H 200/01 Vr
I. Kammer
Bundesrichter Schön, Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter
Meyer, Kernen und Ursprung; Gerichtsschreiberin Helfenstein
Franke
Urteil vom 13. November 2001
in Sachen
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Franziska Peyer-Egli, Cysatstrasse 21, 6004 Luzern,
gegen
Ausgleichskasse Luzern, Würzenbachstrasse 8, 6006 Luzern, Beschwerdegegnerin,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
A.- Der Sport-Club X.________ wurde 1965 als Verein mit Sitz in Y.________ gegründet und war nicht im Handelsregister eingetragen. M.________ war vom 25. Juni 1992 bis
28. August 1997 Präsident der Clubleitung. Der Ausgleichskasse Luzern (nachfolgend: Ausgleichskasse), welcher der Verein seit 1983 als abrechnungspflichtiger Arbeitgeber angeschlossen war, wurden am 8. April sowie 25. Juni 1998 diverse Pfändungsverlustscheine ausgestellt.
Mit Verfügungen vom 5. März 1999 verpflichtete die Ausgleichskasse Luzern sechs Personen in solidarischer Haftbarkeit zur Leistung von Schadenersatz gemäss Art. 52

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
B.- Die von der Ausgleichskasse gegen M.________ am 22. April 1999 im verfügten Umfang eingereichte Klage hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 20. April 2001 gut und verpflichtete M.________ zur Bezahlung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 66'676. 70.
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Klage sei abzuweisen.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden, als die Schadenersatzforderung kraft Bundesrechts streitig ist. Im vorliegenden Verfahren ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in dem Umfang nicht einzutreten, als sie sich gegen die Schadenersatzforderung für entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse richtet (vgl. BGE 119 V 80 Erw. 1b, 118 V 69 Erw. 1b mit Hinweis).
b) Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
c) Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
Nach der Rechtsprechung sind nur jene neuen Beweismittel zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen hätte erheben müssen und deren Nichterheben eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt (BGE 121 II 99 Erw. 1c, 120 V 485 Erw. 1b, je mit Hinweisen). Zwar ist der Verwaltungsprozess vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht, wonach Verwaltung und Gericht von sich aus für die richtige und vollständige Abklärung des Sachverhalts zu sorgen haben; doch entbindet das die Rechtsuchenden nicht davon, selber die Beanstandungen vorzubringen, die sie anzubringen haben (Rügepflicht), und ihrerseits zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen (Mitwirkungspflicht). Unzulässig und mit der weit gehenden Bindung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts an die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung gemäss Art. 105 Abs. 2

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
Solche (verspätete) Vorbringen sind nicht geeignet, die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz als mangelhaft im Sinne von Art. 105 Abs. 2

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Der Beschwerdeführer wie auch die Beschwerdegegnerin haben vorliegend weitere Unterlagen eingereicht, die der Vorinstanz im Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht bekannt waren. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb sie diese Belege nicht schon im kantonalen Verfahren hätte einreichen können. Die neuen Unterlagen stellen damit unzulässige Noven dar, die nicht berücksichtigt werden können.
2.- Die Vorinstanz hat die in materiellrechtlicher Hinsicht massgebenden Normen (Art. 52

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 14 Bezugstermine und -verfahren - 1 Die Beiträge vom Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit sind bei jeder Lohnzahlung in Abzug zu bringen und vom Arbeitgeber zusammen mit dem Arbeitgeberbeitrag periodisch zu entrichten. |
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a | die Zahlungstermine für die Beiträge; |
b | das Mahn- und Veranlagungsverfahren; |
c | die Nachzahlung zu wenig bezahlter Beiträge; |
d | den Erlass der Nachzahlung, auch in Abweichung von Artikel 24 ATSG; |
e | ...76.77 |

SR 831.101 Verordnung vom 31. Oktober 1947 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVV) AHVV Art. 34 Zahlungsperioden - 1 Es haben der Ausgleichskasse die Beiträge zu zahlen: |
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a | Arbeitgeber monatlich oder, wenn die jährliche Lohnsumme 200 000 Franken nicht übersteigt, vierteljährlich; |
b | Selbstständigerwerbende und Nichterwerbstätige sowie Arbeitnehmer nicht beitragspflichtiger Arbeitgeber, vierteljährlich; |
c | Arbeitgeber im vereinfachten Verfahren nach den Artikeln 2 und 3 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005150 über Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit (BGSA), jährlich. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
Darauf wird verwiesen.
3.- Wie das kantonale Gericht verbindlich festgestellt hat (vgl. Erw. 1b hievor), lieferte der Verein die an sich quartalsweise auf Grund einer Pauschale zu leistenden paritätischen Sozialversicherungsbeiträge wiederholt verspätet ab, musste gemahnt, betrieben und gepfändet werden. Die Beiträge der Jahresabrechnung 1994 und des 1. Quartals 1996 über insgesamt Fr. 41'187. 20 wurden erst auf Grund eines Tilgungsplans im April 1997 vollständig beglichen. Die Beiträge der Pauschalrechnungen für das 2., 3. und 4. Quartal 1996 sowie das 1. Quartal 1997 wie auch der Jahresabrechnungen 1995 und 1996 blieben gänzlich unbezahlt. Damit verstiess der Verein während längerer Zeit gegen die - in masslicher Hinsicht unbestrittene - Beitragszahlungs- und Abrechnungspflicht und missachtete Vorschriften im Sinne von Art. 52

