Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung V

E-5863/2016

Urteil vom 12. Oktober 2018

Richter Markus König (Vorsitz),

Besetzung Richterin Contessina Theis, Richter Jean-Pierre Monnet,

Gerichtsschreiber Nicholas Swain.

A._______, geboren am (...),

Iran,
Parteien
vertreten durch lic. iur. Peter Frei, Rechtsanwalt,
(...),

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Flüchtlingseigenschaft und Wegweisung;
Verfügung des SEM vom 19. September 2016 / N (...).

Sachverhalt:

I.

A.
Der Beschwerdeführer stellte am 15. November 2011 in der Schweiz ein erstes Asylgesuch. Mit Verfügung vom 9. April 2014 stellte das SEM fest, er erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, wies sein Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz sowie den Vollzug an.

Die vom Beschwerdeführer gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde vom 12. Mai 2014 wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil
E-2588/2014 vom 25. Februar 2015 vollumfänglich abgewiesen.

II.

B.

B.a Mit als "neues Asylgesuch" betitelter schriftlicher Eingabe seines Rechtsvertreters an die Vorinstanz beantragte der Beschwerdeführer am 31. August 2016, es sei ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, eventualiter die Unzulässigkeit und Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs festzustellen, und die vorläufige Aufnahme anzuordnen.

B.b Zur Begründung seiner Eingabe brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er beteilige sich regelmässig an exilpolitischen Aktivitäten gegen das iranische Regime. Neben seiner Teilnahme an mehreren Kundgebungen und in verschiedenen Städten habe er sich B._______ angeschlossen. Er habe für (...) mehrere Artikel zu aktuellen Themen der iranischen Politik verfasst, welche unter seinem Namen veröffentlicht worden seien. Diese habe er zudem auch auf (...) und in (...) veröffentlicht. Ebenso habe er regimekritische Reden auf der Internetseite B._______ und (...) veröffentlicht. Ausserdem gehöre er (...) an. Er nehme an den (...) Sitzungen dieser Gruppe aktiv teil und verfasse Beiträge für diese. Ferner stehe er mit mehreren politischen Gefangenen im Kontakt. Diese würden Informationen über die Haftbedingungen in den iranischen Gefängnissen übermitteln und er sei an deren Verbreitung (...) beteiligt. Aufgrund seines kontinuierlichen exilpolitischen Engagements sei naheliegend, dass er von den Agenten der iranischen Sicherheitskräfte identifiziert worden sei und die Behörden seines Heimatstaats somit Kenntnis seiner regimekritischen Haltung und seiner Aktivitäten hätten. Deshalb müsse er im Falle einer Rückkehr in den Iran mit flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmassnahmen rechnen. Schliesslich habe er psychische Probleme aufgrund derer sich der Wegweisungsvollzug als unzumutbar erweise.

B.c Zum Beleg seiner Vorbringen reichte er folgende Beweismittel ein:

(...)

C.
Mit Verfügung vom 19. September 2016 (eröffnet am 20. September 2016) stellte das SEM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, wies sein Mehrfachgesuch ab, und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz sowie den Vollzug an.

D.
Mit Eingabe vom 26. September 2016 an das Bundesverwaltungsgericht erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen die Verfügung des SEM und beantragte, diese sei aufzuheben und es sei seine Flüchtlingseigenschaft festzustellen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung sowie um Beiordnung seines Rechtsvertreters als unentgeltlichen Rechtsbeistand. Zur Stützung seiner Vorbringen reichte er die Ausgaben (...) 2016 der Zeitschrift B._______ ein.

E.
Mit Zwischenverfügung vom 29. September 2016 forderte der Instruktionsrichter den Beschwerdeführer auf, innert Frist seine Mittellosigkeit zu belegen, stellte fest, über die Gesuche um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung werde zu einem späteren Zeitpunkt befunden, und lud das SEM zur Einreichung einer Vernehmlassung ein.

F.
In ihrer Vernehmlassung vom 11. Oktober 2016 hielt die Vorinstanz an ihrer Verfügung fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

G.
Mit Eingabe vom 13. Oktober 2016 reichte der Beschwerdeführer eine Fürsorgebestätigung C._______ vom 10. Oktober 2016 zu den Akten.

H.
Mit Instruktionsverfügung vom 21. Oktober 2016 hiess der Instruktionsrichter das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung gemäss Art. 65 Abs. 2 VwVG wurde abgewiesen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, eine Replik einzureichen.

I.
Mit Eingabe seines Rechtsvertreters vom 2. November 2016 nahm der Beschwerdeführer zur Vernehmlassung der Vorinstanz Stellung und reichte weitere Beweismittel ein ([...]) sowie eine Kostennote der Rechtsvertretung zu den Akten.

J.
Mit Eingaben vom 25. April 2017, 7. Dezember 2017, 14. Februar 2018, 4. April 2018 und 11. Juli 2018 wurden folgende weiteren Beweismittel eingereicht:

(...)

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Eine solche Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet.

1.2 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

1.3 Die Beschwerde ist frist- und formgerecht eingereicht. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

3.

3.1 Das SEM führte zur Begründung seiner Verfügung aus, es sei bekannt, dass die iranischen Behörden sich grundsätzlich für die exilpolitischen Aktivitäten ihrer Staatsangehörigen interessieren würden. Jedoch sei davon auszugehen, dass sie sich bei der Überwachung derselben auf Personen konzentrieren würden, die mit ihren politischen Aktivitäten aus der Masse regimekritischer iranischer Staatsangehöriger hervortreten und als ernsthafte Bedrohung für das iranische Regime wahrgenommen würden.
Massgeblich sei dabei eine öffentliche Exponierung, welche den Eindruck erwecke, dass die betroffene Person eine Gefahr für das politische System darstelle.

Das exilpolitische Engagement des Beschwerdeführers vermöge diesen Kriterien nicht zu genügen und sei nicht geeignet, eine Furcht vor zukünftiger staatlicher Verfolgung zu begründen. Er habe in seinem früheren Verfahren keine glaubhafte Vorverfolgung darzulegen vermocht, weshalb nicht davon auszugehen sei, dass seine Aktivitäten im Ausland überwacht
würden. Zudem würden weder seine Aussagen noch die eingereichten
Beweismittel darauf schliessen lassen, dass er sich in qualifizierter Weise exilpolitisch betätige. Die Beweismittel betreffend die Teilnahme des Beschwerdeführers an Kundgebungen D._______ und anderen Organisationen würden ihn als normalen Teilnehmer zeigen. Auch sein Engagement für B._______ (Halten von Reden zu Menschenrechtsthemen, Publikation von Artikeln [...]) entspreche keiner qualifizierten exilpolitischen Tätigkeit. Es sei unwahrscheinlich, dass Personen ausserhalb des Vereins hiervon Kenntnis hätten. Die in der Zeitschrift B._______ publizierten Beiträge des Beschwerdeführers seien geringen Umfangs, und es würden darin keine neuen Themen, Erkenntnisse oder Vorfälle behandelt, sondern schon vielfach Gesagtes wiederholt. Es sei davon auszugehen, dass er die Inhalte von anderen Berichten ohne Eigenleistung übernommen habe. Im Übrigen sei in der Arbeit B._______ kein direkter Mehrwert ersichtlich; diese Organisation diene offensichtlich dazu, ihren Mitgliedern subjektive Nachfluchtgründe zu verschaffen. Die Aktivitäten des Beschwerdeführers für B._______ sowie die (...) auf (...) hätten keine Schärfung seines politischen Profils zur Folge. Die (...) vermittle den Eindruck, er versuche mit grösstmöglichem Aufwand als Regimekritiker aufzutreten. Allerdings würden seine Beiträge kaum eine bedeutende Eigenleistung aufweisen. Ferner sei auch der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Kontakt zu politischen Gefangenen nicht geeignet, eine Furcht vor zukünftiger Verfolgung zu begründen. Der von ihm genannte E._______ sei einer der bekanntesten Gefangenen Irans und werde von europäischen Regierungen sowie bekannten Menschenrechtsorganisationen unterstützt: Die Kontakte des Beschwerdeführers würden demnach nicht exklusiv erscheinen, und es dränge sich der Eindruck auf, dass er bereits vorhandene Informationen aufgreife und als eigene Leistung weiterverbreite. Damit qualifiziere er sich aber nicht als ernsthafter Regimekritiker. Nach dem Gesagten sei nicht davon auszugehen, dass er aus der Perspektive des iranischen Regimes als potentielle Bedrohung erscheine.

Im Übrigen sei in Bezug auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten und mit einem Arztzeugnis belegten psychischen Probleme nicht davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr in den Iran in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde. In seinem Heimatstaat bestehe eine medizinische Infrastruktur zur Behandlung psychischer Probleme, welche er werde nutzen könne, zumal er keine Verfolgung durch die iranischen Behörden glaubhaft machen könne. Es seien somit auch keine überzeugenden Wegweisungshindernisse erkennbar.

3.2 Zur Begründung seiner Beschwerde brachte der Beschwerdeführer vor, der Umstand, dass er oft und regelmässig an exilpolitischen Aktivitäten wie Versammlungen, Unterschriftensammlungen, und Kundgebungen teilnehme, sei Beweis für sein ernsthaftes und dauerhaftes Engagement gegen das iranische Regime. Es sei davon auszugehen, dass er den iranischen Sicherheitskräften als ständiger Demonstrant aufgefallen sei.
Er hebe sich von den durchschnittlichen iranischen Regimegegnern durch seine häufigen Aktivitäten, seine zahlreichen öffentlichen Auftritte (...) sowie seinen Aktivismus ab. Sowohl die von ihm für B._______ gehaltenen Reden als auch die von ihm verfassten Artikel würden unter der Bezeichnung "F._______" beziehungsweise "G._______" im Internet aufgeschaltet und würden dadurch auf der ganzen Welt verbreitet. Es liege nahe, dass er deswegen von den iranischen Behörden registriert worden sei. Die Einschätzung der Vorinstanz betreffend den Inhalt seiner Publikationen treffe nicht zu. Seine Artikel würden eine originelle Themenwahl zeigen, die seine Ideen wiedergebe. Er äussere sich unter anderem zum Los der (...), zu der ständigen Prekarisierung und der Unterdrückung (...) sowie zu den nicht-muslimischen Minderheiten und zu gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Themen. Auch der Vorwurf betreffend die von B._______ verfolgten Ziele sei unzutreffend. Diese Organisation sei in vielen Ländern aktiv, und verschiedene im Iran inhaftierte Menschensrechts-Aktivisten würden ihre Ziele unterstützen und stünden mit ihr in Verbindung. Im Weiteren stehe er nicht nur mit E._______, sondern auch mit anderen politischen Gefangenen in Kontakt. Da er sich intensiv und öffentlich mit verschiedenen Menschenrechtsthemen auseinandersetze und sich in diesem Zusammenhang kritisch gegenüber der iranische Regierung äussere, drohe ihm Verfolgung. Er äussere zahlreiche eigene Gedankengänge und äussere pointierte Kritik an den iranischen Institutionen. Dass er nur (...) Artikel pro (...) verfasse und veröffentliche, spreche für deren inhaltliche Qualität. Er wähle seine Themen sorgfältig nach deren Relevanz aus. Sein (...). Er übe sein Engagement für mehrere exilpolitisch gegen die iranische Regierung aktive Gruppen seit mehreren Jahren ununterbrochen aus. Der Umstand, dass er seit Jahren Informationen über den Iran unter seinem Namen weiterverbreite, missfalle zweifellos dem iranischen Regime und wecke dessen Verfolgungsinteresse. Dieses setze selber erhebliche Mittel ein, um die Verbreitung solcher Informationen präventiv zu verhindern oder repressiv zu stoppen. Die iranische Regierung investiere sehr viel in die Überwachung der oppositionellen Kräfte im In- und Ausland. Diesbezüglich werde auf die Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 4. April 2006 verwiesen. Da die iranische Regierung Zugang zu allen technologischen Entwicklungen habe, welche die Überwachung des Internets ermöglichen würden, sei der Aufwand, missliebige Regimegegner zu eruieren, verhältnismässig gering. Zudem seien regimetreue Spitzel weiterhin aktiv. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die iranischen Behörden von seinen
Exilaktivitäten Notiz genommen hätten und ihn als regimekritischen Oppositionellen identifiziert hätten. Er müsse demnach im Falle einer Rückkehr in seinen Heimatstaat mit ernsthaften Nachteilen im Sinne von Art. 3 AsylG rechnen.

