Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 253/03
Urteil vom 6. Oktober 2004
IV. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Traub
Parteien
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer,
gegen
H.________, 1996, Beschwerdegegnerin, handelnd durch ihre Eltern und diese vertreten durch den Rechtsdienst für Behinderte, Bürglistrasse 11, 8002 Zürich,
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 13. März 2003)
Sachverhalt:
A.
Die am 23. Juni 1996 geborene H.________ ist von einer Trisomie 21 (Down-Syndrom) betroffen. Die Invalidenversicherung sprach ihr Leistungen für pädagogisch-therapeutische und medizinische Massnahmen, eine heilpädagogische Früherziehung und für eine Sprachheilbehandlung als Sonderschulmassnahme zu, richtete Pflegebeiträge aus und gewährte Kostenbeiträge an die heilpädagogische Sonderschule. Die behandelnde Logopädin ersuchte die IV-Stelle Zürich am 18. Februar 2002 um Abgabe eines "B.A.Bar"-Geräts zuhanden der Versicherten. Die IV-Stelle lehnte den Anspruch mit Verfügung vom 15. Mai 2002 ab.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich gut, indem es feststellte, die Beschwerdeführerin habe Anspruch auf Kostengutsprache für das Kommunikationsmittel B.A.Bar (Entscheid vom 13. März 2003).
C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die strittige Verfügung zu bestätigen.
Die Beschwerdegegnerin lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Die IV-Stelle beantragt deren Gutheissung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Invalidenversicherung geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: vom 15. Mai 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar (BGE 129 V 4 Erw. 1.2). Entsprechendes gilt für die auf den 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Bestimmungen gemäss der Änderung des IVG vom 21. März 2003 (4. IVG-Revision).
2.
Zu beurteilen ist, ob ein Anspruch auf Abgabe des B.A.Bar-Gerätes durch die Invalidenversicherung besteht. Der Apparat kommt unter anderem bei Personen mit Autismus, Trisomie 21 und gewissen Sprachstörungen (so bei Aphasie) zum Einsatz. Nach Angaben der Stiftung für elektronische Hilfsmittel (Fondation Suisse pour les Téléthèses, FST) schafft das Gerät eine Verbindung zwischen einem auf einer Klebeetikette befindlichen Strichcode, der auf jeden beliebigen Gegenstand angebracht werden kann, und einer digitalen Tonaufnahme. Die beliebig repetierbare Wiedergabe ermögliche es, die pädagogisch-therapeutische Tätigkeit einer Fachperson selbständig oder unter Anleitung von Angehörigen fortzusetzen.
Im bisherigen Verfahren wurde der strittige Anspruch unter dem Rechtstitel der Abgabe von Hilfsmitteln (Art. 21

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat die einschlägigen Bestimmungen über die Abgabe von Hilfsmitteln (Art. 21 Abs. 2


3.2 Praxisgemäss ist unter einem Hilfsmittel im Sinne des IVG ein Gegenstand zu verstehen, dessen Gebrauch den Ausfall gewisser Teile oder Funktionen des menschlichen Körpers zu ersetzen vermag (BGE 115 V 194 Erw. 2c). Beim Einsatz des B.A.Bar-Kommunikationsgeräts geht es nicht hauptsächlich darum, ein behinderungsbedingt bleibendes Defizit auszugleichen; vielmehr soll der wegen Trisomie 21 erschwerte - insbesondere verzögerte - Prozess des Spracherwerbs begünstigt werden. Diese Anwendung ist nicht mit dem beschriebenen Begriff des Hilfsmittels zu vereinbaren. Damit ist freilich nicht ausgeschlossen, dass im Zusammenhang mit anderen Indikationen dasselbe Gerät den Hilfsmittelcharakter durchaus erfüllen kann. Auch ist nicht zu verkennen, dass die spätere Ausübung des Kontaktes mit der Umwelt massgeblich von einer rechtzeitigen Förderung der kommunikativen Fertigkeiten beeinflusst wird. Obwohl derartige Vorkehren nicht als Hilfsmittel im Sinne des Gesetzes gelten, erweist sich der Leistungskatalog nicht als lückenhaft; die Massnahmen für die Sonderschulung (Art. 19


3.3 In der Beschwerdeantwort wird vorgebracht, das B.A.Bar-Gerät werde nicht allein zu Lernzwecken, sondern auch zur Überbrückung von behinderungsbedingten Lücken im Ausdrucksvermögen und zur Umsetzung von Mitteilungsbedürfnissen eingesetzt.
3.3.1 Selbst eine solche zusätzliche Funktion des Gerätes führt aber nicht ohne weiteres zum Schluss, damit sei unter dem Rechtstitel des Hilfsmittels ein Anspruch begründet. Dieser erstreckt sich nur auf Vorkehren, die für den Kontakt mit der Umwelt notwendig sind (Art. 2 Abs. 1


3.3.2 Der Einsatz des hier beantragten Geräts erscheint im Zusammenhang mit der Kontaktnahme mit der Umwelt zwar als wünschenswertes, weil nützliches, Mittel. Im Rahmen dieser Zielsetzung ist es aber bei einem Kind, das wegen Trisomie 21 im Vergleich mit nichtbehinderten Altersgenossen einen Entwicklungsrückstand hinsichtlich Wortschatz und Artikulationsfähigkeit aufweist, nicht im Sinne der anwendbaren Bestimmungen notwendig: Auch nichtbehinderte Kleinkinder haben bloss beschränkte verbale Möglichkeiten zur Kommunikation. Die Auseinandersetzung mit der Umwelt erfolgt - gerade bei kleinen Kindern - nicht allein auf der verbalen Ebene. Die Sprache ist hierzu nur ein, wenn auch ein wichtiges, Mittel. Hinzu kommt, dass mit dem beantragten Gerät nur vordefinierte und eigens programmierte Wörter und Sätze wiedergegeben werden können. Die Kontaktherstellung mit der Umwelt und damit der Eingliederungserfolg bedingt aber eine Form der Kommunikation, die es dem Kind ermöglicht, sich spontan und situationsbezogen auszudrücken. Das B.A.Bar-Gerät ist zufolge der in Erw. 2 hievor beschriebenen Einsatzmöglichkeiten zwar ein geeignetes Instrument, um gewisse standardisierte Informationen zum Ausdruck zu bringen. Ganz im Vordergrund steht jedoch
die Verfestigung logopädisch vermittelter (Wort-)Kenntnisse und Fähigkeiten; das Gerät erweist sich damit als sinnvolle Ergänzung zu therapeutischen Anstrengungen. Dagegen kommt ihm bei der eigentlichen Kommunikation im Alltag keine wesentliche selbständige Bedeutung zu. Wichtige Aspekte kommunikativer Fähigkeiten - so die assoziative Verknüpfung von Begriffen - können nur mit Hilfe einer Betreuungsperson erschlossen werden. Dasselbe gilt auch für die Vermittlung der emotionalen Dimension einer Mitteilung, deren Bedeutung für die Speicherung der entsprechenden Wörter und Wendungen nicht zu unterschätzen ist. Fördernde und motivierende Elemente wie Anerkennung und Bestätigung können ebenfalls nur im Rahmen unvermittelter zwischenmenschlicher Auseinandersetzung zum Tragen kommen. Auf diesem Weg besteht am ehesten Gewähr, dass sich beim Kind wegen der behinderungsbedingt eingeschränkten Möglichkeiten der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit nicht Frustrationen einstellen, die zu einer Rückzugstendenz führen könnten. Angesichts der grossen Bedeutung unmittelbarer Zuwendung ist schliesslich die immanente Gefahr eines allzu starken Abstellens auf mechanisierte, statische Kommunikationsformen mitsamt den sich daraus möglicherweise ergebenden
kontraproduktiven Effekten im Auge zu behalten.
4.
Erfüllt der Behelf nach dem Gesagten den Hilfsmittelbegriff nicht, so bleibt zu prüfen, ob im Rahmen medizinischer Massnahmen nach Art. 12

4.1 Bei Trisomie 21 handelt es sich nicht um ein in der Verordnung über Geburtsgebrechen (GgV) aufgeführtes Leiden, denn die zugrunde liegende chromosomale Irregularität ist als solche nicht behandelbar. Eine Übernahme nach Art. 13

4.2 Nach Art. 12


Vom strikten Erfordernis der Korrektur stabiler Funktionsausfälle oder Defekte ist im Falle von Minderjährigen gegebenenfalls abzusehen (vgl. Art. 5 Abs. 2


4.3 Vorliegend indes fällt ein Anspruch nach Art. 12




5.
Art. 19


5.1 Zur Sonderschulung gehört die eigentliche Schulausbildung sowie, falls ein Unterricht in den Elementarfächern nicht oder nur beschränkt möglich ist, die Förderung in manuellen Belangen, in den Verrichtungen des täglichen Lebens und der Fähigkeit des Kontaktes mit der Umwelt (Art. 19 Abs. 1

Nach Art. 19 Abs. 3




5.2 Nach der Rechtsprechung sind heilpädagogische Massnahmen bei Trisomie 21 unabhängig von einem Mindestalter ab jenem Zeitpunkt zu gewähren, in dem angenommen werden kann, dass sie im Einzelfall nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis eine angemessene Förderung des Behinderten nach der Zielsetzung der Sonderschulung erwarten lassen. Aufgrund der vergleichbaren Natur der medizinischen und pädagogisch-therapeutischen Massnahmen ist Art. 2 Abs. 1

Auswirkungen der Invalidität zu mildern oder zu beseitigen. Wie die in Art. 19 Abs. 2 lit. c

5.3 Fraglich ist, ob eine Apparatur wie das hier beantragte B.A.Bar-Gerät in grundsätzlicher Weise unter den Begriff der pädagogisch-therapeutischen Massnahmen gefasst werden darf.
5.3.1 Die mit Bezug auf medizinische Massnahmen für Minderjährige (nach Art. 13


5.3.2 Vorliegend wird das B.A.Bar-Gerät im Rahmen einer logopädischen Behandlung verwendet, so dass es grundsätzlich in den Kreis der pädagogisch-therapeutischen Massnahmen zu fallen vermag.
5.4 Was den (rechtzeitigen) Erwerb des sprachlichen Rüstzeuges angeht, so ist dieser für die Eingliederungszwecke der Invalidenversicherung, namentlich für die soziale Kontaktfähigkeit schlechthin und jede spätere Schulung, von grundlegender Bedeutung. Vermutungsweise ist die Wirkung einer Massnahme umso nachhaltiger, je früher sie einsetzt. Auch ist in Betracht zu ziehen, dass ein beschleunigter Abbau des behinderungsbedingten Rückstandes in der sprachlichen Entwicklung zu einer besseren Ausschöpfung des anlagemässig vorhandenen Bildungspotentials führen kann (vgl. ZAK 1989 S. 43). Die Ergebnisse einer von der FST im Juni 2001 durchgeführten Evaluation des B.A.Bar-Geräts bringen die im Versuchszeitraum bei 93 % der Kinder mit Trisomie 21 verzeichnete spürbare Verbesserung der Aussprache mit der "Echofunktion" des Apparats in Verbindung. Zudem weisen die Resultate auf mögliche Zusammenhänge zwischen der Förderung kommunikativer Fähigkeiten und einer Verbesserung des Verhaltens hin.
Nach dem Gesagten ist nicht auszuschliessen, dass das beantragte Gerät mit der Zielsetzung des Spracherwerbs und -aufbaus eine Massnahme nach Art. 19


5.5
5.5.1 Im bisherigen Verfahren wurde der strittige Anspruch nicht unter dem Titel des Art. 19


5.5.2 Massgebend für diesen Entscheid wird namentlich auch das Kriterium des pädagogischen Wissenschaftlichkeitsbegriffs sein. Ferner ist die Notwendigkeit einer entsprechenden Vorkehr abzuklären; in Erw. 3.3.2 hievor wurde zwar festgestellt, die Abgabe eines B.A.Bar-Geräts erweise sich, soweit geltend gemacht werde, die Versicherte sei zur Pflege des täglichen Kontakts mit der Umwelt auf ein solches Hilfsmittel angewiesen, nicht als notwendig im Sinne von Art. 2 Abs. 1

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 13. März 2003 und die Verfügung der IV-Stelle Zürich vom 15. Mai 2002 aufgehoben werden und die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch neu verfüge.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die IV-Stelle hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und der IV-Stelle Zürich zugestellt.
Luzern, 6. Oktober 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: