Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_769/2016
Urteil vom 11. Januar 2017
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterinnen Jacquemoud-Rossari, Jametti,
Gerichtsschreiberin Pasquini.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Hunziker,
Beschwerdeführerin,
gegen
Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.
Gegenstand
Entschädigung der amtlichen Verteidigung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 19. Februar 2016.
Sachverhalt:
A.
Rechtsanwältin X.________ war amtliche Verteidigerin im Strafverfahren gegen A.________ unter anderem wegen versuchter einfacher Körperverletzung, mehrfacher Drohung und Nötigung. Das Bezirksgericht Brugg sprach ihr im Urteil vom 16. September 2014 eine Entschädigung von Fr. 23'613.20 zu. A.________ erhob Berufung. Mit Entscheid vom 19. Februar 2016 reduzierte das Obergericht des Kantons Aargau die Entschädigung für die amtliche Verteidigerin für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Verfahren auf pauschal Fr. 12'000.--.
B.
Mit Beschwerde an das Bundesstrafgericht beantragt X.________ die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils betreffend die Kürzung der ihr für das erstinstanzliche Verfahren zugesprochenen Entschädigung. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
Das Bundesstrafgericht tritt mit Beschluss vom 5. Juli 2016 auf die Beschwerde nicht ein und übermittelt sie zuständigkeitshalber dem Bundesgericht.
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau verzichten auf Gegenbemerkungen.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, in welchem dieses über die der amtlichen Verteidigerin für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Verfahren zugesprochene Entschädigung entschieden hat. Die für das Berufungsverfahren festgesetzte Entschädigung blieb unangefochten. In dieser Konstellation liegt kein Anwendungsfall von Art. 135 Abs. 3 lit. b

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 135 Entschädigung der amtlichen Verteidigung - 1 Die amtliche Verteidigung wird nach dem Anwaltstarif des Bundes oder desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt wurde. |
2.
2.1. Die Beschwerdeführerin beanstandet die Kürzung der ihr von der ersten Instanz zugesprochenen amtlichen Entschädigung durch die Vorinstanz. Sie rügt eine Verletzung von Art. 404 Abs. 1

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 404 Umfang der Überprüfung - 1 Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 404 Umfang der Überprüfung - 1 Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten. |
amtlichen Verteidigung vorbehalte. Sie habe aber nicht ausgeführt, welche Positionen der eingereichten Kostennote sie anzweifle (Beschwerde S. 3 ff.).
2.2. Die Vorinstanz erwägt, der für das erstinstanzliche Verfahren geltend gemachte Aufwand von 95.06 Stunden [recte: 94.31 Stunden] sei massiv überhöht und stehe in keinem Verhältnis zur Bedeutung des Falles, den sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht stellenden Fragen und dem dafür angemessenen Zeitaufwand der Anwältin. Die erste Instanz habe keine Überprüfung vorgenommen. Das sei von Amtes wegen (Art. 404 Abs. 2

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 404 Umfang der Überprüfung - 1 Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten. |
2.3. Die Parteien haben in ihrer schriftlichen Berufungserklärung verbindlich anzugeben, ob sie das Urteil vollumfänglich oder nur in Teilen anfechten und auf welche Teile sich die Berufung allenfalls beschränkt (Art. 399 Abs. 3 lit. a

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 399 Anmeldung der Berufung und Berufungserklärung - 1 Die Berufung ist dem erstinstanzlichen Gericht innert 10 Tagen seit Eröffnung des Urteils schriftlich oder mündlich zu Protokoll anzumelden. |
|
a | den Schuldpunkt, allenfalls bezogen auf einzelne Handlungen; |
b | die Bemessung der Strafe; |
c | die Anordnung von Massnahmen; |
d | den Zivilanspruch oder einzelne Zivilansprüche; |
e | die Nebenfolgen des Urteils; |
f | die Kosten-, Entschädigungs- und Genugtuungsfolgen; |
g | die nachträglichen richterlichen Entscheidungen. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 399 Anmeldung der Berufung und Berufungserklärung - 1 Die Berufung ist dem erstinstanzlichen Gericht innert 10 Tagen seit Eröffnung des Urteils schriftlich oder mündlich zu Protokoll anzumelden. |
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a | den Schuldpunkt, allenfalls bezogen auf einzelne Handlungen; |
b | die Bemessung der Strafe; |
c | die Anordnung von Massnahmen; |
d | den Zivilanspruch oder einzelne Zivilansprüche; |
e | die Nebenfolgen des Urteils; |
f | die Kosten-, Entschädigungs- und Genugtuungsfolgen; |
g | die nachträglichen richterlichen Entscheidungen. |
Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten (Art. 404 Abs. 1