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nichts vorgebracht, was die tatsächlichen Feststellungen als mangelhaft im Sinne von Art. 105 Abs. 2

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
a) Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, es habe entgegen der Annahme der Vorinstanz nicht in seiner Kompetenz gelegen, die Prioritäten bezüglich der Schuldentilgung zu bestimmen. Er habe seiner Sorgfaltspflicht Genüge getan, indem er einen fachlich ausgewiesenen Finanzchef ernannt habe.
Die Frage, ob dem Beschwerdeführer durch Vorstandsbeschluss die Prioritätenbestimmung bezüglich Schuldentilgung zugewiesen worden ist, kann indes offen bleiben. Massgebend ist vielmehr, dass ihm als Vereinspräsident die Gesamtverantwortung für die operative Vereinsführung oblag.
Es genügte daher entgegen seiner Auffassung nicht, einen geeigneten Finanzchef auszuwählen. Zwar können einzelne Geschäftsführungsfunktionen delegiert werden. Zur Wahrung der geforderten Sorgfalt gehört jedoch neben der richtigen Auswahl des geeigneten Mandatsträgers auch dessen Instruktion und Überwachung. Der Geschäftsführer kann sich allein durch Delegation der Aufgaben nicht seiner Verantwortung entledigen.
Dies gilt für einen Vereinspräsidenten ebenso wie für einen Verwaltungsrat (BGE 123 V 15 Erw. 5b), einen geschäftsführenden Gesellschafter einer GmbH (AHI 2000 S. 220) oder einen Stiftungsrat (Urteil F. vom 30. Juli 2001, H 14/00). Diese nicht delegierbare Überwachungsfunktion hat der Beschwerdeführer nicht richtig wahrgenommen.
Umso weniger hilft ihm, dass er angeblich nur rudimentäre Kenntnisse hinsichtlich der Verpflichtungen eines Arbeitgebers hatte. Da im Bereich von Art. 52

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
b) Was den weiteren Einwand betrifft, die Beschwerdegegnerin habe ihre Informationspflicht verletzt, da sie als Geschädigte den Schuldner nicht frühzeitig auf einen besonders hohen Schaden aufmerksam gemacht habe, ist nochmals mit der Vorinstanz darauf hinzuweisen, dass weder Gesetz noch Verordnung eine derartige Informationspflicht vorsehen.
Soweit der Beschwerdeführer damit geltend machen will, er habe von seiner subsidiären persönlichen Haftbarkeit gegenüber der Ausgleichskasse nichts gewusst, kann er sich schon deshalb nicht entlasten, da gemäss einem allgemeinen Rechtsgrundsatz (BGE 124 V 220 Erw. 2b aa mit Hinweisen) niemand aus seiner Rechtsunkenntnis Vorteile für sich ableiten kann.
Ein Mitverschulden der Ausgleichskasse, das zu einer Herabsetzung der Schadenersatzpflicht führen würde, könnte nach der Rechtsprechung (BGE 122 V 189 Erw. 3c; SVR 2000 AHV Nr. 16 S. 50 Erw. 7a) nur angenommen werden, wenn Hinweise auf eine grobe Pflichtverletzung durch die Verwaltung vorliegen würden, so bei Missachtung elementarer Vorschriften der Beitragsveranlagung und des Beitragsbezugs, etwa durch lange Untätigkeit beim Beitragsinkasso; davon kann indes vorliegend nicht die Rede sein.
c) Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, er sei ehrenamtlich für den Verein X.________ tätig gewesen.
Seine Haftung sei im Lichte dieses Umstandes angemessen herabzusetzen.
Die Frage, ob die Haftung nach Art. 52

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 43 - 1 Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden bestimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu würdigen hat. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |

SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 52 Haftung - 1 Fügt ein Arbeitgeber durch absichtliche oder grobfahrlässige Missachtung von Vorschriften der Versicherung einen Schaden zu, so hat er diesen zu ersetzen. |
unterstehen (Urteil F. vom 30. Juli 2001, H 14/01).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit
darauf einzutreten ist.
II.Die Gerichtskosten von Fr. 4000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Sie sind durch den geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 4000.- gedeckt.
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Abgaberechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 13. November 2001
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Vorsitzende Die Gerichts- der I. Kammer: schreiberin: