Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1C 345/2012
Urteil vom 17. Januar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Geisser.
Verfahrensbeteiligte
Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau, Moosweg 7a, Postfach 971, 8501 Frauenfeld,
Beschwerdeführer,
gegen
X.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Eugen Koller,
Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau, Löwenstrasse 12, 8280 Kreuzlingen.
Gegenstand
Warnungsentzug,
Beschwerde gegen den Entscheid vom 30. Mai 2012 des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau.
Sachverhalt:
A.
X.________ überschritt am 30. August 2011, um 04.52 Uhr, mit seinem Personenwagen auf der Zilstrasse in St. Gallen die Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 31 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 3 km/h). Er war unterwegs in Richtung Klinik Stephanshorn, nachdem ihn diese angerufen hatte, sein Neugeborenes habe schwere Atemaussetzer und er solle im Hinblick auf nötige Entscheidungen für das Kind unverzüglich in die Klinik kommen. Das Neugeborene wurde später in Begleitung seines Vaters notfallmässig ins Kinderspital überführt.
B.
Mit Verfügung vom 24. Oktober 2011 nahm die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen die Strafverfolgung wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 2

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 90 - 1 Celui qui viole les règles de la circulation prévues par la présente loi ou par les dispositions d'exécution émanant du Conseil fédéral est puni de l'amende. |
Am 24. November 2011 entzog das Strassenverkehrsamt des Kantons Thurgau X.________ in Anwendung von Art. 16c Abs. 1 lit. a

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 16c - 1 Commet une infraction grave la personne qui: |
Am 20. Januar 2012 wies die Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau (nachfolgend: Rekurskommission) den von X.________ dagegen erhobenen Rekurs ab. Sie kam zum Schluss, es liege kein rechtfertigender Notstand vor.
Die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau am 30. Mai 2012 gut. Es begründete sein Urteil damit, das Strassenverkehrsamt und die Rekurskommission seien an den Entscheid der Staatsanwaltschaft zur Notstandsfrage gebunden.
C.
Das Strassenverkehrsamt führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, den Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und X.________ den Führerausweis für mindestens 12 Monate zu entziehen.
X.________ beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das Verwaltungsgericht und das Bundesamt für Strassen schliessen ebenfalls auf deren Abweisung. Der Präsident der Rekurskommission beantragt deren Gutheissung.
Erwägungen:
1.
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 82 lit. a

SR 173.110 Loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral (LTF) - Organisation judiciaire LTF Art. 82 Principe - Le Tribunal fédéral connaît des recours: |
|
a | contre les décisions rendues dans des causes de droit public; |
b | contre les actes normatifs cantonaux; |
c | qui concernent le droit de vote des citoyens ainsi que les élections et votations populaires. |
Das Strassenverkehrsamt ist nach Art. 89 Abs. 2 lit. d

SR 173.110 Loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral (LTF) - Organisation judiciaire LTF Art. 89 Qualité pour recourir - 1 A qualité pour former un recours en matière de droit public quiconque: |
|
1 | A qualité pour former un recours en matière de droit public quiconque: |
a | a pris part à la procédure devant l'autorité précédente ou a été privé de la possibilité de le faire; |
b | est particulièrement atteint par la décision ou l'acte normatif attaqué, et |
c | a un intérêt digne de protection à son annulation ou à sa modification. |
2 | Ont aussi qualité pour recourir: |
a | la Chancellerie fédérale, les départements fédéraux ou, pour autant que le droit fédéral le prévoie, les unités qui leur sont subordonnées, si l'acte attaqué est susceptible de violer la législation fédérale dans leur domaine d'attributions; |
b | l'organe compétent de l'Assemblée fédérale en matière de rapports de travail du personnel de la Confédération; |
c | les communes et les autres collectivités de droit public qui invoquent la violation de garanties qui leur sont reconnues par la constitution cantonale ou la Constitution fédérale; |
d | les personnes, organisations et autorités auxquelles une autre loi fédérale accorde un droit de recours. |
3 | En matière de droits politiques (art. 82, let. c), quiconque a le droit de vote dans l'affaire en cause a qualité pour recourir. |

SR 741.01 Loi fédérale du 19 décembre 1958 sur la circulation routière (LCR) LCR Art. 24 - 1 La procédure de recours est régie par les dispositions générales de la procédure fédérale. |
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Bundesrecht, da die Vorinstanz zu Unrecht entschieden habe, die Verwaltungsbehörden seien an die Erkenntnis der Staatsanwaltschaft gebunden.
2.1 Die Bestimmungen zum Notstand gemäss Art. 17 f

SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937 CP Art. 17 - Quiconque commet un acte punissable pour préserver d'un danger imminent et impossible à détourner autrement un bien juridique lui appartenant ou appartenant à un tiers agit de manière licite s'il sauvegarde ainsi des intérêts prépondérants. |
Nach Art. 17

SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937 CP Art. 17 - Quiconque commet un acte punissable pour préserver d'un danger imminent et impossible à détourner autrement un bien juridique lui appartenant ou appartenant à un tiers agit de manière licite s'il sauvegarde ainsi des intérêts prépondérants. |
Die Verwaltungsbehörden verneinen einen die Geschwindigkeitsüberschreitung rechtfertigenden Notstand. Damit weichen sie von der Verfügung der Staatsanwaltschaft ab, die für denselben Lebensvorgang zuvor erkannte, die Voraussetzungen von Art. 17

SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937 CP Art. 17 - Quiconque commet un acte punissable pour préserver d'un danger imminent et impossible à détourner autrement un bien juridique lui appartenant ou appartenant à un tiers agit de manière licite s'il sauvegarde ainsi des intérêts prépondérants. |
Streitig ist damit, ob die Verwaltungsbehörden in Bezug auf die Notstandsfrage an den Entscheid der Staatsanwaltschaft gebunden sind.
2.2 Nach der Rechtsprechung darf die Verwaltungsbehörde von den tatsächlichen Feststellungen im Strafentscheid unter anderem dann abweichen, wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Entscheid zugrunde legt, die dem Strafrichter unbekannt waren oder die er nicht beachtet hat; wenn sie zusätzliche Beweise erhebt, deren Würdigung zu einem anderen Entscheid führt, oder wenn die Beweiswürdigung durch den Strafrichter den feststehenden Tatsachen klar widerspricht; hat sie hingegen keine zusätzlichen Beweise erhoben, hat sie sich grundsätzlich an die Würdigung des Strafrichters zu halten (BGE 124 II 103 E. 1c/aa S. 106 mit Hinweisen).
Hängt die rechtliche Würdigung sehr stark von der Würdigung von Tatsachen ab, welche der Strafrichter besser kennt als die Verwaltungsbehörde (was etwa dann der Fall ist, wenn er den Beschuldigten persönlich einvernommen hat), so ist diese auch in Bezug auf die Rechtsanwendung an die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes durch den Strafentscheid gebunden (BGE 124 II 103 E. 1c/bb S. 106 f.; 102 Ib193 E. 3c S. 196).
2.3
2.3.1 Die Strafbehörden haben die zur Beurteilung des Notstands erheblichen Tatsachen hinreichend abgeklärt. Die Verwaltungsbehörden haben keine eigenen Beweise erhoben, sondern ihre Entscheide im Wesentlichen auf die Erkenntnisse aus dem strafprozessualen Vorverfahren gestützt. Soweit ihre tatsächlichen Feststellungen von jenen der Strafbehörden abweichen, bleiben sie folglich unbelegt. Insbesondere lässt auch die Rekurskommission ihre Annahme unbewiesen, dass der Beschwerdegegner für sein Kind keine Entscheidungen habe treffen müssen und seine Anwesenheit im Spital nicht erforderlich gewesen sei. Damit vermag sie den von den Strafbehörden erstellten Sachverhalt nicht in Zweifel zu ziehen, wonach die Gegenwart des Vaters in der Klinik nötig gewesen sei, um dort anstelle seiner nicht ansprechbaren Ehefrau für das Kind über die Vornahme lebenswichtiger Massnahmen entscheiden zu können. Auch im Übrigen haben die Entzugsbehörden nicht dargetan, inwiefern die Beweiswürdigung der Staatsanwaltschaft klar den Tatsachen widerspreche. Die tatsächlichen Feststellungen der Strafbehörde sind für die Verwaltungsbehörden somit verbindlich.
2.3.2 Die rechtliche Beurteilung der Frage, ob Notstand vorliegt, hängt stark von der Würdigung der betreffenden Tatsachen ab. Die Umstände des Einzelfalls sind etwa ausschlaggebend dafür, welche Rechtsgüter betroffen sind und welche Fahrweise zur Abwehr der konkreten Gefahr noch in einem vernünftigen Verhältnis steht (BGE 106 IV 1 E. Fd S. 4; vgl. auch KURT SEELMANN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, 2. Aufl. 2007, N. 9 zu Art. 17

SR 311.0 Code pénal suisse du 21 décembre 1937 CP Art. 17 - Quiconque commet un acte punissable pour préserver d'un danger imminent et impossible à détourner autrement un bien juridique lui appartenant ou appartenant à un tiers agit de manière licite s'il sauvegarde ainsi des intérêts prépondérants. |
Die Strafbehörden kennen diese Tatsachen besser als die Verwaltungsbehörden. Die Feststellung des Sachverhalts ist das Ergebnis polizeilicher Ermittlungen, die unter der Aufsicht der Staatsanwaltschaft standen. Die Kantonspolizei hat den Beschwerdegegner zu den Umständen der Geschwindigkeitsüberschreitung persönlich einvernommen und die medizinischen Falldaten zur notfallmässigen Behandlung des Kindes eingeholt. Die Entzugsbehörden haben dagegen keine eigenen Sachverhaltsabklärungen durchgeführt.
In Abwägung der Rechtsgüter und Würdigung der Tatumstände ist die Staatsanwaltschaft sodann zum Schluss gekommen, der Beschwerdegegner habe sich in einem Notstand befunden, wobei sein Verhalten verhältnismässig gewesen sei. Im Gegensatz dazu haben sich die Verwaltungsbehörden bei ihren Entscheiden nicht mit den Gegebenheiten des Einzelfalls auseinandergesetzt. Das Strassenverkehrsamt hat in seiner Entzugsverfügung einen möglichen Notstand ganz ausser Acht gelassen. Die Rekurskommission hat einen solchen zwar erwogen. Dabei hat sie aber weder die Rechtsgüter gegeneinander abgewogen noch die konkreten Tatumstände gewürdigt. Auf eine Verhältnismässigkeitsprüfung hat sie in der Annahme verzichtet, die Anwesenheit des Vaters im Spital sei nicht nötig gewesen, womit dieser durch die Geschwindigkeitsüberschreitung gar kein Rechtsgut geschützt habe. Wie zuvor dargelegt, findet diese Sachverhaltsdarstellung in den Akten jedoch keine Stütze.
Die rechtliche Beurteilung der Frage, ob ein Notstand vorliegt, hängt demnach stark von der Würdigung von Tatsachen ab, welche die Staatsanwaltschaft besser kennt und mit denen sie sich in ihrem Entscheid eingehender befasst hat als die Verwaltungsbehörden und die Rekurskommission. Diese sind daher nicht nur an die tatsächlichen Feststellungen, sondern auch an die rechtliche Beurteilung der Staatsanwaltschaft gebunden.
Der angefochtene Entscheid verletzt somit kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist unbegründet.
3.
Sie ist abzuweisen.
Der Beschwerdeführer trägt keine Kosten (Art. 66 Abs. 4

SR 173.110 Loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral (LTF) - Organisation judiciaire LTF Art. 66 Recouvrement des frais judiciaires - 1 En règle générale, les frais judiciaires sont mis à la charge de la partie qui succombe. Si les circonstances le justifient, le Tribunal fédéral peut les répartir autrement ou renoncer à les mettre à la charge des parties. |
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1 | En règle générale, les frais judiciaires sont mis à la charge de la partie qui succombe. Si les circonstances le justifient, le Tribunal fédéral peut les répartir autrement ou renoncer à les mettre à la charge des parties. |
2 | Si une affaire est liquidée par un désistement ou une transaction, les frais judiciaires peuvent être réduits ou remis. |
3 | Les frais causés inutilement sont supportés par celui qui les a engendrés. |
4 | En règle générale, la Confédération, les cantons, les communes et les organisations chargées de tâches de droit public ne peuvent se voir imposer de frais judiciaires s'ils s'adressent au Tribunal fédéral dans l'exercice de leurs attributions officielles sans que leur intérêt patrimonial soit en cause ou si leurs décisions font l'objet d'un recours. |
5 | Sauf disposition contraire, les frais judiciaires mis conjointement à la charge de plusieurs personnes sont supportés par elles à parts égales et solidairement. |

SR 173.110 Loi du 17 juin 2005 sur le Tribunal fédéral (LTF) - Organisation judiciaire LTF Art. 68 Dépens - 1 Le Tribunal fédéral décide, dans son arrêt, si et dans quelle mesure les frais de la partie qui obtient gain de cause sont supportés par celle qui succombe. |
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1 | Le Tribunal fédéral décide, dans son arrêt, si et dans quelle mesure les frais de la partie qui obtient gain de cause sont supportés par celle qui succombe. |
2 | En règle générale, la partie qui succombe est tenue de rembourser à la partie qui a obtenu gain de cause, selon le tarif du Tribunal fédéral, tous les frais nécessaires causés par le litige. |
3 | En règle générale, aucuns dépens ne sont alloués à la Confédération, aux cantons, aux communes ou aux organisations chargées de tâches de droit public lorsqu'ils obtiennent gain de cause dans l'exercice de leurs attributions officielles. |
4 | L'art. 66, al. 3 et 5, est applicable par analogie. |
5 | Le Tribunal fédéral confirme, annule ou modifie, selon le sort de la cause, la décision de l'autorité précédente sur les dépens. Il peut fixer lui-même les dépens d'après le tarif fédéral ou cantonal applicable ou laisser à l'autorité précédente le soin de les fixer. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Thurgau hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Rekurskommission für Strassenverkehrssachen des Kantons Thurgau, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. Januar 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Geisser