Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_86/2013

Urteil vom 12. April 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, Postfach 1201, 6431 Schwyz,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Einsprache gegen Strafbefehl (Verletzung der Verkehrsregeln),

Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Schwyz, Beschwerdekammer, vom 13. Dezember 2012.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz büsste den Beschwerdeführer mit Strafbefehl vom 15. Mai 2012 wegen einer Verkehrsregelverletzung mit Fr. 600.--. Nachdem er in seiner Einsprache geltend gemacht hatte, er habe das Fahrzeug nicht gelenkt, lud ihn die Staatsanwaltschaft auf den 21. August 2012 zur Einvernahme vor mit der Androhung, bei unentschuldigtem Fernbleiben gelte die Einsprache als zurückgezogen. Am 8. August 2012 teilte der Beschwerdeführer mit, da er noch bis zum 8. September 2012 im Ausland sei, könne er den Termin vom 21. August 2012 nicht wahrnehmen. Die Staatsanwaltschaft lud ihn am 16. August 2012 unter der gleichen Androhung auf den 18. September 2012 vor. Die zweite Vorladung wurde durch die Post am 28. August 2012 mit dem Vermerk "nicht abgeholt" retourniert. Zur Einvernahme erschien der Beschwerdeführer nicht. Die Staatsanwaltschaft trat am 21. September 2012 androhungsgemäss auf die Einsprache nicht ein. Eine dagegen gerichtete kantonale Beschwerde wies das Kantonsgericht Schwyz am 13. Dezember 2012 ab.

Der Beschwerdeführer beantragt dem Bundesgericht sinngemäss, der Beschluss vom 13. Dezember 2012 sei aufzuheben. Auf seine Einsprache sei einzutreten.

Die Oberstaatsanwaltschaft und das Kantonsgericht haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.

2.
Soweit sich der Beschwerdeführer materiell mit der ihm vorgeworfenen Verkehrsregelverletzung befasst, ist darauf nicht einzutreten, weil dies nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids ist.

3.
3.1 Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz teilte der Beschwerdeführer der Staatsanwaltschaft am 8. August 2012 nur mit, er sei noch bis zum 8. September 2012 im Ausland. Im Gegensatz zu seiner vor Bundesgericht aufgestellten Behauptung führte er nicht aus, er sei "nicht erreichbar" (Beschwerde Ziff. 7). Die Staatsanwaltschaft durfte zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer sich zwar im Ausland aufhielt, aber dafür besorgt gewesen war, dass ihm von einer zweiten Vorladung durch eine zur Entgegennahme der Post befugte Person Kenntnis gegeben würde. Dass die Vorladung während der Abwesenheit des Beschwerdeführers versandt wurde, ist nicht zu beanstanden.

3.2 Die Post retournierte der Staatsanwaltschaft die zweite Vorladung für den 18. September 2012 mit dem Vermerk "nicht abgeholt" bereits am 28. August 2012. Der Beschwerdeführer bemängelt, dass es in der Folge unterlassen wurde, die Vorladung ein zweites Mal zuzustellen.

Die Rüge ist begründet. Sowohl aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes als auch aus dem Verbot des überspitzen Formalismus ergibt sich eine Pflicht staatlicher Stellen, unter Umständen eine Prozesspartei, die einen Verfahrensfehler begeht oder im Begriff steht, dies zu tun, von Amtes wegen darauf aufmerksam zu machen, sofern der Fehler rechtzeitig entdeckt wird und noch innert Frist behoben oder verhindert werden kann (BGE 124 II 265 S. 270). Dies gilt insbesondere, wenn die rechtsunkundige Partei nicht durch einen Anwalt vertreten ist.

Im vorliegenden Fall kam die Vorladung am 28. August 2012 mit dem Vermerk "nicht abgeholt" zur Staatsanwaltschaft zurück. Zu diesem Zeitpunkt musste diese realisieren, dass der nicht rechtskundig vertretene Beschwerdeführer einen Verfahrensfehler begangen hatte. Obwohl er nach seinem Veschiebungsgesuch mit einer neuen Vorladung rechnen musste, hatte er es unterlassen, dafür zu sorgen, dass ihn eine solche während seiner Abwesenheit erreichen wird. Gemäss seinen Angaben hielt er sich bis zum 8. September 2012 im Ausland auf. Da die Verhandlung erst auf den 18. September 2012 angesetzt war, wäre es der Staatsanwaltschaft ohne Weiteres möglich gewesen, den Beschwerdeführer rechtzeitig nochmals auf die Verhandlung aufmerksam zu machen. Statt dessen wartete sie den Termin ab und trat dann auf die Einsprache nicht ein, weil der Beschwerdeführer nicht erschien. Das Stillschweigen der Staatsanwaltschaft verletzt den in Art. 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
BV verankerten Anspruch des Beschwerdeführers, durch die staatlichen Organe nach Treu und Glauben behandelt zu werden.

Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

4.
Bei diesem Ausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, der Beschluss des Kantonsgerichts Schwyz vom 13. Dezember 2012 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Schwyz, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. April 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: C. Monn
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 6B_86/2013
Datum : 12. April 2013
Publiziert : 22. April 2013
Quelle : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Strafprozess
Gegenstand : Einsprache gegen Strafbefehl (Verletzung der Verkehrsregeln)


Gesetzesregister
BV: 9
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 9 Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben - Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.
BGE Register
124-II-265
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