1C_292/2010
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1C 292/2010
Urteil vom 5. August 2010
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Christen.
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Tschaggelar,
gegen
Bundesamt für Migration, Sektion Bürgerrecht, Quellenweg 6, 3003 Bern.
Gegenstand
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung,
Beschwerde gegen das Urteil vom 11. Mai 2010
des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III.
Sachverhalt:
A.
X.________ stammt aus der Türkei. Am 14. Juli 1982 heiratete er eine Schweizer Bürgerin. Mit ihr hat er eine am 10. März 1981 geborene Tochter. Seine Einbürgerungsgesuche aus den Jahren 1992, 1995 und 1997 wurden abgewiesen. Am 30. November 2001 ersuchte er erneut um erleichterte Einbürgerung.
Die Ehegatten unterzeichneten am 2. September 2003 eine Erklärung, wonach sie in einer tatsächlichen, ungetrennten, stabilen ehelichen Gemeinschaft an derselben Adresse zusammen leben und weder Trennungs- noch Scheidungsabsichten bestehen. Sie nahmen zur Kenntnis, dass die erleichterte Einbürgerung nicht möglich ist, wenn vor oder während des Einbürgerungsverfahrens einer der Ehegatten die Trennung oder Scheidung beantragt oder keine tatsächliche eheliche Gemeinschaft mehr besteht.
X.________ wurde am 16. Oktober 2003 erleichtert eingebürgert und erwarb das Schweizer Bürgerrecht.
B.
Während der Ehe mit der Schweizer Bürgerin zeugte er mit einer türkischen Staatsangehörigen drei Töchter (geb. 1996, 1998 und 2004). Im Jahr 2008 leiteten die Ehegatten das Scheidungsverfahren ein. Am 1. Juni 2009 heiratete X.________ in der Türkei die Mutter seiner drei ausserehelichen Töchter.
C.
Das Bundesamt für Migration teilte X.________ am 23. Mai 2008 mit, es erwäge die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung.
Mit Verfügung vom 15. Oktober 2008 erklärte es die erleichterte Einbürgerung für nichtig.
Gegen die Verfügung des Bundesamtes führte X.________ Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht, welches diese mit Urteil vom 11. Mai 2010 abwies.
D.
X.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt die Aufhebung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts und der Verfügung des Bundesamtes. Von der Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung sei abzusehen und der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt beantragt unter Verzicht auf eine Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.
E.
Mit Verfügung vom 6. Juli 2010 hat der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Erwägungen:
1.
1.1 Gemäss Art. 82 lit. a


1.2 Vorinstanz ist das Bundesverwaltungsgericht. Gegen dessen Urteil ist die Beschwerde zulässig (Art. 86 Abs. 1 lit. a

Auf den Antrag auf Aufhebung der Verfügung des Bundesamtes ist nicht einzutreten, da dessen Verfügung durch das Urteil der Vorinstanz ersetzt worden ist (Devolutiveffekt) und als inhaltlich mitangefochten gilt (BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144 mit Hinweis).
1.3 Der Beschwerdeführer hat sich am Verfahren vor der Vorinstanz beteiligt und ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1

1.4 Das angefochtene Urteil schliesst das Verfahren ab. Es handelt sich um einen Endentscheid, gegen welchen die Beschwerde gemäss Art. 90

2.
Soweit der Beschwerdeführer die offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts rügt, genügen seine Ausführungen den Anforderungen an die Begründungspflicht nicht (Art. 106 Abs. 2

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Ehegatten seien nie persönlich, sondern nur schriftlich zur Sache befragt worden.
3.2 Das Verfahren betreffend Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung richtet sich grundsätzlich nach dem Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021; Art. 51 Abs. 1







Bezüglich der Würdigung der erhobenen Beweise gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 19


3.3 Das Bundesamt informierte den Beschwerdeführer über die Eröffnung des Verfahrens, forderte ihn zur Stellungnahme auf und unterbreitete ihm einen Fragenkatalog. Der Beschwerdeführer äusserte sich schriftlich. Die frühere Ehefrau des Beschwerdeführers beantwortete zwei Fragenkataloge schriftlich. Der Beschwerdeführer verzichtete auf Bemerkungen dazu.
Die Vorinstanz hat die schriftlichen Auskünfte der früheren Ehefrau gewürdigt. Diese spreche sich zwar zugunsten des Beschwerdeführers aus. Es sei aber davon auszugehen, dass in der ursprünglich intakten Ehe der Ehewille dahingefallen sei, zwischen den Ehegatten jedoch Einvernehmen darüber bestanden habe, die Ehe weiterzuführen, um dem Beschwerdeführer die Möglichkeit der erleichterten Einbürgerung nicht zu nehmen. Die schriftlichen Aussagen der früheren Ehefrau bestärkten den Eindruck, dass sie sich mit der Situation abgefunden habe und die Ehe im Laufe der Zeit zu einer einvernehmlichen Zweckbeziehung geworden sei (angefochtenes Urteil E. 8.4).
Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, inwiefern die persönliche Befragung der Ehegatten zu neuen sachdienlichen Feststellungen führen soll. Dazu äussert sich der Beschwerdeführer nicht. Das Vorgehen der Vorinstanzen verletzt demnach kein Bundesrecht. Die Beschwerde ist insofern abzuweisen.
4.
4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei 26 Jahre mit der Schweizer Bürgerin verheiratet gewesen. Art. 27


Einbürgerungsbehörde von zwei ausserehelichen Kindern Kenntnis gehabt habe, sei die erleichterte Einbürgerung bewilligt worden. Die Nichtigerklärung sei eine einschneidende Massnahme, die auf Verfehlungen des Ausländers beruhen müsse. Der Beschwerdeführer habe sich aber ausnahmslos korrekt verhalten.
4.2 Nach Art. 27 Abs. 1

Nach Art. 41 Abs. 1

In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat die Behörde von Amtes wegen zu untersuchen, ob die Ehe im massgeblichen Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und der Einbürgerung tatsächlich gelebt wurde (Art. 12

oder die betroffene Person kann darlegen, aus welchem Grund sie die Schwere der ehelichen Probleme nicht erkannte und im Zeitpunkt, als sie die Erklärung unterzeichnete, den wirklichen Willen hatte, mit dem Schweizer Ehepartner auch weiterhin in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft zu leben (BGE 135 II 161 E. 3 S. 166 mit Hinweisen).
4.3
4.3.1 Die Tochter des Beschwerdeführers und seiner 19 ½ Jahre älteren schweizerischen Ehefrau kam im März 1981 zur Welt. Nachdem diese bis im November 1981 mit einem Schweizer verheiratet war, heiratete sie den Beschwerdeführer im Juli 1982. Ein erstes Einbürgerungsgesuch des Beschwerdeführers wurde 1992 abgewiesen. Im Jahr 1994 begann er in seinem Herkunftsland (Türkei) ein Verhältnis mit einer 14 Jahre jüngeren türkischen Staatsangehörigen. 1996 wurde sein zweites Einbürgerungsgesuch abgewiesen, weil er vorgehabt habe, nach der Einbürgerung definitiv in sein Herkunftsland zurückzukehren. Seine Ehefrau und das gemeinsame Kind wären in der Schweiz geblieben. Im gleichen Jahr (1996) entsprang dem Verhältnis mit der türkischen Staatsangehörigen die erste aussereheliche Tochter. Ein 1997 gestelltes Einbürgerungsgesuch blieb erfolglos. Mit der türkischen Staatsangehörigen zeugte der Beschwerdeführer in der Folge zwei weitere aussereheliche Töchter (geb. 1998 und 2004). Im Jahr 2001 ersuchte er um erleichterte Einbürgerung. Die Ehegatten gaben gegenüber den Einbürgerungsbehörden im September 2003 die Erklärung zum Zustand der Ehe ab. Da die letzte der drei ausserehelichen Töchter im Mai 2004 zur Welt kam, wurde sie kurz nach dieser
Erklärung gezeugt. Über das Verhältnis des Beschwerdeführers zur türkischen Staatsangehörigen war seine schweizerische Ehefrau seit 1994 informiert. Von den ausserehelichen Töchtern erfuhr sie jeweils kurz nach deren Geburt. Sie hat wegen der gemeinsamen Tochter nicht darauf reagiert. Die drei ausserehelichen Töchter wohnten zusammen mit ihrer Mutter bei den Eltern des Beschwerdeführers in der Türkei, welchen er dafür Geld gab. Der Beschwerdeführer besuchte die ausserehelichen Kinder regelmässig ("z.B. jedes Quartal"), allerdings nie in Begleitung seiner schweizerischen Ehefrau. Im Jahr 2008 leiteten die Ehegatten das Scheidungsverfahren ein. Der Beschwerdeführer heiratete am 1. Juni 2009 in der Türkei die Mutter seiner drei ausserehelichen Töchter.
4.3.2 Aufgrund dieser Umstände ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer ein Doppelleben führte. Den Ehegatten ist es nicht verwehrt, ihre Ehe in jeglicher Hinsicht offen zu gestalten. Die erleichterte Einbürgerung setzt indessen nicht nur das formelle Bestehen einer Ehe voraus, sondern das Vorliegen einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft. Der Gesetzgeber wollte dem ausländischen Ehegatten einer Schweizer Bürgerin die erleichterte Einbürgerung ermöglichen, um die Einheit des Bürgerrechts der Ehegatten im Hinblick auf ihre gemeinsame Zukunft zu fördern (BGE 135 II 161 E. 2 S. 165). Das Zeugen von drei ausserehelichen Kindern mit derselben Frau, mit welcher der Beschwerdeführer während seiner Ehe über Jahre hinweg eine aussereheliche Beziehung pflegte, spricht gegen einen intakten Willen zu einer stabilen ehelichen Gemeinschaft mit der schweizerischen Ehefrau. Der Beschwerdeführer hat sich in seinem Herkunftsland eine Zweitfamilie aufgebaut, indem er nicht nur die ausserehelichen Kinder, sondern auch deren Mutter bei seinen Eltern unterbrachte und sie finanziell unterstützte. Zusammen mit dem Aussageverhalten der früheren Ehefrau und dem grossen Altersunterschied zwischen ihr und dem Beschwerdeführer ergibt
sich, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, die tatsächliche Vermutung, dass der Wille zu einer stabilen ehelichen Gemeinschaft im Zeitpunkt der Einbürgerung nicht mehr intakt war. Dass die Einbürgerungsbehörde im Zeitpunkt der Einbürgerung von zwei ausserehelichen Kindern Kenntnis hatte, ändert daran nichts. Es ist zulässig von später bekannt werdenden Umständen auf die Qualität der früheren ehelichen Gemeinschaft zu schliessen. Unter diesem Gesichtswinkel können auch Umstände, die im Zusammenhang mit der Einbürgerung geprüft worden sind, in neuem Licht erscheinen. Insoweit darf aufgrund von bekannten Tatsachen als Vermutungsbasis auf unbekannte Tatsachen als Vermutungsfolge geschlossen werden. Ein solcher Schluss kann umgestossen werden, wenn plausible Gründe für die frühere Stabilität angegeben oder ausserordentliche, zum raschen Zerfall der Ehe führende Ereignisse genannt werden können. Dem Beschwerdeführer gelingt dies nicht.
Zwar war der Beschwerdeführer während 26 Jahren mit der Schweizer Bürgerin verheiratet, doch sagt dies nichts über die Qualität der Ehe im Zeitpunkt der Einbürgerung aus. Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie aufgrund der gegebenen Umstände davon ausgeht, dass der Ehewille in der ursprünglich intakten Ehe dahingefallen ist.
Das Bundesamt hatte im Zeitpunkt der Einbürgerung keine Kenntnis von der ausserehelichen Beziehung des Beschwerdeführers. Es ist unbehelflich, wenn der Beschwerdeführer vorbringt, er habe im Zeitpunkt der Einbürgerung von der Schwangerschaft keine Kenntnis gehabt und die dritte aussereheliche Tochter sei erst nach der Einbürgerung zur Welt gekommen. Massgebend ist nicht, dass er während des Einbürgerungsverfahrens ein aussereheliches Kind zeugte, sondern dass er in seinem Herkunftsland eine Zweitbeziehung führte. Unbehelflich ist auch der Einwand, der Beschwerdeführer habe sich ausnahmslos korrekt verhalten. Die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung setzt kein strafrechtliches, sondern ein unlauteres und täuschendes Verhalten voraus (BGE 135 II 161 E. 2 S. 165). Der Beschwerdeführer hätte die Einbürgerungsbehörde über seine aussereheliche Beziehung informieren müssen. Dass diese Tatsache erheblich war, musste ihm spätestens nach seinem zweiten erfolglosen Einbürgerungsgesuch bewusst sein. Indem er die Einbürgerungsbehörde nicht informierte, hat er die erleichterte Einbürgerung erschlichen.
5.
5.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er lebe seit 31 Jahren in der Schweiz. Ihm habe auch die ordentliche Einbürgerung offen gestanden. Im Ergebnis werde er schlechter gestellt als ein Ausländer, der das Bürgerrecht auf dem ordentlichen Weg erlange.
5.2 Die Möglichkeit einer ordentlichen Einbürgerung nach Art. 12 ff

6.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1

Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Migration und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. August 2010
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
Aemisegger Christen