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 404 Umfang der Überprüfung - 1 Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 404 Umfang der Überprüfung - 1 Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 404 Umfang der Überprüfung - 1 Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten. |
Gericht nicht verwehrt sein, auch den Schuldpunkt neu zu beurteilen und den Beschuldigten nicht nur milder zu bestrafen, sondern das Verfahren einzustellen oder ihn statt wegen schwerer bloss wegen einfacher Körperverletzung, oder statt wegen Raubes, "nur" wegen Diebstahls schuldig zu sprechen. Gesetzwidrig wäre eine Entscheidung auch dann, wenn das erstinstanzliche Gericht eine unzulässige Sanktion ausgesprochen hätte. In Ermessensentscheide der Vorinstanz kann hingegen in keinem Fall eingegriffen werden; eine Beschränkung der Dispositionsmaxime rechtfertigt sich nur bei Willkür (LUZIUS EUGSTER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 1 ff. insb. N. 4 f. zu Art. 404

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 404 Umfang der Überprüfung - 1 Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 404 Umfang der Überprüfung - 1 Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten. |

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 404 Umfang der Überprüfung - 1 Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten. |
In einem kürzlich ergangenen Entscheid hielt das Bundesgericht fest, wenn die Entschädigung für die amtliche Verteidigung weder vom Beschuldigten noch von der Staatsanwaltschaft angefochten bzw. beanstandet werde, sei von der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils bezüglich dieser Entschädigung auszugehen. Die Voraussetzungen für eine Korrektur dieser Entschädigung von Amtes wegen nach Art. 404 Abs. 2

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 404 Umfang der Überprüfung - 1 Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten. |
2.4. In der Berufungserklärung beantragte der Beschuldigte, (1.) das Urteil vom 16. September 2014 des Bezirksgerichts Brugg sei aufzuheben und wie folgt neu zu fassen:
1. Der Beschuldigte werde vollumfänglich freigesprochen.
2. Dem Beschuldigten werde für die rechtswidrig angeordneten Zwangsmassnahmen Schadenersatz von CHF 58'380.00 sowie eine Genugtuung von CHF 33'400.00 zugesprochen.
3. Die Anträge der Privatklägerin auf Genugtuung und Parteientschädigung werden vollumfänglich abgewiesen.
4. Es wird festgestellt, dass die amtliche Verteidigung für ihre Aufwendungen für das erstinstanzliche Verfahren bereits angemessen entschädigt wurde.
5. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (inkl. der Kosten für die amtliche Verteidigung) werden auf die Staatskasse genommen.
Er stellte weiter den Antrag, (2.) seine amtliche Verteidigerin sei entsprechend der noch einzureichenden Kostennote angemessen für ihre Aufwendungen im Berufungsverfahren zu entschädigen (3.) unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (inkl. gesetzl. MwSt.) zu Lasten der Staatskasse (Urteil S. 7 E. 3.3). Auch die Staatsanwaltschaft wendete sich nicht gegen die von der ersten Instanz festgesetzte Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Urteil S. 8 E. 3.5), weshalb vorliegend von der Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils bezüglich der Entschädigung der amtlichen Verteidigung auszugehen ist.
Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Aufwand von 94.31 Stunden bzw. ihr von der ersten Instanz genehmigtes Honorar von Fr. 23'537.40 ist sehr hoch. Die Vorinstanz begründet die Kürzung, es sei nicht ersichtlich, dass sich komplizierte Fragen hätten stellen können, wenn auch zu berücksichtigen sei, dass es sich weitgehend um sog. Vier-Augen-Delikte gehandelt habe. Bei der von der Beschwerdeführerin eingereichten Kostennote könne nur teilweise überprüft werden, ob die aufgeführten Aufwendungen geboten gewesen seien und ob sie überhaupt das Strafverfahren betroffen hätten. So fänden sich darin - ohne nähere Beschreibung - zahlreiche Posten betr. Korrespondenz nicht nur mit dem Beschuldigten, sondern auch mit dessen Mutter und anderen Privatpersonen (Urteil S. 27 f. E. 7.4). Der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Die von der Beschwerdeführerin eingereichte Kostennote erweist sich als ausgesprochen detailliert und bezeichnet neben den jeweiligen Posten (z.Bsp. Telefon, Brief, Einvernahme etc.) auch den genauen Betreff sowie die jeweils involvierte Person (act. 4/3). Sodann belaufen sich die von der Vorinstanz beanstandeten Posten betr. Korrespondenz mit Drittpersonen auf insgesamt 9.155 Stunden (vgl. Aufschlüsselung der
Beschwerdeführerin, act. 4/5) und vermögen die fast hälftige Kürzung der Entschädigung, mithin die Streichung von über 40 Stunden Aufwand, durch die Vorinstanz nicht zu rechtfertigen. Selbst im Lichte der gesamten vorinstanzlichen Erwägungen kann nicht die Rede davon sein, dass die Entscheidung der ersten Instanz bezüglich des Honorars für die amtliche Verteidigung geradezu gesetzeswidrig oder krass unbillig ist.
2.5. Die Beschwerde ist gutzuheissen. Die übrigen Vorbringen der Beschwerdeführerin sind nicht zu behandeln. Ziffer 2.6.1 des angefochtenen Urteils ist aufzuheben und der Vorinstanz zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen zurückzuweisen.
3.
Bei diesem Ausgang sind für das bundesgerichtliche Verfahren keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind. |

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, Ziff. 2.6.1 des Urteils des Obergerichts des Kantons Aargau vom 19. Februar 2016 wird aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Aargau hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. Januar 2017
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini