Tribunal federal
{T 1/2}
1P.113/2005 /ggs
Urteil vom 3. Mai 2005
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Aeschlimann, Reeb, Fonjallaz, Eusebio,
Gerichtsschreiber Steinmann.
Parteien
Schweizerische Volkspartei des Kantons Solothurn, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Manfred Küng,
gegen
Marcel Kamber,
Roland Bühler,
Beschwerdegegner,
Kantonsrat Solothurn, Rathaus, 4509 Solothurn.
Gegenstand
Wahl eines kantonalen Oberrichters,
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Kantonsratbeschluss des Kantonsrats Solothurn
vom 26. Januar 2005.
Sachverhalt:
A.
Am 1. Oktober schrieb der Kanton Solothurn die Stelle eines Oberrichters bzw. einer Oberrichterin aus. Von den fünf Bewerbungen hörte die Justizkommission des Kantonsrates drei Kandidaten an und unterbreitete schliesslich am 6. Januar 2005 dem Kantonsrat einen Zweiervorschlag. Sie erachtete die beiden Kandidaten, Rechtsanwalt Dr. Roland Bühler (SVP) und Rechtsanwalt lic. iur. Marcel Kamber (FDP), als geeignet.
Anlässlich der Sitzung des Kantonsrates vom 26. Januar 2005 äusserten sich die Fraktionssprecher zu den beiden Kandidaten. In geheimer Wahl wählte der Kantonsrat schliesslich Marcel Kamber im ersten Wahlgang zum neuen Oberrichter.
B.
Gegen diesen Wahlbeschluss hat die Schweizerische Volkspartei des Kantons Solothurn (SVP/SO) beim Bundesgericht am 17. Februar 2005 mit dem Antrag um Aufhebung staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Sie erachtet sich aufgrund von Art. 60 der Kantonsverfassung zur Beschwerde legitimiert und rügt wegen der Nichtberücksichtigung des SVP-Kandidaten eine Verletzung des darin enthaltenen Anspruchs auf angemessene Vertretung im Obergericht. Auf die Begründung im Einzelnen ist, soweit erforderlich, in den Erwägungen einzugehen.
Das Büro des Kantonsrates stellt in seiner Vernehmlassung für den Kantonsrat den Antrag, es sei auf die Beschwerde nicht einzutreten bzw. es sei die Beschwerde abzuweisen. Den gleichen Antrag stellt Marcel Kamber. Demgegenüber beantragt Roland Bühler die Gutheissung der Beschwerde.
Die Beschwerdeführerin hält in ihrer Replik an Antrag und Begründung fest. Ihr Antrag, die Vernehmlassung des Kantonsrates sei aus dem Recht zu weisen, wurde mit Verfügung vom 24. März 2005 zurzeit abgewiesen und der gerichtlichen Beurteilung der Sache selber vorbehalten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Vorerst ist über den Antrag der Beschwerdeführerin zu befinden, die Vernehmlassung des Kantonsrates aus dem Recht zu weisen. Die Beschwerdeführerin macht in dieser Hinsicht geltend, die Stellungnahme sei nicht rechtmässig zustande gekommen. Einerseits sei sie auf dem nicht vorgesehenen Zirkularweg beschlossen worden, andererseits hätten sich die Mitglieder dazu nicht äussern können.
Dieser Antrag ist ohne weiteres abzuweisen. Die Vernehmlassung ist unbestrittenermassen vom hierfür zuständigen Organ des Kantonsrates erstattet worden. Die Art und Weise der Beschlussfassung kann im bundesgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nicht beanstandet werden, sofern nicht geradezu Nichtigkeit anzunehmen ist, d.h. der angebliche Mangel besonders schwer sowie offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird (vgl. zur Nichtigkeit BGE 129 I 361 E. 2.1 S. 363, mit Hinweisen). Davon kann im vorliegenden Fall nicht gesprochen werden, da der Zirkularweg offensichtlich der Fristwahrung diente und die Büromitglieder dem Entwurf zustimmen oder ihn ablehnen konnten. Im Übrigen betrifft der Nichteintretensantrag des Kantonsrates die Eintretensvoraussetzungen, die vom Bundesgericht von Amtes wegen zu prüfen sind.
2.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen, ob die Voraussetzungen für das Eintreten auf eine staatsrechtliche Beschwerde gegeben sind (vgl. BGE 129 I 173 E. 1 S. 174). Im vorliegenden Fall ist unter diesem Gesichtswinkel insbesondere zu prüfen, ob sich die Beschwerdeführerin auf ein verfassungsmässiges Recht gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a OG berufen kann und daher im Sinne von Art. 88 OG zur Beschwerde legitimiert ist.
2.1 Die Beschwerdeführerin ficht den Wahlbeschluss des Kantonsrates mit staatsrechtlicher Beschwerde gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. a OG an. Damit sieht sie zu Recht von einer Stimmrechtsbeschwerde nach Art. 85 lit. a OG ab, welche lediglich bei Volkswahlen in Betracht fällt und im Fall von so genannten indirekten Wahlen durch ein Parlament nicht in Frage kommt (vgl. hierzu ZBl 92/1991 S. 260 E. 1; BGE 112 Ia 174 E. 2 S. 176, mit zahlreichen Hinweisen).
2.2 Nach Art. 189 Abs. 1 lit. a
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 189 Compétences du Tribunal fédéral - 1 Le Tribunal fédéral connaît des contestations pour violation: |
|
1 | Le Tribunal fédéral connaît des contestations pour violation: |
a | du droit fédéral; |
b | du droit international; |
c | du droit intercantonal; |
d | des droits constitutionnels cantonaux; |
e | de l'autonomie des communes et des autres garanties accordées par les cantons aux corporations de droit public; |
f | des dispositions fédérales et cantonales sur les droits politiques. |
1bis | ...134 |
2 | Il connaît des différends entre la Confédération et les cantons ou entre les cantons. |
3 | La loi peut conférer d'autres compétences au Tribunal fédéral. |
4 | Les actes de l'Assemblée fédérale et du Conseil fédéral ne peuvent pas être portés devant le Tribunal fédéral. Les exceptions sont déterminées par la loi. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, dem die Konkretisierung dieses Begriffes obliegt (vgl. Botschaft zur neuen Bundesverfassung, BBl 1997 I 1 S. 425), gelten als verfassungsmässige Rechte Verfassungsbestimmungen, die dem Bürger einen Schutzbereich gegen staatliche Eingriffe sichern wollen oder welche, obwohl vorwiegend im öffentlichen Interesse erlassen, daneben auch noch individuelle Interessen schützen (ZBl 92/1991 S. 260 E. 2, mit Hinweisen; vgl. auch BGE 121 I 267 E. 3a S. 269). Bei der Bestimmung des Vorliegens von verfassungsmässigen Rechten stellt das Bundesgericht insbesondere auf das Rechtsschutzbedürfnis und die Justiziabilität ab (vgl. ZBl 92/1991 S. 260 E. 2). Nach der Doktrin gelten als verfassungsmässige Rechte justiziable Rechtsansprüche, die nicht ausschliesslich öffentliche Interessen, sondern auch Interessen und Schutzbedürfnisse des Einzelnen betreffen und deren Gewicht so gross ist, dass sie nach dem Willen des demokratischen Verfassungsgebers verfassungsrechtlichen Schutzes bedürfen (Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl. 1994, S. 67; in gleichem Sinne Botschaft zur neuen Bundesverfassung, a.a.O., S. 425; Ulrich Häfelin/Walter Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht,
6. Aufl. 2005, Rz. 1966; Christina Kiss/Heinrich Koller, St. Galler BV-Kommentar, Zürich 2002, Rz. 7 ff. zu Art. 189
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 189 Compétences du Tribunal fédéral - 1 Le Tribunal fédéral connaît des contestations pour violation: |
|
1 | Le Tribunal fédéral connaît des contestations pour violation: |
a | du droit fédéral; |
b | du droit international; |
c | du droit intercantonal; |
d | des droits constitutionnels cantonaux; |
e | de l'autonomie des communes et des autres garanties accordées par les cantons aux corporations de droit public; |
f | des dispositions fédérales et cantonales sur les droits politiques. |
1bis | ...134 |
2 | Il connaît des différends entre la Confédération et les cantons ou entre les cantons. |
3 | La loi peut conférer d'autres compétences au Tribunal fédéral. |
4 | Les actes de l'Assemblée fédérale et du Conseil fédéral ne peuvent pas être portés devant le Tribunal fédéral. Les exceptions sont déterminées par la loi. |
2.3 Im Einzelnen ist nunmehr zu prüfen, ob die von der Beschwerdeführerin angerufene Bestimmung von Art. 60
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
Art. 60 - Ämterbesetzung
Öffentliche Ämter sind durch die am besten geeigneten Personen zu besetzen. Nach Möglichkeit sind die verschiedenen Bevölkerungskreise, namentlich die Regionen und die politischen Richtungen, angemessen zu berücksichtigen.
Der Gehalt dieser Verfassungsbestimmung ist nach den üblichen Auslegungsregeln zu bestimmen (vgl. BGE 112 Ia 208 E. 2a S. 212) und zudem mit § 96 der Staatsverfassung des Kantons Luzern (StV/LU) und der dazu ergangenen Rechtsprechung (ZBl 92/1991 S. 260, ZBl 95/1994 S. 366; Urteil 1P.427/1999 vom 9. Februar 2000), auf welche sich die Beschwerdeführerin beruft, in Beziehung zu setzen.
2.4 Die Bestimmung von Art. 60
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
allgemeinen Form weist Art. 60
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
Der programmatische Charakter von Art. 60
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
Die fragliche Bestimmung der Solothurner Kantonsverfassung nimmt nach ihrem Wortlaut in erster Linie auf Bevölkerungskreise Bezug. Der Begriff der Bevölkerungskreise ist offen, könnte unterschiedlichste (organisierte oder nicht organisierte) Gruppierungen oder Bewegungen umfassen und sich derart auch auf Frauen und Männer, Konfessionen und vieles mehr beziehen. Der in der Verfassung verwendete Begriff erhält auch durch die namentlich erwähnten Regionen und politischen Richtungen keine präzisere Konturen. Zum einen sind die Regionen nicht zwingend mit Amtsbezirken gleichzusetzen, zum andern können mit den politischen Richtungen nicht nur politische Parteien, sondern auch andere Bewegungen unterschiedlichster Weltanschauungen gemeint sein. Insoweit fehlt der Bestimmung von Art. 60
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
An dieser Beurteilung der mangelnden Justiziabilität von Art. 60
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
kommt ihr ausschliesslich ein programmatischer Gehalt zu. Sowohl der Vergleich mit der Luzerner Staatsverfassung als auch derjenige mit der alten Solothurner Verfassung sprechen demnach gegen die Annahme eines verfassungsmässigen Rechtes.
An dieser Beurteilung vermag auch der Entscheid des Regierungsrates vom 27. Januar 1998 (publ. in: Grundsätzliche Entscheide des Regierungsrates des Kantons Solothurn, 1998 Nr. 5) nichts Wesentliches zu ändern. Der Regierungsrat wandte in diesem Entscheid Art. 60
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
Anforderungen von Art. 88 OG keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden.
2.5 Vor diesem Hintergrund kommt der Bestimmung von Art. 60
SR 131.221 Constitution du canton de Soleure, du 8 juin 1986 Cst./SO Art. 60 Attribution des fonctions - Les fonctions publiques doivent être conférées aux personnes les mieux qualifiées. Dans la mesure du possible, on tiendra équitablement compte lors de l'attribution des fonctions des différents groupes de la population, notamment des différentes régions et tendances politiques. |
2.6 Soweit sich die Beschwerdeführerin darüber hinaus sinngemäss auf das Willkürverbot nach Art. 9
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 9 Protection contre l'arbitraire et protection de la bonne foi - Toute personne a le droit d'être traitée par les organes de l'État sans arbitraire et conformément aux règles de la bonne foi. |
3.
Demnach ist auf die vorliegende Beschwerde nicht einzutreten und braucht auf die materielle Seite der umstrittenen Wahl nicht eingegangen zu werden.
Angesichts des besondern Charakters der vorliegenden Beschwerde, die einer Stimmrechtsbeschwerde nahe kommt, sind der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner Roland Bühler trotz ihres Unterliegens keine Kosten aufzuerlegen (vgl. im gleichen Sinne die drei genannten, den Kanton Luzern betreffenden Beschwerdeverfahren; anders indessen BGE 112 Ia 174).
Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen, da der Beschwerdegegner Marcel Kamber nicht vertreten war und ihm, in eigener Sache handelnd, kein besonderer Aufwand entstanden ist (BGE 129 II 297 E. 5 S. 304). Eine Entschädigung an den Kantonsrat fällt ausser Betracht (Art. 159 Abs. 2
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 9 Protection contre l'arbitraire et protection de la bonne foi - Toute personne a le droit d'être traitée par les organes de l'État sans arbitraire et conformément aux règles de la bonne foi. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsrat Solothurn schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 3. Mai 2005
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: