Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung VI
F-4872/2020
Urteil vom 5. November 2020
Einzelrichterin Regula Schenker Senn,
Besetzung mit Zustimmung von Richterin Contessina Theis;
Gerichtsschreiberin Christa Preisig.
1. A._______, geboren am (...),
2. B._______, geboren am (...),
Parteien 3. C._______, geboren am (...),
Nigeria,
Beschwerdeführende,
gegen
Staatssekretariat für Migration SEM,
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren);
Gegenstand
Verfügung des SEM vom 23. September 2020 / (...).
Sachverhalt:
A.
Die Beschwerdeführenden (Mutter, Tochter und Sohn) ersuchten am 4 Juli 2020 in der Schweiz um Asyl. Ein Abgleich ihrer Fingerabdrücke mit der «Eurodac»-Datenbank ergab, dass sie am 28. August 2015 in Italien ein Asylgesuch gestellt hatten (Akten der Vorinstanz [SEM-act.] 8). Das SEM gewährte den Beschwerdeführerinnen 1 und 2 gestützt auf diese Abklärungen am 14. Juli 2020 das rechtliche Gehör zu einem allfälligen Nichteintretensentscheid und der Möglichkeit der Überstellung nach Italien, dessen Zuständigkeit für die Behandlung des Asylgesuchs grundsätzlich in Frage komme. Die Beschwerdeführerin 1 gab zu Protokoll, sie seien in den fünf in Italien verbrachten Jahren von Camp zu Camp gebracht worden und hätten dort viele Probleme gehabt. Sie seien schlecht behandelt und ihre Kinder seien in der Schule diskriminiert worden. Als die Pandemie begonnen habe, hätte man ihnen einen Monat Zeit gegeben, das Asylheim zu verlassen. Es gehe ihr nicht gut. Sie leide an Myomen und habe Ohrenschmerzen, Augen- und Rückenprobleme und Bluthochdruck. Ihre Tochter habe Menstruationsbeschwerden und ihr Sohn Ohrenprobleme (SEM-act. 24). Die Beschwerdeführerin 2 sagte aus, sie hätten in Italien keine Bleibe mehr gehabt. Sie und ihr Bruder seien diskriminiert worden. Sie hätten jeweils abgelaufenes Essen erhalten. Ihre Mutter sei krank und habe trotzdem arbeiten müssen, weshalb ihr Bruder und sie selbst jeweils eingesprungen seien (SEM-act. 26).
B.
Am 23. Juli 2020 respektive am 29. Juli 2020 ersuchte die Vorinstanz Italien um Übernahme der Beschwerdeführenden (SEM-act. 30; 32). Die italienischen Behörden reagierten nicht innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist von Art. 25 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO). Sie stimmten den Ersuchen jedoch am 16. September 2020 gemäss Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO nachträglich zu (SEM-act. 36).
C.
Mit Verfügung vom 23. September 2020 (eröffnet am 25. September 2020) trat das SEM auf die Asylgesuche der Beschwerdeführenden nicht ein, verfügte deren Überstellung nach Italien und forderte sie auf, die Schweiz am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu verlassen. Gleichzeitig verfügte es die Aushändigung der editionspflichtigen Akten und stellte fest, einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid komme keine aufschiebende Wirkung zu (SEM-act. 43).
D.
Am 25. September 2020 beendete die den Beschwerdeführenden für das Asylverfahren zugeteilte bisherige Rechtsvertreterin das Mandatsverhältnis (SEM-act. 44).
E.
Mit Beschwerde vom 1. Oktober 2020 gelangten die Beschwerdeführenden an das Bundesverwaltungsgericht. Sie beantragten sinngemäss die Prüfung ihrer Asylgesuche in der Schweiz und das Absehen von einer Überstellung nach Italien (Akten des Bundesverwaltungsgerichts [BVGer-act.] 1).
F.
Am 2. Oktober 2020 ordnete die Instruktionsrichterin einen superprovisorischen Vollzugsstopp an (BVGer-act. 2).
G.
Mit Zwischenverfügung vom 6. Oktober 2020 gewährte die Instruktionsrichterin der Beschwerde die aufschiebende Wirkung und forderte die Vorinstanz zur Einreichung einer Vernehmlassung auf (BVGer-act. 3).
H.
Am 21. Oktober 2020 reichte die Vorinstanz eine Vernehmlassung zu den Akten (BVGer-act. 5), welche den Beschwerdeführenden zusammen mit vorliegendem Urteil zur Kenntnis gebracht wird.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG (SR 142.31) nichts anderes bestimmt (Art. 37

SR 173.32 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG) - Verwaltungsgerichtsgesetz VGG Art. 37 Grundsatz - Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG56, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. |

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 6 Verfahrensgrundsätze - Verfahren richten sich nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 196810 (VwVG), dem Verwaltungsgerichtsgesetz vom 17. Juni 200511 und dem Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 200512, soweit das vorliegende Gesetz nichts anderes bestimmt. |
1.2 Die Beschwerde ist zulässig (Art. 105

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 105 Beschwerde gegen Verfügungen des SEM - Gegen Verfügungen des SEM kann nach Massgabe des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005361 Beschwerde geführt werden. |

SR 173.32 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG) - Verwaltungsgerichtsgesetz VGG Art. 31 Grundsatz - Das Bundesverwaltungsgericht beurteilt Beschwerden gegen Verfügungen nach Artikel 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 196819 über das Verwaltungsverfahren (VwVG). |

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 48 - 1 Zur Beschwerde ist berechtigt, wer: |
|
1 | Zur Beschwerde ist berechtigt, wer: |
a | vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat; |
b | durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist; und |
c | ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. |
2 | Zur Beschwerde berechtigt sind ferner Personen, Organisationen und Behörden, denen ein anderes Bundesgesetz dieses Recht einräumt. |

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 108 Beschwerdefristen - 1 Im beschleunigten Verfahren ist die Beschwerde gegen einen Entscheid nach Artikel 31a Absatz 4 innerhalb von sieben Arbeitstagen, gegen Zwischenverfügungen innerhalb von fünf Tagen seit Eröffnung der Verfügung einzureichen. |
|
1 | Im beschleunigten Verfahren ist die Beschwerde gegen einen Entscheid nach Artikel 31a Absatz 4 innerhalb von sieben Arbeitstagen, gegen Zwischenverfügungen innerhalb von fünf Tagen seit Eröffnung der Verfügung einzureichen. |
2 | Im erweiterten Verfahren ist die Beschwerde gegen einen Entscheid nach Artikel 31a Absatz 4 innerhalb von 30 Tagen, bei Zwischenverfügungen innerhalb von zehn Tagen seit Eröffnung der Verfügung einzureichen. |
3 | Die Beschwerde gegen Nichteintretensentscheide sowie gegen Entscheide nach Artikel 23 Absatz 1 und Artikel 40 in Verbindung mit Artikel 6a Absatz 2 Buchstabe a ist innerhalb von fünf Arbeitstagen seit Eröffnung der Verfügung einzureichen. |
4 | Die Verweigerung der Einreise nach Artikel 22 Absatz 2 kann bis zum Zeitpunkt der Eröffnung einer Verfügung nach Artikel 23 Absatz 1 angefochten werden. |
5 | Die Überprüfung der Rechtmässigkeit und der Angemessenheit der Zuweisung eines Aufenthaltsortes am Flughafen oder an einem anderen geeigneten Ort nach Artikel 22 Absätze 3 und 4 kann jederzeit mittels Beschwerde beantragt werden. |
6 | In den übrigen Fällen beträgt die Beschwerdefrist 30 Tage seit Eröffnung der Verfügung. |
7 | Per Telefax übermittelte Rechtsschriften gelten als rechtsgültig eingereicht, wenn sie innert Frist beim Bundesverwaltungsgericht eintreffen und mittels Nachreichung des unterschriebenen Originals nach den Regeln gemäss Artikel 52 Absätze 2 und 3 VwVG369 verbessert werden. |

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 52 - 1 Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten; die Ausfertigung der angefochtenen Verfügung und die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit der Beschwerdeführer sie in Händen hat. |
|
1 | Die Beschwerdeschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten; die Ausfertigung der angefochtenen Verfügung und die als Beweismittel angerufenen Urkunden sind beizulegen, soweit der Beschwerdeführer sie in Händen hat. |
2 | Genügt die Beschwerde diesen Anforderungen nicht oder lassen die Begehren des Beschwerdeführers oder deren Begründung die nötige Klarheit vermissen und stellt sich die Beschwerde nicht als offensichtlich unzulässig heraus, so räumt die Beschwerdeinstanz dem Beschwerdeführer eine kurze Nachfrist zur Verbesserung ein. |
3 | Sie verbindet diese Nachfrist mit der Androhung, nach unbenutztem Fristablauf auf Grund der Akten zu entscheiden oder, wenn Begehren, Begründung oder Unterschrift fehlen, auf die Beschwerde nicht einzutreten. |
2.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 106 Beschwerdegründe - 1 Mit der Beschwerde kann gerügt werden: |
|
1 | Mit der Beschwerde kann gerügt werden: |
a | Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Missbrauch und Überschreitung des Ermessens; |
b | unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts; |
c | ... |
2 | Artikel 27 Absatz 3 und Artikel 68 Absatz 2 bleiben vorbehalten. |

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 111 Einzelrichterliche Zuständigkeit - Die Richter entscheiden in folgenden Fällen als Einzelrichter: |
|
a | Abschreibung von Beschwerden infolge Gegenstandslosigkeit; |
b | Nichteintreten auf offensichtlich unzulässige Beschwerden; |
c | Entscheid über die vorläufige Verweigerung der Einreise am Flughafen und Zuweisung eines Aufenthaltsorts am Flughafen; |
d | ... |
e | mit Zustimmung eines zweiten Richters: offensichtlich begründete oder unbegründete Beschwerden. |

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 111a Verfahren und Entscheid - 1 Das Bundesverwaltungsgericht kann auf die Durchführung des Schriftenwechsels verzichten.386 |
|
1 | Das Bundesverwaltungsgericht kann auf die Durchführung des Schriftenwechsels verzichten.386 |
2 | Beschwerdeentscheide nach Artikel 111 werden nur summarisch begründet. |

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 111a Verfahren und Entscheid - 1 Das Bundesverwaltungsgericht kann auf die Durchführung des Schriftenwechsels verzichten.386 |
|
1 | Das Bundesverwaltungsgericht kann auf die Durchführung des Schriftenwechsels verzichten.386 |
2 | Beschwerdeentscheide nach Artikel 111 werden nur summarisch begründet. |
3.
3.1 Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b

SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG) AsylG Art. 31a Entscheide des SEM - 1 Das SEM tritt in der Regel auf Asylgesuche nicht ein, wenn Asylsuchende: |
|
1 | Das SEM tritt in der Regel auf Asylgesuche nicht ein, wenn Asylsuchende: |
a | in einen sicheren Drittstaat nach Artikel 6a Absatz 2 Buchstabe b zurückkehren können, in welchem sie sich vorher aufgehalten haben; |
b | in einen Drittstaat ausreisen können, welcher für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist; |
c | in einen Drittstaat zurückkehren können, in welchem sie sich vorher aufgehalten haben; |
d | in einen Drittstaat weiterreisen können, für welchen sie ein Visum besitzen und in welchem sie um Schutz nachsuchen können; |
e | in einen Drittstaat weiterreisen können, in dem Personen, zu denen sie enge Beziehungen haben, oder nahe Angehörige leben; |
f | nach Artikel 31b in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat weggewiesen werden können. |
2 | Absatz 1 Buchstaben c-e findet keine Anwendung, wenn Hinweise bestehen, dass im Einzelfall im Drittstaat kein effektiver Schutz vor Rückschiebung nach Artikel 5 Absatz 1 besteht. |
3 | Das SEM tritt auf ein Gesuch nicht ein, welches die Voraussetzungen von Artikel 18 nicht erfüllt. Dies gilt namentlich, wenn das Asylgesuch ausschliesslich aus wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen eingereicht wird. |
4 | In den übrigen Fällen lehnt das SEM das Asylgesuch ab, wenn die Flüchtlingseigenschaft weder bewiesen noch glaubhaft gemacht worden ist oder ein Asylausschlussgrund nach den Artikeln 53 und 54 vorliegt.96 |

SR 142.311 Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen (Asylverordnung 1, AsylV 1) - Asylverordnung 1 AsylV-1 Art. 29a Zuständigkeitsprüfung nach Dublin - (Art. 31a Absatz 1 Bst. b AsylG)85 |
|
1 | Das SEM prüft die Zuständigkeit zur Behandlung eines Asylgesuchs nach den Kriterien, die in der Verordnung (EU) Nr. 604/201386 geregelt sind.87 |
2 | Ergibt die Prüfung, dass ein anderer Staat für die Behandlung des Asylgesuches zuständig ist, und hat dieser Staat der Aufnahme oder Wiederaufnahme der asylsuchenden Person zugestimmt, so fällt das SEM einen Nichteintretensentscheid. |
3 | Das SEM kann aus humanitären Gründen das Gesuch auch dann behandeln, wenn die Prüfung ergeben hat, dass ein anderer Staat dafür zuständig ist. |
4 | Das Verfahren für die Aufnahme oder Wiederaufnahme der asylsuchenden Person durch den zuständigen Staat richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 1560/200388.89 |
3.2 Die Beschwerdeführenden stellen sich gegen eine Überstellung nach Italien und beantragen die Behandlung ihrer Asylgesuche durch die schweizerischen Behörden, da sie in Italien die Aufforderung erhalten hätten, ihre Unterkunft zu verlassen und ihnen dort ein menschenunwürdiges Dasein drohe (BVGer-act. 1).
3.3 Die Vorinstanz argumentiert in der angefochtenen Verfügung, eine Überstellung der Beschwerdeführerenden - einer alleinerziehenden Mutter mit ihren zwei minderjährigen Kindern - sei unter Einhaltung der hierfür im Urteil des BVGer E-962/2019 vom 17. Dezember 2019 geforderten Voraussetzungen zulässig. Die italienischen Behörden hätten bereits im Februar 2020 Massnahmen ergriffen, um die Qualität der Aufnahmebedingungen und der in den Zentren angebotenen Dienstleitungen landesweit zu vereinheitlichen. Am 24. April hätten sie der Schweiz eine Liste mit Aufnahmeeinrichtungen für asylsuchende Familien übermittelt. In diesen Einrichtungen würden Familien untergebracht, die im Dublin-Verfahren überstellt würden. Die von den italienischen Behörden ausgewählten Unterbringungsstrukturen seien aufgrund ihrer Grösse und der darin zugelassenen Personenkategorien für die Aufnahme von Familien mit minderjährigen Kindern geeignet. Die italienischen Behörden hätten überdies die Beschwerdeführenden explizit namentlich erwähnt. Angesichts dieser konkreten, überprüfbaren und daher justiziablen Informationen hinsichtlich der Unterbringung der Beschwerdeführenden in Italien sei von einer adäquaten Unterbringung auszugehen (SEM-act. 43).
3.4 In der Vernehmlassung ergänzt die Vorinstanz, dass Dublin-Rückkehrende seit dem Inkrafttreten des «Salvini-Dekrets» zwar in Erstaufnahmezentren untergebracht würden, deren Qualität unterschiedlich hoch sein könne. Es gebe jedoch keinen Grund zur Annahme, dass die von den italienischen Behörden eigens für Familien mit minderjährigen Kindern ausgewählten und in der Liste vom 24. April 2020 aufgeführten Zentren der Erstaufnahme nicht die notwendigen Standards im Sinn der Tarakhel-Rechtsprechung aufweisen würden. Gemäss ihrer Kontaktperson in Rom werde die Liste der Erstaufnahmezentren für Familien mit minderjährigen Kindern regelmässig ergänzt. Es würden - auf Grundlage geografischer Kriterien - nur Zentren in diese Liste aufgenommen, die den besonderen Bedürfnissen von Familien und den notwendigen Standards betreffend die Betreuung und Aufnahme von Familien im Sinne des Urteils des EGMR i.S. Tarakhel gegen Schweiz, Nr. 2917/12 vom 4. November 2014 entsprächen. Darüber hinaus hätten die italienischen Behörden seit Februar 2020 offenkundig Massnahmen ergriffen, um die Qualität der Unterbringung sowie der Leistungen in den Erstaufnahmestrukturen landesweit zu vereinheitlichen, damit diese besser auf die Bedürfnisse der Asylsuchenden zugeschnitten seien. Die Beschwerdeführenden hätten sich gemäss Mitteilung der italienischen Behörden bei ihrer Ankunft am Überstellungsort Bologna bei der Flughafenpolizei zu melden. Diese schriftliche Mitteilung garantiere ihnen eine Unterbringung in einem der Aufnahmezentren gemäss der Liste vom 24. April 2020. (BVGer-act. 5).
4.
4.1 Das Bundesverwaltungsgericht ist im als Referenzurteil publizierten Urteil E-962/2019 vom 17. Dezember 2019 zum Ergebnis gekommen, dass die vonseiten Italiens mittels Formular «Nucleo Familiare» abgegebene Zusicherung einer adäquaten Unterkunft seit Inkraftsetzung des «Salvini-Dektrets» nicht als Garantie für die Zuweisung einer adäquaten Unterbringung ausreicht. Es verweist dabei auf seine im Zusammenhang mit dem Urteil des EGMR i.S. Tarakhel gegen Schweiz ergangene Rechtsprechung (BVGE 2015/4 E. 4.3 sowie BVGE 2016/2 E.4.3) und hält fest, dass sich die Situation in Italien seit dem Erlass des «Salvini-Dekrets» geändert habe. Gemäss dem Rundschreiben vom 8. Januar 2019, welches Italien an die übrigen Dublin-Staaten versandt habe, würden fortan alle asylsuchenden Personen (mithin auch jene, die im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Italien überstellt worden seien) in den Erstaufnahmezentren oder in den Notaufnahmezentren («Centri di accoglienza straordinari» [CAS]) untergebracht (Urteil E-962/2019 E. 6.2.8). Obwohl im erwähnten Rundschreiben versichert werde, dass in den Erstaufnahme- und Notaufnahmezentren die Einheit der Familie und der Schutz von Minderjährigen gewährleistet sei, könne im blossen Verweis auf dieses Rundschreiben keine hinreichend konkrete Garantie im Sinn der Tarakhel-Rechtsprechung erblickt werden (Urteil E-962/2019 E. 8.3.3). In Ermangelung detaillierter und verlässlicher Informationen betreffend die Unterbringungsverhältnisse und den Schutz der Einheit der Familie sei eine Überstellung nicht zulässig, weil damit das Risiko einer Verletzung von Art. 3

IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 3 Verbot der Folter - Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. |
4.2 Die mit dem «Salvini-Dekret» eingeführten Bestimmungen sind zum Urteilszeitpunkt nach wie vor in Kraft. Zwar zeichnen sich Bestrebungen ab, wonach Rechtsänderungen vorgenommen oder das Dekret allenfalls gänzlich aufgehoben werden sollen. Es ist derzeit jedoch nicht absehbar, ob und wann eine entsprechende Vorlage vom italienischen Parlament adoptiert und in der Folge umgesetzt würde. Das Bundesverwaltungsgericht geht demzufolge zum heutigen Zeitpunkt nach wie vor davon aus, dass die im Urteil E-962/2019 entwickelte Rechtsprechung anwendbar ist. Daran ändern auch die von der Vorinstanz geltend gemachten und im Übrigen nicht näher ausgeführten Verbesserungsmassnahmen, die die italienischen Behörden seit Februar 2020 für die Unterbringung der Asylsuchenden vorgenommen hätten, nichts.
4.3 Dies bedeutet, dass das SEM nach wie vor gehalten ist, weitergehende Zusicherungen einzuholen. Diesbezüglich ist den Akten zu entnehmen, dass die italienischen Behörden die Beschwerdeführenden als Familieneinheit betrachten (SEM-act. 36). Weiter bringt das SEM unter Berufung auf eine ihm übermittelte Liste vom 24. April 2020 mit Unterkünften (siehe SEM-act. 38) vor, die Beschwerdeführenden würden in einer dieser Einrichtungen untergebracht, wobei bei den aufgelisteten Unterkünften von der Einhaltung der erforderlichen Standards im Sinn der Tarakhel-Rechtsprechung ausgegangen werden könne. Die Mitteilung, mit der die Liste übermittelt worden sei, garantiere dafür, dass nur Zentren auf die Liste gesetzt worden seien, welche nachweislich den besonderen Bedürfnissen von Familien entsprächen.
4.4 Das Bundesverwaltungsgericht teilt die Ansicht des SEM, wonach die Anerkennung als Familieneinheit und die Unterkunftsliste konkrete, überprüfbare und somit justiziable Informationen hinsichtlich der Unterbringung der Beschwerdeführenden in Italien darstellten, zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Die auf der Liste der Unterkünfte vom 24. April 2020 aufgeführten Einrichtungen seien gemäss den italienischen Behörden «centri di accoglienza specifici per famiglie», d.h. Aufnahmezentren spezifisch für Familien. Das SEM legt jedoch nicht dar, inwiefern aus diesen Angaben hinreichend konkret hergeleitet werden kann, dass in den auf der Liste aufgeführten Unterkünften tatsächlich eine Unterbringung gewährleistet ist, die den Schutz der Einheit der Familie und von Minderjährigen sicherstellt, zumal bis heute von einer Unterbringung von Asylsuchenden ausgegangen werden muss, die den Bestimmungen des «Salvini-Dekrets» unterliegt. Der blosse Verweis auf eine Liste mit Unterkünften, die gemäss im Begleitmail gemachten Angaben der italienischen Behörden den speziellen Bedürfnissen von Familien gerecht würden, stellen keine hinreichend konkreten Garantien im Sinn der Tarakhel-Rechtsprechung dar.
4.5 Zusammenfassend ist demnach festzustellen, dass zum heutigen Zeitpunkt weiterhin nicht von einer rechtsgenüglichen Abklärung des Sachverhalts im Hinblick auf die Anwendung der Souveränitätsklausel ausgegangen werden kann, weshalb die Vorinstanz ihrer Pflicht zur Ermessensausübung nicht nachgekommen ist. Sie hätte in nachvollziehbarer Weise auf den vorliegenden Einzelfall bezogen prüfen müssen, ob es in Würdigung der konkreten Umstände tatsächlich angezeigt ist, auf den Selbsteintritt zu verzichten.
5.
Die Beschwerde erweist sich demnach als offensichtlich begründet. Sie ist gutzuheissen, die Verfügung vom 23. September 2020 aufzuheben und die Sache zur umfassenden Prüfung der Anwendung der Souveränitätsklausel - in Ausübung des gesetzeskonformen Ermessens - an die Vorinstanz zurückzuweisen.
6.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 63 - 1 Die Beschwerdeinstanz auferlegt in der Entscheidungsformel die Verfahrenskosten, bestehend aus Spruchgebühr, Schreibgebühren und Barauslagen, in der Regel der unterliegenden Partei. Unterliegt diese nur teilweise, so werden die Verfahrenskosten ermässigt. Ausnahmsweise können sie ihr erlassen werden. |
|
1 | Die Beschwerdeinstanz auferlegt in der Entscheidungsformel die Verfahrenskosten, bestehend aus Spruchgebühr, Schreibgebühren und Barauslagen, in der Regel der unterliegenden Partei. Unterliegt diese nur teilweise, so werden die Verfahrenskosten ermässigt. Ausnahmsweise können sie ihr erlassen werden. |
2 | Keine Verfahrenskosten werden Vorinstanzen oder beschwerdeführenden und unterliegenden Bundesbehörden auferlegt; anderen als Bundesbehörden, die Beschwerde führen und unterliegen, werden Verfahrenskosten auferlegt, soweit sich der Streit um vermögensrechtliche Interessen von Körperschaften oder autonomen Anstalten dreht. |
3 | Einer obsiegenden Partei dürfen nur Verfahrenskosten auferlegt werden, die sie durch Verletzung von Verfahrenspflichten verursacht hat. |
4 | Die Beschwerdeinstanz, ihr Vorsitzender oder der Instruktionsrichter erhebt vom Beschwerdeführer einen Kostenvorschuss in der Höhe der mutmasslichen Verfahrenskosten. Zu dessen Leistung ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist anzusetzen unter Androhung des Nichteintretens. Wenn besondere Gründe vorliegen, kann auf die Erhebung des Kostenvorschusses ganz oder teilweise verzichtet werden.102 |
4bis | Die Spruchgebühr richtet sich nach Umfang und Schwierigkeit der Streitsache, Art der Prozessführung und finanzieller Lage der Parteien. Sie beträgt: |
a | in Streitigkeiten ohne Vermögensinteresse 100-5000 Franken; |
b | in den übrigen Streitigkeiten 100-50 000 Franken.103 |
5 | Der Bundesrat regelt die Bemessung der Gebühren im Einzelnen.104 Vorbehalten bleiben Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe a des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005105 und Artikel 73 des Strafbehördenorganisationsgesetzes vom 19. März 2010106.107 |

SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 63 - 1 Die Beschwerdeinstanz auferlegt in der Entscheidungsformel die Verfahrenskosten, bestehend aus Spruchgebühr, Schreibgebühren und Barauslagen, in der Regel der unterliegenden Partei. Unterliegt diese nur teilweise, so werden die Verfahrenskosten ermässigt. Ausnahmsweise können sie ihr erlassen werden. |
|
1 | Die Beschwerdeinstanz auferlegt in der Entscheidungsformel die Verfahrenskosten, bestehend aus Spruchgebühr, Schreibgebühren und Barauslagen, in der Regel der unterliegenden Partei. Unterliegt diese nur teilweise, so werden die Verfahrenskosten ermässigt. Ausnahmsweise können sie ihr erlassen werden. |
2 | Keine Verfahrenskosten werden Vorinstanzen oder beschwerdeführenden und unterliegenden Bundesbehörden auferlegt; anderen als Bundesbehörden, die Beschwerde führen und unterliegen, werden Verfahrenskosten auferlegt, soweit sich der Streit um vermögensrechtliche Interessen von Körperschaften oder autonomen Anstalten dreht. |
3 | Einer obsiegenden Partei dürfen nur Verfahrenskosten auferlegt werden, die sie durch Verletzung von Verfahrenspflichten verursacht hat. |
4 | Die Beschwerdeinstanz, ihr Vorsitzender oder der Instruktionsrichter erhebt vom Beschwerdeführer einen Kostenvorschuss in der Höhe der mutmasslichen Verfahrenskosten. Zu dessen Leistung ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist anzusetzen unter Androhung des Nichteintretens. Wenn besondere Gründe vorliegen, kann auf die Erhebung des Kostenvorschusses ganz oder teilweise verzichtet werden.102 |
4bis | Die Spruchgebühr richtet sich nach Umfang und Schwierigkeit der Streitsache, Art der Prozessführung und finanzieller Lage der Parteien. Sie beträgt: |
a | in Streitigkeiten ohne Vermögensinteresse 100-5000 Franken; |
b | in den übrigen Streitigkeiten 100-50 000 Franken.103 |
5 | Der Bundesrat regelt die Bemessung der Gebühren im Einzelnen.104 Vorbehalten bleiben Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe a des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005105 und Artikel 73 des Strafbehördenorganisationsgesetzes vom 19. März 2010106.107 |
(Dispositiv nächste Seite)
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2.
Die angefochtene Verfügung vom 23. September 2020 wird aufgehoben und die Sache im Sinn der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
4.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
5.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:
Regula Schenker Senn Christa Preisig
Versand: