Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung V
E-3216/2019
Urteil vom18. Juli 2019
Einzelrichterin Gabriela Freihofer,
Besetzung mit Zustimmung von Richterin Roswitha Petry
Gerichtsschreiberin Evelyn Heiniger.
A._______, geboren am (...),
Syrien,
Parteien vertreten durch lic. iur. Peter Frei, Rechtsanwalt,
advokaturbüro kernstrasse, (...),
Beschwerdeführer,
gegen
Staatssekretariat für Migration (SEM),
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Asyl (ohne Wegweisungsvollzug);
Gegenstand
Verfügung des SEM vom 7. Juni 2019 / N (...).
Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer suchte am 1. Februar 2016 um Asyl nach. Am 23. Februar 2016 wurde er kurz zur Person befragt und am 29. Januar 2018 einlässlich zu seinen Asylgründen angehört.
Dabei führte er im Wesentlichen aus, er sei ausgereist, weil er in den Militärdienst einberufen worden sei. Er habe den Dienst aufgrund seiner Einschreibung an der Universität einmal verschieben können. Beim zweiten Mal habe er keine Bestätigung der Uni mehr gehabt, weil er aufgrund des Krieges nicht nach B._______ zur Uni habe gehen können. Es seien zwei Personen vom Rekrutierungsamt zu seiner Familie nach Hause gekommen und hätten nach ihm gefragt. Diese hätten seiner Mutter mitgeteilt, dass er bis zum (...) 2015 zum Rekrutierungsamt kommen müsse. Seine Mutter habe ihnen gesagt, sie wisse nicht, wo er sei. Er habe sich tags darauf zu seiner Tante begeben, wo er sich aufgehalten habe, bis er ausgereist sei. Wegen des Krieges, weil sein Bruder verletzt worden sei, habe er an psychischen Problemen gelitten. Ansonsten habe er keine Probleme mit Behörden, Polizei, Militär, Parteien oder Organisationen gehabt. Nach seiner Ausreise hätten seine Eltern von den YPG (Yekîneyên Parastina Gel) ein an ihn gerichtetes Aufgebot für den Militärdienst erhalten.
B.
Mit Verfügung vom 7. Juni 2019 stellte das SEM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte sein Asylgesuch ab und verfügte die Wegweisung aus der Schweiz. Da der Vollzug der Wegweisung zurzeit nicht zulässig sei, wurde die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers angeordnet.
C.
Mit Eingabe vom 24. Juni 2019 reichte der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein und beantragte, Ziffern 1 bis 3 der angefochtenen Verfügung seien aufzuheben, er sei als Flüchtling anzuerkennen und ihm sei Asyl zu gewähren. Eventuell sei festzustellen, dass der Wegweisungsvollzug unzulässig erscheine. In prozessualer Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Beiordnung des die Beschwerde unterzeichnenden Anwalts als unentgeltlicher Rechtsbeistand.
D.
Mit Zwischenverfügung vom 28. Juni 2019 wies die Instruktionsrichterin die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Beiordnung eines amtlichen Rechtsbeistandes ab und forderte den Beschwerdeführer zur Leistung eines Kostenvorschusses auf.
Dieser ging innert Frist bei der Gerichtskasse ein.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 31







1.2 Am 1. März 2019 ist eine Teilrevision des AsylG in Kraft getreten (AS 2016 3101); für das vorliegende Verfahren gilt das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom 25. September 2015).
1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht worden. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105




2.
Nachdem der Beschwerdeführer aufgrund der Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzuges vorläufig in der Schweiz aufgenommen wurde (Dispo-Ziffer 4 der angefochtenen Verfügung), besteht kein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzuges. Auf den entsprechenden Antrag in der Beschwerde (Ziffer 3) ist daher nicht einzutreten.
3.
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1

4.
Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e


Gestützt auf Art. 111a Abs. 1

5.
5.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1



5.2 Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden, wobei die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) vorbehalten bleibt (Art. 3 Abs. 3

5.3 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Anforderungen an das Glaubhaftmachen der Vorbringen in verschiedenen Entscheiden dargelegt und folgt dabei ständiger Praxis. Darauf kann hier verwiesen werden (vgl. BVGE 2015/3 E. 6.5.1 m.w.H.).
6.
6.1 Die Vorinstanz gelangte in der angefochtenen Verfügung zum Schluss, die Vorbringen des Beschwerdeführers hielten den Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3

Zur Begründung führte sie an, die vom Beschwerdeführer miterlebten Explosionen und die Verletzung seines Bruders seien auf die allgemeine Lage und das Kriegsgeschehen in Syrien zurückzuführen. Die Vorbringen seien demnach nicht asylrelevant im Sinne von Art. 3

Es treffe zu, dass in den Gebieten Nordsyriens, welche unter Kontrolle der YPG seien, Aufforderungen zur Wahrnehmung der Dienstpflicht ergehen würden. Gemäss bundesverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung vermöchten diese Rekrutierungsbemühungen mangels Verfolgungsmotiv im Sinne von Art. 3

Bezüglich der Wehrdienstverweigerung im syrischen Militär sei festzuhalten, dass eine Dienstverweigerung per se die Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen vermöge. Eine Quellenanalyse ergebe, dass die syrischen Behörden nicht allen Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren eine regierungsfeindliche Haltung unterstellten. Beim Vorliegen politischer Faktoren sei jedoch davon auszugehen, dass die syrischen Behörden eine Wehrdienstverweigerung oder Desertion als Stellungnahme für die Opposition einstuften und entsprechend bestrafen würden. Beim Beschwerdeführer lägen keine einzelfallspezifischen Risikofaktoren vor, die ein politisches Profil begründen könnten. Damit würden allfällige Strafmassnahmen infolge einer Wehrdienstverweigerung keine Verfolgung im Sinne von Art. 3

Es sei nicht auszuschliessen, dass dem Beschwerdeführer in Syrien Strafmassnahmen drohten, die gegen Art. 3

6.2 Der Beschwerdeführer bringt in der Rechtsmitteleingabe vor, er sei im Rahmen der BzP nicht zu seinen Asylgründen befragt worden und habe sich erstmals anlässlich der Anhörung zu den Fluchtgründen äussern können. Die Anhörung zur Sache habe lediglich rund drei Stunden gedauert, womit die Befragung verhältnismässig kurz und wenig tiefschürfend gewesen sei. Obwohl der asylberechtigte Bruder des Beschwerdeführers während der Anhörung anwesend gewesen sei, sei der Beschwerdeführer nicht zu seinem familiären Umfeld und dessen politischen Aktivitäten befragt worden. Aus den auch vom SEM beigezogenen Akten dieses Bruders ergebe sich, dass er mit der Tochter von R.B., eines in der Schweiz asylberechtigten Aktivisten der PDK-S (Demokratischen Partei Kurdistans Syrien), verheiratet sei. Bereits daraus sei auf eine relative Nähe des Beschwerdeführers zu regimefeindlichen politischen Aktivisten aus Syrien zu schliessen. Zudem sei der Vater des Beschwerdeführers seit vielen Jahren für die PYD (kurdische Partei der Demokratischen Union / Partiya Yekitîya Demokrat) aktiv gewesen und deshalb mehrmals verhaftet worden. Er habe das nicht erwähnt, da ihm nicht bewusst gewesen sei, dass die politischen Aktivitäten seines Vaters wichtig sein könnten. Ferner habe sich der Beschwerdeführer in Syrien aktiv gegen das Assad-Regime betätigt, indem er etwa fünfzehn Mal an von Jugendorganisationen durchgeführten Kundgebungen und Demonstrationen gegen das Assad-Regime teilgenommen habe. Die Polizei habe sich dabei zurückgehalten, Agenten hätten aber Fotos und Videos gemacht. Auch Teilnehmer hätten solche gemacht und diese auf sozialen Medien verbreitet. Da es nach den Kundgebungen Verhaftungen gegeben habe, habe er sich mit der Zeit auch davor gefürchtet. Während der Anhörung sei er nicht auf seine politischen Aktivitäten angesprochen worden. Er sei sich nicht bewusst gewesen, dass dies für sein Asylverfahren massgeblich sein könnte. Die Vorinstanz habe den Sachverhalt damit nicht vollständig erhoben und die Offizialmaxime verletzt. Es sei die Gefahr einer Reflexverfolgung und die eigene regimefeindliche politische Aktivität des Beschwerdeführers zu berücksichtigen.
Zweieinhalb Monate nach seiner Einreise in die Schweiz sei bei ihm eine (...) diagnostiziert worden, was zum Schluss führe, dass ihn die Erlebnisse in Syrien stark belastet hätten. Ein solches Erleben und die damit verbundene psychische Belastung ähnle in asylrechtlicher Hinsicht einer Vorverfolgung, welche eine begründete Furcht vor zukünftiger Verfolgung nahelege.
7.
7.1 Zunächst ist, was die Dauer der Anhörung betrifft, festzuhalten, dass die Anhörung des Beschwerdeführers inklusive Pausen und Rückübersetzung von 9.30 Uhr bis 14.50 Uhr gedauert hat. Die zeitliche Dauer liegt damit im Durchschnitt und ist nicht zu beanstanden. Die Anhörung war genügend ausführlich. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit gegeben, seine Asylgründe frei zu schildern, und er wurde zu allen relevanten Ereignissen hinreichend befragt. Er wurde wiederholt gefragt, ob es noch andere Gründe gebe, weshalb er Syrien verlassen habe (vgl. SEM-Akte A26/20 F95 ff., F100 f., F171 f.). Da der Beschwerdeführer selbst das politische Engagement seines Vaters nicht angesprochen und die familiären Verbindungen seines Bruders über dessen Ehefrau nicht erwähnt hat, kann der Vorinstanz nicht vorgehalten werden, dass dem Beschwerdeführer dazu keine Fragen gestellt wurden. Der Sachverhalt erweist sich damit als hinreichend abgeklärt.
7.2 Eine Reflexverfolgung liegt vor, wenn sich Verfolgungsmassnahmen abgesehen von der primär betroffenen Person auch auf Familienangehörige und Verwandte erstrecken. Diese kann flüchtlingsrechtlich im Sinne von Art. 3

E-6470/2017 E.5.2 vom 6. Juni 2019, D-76/2017 E. 5.5.2 vom 19. November 2018, E-6244/2016 vom 9. Mai 2018 E. 5.5).
Was die auf Beschwerdeebene vorgebrachte Furcht vor Reflexverfolgung aufgrund des Vaters und der familiären Beziehungen des Bruders betrifft, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner Anhörung keine Probleme in diesem Zusammenhang erwähnte. Auch auf Beschwerdeebene bringt er lediglich vor, dass sein Vater für die PYD aktiv gewesen sei und die familiären Bande seines Bruders zu berücksichtigen seien. Es wird in keiner Weise substantiiert, inwiefern der Vater oder der Bruder des Beschwerdeführers bereits Verfolgungsmassnahmen erlitten hätten. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer angab, selbst nie Probleme mit Behörden gehabt zu haben (SEM-Akte A26/20 F167), und im Rahmen der Anhörung weder auf seinen Vater noch auf seinen Bruder - der im Übrigen bereits im Juli 2013 in die Schweiz eingereist ist - Bezug nahm. Der Grund für die Ausreise des Beschwerdeführers war denn auch der bevorstehende Militärdienst (F165). Weitere Gründe, die ihn zur Ausreise getrieben hätten, brachte er nicht vor. Seine Eltern und sein jüngerer Bruder leben nach wie vor in Syrien und haben, gemäss seinen Angaben, von keinen Vorfällen oder Behelligungen berichtet (F38 ff.). Eine begründete Furcht vor einer zukünftigen Reflexverfolgung ist demnach vorliegend zu verneinen.
7.3 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Grundsatzurteil BVGE 2015/3 (insbesondere E. 5) festgestellt, dass auch nach der Einführung von Art. 3 Abs. 3



7.4 Den Akten lassen sich vorliegend keine Anhaltspunkte für gezielte Verfolgungsmassnahmen der syrischen Behörden im Sinne von Art. 3 Abs. 1

7.5 Andere Gründe für eine asylrelevante Verfolgung werden nicht geltend gemacht und sind auch den Akten nicht zu entnehmen. Die in der Schweiz diagnostizierte Posttraumatische Belastungsstörung führt nicht zur Asylrelevanz seiner Vorbringen. Zusammenfassend hat der Beschwerdeführer nichts vorgebracht, was geeignet wäre, seine Flüchtlingseigenschaft nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen. Die Vorinstanz hat diese daher zu Recht verneint und das Asylgesuch abgelehnt.
8.
8.1 Lehnt das SEM das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44

8.2 Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44

9.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1

10.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1



(Dispositiv nächste Seite)
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Der geleistete Kostenvorschuss in gleicher Höhe wird zur Bezahlung der Verfahrenskosten verwendet.
3.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:
Gabriela Freihofer Evelyn Heiniger
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