Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B 431/2012

Verfügung vom 17. Januar 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Denys, Schöbi,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Amtsleitung, Feldstrasse 42, 8090 Zürich,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Bedingte Entlassung gemäss Art. 86
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 86 - 1 Hat der Gefangene zwei Drittel seiner Strafe, mindestens aber drei Monate verbüsst, so ist er durch die zuständige Behörde bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen.
1    Hat der Gefangene zwei Drittel seiner Strafe, mindestens aber drei Monate verbüsst, so ist er durch die zuständige Behörde bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen.
2    Die zuständige Behörde prüft von Amtes wegen, ob der Gefangene bedingt entlassen werden kann. Sie holt einen Bericht der Anstaltsleitung ein. Der Gefangene ist anzuhören.
3    Wird die bedingte Entlassung verweigert, so hat die zuständige Behörde mindestens einmal jährlich neu zu prüfen, ob sie gewährt werden kann.
4    Hat der Gefangene die Hälfte seiner Strafe, mindestens aber drei Monate verbüsst, so kann er ausnahmsweise bedingt entlassen werden, wenn ausserordentliche, in der Person des Gefangenen liegende Umstände dies rechtfertigen.
5    Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist die bedingte Entlassung nach Absatz 1 frühestens nach 15, nach Absatz 4 frühestens nach zehn Jahren möglich.
StGB; Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichterin,
vom 7. Juni 2012.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte den Beschwerdeführer, deutscher Staatsangehöriger, am 18. August 2003 unter anderem wegen vorsätzlicher Tötung, mehrfachen vorsätzlichen Tötungsversuchs sowie mehrfachen qualifizierten Raubes zu 18 Jahren Zuchthaus, abzüglich 1289 Tage Untersuchungshaft und vorzeitigen Strafvollzug, sowie zu 15 Jahren Landesverweisung. Zwei Drittel der Freiheitsstrafe waren am 5. Februar 2012 verbüsst.

Am 8. November 2011 bzw. 16. Januar 2012 stellte der Beschwerdeführer ein Gesuch um bedingte Entlassung auf den 5. Februar 2012. Der Justizvollzug des Kantons Zürich wies das Gesuch am 26. Januar 2012 ab. Am 29. Februar 2012 erhob der Beschwerdeführer Rekurs und beantragte, es seien die Verfügung vom 26. Januar 2012 ersatzlos aufzuheben, das Gesuch um Haftentlassung gutzuheissen und er sofort aus der Schweiz auszuschaffen. Am 27. März 2012 wies die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich den Rekurs ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich wies eine dagegen gerichtete Beschwerde am 7. Juni 2012 ab, soweit darauf eingetreten wurde.

Der Beschwerdeführer beantragt vor Bundesgericht, das Urteil vom 7. Juni 2012 sei aufzuheben. Das Gesuch um Haftentlassung sei gutzuheissen, und er sei sofort aus der Schweiz auszuschaffen.

2.
2.1 Ein Rechtsstreit wird gegenstandslos, wenn im Verlaufe des Verfahrens eine Sachlage eintritt, angesichts derer ein Rechtsschutzinteresse an einem Entscheid der Streitsache nicht mehr besteht. So entfällt das Interesse an der Behandlung einer Haftbeschwerde, wenn der Beschwerdeführer während der Hängigkeit des bundesgerichtlichen Verfahrens aus der Haft entlassen wird (BGE 125 I 394 E. 4; 110 Ia 140 E. 2a).

2.2 Wie das Bundesgericht auf Anfrage am 4. Dezember 2012 erfuhr, wurde der Beschwerdeführer in Anwendung von Art. 3 des Zusatzprotokolls zum Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 18. Dezember 1997 (SR 0.343.1) bereits am 6. September 2012 den deutschen Behörden übergeben und befindet sich nicht mehr im Strafvollzug in der Schweiz. Das Landgericht Freiburg hatte am 21. November 2011 die im Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich verhängte Freiheitsstrafe von 18 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar erklärt, die Strafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe von 18 Jahren nach deutschem Recht umgewandelt und die in der Schweiz verbüsste Untersuchungs- und Strafhaft im Verhältnis eins zu eins angerechnet. Eine dagegen gerichtete Beschwerde wurde durch das Oberlandesgericht Karlsruhe am 21. Mai 2012 verworfen. Wegen der Übernahme des Beschwerdeführers durch die deutschen Behörden wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe in der Schweiz ausgesetzt (Art. 8 Abs. 1 des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983; SR 0.343).

Der Beschwerdeführer beantragte im vorliegenden Verfahren zur Hauptsache, er sei bedingt aus dem Strafvollzug zu entlassen. Dieser Zweck wurde durch Aussetzung der Freiheitsstrafe in der Schweiz erreicht. Ein Rechtsschutzinteresse an der Behandlung der Beschwerde besteht nicht mehr. Der Beschwerdeführer macht gestützt auf Art. 10 des erwähnten Übereinkommens geltend, dass Deutschland an einen Entscheid, mit welchem das Bundesgericht die bedingte Entlassung anordnen würde, gebunden wäre (act. 18 S. 2). Die von ihm zitierte Bestimmung betrifft indessen nur die Frage, inwieweit der Vollstreckungsstaat an die rechtliche Art und die Dauer der vom Gericht im Urteilsstaat verhängten freiheitsentziehenden Sanktion (Strafe oder Massnahme), für welche er die Fortsetzung des Vollzugs übernimmt, gebunden ist. Der Vollzug der Sanktion richtet sich demgegenüber nach dem Recht des Vollstreckungsstaates. Dieser Staat allein ist zuständig, alle erforderlichen Entscheidungen zu treffen (Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens). Über die Frage einer bedingten Entlassung haben die deutschen Behörden zu entscheiden. Die Beschwerde ist als gegenstandslos abzuschreiben. Bei diesem Ausgang sind praxisgemäss keine Gerichtskosten zu erheben.

3.
Der Beschwerdeführer verlangt die unentgeltliche Verbeiständung. Darüber entscheidet das Bundesgericht bei Gegenstandslosigkeit des Verfahrens mit summarischer Begründung aufgrund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes (Art. 72
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 72 - Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen Interesses dahin, so erklärt ihn das Gericht nach Vernehmlassung der Parteien ohne weitere Parteiverhandlung als erledigt und entscheidet mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes.
BZP in Verbindung mit Art. 71
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 71 - Wo dieses Gesetz keine besonderen Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind die Vorschriften des BZP31 sinngemäss anwendbar.
BGG). Der Beschwerdeführer macht in seiner Stellungnahme dazu geltend, bei einer materiellen Behandlung wäre die Beschwerde nicht aussichtslos gewesen. Da sich tatsächlich nicht von vornherein klar zu beantwortende Fragen stellten, ist das Gesuch gutzuheissen.

Demnach verfügt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird als gegenstandslos abgeschrieben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird gutgeheissen.

4.
Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 3'000.-- entschädigt.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichterin, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. Januar 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Monn
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 6B_431/2012
Datum : 17. Januar 2013
Publiziert : 04. Februar 2013
Quelle : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Straf- und Massnahmenvollzug
Gegenstand : Bedingte Entlassung gemäss Art. 86 StGB; Willkür


Gesetzesregister
BGG: 71
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 71 - Wo dieses Gesetz keine besonderen Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind die Vorschriften des BZP31 sinngemäss anwendbar.
BZP: 72
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 72 - Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen Interesses dahin, so erklärt ihn das Gericht nach Vernehmlassung der Parteien ohne weitere Parteiverhandlung als erledigt und entscheidet mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes.
StGB: 86
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 86 - 1 Hat der Gefangene zwei Drittel seiner Strafe, mindestens aber drei Monate verbüsst, so ist er durch die zuständige Behörde bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen.
1    Hat der Gefangene zwei Drittel seiner Strafe, mindestens aber drei Monate verbüsst, so ist er durch die zuständige Behörde bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde weitere Verbrechen oder Vergehen begehen.
2    Die zuständige Behörde prüft von Amtes wegen, ob der Gefangene bedingt entlassen werden kann. Sie holt einen Bericht der Anstaltsleitung ein. Der Gefangene ist anzuhören.
3    Wird die bedingte Entlassung verweigert, so hat die zuständige Behörde mindestens einmal jährlich neu zu prüfen, ob sie gewährt werden kann.
4    Hat der Gefangene die Hälfte seiner Strafe, mindestens aber drei Monate verbüsst, so kann er ausnahmsweise bedingt entlassen werden, wenn ausserordentliche, in der Person des Gefangenen liegende Umstände dies rechtfertigen.
5    Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist die bedingte Entlassung nach Absatz 1 frühestens nach 15, nach Absatz 4 frühestens nach zehn Jahren möglich.
BGE Register
110-IA-140 • 125-I-394
Weitere Urteile ab 2000
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