Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

7B 605/2023

Urteil vom 17. Juli 2024

II. strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Abrecht, Präsident,
Bundesrichter Kölz, Hofmann,
Gerichtsschreiberin Kern.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andres Büsser,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Ugur Gürbüz,
Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstraffälle und Organisierte Kriminalität,
Maurerstrasse 2, 8510 Frauenfeld,
2. Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau,
St. Gallerstrasse 17, 8510 Frauenfeld,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ausstand,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 27. Juni 2023 (SW.2023.47).

Sachverhalt:

A.

A.a. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstraffälle und organisierte Kriminalität, führte ein Strafverfahren gegen A.________ wegen verschiedener Delikte. Sie warf ihm unter anderem vor, er habe in den Jahren 2011, 2012 und 2013, als "faktischer Hauptentscheidungsträger" der inzwischen im Handelsregister gelöschten Gesellschaft B.________ AG in Liquidation, private Rechnungen und Kosten zulasten dieser Gesellschaft begleichen lassen. Er soll in den fraglichen Jahren auch seinen Buchführungspflichten nicht nachgekommen sein.

A.b. Das Bezirksgericht Kreuzlingen sprach A.________ mit Urteil vom 18. Mai 2022 der mehrfachen qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung (begangen in den Jahren 2012 und 2013), der Urkundenfälschung, der Misswirtschaft und des Fahrens in fahrunfähigem Zustand schuldig. Das Strafverfahren wegen Unterlassung der Buchführung, mehrfacher Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, mehrfacher Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge und einfacher Verletzung der Verkehrsregeln stellte es zufolge eingetretener Verjährung ein. Vom Vorwurf der ungetreuen Geschäftsbesorgung im Jahr 2011 sprach es A.________ frei, da dieser vor 2012 nicht um die finanzielle Schieflage der B.________ AG in Liquidation gewusst habe.
Gegen dieses Urteil erklärte A.________ Berufung beim Obergericht des Kantons Thurgau. Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwalt Ugur Gürbüz, erklärte Anschlussberufung in Bezug auf die Strafzumessung und die Auferlegung der Kosten der amtlichen Verteidigung.

A.c. Mit Eingabe vom 30. März 2023 erklärte Staatsanwalt Gürbüz im Rahmen des Berufungsverfahrens unter anderem was folgt:

"Auf jeden Fall kann der Staatsanwaltschaft keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes vorgeworfen werden. Der Berufungskläger [A.________] hätte - selbst wenn die Jahresrechnung 2011 korrekt erstellt worden wäre, was aber offensichtlich nicht der Fall ist - für die Revision der Jahresrechnung 2011 sorgen sollen, was er unterlassen hat. Aus den bei der C.________ AG edierten Unterlagen ergibt sich auf alle Fälle, dass über das ganze Jahr 2011 hinweg private Auslagen über das Geschäftskonto der B.________ AG bezahlt wurden (vgl. Konto xxx), was den vorinstanzlichen Schuldspruch wegen mehrfacher qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung sowie Urkundenfälschung bestätigt."

B.
A.________ stellte am 4. April 2023 ein Ausstandsgesuch gegen Staatsanwalt Gürbüz. Er machte im Wesentlichen geltend, die Eingabe vom 30. März 2023 sei ehrverletzend und lasse Staatsanwalt Gürbüz als befangen erscheinen. Das Obergericht wies das Ausstandsgesuch von A.________ mit Entscheid vom 27. Juni 2023 ab, soweit es nicht gegenstandslos sei (Dispositiv-Ziffer 1). Ferner wies es auch sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege "und Offizialvertretung" ab (Dispositiv-Ziffer 2) und legte ihm die Verfahrensgebühr von Fr. 1'500.-- auf (Dispositiv-Ziffer 3).

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________ vor Bundesgericht, der Entscheid vom 27. Juni 2023 sei aufzuheben und Staatsanwalt Ugur Gürbüz sei in Ausstand zu versetzen. Für den Fall des Unterliegens sei ihm die "unentgeltliche Prozessführung und unentgeltliche anwaltliche Verbeiständung bzw. amtliche Verteidigung [...] auch im obergerichtlichen Ausstandsverfahren" zu gewähren. Eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen, selbstständig anfechtbaren Zwischenentscheid über Ausstandsbegehren in einem Strafverfahren. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht grundsätzlich offen (vgl. Art. 78 ff
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 78 Grundsatz - 1 Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen.
1    Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen.
2    Der Beschwerde in Strafsachen unterliegen auch Entscheide über:
a  Zivilansprüche, wenn diese zusammen mit der Strafsache zu behandeln sind;
b  den Vollzug von Strafen und Massnahmen.
. und Art. 92 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 92 - 1 Gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren ist die Beschwerde zulässig.
1    Gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren ist die Beschwerde zulässig.
2    Diese Entscheide können später nicht mehr angefochten werden.
BGG). Der Beschwerdeführer verfügt über ein aktuelles Rechtsschutzinteresse an der Beschwerde, obschon der Beschwerdegegner nach der Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz die Staatsanwaltschaft per 31. Mai 2023 verlassen hat (vgl. Urteile 7B 156/2022 vom 7. September 2023 E. 1.1; 1B 597/2021, 1B 598/2021 vom 27. Oktober 2022 E. 1.2; je mit Hinweisen). Er ist somit zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 81 Beschwerderecht - 1 Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer:
1    Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer:
a  vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat; und
b  ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, insbesondere:
b1  die beschuldigte Person,
b2  ihr gesetzlicher Vertreter oder ihre gesetzliche Vertreterin,
b3  die Staatsanwaltschaft, ausser bei Entscheiden über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft,
b4  ...
b5  die Privatklägerschaft, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann,
b6  die Person, die den Strafantrag stellt, soweit es um das Strafantragsrecht als solches geht,
b7  die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung in Verwaltungsstrafsachen nach dem Bundesgesetz vom 22. März 197456 über das Verwaltungsstrafrecht.
2    Eine Bundesbehörde ist zur Beschwerde berechtigt, wenn das Bundesrecht vorsieht, dass ihr der Entscheid mitzuteilen ist.57
3    Gegen Entscheide nach Artikel 78 Absatz 2 Buchstabe b steht das Beschwerderecht auch der Bundeskanzlei, den Departementen des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, den ihnen unterstellten Dienststellen zu, wenn der angefochtene Entscheid die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann.
und b Ziff. 1 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und formelle Rechtsverweigerung geltend.

2.1. Die Vorinstanz erwägt im angefochtenen Entscheid unter anderem, die Beurteilung, ob bzw. inwiefern Staatsanwalt Gürbüz mit der Argumentation in seiner Eingabe vom 30. März 2023 zu überzeugen vermöge, liege beim Berufungsgericht. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz verfalle damit in formelle Rechtsverweigerung, denn für diese Beurteilung sei nicht das Berufungsgericht, sondern sie selbst zuständig. Ferner habe ihn die Vorinstanz nicht gehört, soweit er eine Verletzung der "Amtsermittlungspflicht" und seines Akteneinsichtsrechts durch Staatsanwalt Gürbüz gerügt habe. Solche Verfahrensfehler könnten eine Ausstandspflicht (mit-) begründen und hätten daher von der Vorinstanz geprüft werden müssen.

2.2. Eine formelle Rechtsverweigerung liegt vor, wenn eine Behörde auf eine ihr frist- und formgerecht unterbreitete Sache nicht eintritt, obschon sie darüber befinden müsste (BGE 149 II 209 E. 4.2; 144 II 184 E. 3.1; 135 I 6 E. 2.1; je mit Hinweisen). Eine solche ist hier nicht erkennbar, denn die Vorinstanz hat das Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers materiell geprüft und dessen Abweisung hinreichend begründet. Dabei hat sie insbesondere auch festgehalten, dass keine besonders krassen oder ungewöhnlich häufigen Fehlleistungen des Staatsanwalts Gürbüz vorlägen, weshalb die Frage, ob dieser gewisse Akten hätte beiziehen müssen, wie der Beschwerdeführer behauptet, vom Sachgericht zu beurteilen sei (vgl. dazu auch E. 3.2 hiernach). Dies ist nicht zu beanstanden. Es ist keine Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör ersichtlich.

3.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 56 lit. f
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 56 Ausstandsgründe - Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
StPO.

3.1. Die Ausstandsgründe für die in einer Strafbehörde tätigen Personen sind in Art. 56
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 56 Ausstandsgründe - Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
StPO geregelt. Diese Bestimmung konkretisiert Art. 6 Ziff. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
a  innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;
b  ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben;
c  sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;
d  Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;
e  unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.
EMRK sowie Art. 29 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.
und Art. 30 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 30 Gerichtliche Verfahren - 1 Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt werden muss, hat Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Ausnahmegerichte sind untersagt.
BV. Zu den Strafbehörden gehören insbesondere die Strafverfolgungsbehörden, darunter die Organe der Staatsanwaltschaft (Art. 12 lit. b
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 12 Strafverfolgungsbehörden - Strafverfolgungsbehörden sind:
StPO). Von den in Art. 56 lit. a
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 56 Ausstandsgründe - Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
bis e StPO geregelten besonderen Ausstandsgründen abgesehen tritt ein Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin in den Ausstand, wenn er bzw. sie "aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte" (Art. 56 lit. f
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 56 Ausstandsgründe - Eine in einer Strafbehörde tätige Person tritt in den Ausstand, wenn sie:
StPO). Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit bzw. Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit der untersuchungsleitenden Person zu erwecken. Solche Umstände können namentlich in einem bestimmten Verhalten der untersuchungsleitenden Person bestehen. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der
Befangenheit bzw. Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung ist nicht erforderlich, dass die untersuchungsleitende Person tatsächlich befangen ist (BGE 141 IV 178 E. 3.2.1; Urteil 7B 772/2023 vom 11. Dezember 2023 E. 2.2.3; je mit Hinweisen).
Befangenheit einer staatsanwaltlichen Untersuchungsleiterin oder eines Untersuchungsleiters ist nach der Praxis des Bundesgerichtes nicht leichthin anzunehmen. Zu bejahen ist sie, wenn nach objektiver Betrachtung besonders krasse oder ungewöhnlich häufige Fehlleistungen der Untersuchungsleitung vorliegen, welche bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken (BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.3; Urteil 7B 287/2023 vom 12. September 2023 E. 2.3; je mit Hinweisen). Gegen beanstandete Verfahrenshandlungen sind primär die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen (BGE 143 IV 69 E. 3.2; Urteil 7B 328/2023 vom 2. August 2023 E. 3.1 mit Hinweisen).
Auch voreilige präjudizielle Äusserungen der Untersuchungsleitung können geeignet sein, Zweifel an ihrer Unparteilichkeit hervorzurufen. Dies trifft etwa zu, wenn die Untersuchungsleitung nicht gewillt erscheint, einen unzulässigen, vom zuständigen Gericht bereits gerügten Standpunkt zu ändern (Urteil 1B 2/2022 vom 2. Juni 2022 E. 4.3 mit Hinweis). Legt die Untersuchungsleitung dagegen lediglich ihre vorläufig gebildete Meinung offen, vermag dies in der Regel keine Befangenheit zu begründen, da vorausgesetzt wird, dass sie in der Lage ist, ihre vorläufige Beurteilung entsprechend dem Verfahrensstand ständig zu überprüfen und bei Vorliegen neuer Tatsachen und Argumente zu revidieren. Ungeschickte Äusserungen der Untersuchungsleitung kommen als Ausstandsgrund nur in Frage, wenn es sich dabei um eine schwere Verfehlung gegenüber der direkt betroffenen Partei handelt (BGE 141 IV 178 E. 3.2.3; Urteile 6B 215/2022 vom 25. August 2022 E. 3.4.5; 1B 593/2021 vom 11. April 2022 E. 4.4.1; je mit Hinweisen).
Dabei ist die Frage der Befangenheit der Untersuchungsleitung entsprechend ihrer sich wandelnden Funktion und Stellung im Rahmen des Strafverfahrens unterschiedlich zu beurteilen. In erster Linie ist zwischen dem Vorverfahren und dem gerichtlichen Verfahren zu unterscheiden. Im Vorverfahren gewährleistet die Staatsanwaltschaft eine gesetzmässige und geordnete Durchführung des Verfahrens (Art. 62 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 62 Allgemeine Aufgaben - 1 Die Verfahrensleitung trifft die Anordnungen, die eine gesetzmässige und geordnete Durchführung des Verfahrens gewährleisten.
StPO). Sie untersucht die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt (Art. 6 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 6 Untersuchungsgrundsatz - 1 Die Strafbehörden klären von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab.
StPO). Nach Erhebung der Anklage wird sie dagegen wie die beschuldigte Person und die Privatklägerschaft zur Partei (Art. 104 Abs. 1
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 104 Parteien - 1 Parteien sind:
StPO). In diesem Verfahrensstadium vertritt sie die Anklage (Art. 16 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 16 Staatsanwaltschaft - 1 Die Staatsanwaltschaft ist für die gleichmässige Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs verantwortlich.
StPO) und ist nicht mehr zur Unparteilichkeit verpflichtet (BGE 141 IV 178 E. 3.2.2 mit Hinweis; Urteil 1B 620/2020 vom 23. Februar 2021 E. 3.2). Indes muss sich die Staatsanwaltschaft dennoch an eine gewisse Objektivität halten. So darf sie keine Verurteilung um jeden Preis anstreben, hat für eine gerechte Anwendung des Strafgesetzes einzutreten und darf nicht bewusst wesentliche Punkte weglassen oder wissentlich unwahre Tatsachen vorbringen (Urteile 1B 620/2020 vom 23. Februar 2021 E. 3.2; 1B 559/2019 vom 27. Januar 2020 E.
2.3; je mit Hinweisen).

3.2. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht der Vorinstanz habe Staatsanwalt Gürbüz mit seiner Eingabe vom 30. März 2023 nicht bloss die Feststellungen des Bezirksgericht aufgegriffen, denn er habe sich auf Unterlagen bezogen, die zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils noch gar nicht vorgelegen hätten. Vielmehr habe er mit seinen Ausführungen zu verstehen gegeben, dass er (der Beschwerdeführer) sich im Jahr 2011 der ungetreuen Geschäftsbesorgung schuldig gemacht habe, obschon er von diesem Vorwurf rechtskräftig freigesprochen worden sei. Diese Unterstellung sei wahrheitswidrig und ehrverletzend, und der Vorinstanz könne nicht gefolgt werden, wenn sie erwäge, die Eingabe vom 30. März 2023 sei lediglich "etwas ungeschickt" formuliert. Staatsanwalt Gürbüz habe damit die Unschuldsvermutung und den Anklagegrundsatz verletzt. Ein Staatsanwalt, der sich zu einem solchen Vorwurf hinreissen lasse, erscheine befangen. Da Staatsanwalt Gürbüz entgegen der Auffassung der Vorinstanz auch im Berufungsverfahren zu Unabhängigkeit verpflichtet sei, müsse er in den Ausstand versetzt werden.

3.3. Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als unbegründet: Der Beschwerdeführer weist zu Recht darauf hin, dass ihn das Bezirksgericht rechtskräftig vom Vorwurf der ungetreuen Geschäftsbesorgung im Jahr 2011 freigesprochen hat. Angesichts dieser Sachlage ist - wie der Beschwerdeführer weiter zutreffend vorbringt - nicht ersichtlich, welchen "Schuldspruch" die bei der C.________ AG edierten Unterlagen bestätigen sollen. Insofern sind die Ausführungen von Staatsanwalt Gürbüz vom 30. März 2023 tatsächlich nicht nachvollziehbar. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers bringt Staatsanwalt Gürbüz damit aber nicht etwa Kritik am Freispruch des Beschwerdeführers zum Ausdruck; vielmehr bleibt der Sinn der fraglichen Passage unklar. Unter diesen Umständen ist der Vorinstanz zuzustimmen, dass die Formulierung jedenfalls für sich allein noch keine Befangenheit zu begründen vermag.

4.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe ihm zu Unrecht die unentgeltliche Prozessführung verweigert.

4.1. Nach Art. 29 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 29 Allgemeine Verfahrensgarantien - 1 Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.
BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Als aussichtslos sind Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 140 V 521 E. 9.1; Urteil 1B 174/2022 vom 17. August 2022 E. 5.3; je mit Hinweisen).

4.2. Der Beschwerdeführer moniert, entgegen der Auffassung der Vorinstanz sei sein Ausstandsgesuch nicht aussichtslos gewesen. Es gehe nicht nur um eine "unangebrachte" Äusserung von Staatsanwalt Gürbüz, sondern um einen "wahrheitswidrigen mehrfachen Schuldvorwurf". Zudem habe er gerügt, dass Staatsanwalt Gürbüz sein Recht auf Akteneinsicht eingeschränkt und damit auch noch einen Verfahrensfehler begangen habe. Die Vorinstanz hätte ihm bei dieser Sachlage die unentgeltliche Rechtspflege nicht verweigern dürfen.

4.3. Auch diese Rüge ist unbegründet: Kritisiert ein Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin einen bereits rechtskräftigen Freispruch, kann das mangelnde Objektivität indizieren. Wie hiervor dargelegt, ist im streitigen Passus von Staatsanwalt Gürbüz aber keine solche Kritik ersichtlich. Dem Beschwerdeführer hätte bewusst sein müssen, dass die Eingabe vom 30. März 2023 keine nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht leichthin anzunehmende Befangenheit zu begründen vermag. Die Vorinstanz durfte die beantragte unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit verweigern.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen.
Bei diesem Verfahrensausgang ist der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG). Er beantragt die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das Verfahren vor Bundesgericht. Deren Gewährung setzt jedoch insbesondere voraus, dass die gestellten Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheinen (Art. 64 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 64 Unentgeltliche Rechtspflege - 1 Das Bundesgericht befreit eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.
1    Das Bundesgericht befreit eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.
2    Wenn es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, bestellt das Bundesgericht der Partei einen Anwalt oder eine Anwältin. Der Anwalt oder die Anwältin hat Anspruch auf eine angemessene Entschädigung aus der Gerichtskasse, soweit der Aufwand für die Vertretung nicht aus einer zugesprochenen Parteientschädigung gedeckt werden kann.
3    Über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege entscheidet die Abteilung in der Besetzung mit drei Richtern oder Richterinnen. Vorbehalten bleiben Fälle, die im vereinfachten Verfahren nach Artikel 108 behandelt werden. Der Instruktionsrichter oder die Instruktionsrichterin kann die unentgeltliche Rechtspflege selbst gewähren, wenn keine Zweifel bestehen, dass die Voraussetzungen erfüllt sind.
4    Die Partei hat der Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später dazu in der Lage ist.
BGG). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, weshalb das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege abzuweisen ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Juli 2024

Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Abrecht

Die Gerichtsschreiberin: Kern
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 7B_605/2023
Date : 17. Juli 2024
Published : 04. August 2024
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Zuständigkeitsfragen, Garantie des Wohnsitzrichters und des verfassungsmässigen Richters
Subject : Ausstand


Legislation register
BGG: 64  66  78  81  92
BV: 29  30
EMRK: 6
StPO: 6  12  16  56  62  104
BGE-register
135-I-6 • 140-V-521 • 141-IV-178 • 143-IV-69 • 144-II-184 • 149-II-209
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