Tribunal federal
{T 7}
C 277/05
Urteil vom 12. Januar 2007
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Widmer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Ferrari,
Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Hadorn.
Parteien
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, Arbeitslosenversicherung, Stampfenbachstrasse 32, 8001 Zürich, Beschwerdeführer,
gegen
M.________, 1968, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Paul Hollenstein, Stockerstrasse 39, 8002 Zürich.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 29. August 2005.
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 13. Dezember 2004 verneinte das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich (AWA) den Anspruch von M.________ (geb. 1968) auf Arbeitslosenentschädigung ab 28. Juni 2004. Daran hielt es mit Einspracheentscheid vom 10. März 2005 fest.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 29. August 2005 gut. Es stellte fest, dass M.________ Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung habe, falls die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien.
C.
Das AWA hat Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben, und der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung sei vom 28. Juni 2004 bis 17. Januar 2005 zu verneinen.
M.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, während das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2007 ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Damit wurde das Eidgenössische Versicherungsgericht und das Bundesgericht in Lausanne zu einem einheitlichen Bundesgericht (an zwei Standorten) zusammengefügt (Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, S. 10 Rz 75). Dieses Gesetz ist auf die nach seinem Inkrafttreten eingeleiteten Verfahren des Bundesgerichts anwendbar, auf ein Beschwerdeverfahren jedoch nur dann, wenn auch der angefochtene Entscheid nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist (Art. 132 Abs. 1

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Vorschrift zum Ausschluss arbeitgeberähnlicher Personen vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 3 lit. c

3.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung.
3.1 Gemäss den Akten hat der Beschwerdegegner sein Arbeitsverhältnis bei der Firma X.________ am 27. November 2003 auf Ende Januar 2004 gekündigt. Am 16. März 2004 liess er sich bis 18. Januar 2005 als Gesellschafter und Geschäftsführer der Y.________ GmbH mit Einzelunterschrift und einer Stammkapitalbeteiligung von 95 % im Handelsregister eintragen. Wie auch die Vorinstanz einräumt, hatte er somit eine arbeitgeberähnliche Stellung inne.
3.2 Das kantonale Gericht sah trotz der Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 234 Erw. 7 S. 236 in der arbeitgeberähnlichen Position kein Hindernis für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Es begründete dies damit, dass der Beschwerdegegner keinen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten habe, da er während der ganzen Beschäftigungsdauer in der erwähnten GmbH nie Lohn bezogen habe. Wo aber kein Arbeitsausfall vorliege, könne auch kein solcher durch Missbrauch der arbeitgeberähnlichen Stellung beeinflusst werden. Art. 31 Abs. 3 lit. c


3.3 Der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Zu Recht verweist die Beschwerdeführerin auf das in ARV 2005 S. 19 publizierte Urteil H. vom 12. November 2004 (C 117/04), in welchem das Eidgenössische Versicherungsgericht einen nahezu identischen Sachverhalt zu prüfen hatte und einer arbeitgeberähnlichen Person, die in einem soeben eröffneten Betrieb noch keine Einkünfte erzielte, den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung abgesprochen hat. Es ist nicht Aufgabe der Arbeitslosenversicherung, dafür einzustehen, dass sich bei Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zunächst keine grossen Einnahmen erzielen lassen (ARV 2002 S. 56 Erw. 2 [Urteil G. vom 16. Juli 2001, C 353/00]; Urteil B. vom 22. Juni 2005, C 19/05). Wer eine selbstständige Tätigkeit ausübt, kann grundsätzlich nicht gleichzeitig Arbeitslosenentschädigung beziehen, selbst wenn er mit seiner selbstständigen Tätigkeit vorübergehend kein oder nur ein geringes Einkommen erzielt. Dasselbe gilt für arbeitgeberähnliche Personen im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. c

Geschäftsführung (Art. 811 Abs. 1



3.4 Der Beschwerdegegner war bis 18. Januar 2005 Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH und hatte nach dem Gesagten bis zu diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Eine Ausnahme gilt für Personen, die nach der Kündigung ihrer früheren unselbstständigen Erwerbstätigkeit arbeitslos waren, Arbeitslosenentschädigung bezogen und während der Dauer ihrer Arbeitslosigkeit einen Zwischenverdienst (Art. 24

Ausscheiden muss anhand eindeutiger Kriterien gemessen werden können (ARV 2003 S. 240 [Urteil F. vom 14. April 2003, C 92/02]). Die Rechtsprechung hat wiederholt darauf abgestellt, ob der Eintrag der betreffenden Person im Handelsregister gelöscht worden ist (ARV 2002 S. 185; bestätigt im Urteil K. vom 8. Juni 2004 [C 110/03] mit zahlreichen Hinweisen; ARV 2005 S. 19 [C 117/04] Erw. 2). Diese Rechtsprechung dient nicht nur der Rechtssicherheit, sondern auch dem Anliegen, Missbräuche zu vermeiden: Solange jemand als arbeitgeberähnliche Person im Handelsregister eingetragen ist, ist im Allgemeinen anzunehmen, dass er jederzeit das Geschäftsvolumen der juristischen Person ausdehnen und sich damit ein entsprechendes Einkommen verschaffen könnte. Auf das effektiv erzielte Einkommen oder die effektiv ausgeübte Tätigkeit abzustellen, würde eine wirksame Kontrolle praktisch verunmöglichen (C 92/02 Erw. 4). Der Beschwerdeführer hat sich denn auch erst am 28. Juni 2004 bei der Arbeitslosenversicherung angemeldet und in dem am 22. Oktober 2004 ausgefüllten Fragebogen angegeben, er habe die Tätigkeit in der GmbH "bereits seit Juni 2004 aufgegeben". Im Schreiben vom 15. August 2004 bringt er vor, das Softwareprodukt, das er in seiner GmbH
hätte vertreiben wollen, sei leider nicht auf den genannten Termin und in der erforderlichen Qualität bereitgestellt worden. Daraus kann gefolgert werden, dass - wenn dies der Fall gewesen wäre - er durchaus mit seiner GmbH die geplante Tätigkeit ausgeübt und wohl auch ein entsprechendes Einkommen erzielt hätte. Dass dies nicht zu Stande kam, ist typisches Unternehmerrisiko, für welches nicht die Arbeitslosenversicherung einzustehen hat.
4.
Im erwähnten Fragebogen hat der Beschwerdeführer allerdings auf die Frage "Wären Sie bereit, die Tätigkeit innerhalb dieser Firma aufzugeben und die Firma zu liquidieren oder zu verkaufen, um der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen?" geantwortet: "Ja, falls dies absolut notwendig ist und rechtlich die einzige Alternative darstellt." Diese Aussage kann nur so verstanden werden, dass der Beschwerdegegner zwar lieber die GmbH beibehalten hätte, sie aber liquidiert hätte oder sich hätte löschen lassen, wenn er sich bewusst gewesen wäre, dass seine arbeitgeberähnliche Stellung seinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung vereiteln würde. Unter diesen Umständen wäre die Verwaltung auf Grund von Art. 27

pflichtwidrig unterlassen worden ist, ist der Beschwerdegegner so zu stellen, wie wenn die Verwaltung ihm die gebotene Auskunft erteilt hätte (BGE 131 V 472 Erw. 5 S. 480; C 157/05 Erw. 6).
5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134


Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. August 2005 dahin abgeändert, dass der Beschwerdegegner ab November 2004 Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat, sofern die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Neuverlegung der Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Arbeitslosenkasse Unia, Regensdorf, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 12. Januar 2007
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: