5C.209/2001/mks
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
12. Februar 2002
Es wirken mit: Bundesrichter Bianchi, Präsident der II. Zivilabteilung,
Bundesrichter Meyer, Ersatzrichter Zünd und
Gerichtsschreiber Schett.
---------
In Sachen
Baugenossenschaft A.________, Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Bühler, Denkmalstrasse 2, Postfach 6453, 6000 Luzern 6,
gegen
Steueramt der Stadt Luzern, Hirschengraben 17, 6002 Luzern, Kantonale Behörde für die direkte Bundessteuer Luzern, Buobenmatt 1, 6002 Luzern, Kläger und Berufungsbeklagte, beide vertreten durch Rechtsanwalt Pius Huber, c/o Steuerverwaltung des Kantons Luzern, Buobenmatt 1, 6002 Luzern,
betreffend
Widerspruchsverfahren
(Durchgriff), hat sich ergeben:
A.- Das Steueramt der Stadt Luzern und die Kantonale Behörde für die direkte Bundessteuer Luzern machen gegenüber B.________, der Wohnsitz in Monte Carlo hat, Steuerausstände für die Jahre 1971 bis 1990 in Höhe von gesamthaft rund Fr.
25'000'000.-- geltend. Am 27. Mai 1997 wurden Sicherstellungsverfügungen und gestützt darauf Arrestbefehle erlassen. Verarrestiert wurde neben dort liegendem beweglichen Vermögen das Grundstück Nr. 1../GB C.________, das sich laut Grundbuch im Eigentum der Baugenossenschaft A.________ befindet. Das Betreibungsamt C.________ leitete in der Folge das Widerspruchsverfahren ein. Mit Eingaben vom 7. Juli 1997 an das Amtsgericht Luzern-Land stellten das Steueramt der Stadt Luzern und die Kantonale Verwaltung für die direkte Bundessteuer Luzern das Begehren, der Anspruch der Baugenossenschaft A.________ auf das Eigentum am Grundstück Nr. 1.., Plan 13/GB C.________ sei für das Arrestverfahren Nr. 20 (Kläger 1) und Nr. 21 (Klägerin 2) im Sinne von Art. 108 Abs. 1
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 108 - 1 Gläubiger und Schuldner können gegen den Dritten auf Aberkennung seines Anspruchs klagen, wenn sich der Anspruch bezieht auf: |
|
1 | Gläubiger und Schuldner können gegen den Dritten auf Aberkennung seines Anspruchs klagen, wenn sich der Anspruch bezieht auf: |
1 | eine bewegliche Sache im Gewahrsam oder Mitgewahrsam des Dritten; |
2 | eine Forderung oder ein anderes Recht, sofern die Berechtigung des Dritten wahrscheinlicher ist als diejenige des Schuldners; |
3 | ein Grundstück, sofern er sich aus dem Grundbuch ergibt. |
2 | Das Betreibungsamt setzt ihnen dazu eine Frist von 20 Tagen. |
3 | Wird keine Klage eingereicht, so gilt der Anspruch in der betreffenden Betreibung als anerkannt. |
4 | Auf Verlangen des Gläubigers oder des Schuldners wird der Dritte aufgefordert, innerhalb der Klagefrist seine Beweismittel beim Betreibungsamt zur Einsicht vorzulegen. Artikel 73 Absatz 2 gilt sinngemäss. |
nicht Genossenschafter sei, die Genossenschaft aber über Strohmänner beliebig beherrsche und sie zu eigenen Zwecken verwende. Die Genossenschaft wurde und werde zweckwidrig verwendet, sei fremdgesteuert, nominell unterkapitalisiert und selber nicht lebensfähig. Ihre Selbstständigkeit sei von den Beteiligten vernachlässigt worden, und es liege eine Sphären- und Vermögensvermischung zwischen Genossenschaft und B.________ vor. Indem B.________ die Beklagte das Eigentum an der Liegenschaft beanspruchen lasse, umgehe er das Gesetz in der klaren Absicht, seinen Gläubigern ein bedeutendes Aktivum vorzuenthalten, was als offenbarer Rechtsmissbrauch (Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
|
1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
B.- Gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 12. Juni 2001 reichte die Baugenossenschaft A.________ mit Eingabe vom 22. August 2001 Berufung sowie staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht ein. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichts aufzuheben.
Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.
C.- Das Bundesgericht hat die staatsrechtliche Beschwerde mit Urteil vom heutigen Tag abgewiesen, soweit darauf einzutreten war.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Die Beklagte wurde 1975 gegründet. Gründer und Genossenschafter waren damals die Baugenossenschaften D.________, E.________, F.________, G.________ und H.________, die I.________ AG und das Treuhandbüro J.________. Zweck der Beklagten war der Erwerb von Ferienwohnungen, Hotels und Pensionen für die verbilligte Vermietung an die Genossenschafter und deren Angestellte sowie das Erstellen und die Verwaltung von Ferienwohnungen unter gemeinsamer Mitwirkung der Genossenschafter. Nach den Feststellungen der kantonalen Gerichte entfaltete die Beklagte nie dem Zweck entsprechende Tätigkeiten. Im Wesentlichen habe sie die 1978 erworbene Liegenschaft in K.________ gehalten und das Haupthaus dem Nichtgenossenschafter B.________ zur Verfügung gestellt. Am 18. Oktober 1996 sei der statutarische Zweck auf Erwerb von Bauland und die Erstellung von Häusern sowie die Vermietung und Verwaltung solcher Häuser geändert worden. Diese Statutenänderung sei jedoch nicht gesetzeskonform beschlossen worden, denn an der sog. Generalversammlung vom 18. Oktober 1996 sei entgegen der Bezeichnung im Protokoll keiner der Anwesenden Genossenschafter gewesen. Die damals gefassten Beschlüsse seien nichtig. Der gleiche Nichtigkeitsgrund sei auch gegeben für
die Generalversammlungen, die zwischen 1993 bis 1996 stattgefunden hätten. Was den Vorstand betreffe, so sei festzustellen, dass zumindest seit 1991 mindestens zwei der drei Vorstandsmitglieder nicht Genossenschafter gewesen seien. Der damalige Vorstandspräsident, J.________, wisse nicht mehr, wie lange er Genossenschafter gewesen sei. Die Herren L.________ und M.________ seien es jedenfalls nicht gewesen. Ab 1993 sei keines der Vorstandsmitglieder mehr Genossenschafter gewesen. Die Wiederwahl der Herren L.________ und M.________ und die Wahl von N.________ sei sodann nichtig gewesen. Beschlüsse eines nichtig gewählten Vorstandes seien ihrerseits nichtig.
b) Die kantonalen Gerichte sind zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte von B.________ restlos beherrscht wurde und wird. Wer formal als Genossenschafter bezeichnet wurde und an Generalversammlungen teilnahm, soweit solche überhaupt stattfanden und darüber Protokolle vorliegen, und wer dem Vorstand angehörte, war ohne Bedeutung. Es waren Strohmänner von B.________, und die getroffenen Beschlüsse sollten dazu dienen, den Schein zu wahren. Wer heute Genossenschafter ist, vermochte die Beklagte ausgehend von der Gründung der Genossenschaft nicht darzulegen. Entsprechend qualifizierten die kantonalen Gerichte die gefassten Beschlüsse als nichtig. Die Beklagte macht nun geltend, wenn ihre Beschlüsse allesamt nichtig gewesen seien und auch der Vorstand nicht rechtsgenüglich bestellt worden sei, es somit keine ordnungsgemäss bestellte Organe gebe, so habe die Genossenschaft auch für die Prozessführung nicht durch diese Organe bzw. die von ihnen bevollmächtigten Anwälte vertreten werden können. Mangels korrekt bestellter Organe fehle es ihr an der Prozessfähigkeit.
c) Die Prozessfähigkeit als prozessuale Seite der Handlungsfähigkeit wird abschliessend durch das Bundesrecht geregelt und kann daher im Berufungsverfahren überprüft werden (BGE 117 II 494 E. 2; 116 II 385 E. 4; 108 II 398 E. 2a; 77 II 7 E. 1), dies selbst dann, wenn im kantonalen Verfahren nichts dergleichen vorgebracht worden ist (BGE 116 II 385 E. 2, mit Hinweisen). Art. 393 Ziff. 4
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 393 - 1 Eine Begleitbeistandschaft wird mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person errichtet, wenn diese für die Erledigung bestimmter Angelegenheiten begleitende Unterstützung braucht. |
|
1 | Eine Begleitbeistandschaft wird mit Zustimmung der hilfsbedürftigen Person errichtet, wenn diese für die Erledigung bestimmter Angelegenheiten begleitende Unterstützung braucht. |
2 | Die Begleitbeistandschaft schränkt die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person nicht ein. |
I, Basel 1996, N. 5 zu Art. 54/55; Riemer, Berner Kommentar, N. 14 zu Art. 54
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 55 - 1 Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben. |
|
1 | Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben. |
2 | Sie verpflichten die juristische Person sowohl durch den Abschluss von Rechtsgeschäften als durch ihr sonstiges Verhalten. |
3 | Für ihr Verschulden sind die handelnden Personen ausserdem persönlich verantwortlich. |
2.- Die Beklagte hat in ihrer staatsrechtlichen Beschwerde eine Gehörsverweigerung gerügt, weil der Zeuge L.________ vom Obergericht nicht befragt worden sei. Auf den Vorwurf konnte nicht eingetreten werden, weil sich die Beklagte mit der vorinstanzlichen Begründung, dass es auf diese Aussage nicht ankomme, nicht auseinander gesetzt hat.
Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der Verletzung von Art. 8
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
3.- a) Die rechtliche Selbstständigkeit juristischer Personen ist grundsätzlich zu beachten; dies gilt selbst bei atypischen Erscheinungen wie der Einmanngesellschaft, die eine eigene Rechtspersönlichkeit hat und rechtlich nicht schlechthin mit der beherrschenden Person identifiziert wird. Dass unbesehen der wirtschaftlichen Verflechtung rechtlich das Vermögen des Gesellschafters von demjenigen der Gesellschaft zu trennen ist, gebietet vorab das Interesse der Gläubiger der jeweiligen Rechtssubjekte, die sich nicht gefallen zu lassen brauchen, dass das Vermögen des einen zur Tilgung von Schulden des anderen verwendet wird.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist indessen ausnahmsweise über die rechtliche Selbstständigkeit der juristischen Person hinwegzusehen, wenn diese im Einzelfall rechtsmissbräuchlich, gegen Treu und Glauben geltend gemacht wird; in einem solchen Fall kann es sich rechtfertigen, vom beherrschten auf das beherrschende Subjekt oder umgekehrt "durchzugreifen" (BGE 85 II 111 E. 3 S. 114; 102 III 165 E. II S. 169/170; Urteil des Bundesgerichts vom 8. April 1999 [4C. 10/1999], E. 2, in SZW 1999 S. 158, alle einen sog. "umgekehrten Durchgriff" betreffend; zuletzt allgemein BGE 121 III 319 E. 5a/aa S. 321 und Urteil des Bundesgerichts vom 20. Dezember 2001, E. 3c, mit weiteren Hinweisen [5C. 201/2001]).
b) Formal ist B.________ nicht Genossenschafter. Er beherrschte und beherrscht die Beklagte jedoch nach Belieben, hat die Beklagte wiederholt als "seine Genossenschaft" bezeichnet, und er wird von allen Beteiligten als derjenige akzeptiert, der die Entscheidungen trifft. Faktisch ist B.________ Alleingenossenschafter und erscheint wirtschaftlich als Alleinberechtigter, unbesehen darum, wer zu welchem Zeitpunkt formal als Genossenschafter vorgeschoben wurde und wird. Die erste Voraussetzung eines Durchgriffs, nämlich die wirtschaftliche Identität, ist damit gegeben, was aber für sich genommen noch nicht ausreicht, von der rechtlichen Selbstständigkeit der juristischen Person abzusehen, denn es bedarf zusätzlich einer offenbar zweckwidrigen, missbräuchlichen Verwendung der juristischen Person.
c) Die Beklagte entfaltete nach den Feststellungen des Obergerichts nie ihrem statutarischen Zweck entsprechende Tätigkeiten. Vielleicht mochte anfangs noch im Zusammenhang mit der Liegenschaft O.________ in P.________ der Plan bestanden haben, Ferienwohnungen zu erstellen. Nachdem dieses Vorhaben aber nicht mehr weiter verfolgt worden war, beschränkte sich die Beklagte im Wesentlichen darauf, die 1978 erworbene Liegenschaft in K.________ zu halten und das Haupthaus B.________ zur Verfügung zu stellen, während das Nebenhaus (zeitweise) vermietet wurde. Noch ein weiteres Geschäft wurde getätigt, nämlich der Kauf und der Verkauf einer Liegenschaft, was aber mit dem statutarischen Zweck der Genossenschaft ebenfalls nichts zu tun hatte. Die Hypothekarzinsen wurden regelmässig durch B.________ getragen, während die Mietzinse nach einem Umbau des Nebengebäudes ursprünglich auf ein Konto B.________s flossen (1993-1996); danach wurde dies geändert. Das Genossenschaftskapital beträgt lediglich Fr. 7'000.--. Im Jahre 1995 wurde ein Fremdkapital von über 8 Millionen Franken ausgewiesen. Die Kontokorrentforderung B.________s wuchs von Fr. 700'000.-- auf Fr. 2'812'927. 50 im Jahre 1995 an. Das von verschiedenen anderen B.________-
Genossenschaften stammende Fremdkapital betrug 1995 Fr. 1'444'000.--. Die Beklagte selber ist nicht liquid, für jede Zahlung ist sie auf B.________ persönlich angewiesen, was die Kontokorrentschuld ansteigen lässt. Nur aus steuerrechtlichen Gründen wird buchhalterisch B.________ ein Mietzins verrechnet. Aus diesen Verhältnissen kann geschlossen werden, dass die Beklagte keine eigene Existenz hat, sondern vollständig von B.________ abhängig ist. Ihr Zweck reduziert sich faktisch darauf, die Liegenschaft für ihn zu halten. Das Vorgehen ist missbräuchlich. Es erlaubt B.________, der Wohnsitz in Monte Carlo hat, in der Schweiz zu Wohnzwecken eine Villa zu halten, und sie dennoch als Vollstreckungssubstrat den Gläubigern, und insbesondere dem Fiskus zu entziehen. Es dürfte zutreffen, dass die Beklagte ursprünglich nicht zu solchem Zweck konzipiert wurde. Heute kommt ihr aber diese Funktion zu, was um so weniger hingenommen werden kann, als B.________ Steuerschulden in Höhe von 25 Millionen Franken unbezahlt lässt.
d) Es ist zwar richtig, dass nach der Rechtsprechung Zurückhaltung in der Annahme eines umgekehrten Durchgriffs angebracht ist, wenn die Gesellschaft, auf die durchgegriffen wird, über weitere Gläubiger verfügt, deren Haftungssubstrat damit reduziert wird. Eine Rücksichtnahme auf B.________ und seine Genossenschaften, die über Forderungen gegen die Beklagte verfügen, ist zum Vornherein nicht angezeigt. Die X.________ Bank ist für ihr Darlehen pfandrechtlich weitgehend gesichert, allerdings offenbar nicht ganz vollständig. Das kann unter den vorliegenden Umständen den Durchgriff aber nicht ausschliessen.
4.- Die Berufung erweist sich damit als unbegründet.
Sie ist abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Die bundesgerichtlichen Kosten sind der Beklagten aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 12. Juni 2001 bestätigt.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 25'000.-- wird der Beklagten auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Obergericht (I. Kammer) des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.
_____________
Lausanne, 12. Februar 2002
Im Namen der II. Zivilabteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: