemäss, das SEM habe den medizinischen Sachverhalt nicht hinreichend abgeklärt. Was diesen anbelangt, so kann eine zwangsweise Rückweisung von Personen mit gesundheitlichen Problemen nur ganz ausnahmsweise einen Verstoss gegen Art. 3 EMRK darstellen. Eine vom EGMR definierte Konstellation betrifft Schwerkranke, die durch die Abschiebung - mangels angemessener medizinischer Behandlung im Zielstaat - mit einem realen Risiko konfrontiert würden, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde (vgl. Urteil des EGMR Paposhvili gegen Belgien 13. Dezember 2016, Grosse Kammer 41738/10, §§ 180-193 m.w.H.).

7.4 Eine solche Konstellation liegt nicht vor. Zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin 1 finden sich in den vorinstanzlichen Akten drei Arztberichte. Der erste, schlecht leserliche Bericht stammt von einem serbischen Arzt und datiert vom 10. September 2018. Hinzu kommen Berichte des Ambulatoriums Kanonengasse vom 5. Februar 2021 und des Medzentrums X._______ vom 23. Februar 2021. Die fraglichen medizinischen Unterlagen beinhalten folgende Diagnosen: Psychose nicht-organischen Ursprungs (serbischer Bericht), Ein- und Durchschlafstörungen, andere Angststörungen, schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, Vitamin-D-Mangel, latenter Eisenmangel und Verdacht auf beginnende Rosazea (siehe SEM act. 27, 28 und 31.). Zur Behandlung der aufgeführten Beschwerden wurden entsprechende Medikamente verschrieben. Zudem wurde sie für den 30. März 2021 für eine psychiatrische Beurteilung aufgeboten. Aus den in den aktenkundigen Arztberichten figurierenden Diagnosen ergibt sich mithin, dass sich die Beschwerdeführerin 1 aus medizinischer Sicht nicht zwingend in der Schweiz aufhalten muss, sondern eine adäquate Behandlung der festgestellten Leiden in Slowenien möglich ist. Dies gilt auch hinsichtlich der Fortführung der jeweiligen Medikation. Dementsprechend gelingt es der Beschwerdeführerin 1 nicht, nachzuweisen, dass sie nicht reisefähig sei oder eine Überstellung nach Slowenien ihre Gesundheit ernsthaft gefährden würde. Das beschriebene Krankheitsbild vermag eine Unzulässigkeit im Sinne der restriktiven Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen.

7.5 Nicht anders verhält es sich mit der Beschwerdeführerin 2. Laut Arztbericht des Ambulatoriums Kanonengasse vom 8. Februar 2021 leidet sie an Eisenmangel, Ein- und Durchschlafstörungen, somatoformen Störungen und Zähneknirschen. Dagegen wurden ihr Magnesiocard und Redormin verschrieben und sie wurde angehalten, ausreichend zu trinken. Weitere Behandlungen erachtete die behandelnde Ärztin nicht als angezeigt, solange der Aufenthaltsstatus der Patientin nicht geklärt sei (SEM act. 29). Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind demnach nicht von einer derartigen Schwere, dass im Falle einer Überstellung nach Slowenien mit dem Risiko einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gerechnet oder aus humanitären Gründen von einer Überstellung abgesehen werden müsste.

7.6 Zu keinem anderen Ergebnis führt, dass das SEM den am 30. März 2021 vorgesehen gewesenen, auf den 6. April 2021 verschobenen psychiatrischen Termin (SEM act. 37) nicht abgewartet hat (SEM act. 37). Die Beschwerdeführerin 1 wurde in der Schweiz, wie eben dargetan, medizinisch versorgt und sie unterzog sich hier bislang zwei ärztlichen Kontrollen. Ihre gesundheitlichen Probleme waren also bekannt. In Bezug auf das Vorliegen einer schwerwiegenderen Erkrankung wären von zusätzlichen medizinischen Abklärungen keine neuen Erkenntnisse zu erwarten gewesen (zur antizipierten Beweiswürdigung vgl. BGE 141 I 60 E. 3.3 oder BGE 136 I 229 E. 5.3). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz diesbezüglich keine weiteren Vorkehren getroffen hat und mit der angefochtenen Verfügung nicht zuwartete. Die Rüge der unvollständigen Sachverhaltsabklärung erweist sich somit als nicht stichhaltig.

7.7 Im Übrigen verfügt Slowenien über eine ausreichende medizinische Infrastruktur. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, den Antragstellern die erforderliche medizinische Versorgung, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen umfasst, zugänglich zu machen (Art. 19 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie); Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen ist die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe (einschliesslich nötigenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung) zu gewähren (Art. 19 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie). Es liegen keine Hinweise vor, wonach Slowenien den Beschwerdeführerinnen eine adäquate medizinische Behandlung (konkret Fortführung der Medikation, allenfalls psychiatrische oder psychotherapeutische Betreuung) verweigern würde.

7.8 Festzuhalten gilt ferner, dass die schweizerischen Behörden, die mit dem Vollzug der angefochtenen Verfügung beauftragt sind, den medizinischen Umständen bei der Bestimmung der konkreten Modalitäten der Überstellung der Beschwerdeführerinnen Rechnung tragen und die slowenischen Behörden vorgängig in geeigneter Weise über die spezifischen medizinischen Umstände informieren (vgl. Art. 31 f. Dublin-III-VO). Dies ist vorliegend geschehen, sind die verschiedenen Diagnosen (Ein- und Durchschlafstörungen, andere Angststörungen, schwere depressive Episoden ohne psychotische Symptome [Mutter] bzw. Depression, Vitamin-D-Mangle, latenter Eisenmangel, Ein- und Durchschlafstörungen, somatoforme Störungen, Bruxismus [Tochter]) und die verschriebenen Medikamente in den Überstellungsmodalitäten doch aufgelistet. Ebenso findet sich darin der Hinweis des SEM, es sei ein Arztbericht einzuholen (SEM act. 37).

7.9 Soweit die Beschwerdeführerinnen auf Beschwerdeebene beiläufig auf ihren Sohn bzw. Bruder C._______verweisen, gilt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die Betroffenen ausdrücklich darauf verzichtet haben, ein gemeinsames Dublin-Verfahren mit allen Familienmitgliedern durchführen zu lassen (siehe Sachverhalt Bst. D und E hiervor). Da C._______ über kein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügt, sondern sich im Rahmen eines separaten Dublin-Verfahrens hierzulande aufhält (siehe vor BVGer hängiges Verfahren F-1666/2021), erübrigen sich weitere Ausführungen.

8.
Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts verfügt das SEM bei der Anwendung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 über einen Ermessensspielraum (vgl. BVGE 2015/9 E. 7 f.). Die angefochtene Verfügung ist unter diesem Blickwinkel nicht zu beanstanden; insbesondere sind den Akten keine Hinweise auf einen Ermessensmissbrauch oder ein Über- respektive Unterschreiten des Ermessens zu entnehmen.

9.
Nach dem Gesagten besteht kein Grund für eine Anwendung der Ermessensklauseln von Art. 17 Dublin-III-VO. Somit bleibt Slowenien der für die Behandlung der Asylgesuche der Beschwerdeführerinnen zuständige Mitgliedstaat gemäss Dublin-III-VO.

10.
Das SEM ist demnach zu Recht in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf die Asylgesuche der Beschwerdeführerinnen nicht eingetreten. Da sie nicht im Besitz einer gültigen Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung sind, wurde die Überstellung nach Slowenien in Anwendung von Art. 44 AsylG ebenfalls zu Recht angeordnet (Art. 32 Bst. a AsylV 1).

11.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen und die Verfügung des SEM zu bestätigen.

12.
Der am 13. April 2021 angeordnete Vollzugsstopp fällt mit vorliegendem Urteil dahin.

13.
Das mit der Beschwerde gestellte Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses ist abzuweisen, da die Begehren - wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt - als aussichtslos zu bezeichnen sind, weshalb die Vor-aussetzungen von Art. 65 Abs. 1 VwVG nicht erfüllt sind. Die Verfahrenskosten sind daher den Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 750.- festzusetzen (Art. 1 -3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

4.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerinnen, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Die vorsitzende Richterin: Der Gerichtsschreiber:

Regula Schenker Senn Daniel Grimm

Versand:
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : F-1643/2021
Data : 19. aprile 2021
Pubblicato : 04. maggio 2021
Sorgente : Tribunale amministrativo federale
Stato : Inedito
Ramo giuridico : Allontanamento Dublino (Art. 107a LAsi)
Oggetto : Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren); Verfügung des SEM vom 31. März 2021


Registro di legislazione
CEDU: 3
LAsi: 3  6  31a  44  105  106  108  111  111a
LTAF: 31  33  37
LTF: 83
OAsi 1: 29a  32
PA: 48  52  56  63  65
TS-TAF: 1  3
Registro DTF
136-I-229 • 141-I-60
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
slovenia • stato membro • autorità inferiore • tribunale amministrativo federale • fattispecie • rapporto medico • giorno • diagnosi • procedura d'asilo • medico • stato di salute • autorizzazione o approvazione • espatrio • potere d'apprezzamento • assistenza giudiziaria gratuita • termine • convenzione internazionale • spese di procedura • rimedio giuridico • madre
... Tutti
BVGE
2017-VI-5 • 2015/9 • 2010/45
BVGer
D-2962/2020 • D-715/2021 • F-1643/2021 • F-1666/2021 • F-4659/2020
EU Verordnung
604/2013