3.3 In ihrer Vernehmlassung stellte sich die Vorinstanz insbesondere auf den Standpunkt, der Umstand, dass der Beschwerdeführer seine Artikel unter seinem Namen im Internet publiziere, ändere nichts daran, dass ihm bei einer Rückkehr in den Iran keine flüchtlingsrechtlich relevanten Konsequenzen drohen würden. Der Inhalt dieser Publikationen entspreche keiner qualifizierten Regimekritik, sondern stelle zumeist eine Wiederholung von Aussagen profilierter Oppositioneller dar. Eine tatsächliche Eigenleistung des Beschwerdeführers sei nicht zu erkennen. Auch wenn die iranischen Behörden auf ihn aufmerksam geworden sein sollten, sei nicht davon auszugehen, dass sie ihn als ernsthafte Gefahr einschätzen würden. Die Anzahl seiner Demonstrationsteilnahmen und publizierten Artikel halte sich angesichts seiner mehrjährigen Aufenthaltsdauer in der Schweiz in Grenzen. Er hebe sich in keiner Weise von einem niederschwelligen Kritiker ab und sei kein profilierter Oppositioneller. Die neu eingereichten Ausgaben der B._______-Zeitschrift sowie der Bericht der SFH vermöchten an dieser Einschätzung nichts zu ändern, da sie keine neuen Tatsachen verdeutlichen würden.

3.4 Der Beschwerdeführer wies in seiner Replik darauf hin, dass seine Beiträge in der Zeitschrift der B._______ und (...). Regimekritische (...) würden im Iran mit harten Freiheitsstrafen, in Einzelfällen gar mit der Todesstrafe geahndet, obwohl manche der (...) noch Teenager seien. Mehrere (...) seien bereits zu langen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Es werde im Übrigen auf ein Urteil des H._______ verwiesen, welches sich zur Rolle und Bedeutung B._______ äussere, sowie auf ein Gutachten von I._______, welchem Angaben zur Überwachung der (...) durch die iranischen Behörden zu entnehmen seien.

4.

4.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. (Art. 3 Abs. 2 AsylG).

Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind, wobei die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) vorbehalten bleibt (Art. 3 Abs. 4 AsylG).

4.2 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).

5.

5.1 Der Beschwerdeführer macht inhaltlich das Vorliegen subjektiver Nachfluchtgründe im Sinne von Art. 54 AsylG geltend, indem er vorbringt, sich in der Schweiz exilpolitisch engagiert zu haben, weshalb er bei einer Rückkehr in den Iran Verfolgung seitens der iranischen Behörden befürchten müsste.

5.2 Subjektive Nachfluchtgründe sind anzunehmen, wenn eine asyl-
suchende Person erst durch die unerlaubte Ausreise aus dem Heimat-
oder Herkunftsstaat oder wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise eine Verfolgung im Sinne von Art. 3 AsylG zu befürchten hat. Als subjektive Nachfluchtgründe gelten insbesondere unerwünschte exilpolitische Betätigungen, illegales Verlassen des Heimatlandes (sog. Republikflucht) oder Einreichung eines Asylgesuchs im Ausland, wenn sie die Gefahr einer zukünftigen Verfolgung begründen. Personen mit subjektiven Nachfluchtgründen erhalten zwar kein Asyl, werden jedoch als Flüchtlinge vorläufig aufgenommen (vgl. BVGE 2009/29 E. 5.1, BVGE 2009/28 E. 7.1 m.w.H.).

5.3

5.3.1 Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Praxis grundsätzlich von einer unbefriedigenden Menschenrechtssituation im Iran aus. Auch nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2013 steht es vor allem um die Wahrung der politischen Rechte und insbesondere der Meinungs-
äusserungsfreiheit schlecht. Jegliche Kritik am System der Islamischen Republik und deren Würdenträgern ist tabu, ebenso die Berichterstattung über politische Gefangene oder echte Oppositionsbewegungen. Die iranischen Behörden unterdrücken in systematischer Weise die Meinungsäusserungsfreiheit durch die Inhaftierung von Journalisten und Redakteuren, und die Medien sind einer strengen Zensur respektive einem Zwang zur Eigenzensur unterworfen. Somit hat sich die Einschätzung des Bundesverwaltungsgericht zur Lage im Iran (vgl. BVGE 2009/28 E. 7.3.1) auch nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2013 nicht geändert und behält nach wie vor ihre Gültigkeit (vgl. Urteil des BVGer D-7272/2013 vom 5. November 2014 E. 7.1; Human Rights Council, Report of the Secretary-
General on the Situation of Human Rights in the Islamic Republic of Iran, A/HRC/25/75, 11. März 2014, S. 4, Ziff. 7 ff.).

5.3.2 Die politische Betätigung für staatsfeindliche Organisationen im Ausland ist seit der Neufassung des iranischen Strafrechts im Jahr 1996 unter Strafe gestellt. Einschlägigen Berichten zufolge wurden in der Vergangenheit denn auch bereits Personen verhaftet, angeklagt und verurteilt, welche sich unter anderem im Internet kritisch zum iranischen Staat äusserten (vgl. Auskunft der SFH, "Iran: Illegale Ausreise/Situation von Mitgliedern der PDKI/Politische Aktivitäten im Exil", 16. November 2010, S. 7 ff., m.w.H.). Es ist zwar bekannt, dass die iranischen Behörden die politischen Aktivitäten ihrer Staatsbürger im Ausland überwachen und erfassen (vgl. dazu
Urteile des Bundesverwaltungsgerichts E-3923/2016 vom 24. Mai 2018 E. 5.2 und D-830/2016 vom 20. Juli 2016 E. 4.2, mit weiteren Hinweisen). Es bleibt jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob die exilpolitischen Aktivitäten bei einer allfälligen Rückkehr in den Iran mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ernsthafte Nachteile im flüchtlingsrechtlichen Sinne nach sich ziehen. Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei davon auszugehen, dass sich die iranischen Geheimdienste auf die Erfassung von Personen konzentrieren, die über die massentypischen, niedrigprofilierten Erscheinungsformen exilpolitischer Proteste hinaus Funktionen ausgeübt und/oder Aktivitäten vorgenommen haben, welche die jeweilige Person aus der Masse der mit dem Regime Unzufriedenen herausstechen und als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner erscheinen lassen. Dabei darf davon ausgegangen werden, dass die iranischen Sicherheitsbehörden zu unterscheiden vermögen zwischen tatsächlich politisch engagierten Regimekritikern und Exilaktivisten, die mit ihren Aktionen in erster Linie die Chancen auf ein Aufenthaltsrecht zu erhöhen versuchen (vgl. BVGE 2009/28 E. 7.4.3; Urteil des BVGer D-830/2016 vom 20. Juli 2016 E. 4.2).

5.3.3 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geht ebenfalls davon aus, dass eine möglicherweise drohende Verletzung von Art. 3 EMRK jeweils aufgrund der persönlichen Situation der Beschwerdeführenden zu beurteilen ist. Die Berichte über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Iran begründen für sich allein noch keine Gefahr einer unmenschlichen Behandlung (vgl. Urteil des EGMR S.F. et al. gegen Schweden vom 15. Mai 2012, 52077/10, §§ 63 f.).

5.4 Durch die vom Beschwerdeführer eingereichten Beweismittel ist erstellt, dass er ab (...) in der Zeitschrift B._______ zahlreiche regimekritische Beiträge veröffentlicht hat, ebenso auf (...). Ferner hat er als Vertreter (...) teilgenommen. Gemäss seinen Angaben ist er zudem Administrator (...).

5.5 Der Beschwerdeführer hat sich mithin auf mehreren Ebenen und mit verschiedenen Mitteln exilpolitisch betätigt, und seine regimekritische Haltung auf diversen Kanälen publik gemacht. Massgeblich ins Gewicht fallen insbesondere seine Teilnahmen an (...), wobei er aufgrund (...) identifizierbar war. Dabei hat er Referate gehalten, in welchen er die iranische Regierung aus verschiedenen Gründen kritisiert. Videoaufnahmen der von ihm anlässlich der Konferenzen vom (...) und (...) gehaltenen Reden wurden auf (...) sowie auf der (...) aufgeschaltet, und diese dürften somit verbreitet zur Kenntnis genommen worden sein. Es ist ferner davon auszugehen, dass die iranische Regierung (...). Demzufolge ist anzunehmen, dass die iranischen Überwachungsbehörden mit grosser Wahrscheinlichkeit vom Engagement des Beschwerdeführers Kenntnis genommen haben.

5.6 Insgesamt ist aufgrund der Regelmässigkeit und der Intensität der oppositionellen Aktivitäten des Beschwerdeführers, welche dem iranischen Regime bekannt sein dürften, der Schluss zu ziehen, dass er sich durch diese in erheblichem Mass exponiert hat und sich durch sein Engagement deutlich von der breiten Masse von iranischen Regimegegnern im Ausland abhebt. Demnach besteht Grund zur Annahme, dass der Beschwerdeführer von den iranischen Sicherheitskräften als ernstzunehmender Regimekritiker eingestuft werden dürfte.

5.7 Vor diesem Hintergrund hat der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Iran mit überwiegender Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante, ernsthafte Nachteile im Sinne von Art. 3 AsylG zu gewärtigen. Es ist ihm somit eine begründete Furcht vor Verfolgung zu attestieren und er ist folglich als Flüchtling im Sinne von Art. 3 AsylG anzuerkennen. Da dies auf sein Verhalten nach der Ausreise aus dem Heimatstaat zurückzuführen ist, ist hingegen die Gewährung des Asyls ausgeschlossen (Art. 54 AsylG). Im Weiteren bestehen gemäss Aktenlage keine Ausschlussgründe im Sinne von Art. 1 FK.

6.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen. Die Dispositiv-
ziffern 1, 2, 4 und 5 der angefochtenen Verfügung des BFM vom 19. September 2016 sind aufzuheben, und das Staatssekretariat ist anzuweisen, den Beschwerdeführer als Flüchtling anzuerkennen und vorläufig aufzunehmen.

7.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Verfahrenskosten aufzuerlegen.

8.
Dem vertretenen Beschwerdeführer ist angesichts seines Obsiegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädigung für die ihm notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzusprechen. Der Rechtsvertreter hat mit den Eingaben vom 2. November 2016 und 14. Februar 2018 Kostennoten zu den Akten gereicht. Der darin geltend gemachte zeitliche Aufwand (8,42 Stunden) sowie der Stundenansatz (Fr. 240.-) erscheinen angemessen. Dementsprechend wird die Parteientschädigung
unter Berücksichtigung des für die nachträglichen Eingaben vom 4. April 2018 und 11. Juli 2018 zu veranschlagenden Aufwands auf insgesamt Fr. 2735.- (inkl. Auslagen und Mehrwertsteueranteil) festgesetzt.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2.
Die Dispositivziffern 1, 2, 4 und 5 der Verfügung des BFM vom 19. September 2016 werden aufgehoben. Das SEM wird angewiesen, den Beschwerdeführer als Flüchtling vorläufig in der Schweiz aufzunehmen.

3.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.

4.
Das SEM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 2735.- auszurichten.

5.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Markus König Nicholas Swain

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Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : E-5863/2016
Data : 12. ottobre 2018
Pubblicato : 23. ottobre 2018
Sorgente : Tribunale amministrativo federale
Stato : Inedito
Ramo giuridico : Asilo
Oggetto : Asyl und Wegweisung; Verfügung des SEM vom 19. September 2016


Registro di legislazione
CEDU: 3
LAsi: 2  3  6  7  54  105  106  108
LTAF: 31  32  33  37
LTF: 83
PA: 5  48  49  52  64  65
SR 0.142.30: 1
TS-TAF: 7
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
iran • tribunale amministrativo federale • autorità inferiore • mezzo di prova • detenuto • stato d'origine • espatrio • misura • conoscenza • prato • prestazione propria • comportamento • pena privativa della libertà • replica • spese di procedura • assistenza giudiziaria gratuita • termine • cancelliere • assegnato • costituzione • condannato • rappresentanza processuale • corte europea dei diritti dell'uomo • pressione • spese • convenzione sullo statuto dei rifugiati • legge sull'asilo • accusato • comunicazione • pericolo • memoria complementare • decisione • prevedibilità • motivazione della decisione • attestato • cittadinanza svizzera • nazionalità • etichettatura • spesa • indicazione erronea • informazione erronea • rapporto • società cooperativa • giornalista • certificato medico • intermediario • plusvalore • pena di morte • ripetizione • diritti politici • picchettamento • avvocato • resoconto • mass media • incontro • censura • mania • adulto • minoranza • vita • posto • raccolta delle firme • peso • fuori • infrastruttura • riporto • punto essenziale • ammissione provvisoria • uscita illegale dal paese • funzione • fattispecie • svezia • razza • persona interessata • anticipo delle spese
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