Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1B 236/2017
Urteil vom 6. Juli 2017
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Störi.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Pablo Bünger,
gegen
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl,
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8036 Zürich.
Gegenstand
Aufhebung der Sicherheitshaft,
Beschwerde gegen den Beschluss vom 11. Mai 2017 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer.
Sachverhalt:
A.
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte A.________ am 22. März 2017 wegen Erpressung, ungetreuer Geschäftsbesorgung, Geldwäscherei, mehrfacher grober sowie einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren, einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 400.--. Das Bezirksgericht eröffnete das Urteil am 5. April 2017 mündlich und versetzte A.________ anschliessend in Sicherheitshaft. Dieser hat gegen seine Verurteilung Berufung angemeldet.
Am 7. April 2017 stellte A.________ ein Haftentlassungsgesuch. Das Bezirksgericht wies es am 10. April 2017 ab und leitete es dem Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich zum Entscheid weiter, welches das Gesuch am 20. April 2017 abwies.
Am 11. Mai 2017 wies das Obergericht des Kantons Zürich die Beschwerde von A.________ gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts ab.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, diesen Entscheid des Obergerichts aufzuheben und ihn - allenfalls unter Anordnung von Ersatzmassnahmen - aus der Sicherheitshaft zu entlassen oder eventuell die Sache ans Obergericht zu neuer Entscheidung zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verteidigung.
C.
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht verzichten auf Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Haftentscheid des Obergerichts. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 78 Grundsatz - 1 Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen. |
|
a | Zivilansprüche, wenn diese zusammen mit der Strafsache zu behandeln sind; |
b | den Vollzug von Strafen und Massnahmen. |

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 81 Beschwerderecht - 1 Zur Beschwerde in Strafsachen ist berechtigt, wer: |
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a | vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat; und |
b | ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, insbesondere: |
b1 | die beschuldigte Person, |
b2 | ihr gesetzlicher Vertreter oder ihre gesetzliche Vertreterin, |
b3 | die Staatsanwaltschaft, ausser bei Entscheiden über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft, |
b4 | ... |
b5 | die Privatklägerschaft, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann, |
b6 | die Person, die den Strafantrag stellt, soweit es um das Strafantragsrecht als solches geht, |
b7 | die Staatsanwaltschaft des Bundes und die beteiligte Verwaltung in Verwaltungsstrafsachen nach dem Bundesgesetz vom 22. März 197456 über das Verwaltungsstrafrecht. |

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von: |
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a | Bundesrecht; |
b | Völkerrecht; |
c | kantonalen verfassungsmässigen Rechten; |
d | kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen; |
e | interkantonalem Recht. |
2.
Sicherheitshaft kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein dringender Tatverdacht in Bezug auf ein Verbrechen oder Vergehen sowie Fluchtgefahr besteht (Art. 221 Abs. 1

SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 221 Voraussetzungen - 1 Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie: |
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a | die beschuldigte Person dringend verdächtig ist, durch ein Verbrechen oder ein schweres Vergehen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer Person schwer beeinträchtigt zu haben; und |
b | die ernsthafte und unmittelbare Gefahr besteht, die beschuldigte Person werde ein gleichartiges, schweres Verbrechen verüben.113 |
c | durch Verbrechen oder schwere Vergehen die Sicherheit anderer unmittelbar erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat. |
2.1. Der Beschwerdeführer wurde erstinstanzlich u.a. der Erpressung (Art. 156 Ziff. 1

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 156 - 1. Wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selber oder einen andern am Vermögen schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 158 - 1. Wer aufgrund des Gesetzes, eines behördlichen Auftrages oder eines Rechtsgeschäfts damit betraut ist, Vermögen eines andern zu verwalten oder eine solche Vermögensverwaltung zu beaufsichtigen, und dabei unter Verletzung seiner Pflichten bewirkt oder zulässt, dass der andere am Vermögen geschädigt wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 158 - 1. Wer aufgrund des Gesetzes, eines behördlichen Auftrages oder eines Rechtsgeschäfts damit betraut ist, Vermögen eines andern zu verwalten oder eine solche Vermögensverwaltung zu beaufsichtigen, und dabei unter Verletzung seiner Pflichten bewirkt oder zulässt, dass der andere am Vermögen geschädigt wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 305bis - 1. Wer eine Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln, die, wie er weiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen oder aus einem qualifizierten Steuervergehen herrühren, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.402 |
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a | als Mitglied einer kriminellen oder terroristischen Organisation (Art. 260ter) handelt; |
b | als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Ausübung der Geldwäscherei zusammengefunden hat; |
c | durch gewerbsmässige Geldwäscherei einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt. |

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |
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a | mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt; |
b | mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt; |
c | mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt; |
d | mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.238 |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 10 - 1 Dieses Gesetz unterscheidet die Verbrechen von den Vergehen nach der Schwere der Strafen, mit der die Taten bedroht sind. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 10 - 1 Dieses Gesetz unterscheidet die Verbrechen von den Vergehen nach der Schwere der Strafen, mit der die Taten bedroht sind. |
2.2. Für die Annahme von Fluchtgefahr genügt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe für sich allein nicht. Eine solche darf nicht schon angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr müssen konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsachen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a; 117 Ia 69 E. 4a; 108 Ia 64 E. 3; 107 Ia 3 E. 6).
2.3. Mit der erstinstanzlichen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren hat sich die Hoffnung des Beschwerdeführers, in wesentlichen Punkten freigesprochen zu werden und damit, trotz des Antrags der Staatsanwältin von 5 Jahren Freiheitsstrafe, glimpflich davonzukommen, vorerst zerschlagen. Er muss vielmehr ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen, dass auch die Berufungsinstanz die Sache gleich oder ähnlich beurteilt wie die erste Instanz und ihm dementsprechend ein mehrjähriger Strafvollzug bevorsteht. Das stellt fraglos einen erheblichen Fluchtanreiz dar, und die Auffassung des Obergerichts ist nicht zu beanstanden, dass dieser vor dem erstinstanzlichen Urteil, als der Beschwerdeführer auf einen Freispruch hoffen konnte, geringer war und er auch ein ureigenes Interesse daran hatte, an der Hauptverhandlung teilzunehmen und seinen Standpunkt zu vertreten.
2.4. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz gut verankert bzw. fest etabliert ist: Er wurde in Deutschland geboren, kam im Alter von 3 Jahren in die Schweiz, hat hier die kaufmännische Lehre gemacht und bei verschiedenen Firmen als Buchhalter und EDV-Verantwortlicher gearbeitet. Er hat hier ein Haus gekauft und seine beiden erwachsenen Töchter sowie seine Mutter und sein Bruder leben hier.
Das wirtschaftliche Fortkommen des Beschwerdeführers in der Schweiz erscheint allerdings unsicher. Er war zuletzt vor seiner Verhaftung selbständig als Buchhalter und EDV-Berater tätig und verdiente nach eigenen Angaben zwischen 4'000 und 5'000.- Franken pro Monat. Vermögen hat er nicht, sondern hohe Schulden: Laut erstinstanzlichem Urteil schuldet er dem Staat 1.3 Mio Franken und der Privatklägerschaft 1.8 Mio Franken. Der Beschwerdeführer könnte daher durchaus ernsthaft versucht sein, sich diesen Verbindlichkeiten (und der weiteren Strafverfolgung) durch Flucht zu entziehen. Dies umso mehr, als er sich auch schon im Ausland aufgehalten hat, seine Freundin in Brasilien lebt und seine Erwerbstätigkeit als Buchhalter und EDV-Berater nicht an die Schweiz gebunden ist. Denkbar wäre auch eine Flucht nach Deutschland, wo er sich als deutsch-schweizerischer Doppelbürger vor einer Auslieferung sicher fühlen könnte. Dazu kommt, dass er über den Verbleib der nach Auffassung des Bezirksgerichts deliktisch erworbenen Vermögenswerte von 1.8 Mio Franken keine Auskunft geben will, sodass damit zu rechnen ist, dass er darauf Zugriff hat und sie zum Aufbau einer neuen Existenz verwenden könnte. Die Beurteilung des Obergerichts, dass unter diesen
Umständen Fluchtgefahr besteht, ist keineswegs bundesrechtswidrig, sondern drängt sich geradezu auf.
Ebenfalls zutreffend ist die obergerichtliche Einschätzung, dass die Fluchtgefahr nur durch Sicherheitshaft gebannt werden kann und mildere Ersatzmassnahmen, wie etwa eine Schriftensperre, eine Flucht nicht verhindern könnten. Die Ausreise in ein Nachbarland - z.B. Deutschland - ist ohne Papiere einfach zu bewerkstelligen und wäre auch mit einer elektronischen Fussfessel möglich. Die Schweizer Behörden könnten zudem die Ausstellung von deutschen Reisepapieren nicht verhindern. Die Anordnung von Sicherheitshaft ist somit auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit nicht zu beanstanden.
3.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 64 Unentgeltliche Rechtspflege - 1 Das Bundesgericht befreit eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. |

SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 64 Unentgeltliche Rechtspflege - 1 Das Bundesgericht befreit eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. Juli 2017
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Merkli
Der Gerichtsschreiber: Störi