Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

8C 69/2017

Urteil vom 18. August 2017

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ronald E. Pedergnana,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. Dezember 2016.

Sachverhalt:

A.
A.________, geboren 1975, arbeitete seit dem 1. August 2006 als Maschinenführer bei der B.________ AG. Am 6. Februar 2014 meldete er sich unter Hinweis auf Depressionen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die behandelnde Ärztin Frau Dr. med. C.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, bescheinigte am 19. Februar 2014 eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit seit dem 18. September 2013 bei schwerem depressivem Zustandsbild. Vom 27. Februar bis zum 10. April 2014 war A.________ in der Klinik D.________ für Psychiatrie und Psychotherapie hospitalisiert. Dr. med. E.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Klinik F.________, welcher am 6. August 2014 ein Gutachten zuhanden des Krankenversicherers erstattete, attestierte eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit. Die Therapieoptionen seien nicht ausgeschöpft. Es handle sich um eine reaktive beziehungsweise Erschöpfungsdepression ohne genetische Vulnerabilität und Persönlichkeitsfaktoren für die Entwicklung depressiver Störungen. In prognostischer Hinsicht könne davon ausgegangen werden, dass sich die Symptome vollständig zurückbildeten. Vom 1. bis zum 30. Oktober 2014 hielt sich A.________ erneut in der Klinik D.________ auf und konnte in stabilisiertem Zustand
wieder entlassen werden.

Am 18. März 2015 gab die IV-Stelle des Kantons St. Gallen die Überwachung des Versicherten in Auftrag, nachdem sie eine Internetrecherche (Einträge auf "Facebook") durchgeführt hatte. Die G.________ GmbH erstattete ihren Ermittlungs- und Observationsbericht am 16. Mai 2015. In der Folge holte die IV-Stelle ein Gutachten des Dr. med. H.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 21. September 2015 ein. Er ging von einer Remission des depressiven Leidens und einer vollen Arbeitsfähigkeit aus. Mit Verfügung vom 5. April 2016 lehnte die IV-Stelle den Anspruch auf eine Invalidenrente ab.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher A.________ eine ganze Rente der Invalidenversicherung für die Zeit von Oktober 2014 bis Dezember 2015, eventualiter bis Juli 2015 beantragte, hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 6. Dezember 2016 teilweise gut. Es hob die angefochtene Verfügung auf und wies die Sache zu weiteren Abklärungen an die IV-Stelle zurück. Es ordnete in den Erwägungen die Entfernung der Observationsergebnisse aus den Akten an. Soweit Eingliederungsmassnahmen beantragt wurden, trat es auf die Beschwerde nicht ein.

C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und ihre Verfügung vom 5. April 2016 sei zu bestätigen.

A.________ lässt auf Nichteintreten, eventualiter auf Abweisung der Beschwerde schliessen, das Bundesamt für Sozialversicherungen BSV beantragt deren Gutheissung. Der Beschwerdeführer hat sich dazu in einer weiteren Eingabe geäussert.

Erwägungen:

1.
Beim angefochtenen Rückweisungsentscheid handelt es sich, da das Verfahren noch nicht abgeschlossen wird und die Rückweisung auch nicht einzig der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient (SVR 2008 IV Nr. 39 S. 131, 9C 684/2007 E. 1.1), um einen - selbstständig eröffneten - Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 93 Andere Vor- und Zwischenentscheide - 1 Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde zulässig:
1    Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde zulässig:
a  wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können; oder
b  wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde.
2    Auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und dem Gebiet des Asyls sind Vor- und Zwischenentscheide nicht anfechtbar.85 Vorbehalten bleiben Beschwerden gegen Entscheide über die Auslieferungshaft sowie über die Beschlagnahme von Vermögenswerten und Wertgegenständen, sofern die Voraussetzungen von Absatz 1 erfüllt sind.
3    Ist die Beschwerde nach den Absätzen 1 und 2 nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, so sind die betreffenden Vor- und Zwischenentscheide durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken.
BGG (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f. mit Hinweisen). Die Zulässigkeit der Beschwerde setzt somit - alternativ - voraus, dass der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1 lit. b).

Grundsätzlich ist nur das Dispositiv, nicht aber die Begründung eines Entscheides anfechtbar. Dispositiv-Ziffer 1 des vorinstanzlichen Entscheids weist die Sache an die IV-Stelle "zur Vornahme weiterer Abklärungen im Sinn der Erwägungen" zurück. Mit diesem Verweis bezieht sich der Entscheid auch auf die in den Erwägungen angeordnete Entfernung der Observationsergebnisse aus den Akten. Das kantonale Gericht erachtete diese ebenso wie das in der Folge erstellte Gutachten des Dr. med. H.________ (sowie eine Stellungnahme der IV-Ärztin vom 1. Oktober 2015 und den Vorbescheid vom 17. Februar 2016) als unrechtmässig erlangtes Beweismaterial. Mit der vorinstanzlichen Ausschliessung der Verwertung des Observationsmaterials ist die Eintretensvoraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 93 Andere Vor- und Zwischenentscheide - 1 Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde zulässig:
1    Gegen andere selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde zulässig:
a  wenn sie einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können; oder
b  wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde.
2    Auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und dem Gebiet des Asyls sind Vor- und Zwischenentscheide nicht anfechtbar.85 Vorbehalten bleiben Beschwerden gegen Entscheide über die Auslieferungshaft sowie über die Beschlagnahme von Vermögenswerten und Wertgegenständen, sofern die Voraussetzungen von Absatz 1 erfüllt sind.
3    Ist die Beschwerde nach den Absätzen 1 und 2 nicht zulässig oder wurde von ihr kein Gebrauch gemacht, so sind die betreffenden Vor- und Zwischenentscheide durch Beschwerde gegen den Endentscheid anfechtbar, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken.
BGG erfüllt, denn die IV-Stelle wäre damit gezwungen, das von ihr als entscheidwesentlich angesehene Beweismaterial ausser Acht zu lassen und damit eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Darin liegt ein nicht wieder gutzumachender Nachteil (Urteil 8C 272/2011 vom 11. November 2011 E. 1, nicht publ. in: BGE 137 I 327, aber in: SVR 2012 IV Nr. 26 S. 107).

2.
Die Vorinstanz hat die Observation und die Verwertung der Überwachungsergebnisse - und auch des in Kenntnis davon ergangenen Gutachtens des Dr. med. H.________ - als unzulässig erachtet. Streitig ist, ob diese Beurteilung vor Bundesrecht standhält.

3.
Das kantonale Gericht hat festgestellt, dass für die heimliche Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten keine gesetzliche Grundlage bestehe. Das beschaffte Datenmaterial, konkret die der IV-Stelle am 16. Mai 2015 überlassenen Ermittlungs- und Observationsberichte samt separater Daten-CD, sei aus den Akten zu entfernen. Ebenfalls zu entfernen seien das Gutachten des Dr. med. H.________ vom 21. September 2015 sowie die Stellungnahme der IV-Ärztin vom 1. Oktober 2015, denn sie stützten sich bei ihrer Einschätzung der Arbeitsfähigkeit auf das Observationsmaterial. Die übrige medizinische Aktenlage beruhe weder auf einer umfassenden Würdigung des Gesundheitsverlaufs bis zum massgebenden Zeitpunkt des Verfügungserlasses vom 5. April 2016 noch auf einer kritischen Prüfung der Leidensangaben des Beschwerdeführers. Die Vorinstanz wies die Sache an die IV-Stelle zurück zur Vornahme einer neuerlichen psychiatrischen Begutachtung. Zur Beweiskraft des Gutachtens des Dr. med. H.________ sowie zu der vom Versicherten geltend gemachten Voreingenommenheit des Gutachters hat sie sich nicht näher geäussert.

Die beschwerdeführende IV-Stelle macht geltend, dass die Überwachung rechtmässig gewesen und das dabei erhobene Beweismaterial verwertbar sei. Ihre leistungsablehnende Verfügung sei zu bestätigen.

4.

4.1. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seinem Urteil vom 18. Oktober 2016 in Sachen Vukota-Bojic gegen die Schweiz (61838/10) über die EMRK-Konformität einer Observation, die im Auftrag eines (sozialen) Unfallversicherers durch einen Privatdetektiv erfolgt war, befunden. Er erkannte, dass eine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine Observation nicht besteht, weshalb er auf eine Verletzung von Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) schloss. Hingegen verneinte er eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
a  innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b  ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;
c  sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d  Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;
e  unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.
EMRK (Gebot eines fairen Verfahrens) durch die erfolgte Verwendung der Observationsergebnisse.

Das Bundesgericht hat unter Berücksichtigung der betreffenden Erwägungen des EGMR entschieden, dass es trotz Art. 59 Abs. 5
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 59 Organisation und Verfahren - 1 Die IV-Stellen haben sich so zu organisieren, dass sie ihre Aufgaben nach Artikel 57 unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und der Weisungen des Bundes fachgerecht und effizient durchführen können.331
1    Die IV-Stellen haben sich so zu organisieren, dass sie ihre Aufgaben nach Artikel 57 unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und der Weisungen des Bundes fachgerecht und effizient durchführen können.331
2    ...332
2bis    ...333
3    Die IV-Stellen können Spezialisten der privaten Invalidenhilfe, Experten, medizinische und berufliche Abklärungsstellen, Fachstellen für die Integration von Ausländerinnen und Ausländern, Vermittlungsstellen für interkulturelles Übersetzen sowie Dienste anderer Sozialversicherungsträger beiziehen.334
4    Die IV-Stellen können mit anderen Versicherungsträgern und den Organen der öffentlichen Sozialhilfe Vereinbarungen über den Beizug der regionalen ärztlichen Dienste abschliessen.335
5    Zur Bekämpfung des ungerechtfertigten Leistungsbezugs können die IV-Stellen Spezialisten beiziehen.336
6    Die IV-Stellen berücksichtigen im Rahmen ihrer Leistungen die sprachlichen, sozialen und kulturellen Besonderheiten der Versicherten, ohne dass diese einen Rechtsanspruch auf eine besondere Leistung ableiten können.337
IVG ("Zur Bekämpfung des ungerechtfertigten Leistungsbezugs können die IV-Stellen Spezialisten beiziehen") auch im Bereich der Invalidenversicherung an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage fehlt, die die Observation umfassend klar und detailliert regelt. Folglich verletzen solche Handlungen, seien sie durch den Unfallversicherer oder durch eine IV-Stelle veranlasst, Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
EMRK beziehungsweise den einen im Wesentlichen gleichen Gehalt aufweisenden Art. 13
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 13 Schutz der Privatsphäre - 1 Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.
1    Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.
2    Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.
BV (Urteil 9C 806/2016 vom 14. Juli 2017, zur Publikation vorgesehen).

4.2. Was die Verwendung des im Rahmen der widerrechtlichen Observation gewonnenen Materials anbelangt, richtet sich diese allein nach schweizerischem Recht. Das Bundesgericht hat in seinem Urteil 9C 806/2016 im Wesentlichen erkannt, dass die Verwertbarkeit der Observationsergebnisse (und damit auch der gestützt darauf ergangenen weiteren Beweise) grundsätzlich zulässig ist, es sei denn, bei einer Abwägung der tangierten öffentlichen und privaten Interessen würden diese überwiegen (E. 5.1.1). Mit Blick auf die gebotene Verfahrensfairness hat es sodann in derselben Erwägung (mit Hinweisen) eine weitere Präzisierung angebracht: Eine gegen Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
EMRK verstossende Videoaufnahme ist verwertbar, solange Handlungen des "Beschuldigten" aufgezeichnet werden, die er aus eigenem Antrieb und ohne äussere Beeinflussung machte, und ihm keine Falle gestellt worden war. Ferner hat es erwogen, dass von einem absoluten Verwertungsverbot wohl immerhin insoweit auszugehen ist, als es um Beweismaterial geht, das im nicht öffentlich frei einsehbaren Raum zusammengetragen wurde (E. 5.1.3; Urteile 8C 735/2016 vom 27. Juli 2017 E. 5.3.6; 8C 45/2017 vom 26. Juli 2017 E. 4; vgl. zum öffentlich einsehbaren Raum: BGE 137 I 327).

5.
Mit Rücksicht auf diese jüngste Rechtsprechung steht mit dem kantonalen Gericht fest, dass die Observation unzulässig war, weshalb eine Verletzung von Art. 8
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - (1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
EMRK und Art. 13
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 13 Schutz der Privatsphäre - 1 Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.
1    Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.
2    Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.
BV festzustellen ist. Hingegen erweist sich der angefochtene Entscheid insoweit als bundesrechtswidrig, als er die Verwertbarkeit der Observationsergebnisse betrifft und ohne Weiteres deren Entfernung aus den Akten angeordnet wurde. Es bleibt zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Verwertung erfüllt sind.

5.1. Gestützt auf die vom Versicherten auf "Facebook" gezeigten Fotos bestanden hinreichende Zweifel daran, dass ein schweres, zu gänzlicher Arbeitsunfähigkeit führendes depressives Leiden vorliege, welches insbesondere auch einen sozialen Rückzug erwarten liesse (BGE 137 I 327 E. 5.4.2.1 S. 332 f.). Ein Anfangsverdacht war damit gegeben. Dies ist insoweit unbestritten geblieben.

5.2. Dass es sich bei der von der Detektei überwachten Person nicht um den Versicherten handeln könnte, wurde nicht geltend gemacht. Es bestehen dafür auch keine Hinweise angesichts der Angaben im Observationsbericht zur Identifikation und zur Wohnsituation.

5.3. Die Observation erfolgte an insgesamt zehn Tagen. Die ersten drei Tage dienten dabei im Wesentlichen einer Abklärung und Kontrolle der Wohnsituation, des benutzten Fahrzeuges und der Gepflogenheiten des Versicherten. An weiteren fünf Tagen konnte der Versicherte nicht beobachtet werden. Am 20. April und am 4. Mai 2015 erfolgte eine eigentliche Überwachung über mehrere Stunden. Der Versicherte war jeweils mit seinem Auto unterwegs und wurde im Wesentlichen bei Einkäufen in verschiedenen Geschäften, in Restaurants, bei Gesprächen mit Bekannten, auf einer Abfallentsorgungsstelle, in einer Autogarage, bei einem Bancomaten sowie beim Waschen seines Autos beobachtet.

5.4. Die Detektei hat ausschliesslich alltägliche Verrichtungen im öffentlich einsehbaren Raum aufgezeichnet. Sie erfolgten aus eigenem Antrieb. Der zeitliche Umfang beschränkte sich auf zwei Tage. Die Privatsphäre des Versicherten war dadurch nur geringfügig betroffen. Es kann daher nicht von einer schweren Verletzung der Persönlichkeit ausgegangen werden. Dem gegenüberzustellen gilt es das Interesse des Versicherungsträgers und der Versichertengemeinschaft, unrechtmässige Leistungsbezüge abzuwenden. Dieses ist unter den hier gegebenen Umständen höher zu gewichten als das Interesse des Versicherten an einer unbehelligten Privatsphäre.
Damit können im vorliegenden Fall die ohne ausreichende gesetzliche Grundlage erhobenen Observationsergebnisse in Form des entsprechenden Berichts sowie der Foto- und Videoaufnahmen verwertet werden, zumal der Kerngehalt von Art. 13
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 13 Schutz der Privatsphäre - 1 Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.
1    Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihres Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs.
2    Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.
BV bei der hier gegebenen Überwachung und der damit verbundenen geringen Eingriffsschwere ebenfalls unangetastet blieb (Urteile 9C 806/2016 vom 14. Juli 2017 E. 5.1.2; 8C 735/2016 vom 27. Juli 2017 E. 5.3.5 und E. 5.3.6.3). Gleiches gilt auch für die danach ergangenen weiteren Beweise. Insbesondere ist es daher bundesrechtswidrig, das Gutachten des Dr. med. H.________ von vornherein unberücksichtigt zu lassen.

5.5. Die Sache ist an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es die übrigen Einwände des Versicherten, insbesondere zum Beweiswert des Gutachtens des Dr. med. H.________ vom 21. September 2015, prüfe und über die Beschwerde neu befinde.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 65 Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten bestehen in der Gerichtsgebühr, der Gebühr für das Kopieren von Rechtsschriften, den Auslagen für Übersetzungen, ausgenommen solche zwischen Amtssprachen, und den Entschädigungen für Sachverständige sowie für Zeugen und Zeuginnen.
1    Die Gerichtskosten bestehen in der Gerichtsgebühr, der Gebühr für das Kopieren von Rechtsschriften, den Auslagen für Übersetzungen, ausgenommen solche zwischen Amtssprachen, und den Entschädigungen für Sachverständige sowie für Zeugen und Zeuginnen.
2    Die Gerichtsgebühr richtet sich nach Streitwert, Umfang und Schwierigkeit der Sache, Art der Prozessführung und finanzieller Lage der Parteien.
3    Sie beträgt in der Regel:
a  in Streitigkeiten ohne Vermögensinteresse 200-5000 Franken;
b  in den übrigen Streitigkeiten 200-100 000 Franken.
4    Sie beträgt 200-1000 Franken und wird nicht nach dem Streitwert bemessen in Streitigkeiten:
a  über Sozialversicherungsleistungen;
b  über Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts;
c  aus einem Arbeitsverhältnis mit einem Streitwert bis zu 30 000 Franken;
d  nach den Artikeln 7 und 8 des Behindertengleichstellungsgesetzes vom 13. Dezember 200223.
5    Wenn besondere Gründe es rechtfertigen, kann das Bundesgericht bei der Bestimmung der Gerichtsgebühr über die Höchstbeträge hinausgehen, jedoch höchstens bis zum doppelten Betrag in den Fällen von Absatz 3 und bis zu 10 000 Franken in den Fällen von Absatz 4.
BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdegegner auferlegt (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. Dezember 2016 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. August 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Maillard

Die Gerichtsschreiberin: Durizzo
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 8C_69/2017
Date : 18. August 2017
Published : 05. September 2017
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Invalidenversicherung
Subject : Invalidenversicherung (Invalidenrente)


Legislation register
BGG: 65  66  93
BV: 13
EMRK: 6  8
IVG: 59
BGE-register
133-V-477 • 137-I-327
Weitere Urteile ab 2000
8C_272/2011 • 8C_45/2017 • 8C_69/2017 • 8C_735/2016 • 9C_684/2007 • 9C_806/2016
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
[noenglish] • abrogation • accident insurance • accused • appeal concerning affairs under public law • appellee • authenticity • day • decision • depression • disablement pension • dismissal • distance • doubt • effect • essential part • european court of human rights • evaluation • federal court • federal insurance court • final decision • full pension • illegality • incapability to work • interim decision • invalidity insurance office • knowledge • lawfulness • lawyer • litigation costs • lower instance • meadow • participant of a proceeding • personal interest • proceedings conditions • psychiatry • psychotherapy • receipt of benefits • respect for the private life • restaurant • statement of affairs • statement of reasons for the adjudication • swiss law • weight