Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung VI

F-7244/2016

Urteil vom 3. Juli 2019

Richter Martin Kayser (Vorsitz),

Richter Fulvio Haefeli,
Besetzung
Richter Gregor Chatton,

Gerichtsschreiberin Barbara Kradolfer.

A._______,

vertreten durch Peter Weibel, Fürsprecher,
Parteien
Advokaturbüro Weibel&Wenger,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration SEM,

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Anerkennung der Staatenlosigkeit.

Sachverhalt:

A.
Am 4. Februar 2014 reiste der Beschwerdeführer (palästinensischer Flüchtling aus Syrien, geb. [...] 1996) mit einem von der Schweiz ausgestellten Laissez-passer und einem (humanitären) Visum in die Schweiz ein. Er war zudem im Besitz eines syrischen Reisedokuments für palästinensische Flüchtlinge (ausgestellt am 13. Oktober 2013, gültig bis 12. Oktober 2015). Am 26. Februar 2014 reichte er ein Asylgesuch ein, das mit Verfügung vom 22. März 2016 abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde jedoch die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs angeordnet.

B.
Am 25. April 2016 ersuchte der Beschwerdeführer bei der Vorinstanz um Anerkennung der Staatenlosigkeit. Nachdem er mehrmals Gelegenheit hatte, sich zur Sache zu äussern, wies die Vorinstanz das Gesuch mit Verfügung vom 19. Oktober 2016 ab. In ihrer Begründung hielt sie fest, dass der Beschwerdeführer ein bei der United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) registrierter palästinensischer Flüchtling sei, und er deshalb unter die Ausschlussklausel von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (SR 0.142.40, nachfolgend: Staatenlosenübereinkommen bzw. StÜ) falle.

C.
Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdeführer am 23. November 2016 Beschwerde. Er beantragt die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung und die Anerkennung als Staatenloser. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 und Abs. 2 VwVG.

Er macht im Wesentlichen geltend, den Schutz der UNRWA nicht in Anspruch nehmen zu können. Er habe das Mandatsgebiet nicht freiwillig verlassen, sondern wegen des Bürgerkriegs. An eine Rückkehr sei bis auf Weiteres nicht zu denken. Deshalb sei vom Wegfall des Schutzes und der Hilfe der UNRWA auszugehen. Zudem sei die UNRWA nicht mehr in der Lage, die Nachteile der Staatenlosigkeit - fehlender diplomatischer Schutz, Fehlen von Reisedokumenten - zu beseitigen. Es sei für ihn, den Beschwerdeführer, überdies nicht zumutbar, sich nach Syrien zu begeben, um bei der zuständigen syrischen Behörde - General Authority of Palestinian Arab Refugees in Syria (GAPAR) - ein Reisedokument zu beantragen. Ihm sei gesagt worden, er werde nur dann einen neuen Ausweis bekommen, wenn er bis dahin den syrischen Militärdienst geleistet habe.

D.
Die Vorinstanz beantragt mit Vernehmlassung vom 31. Januar 2017 die Abweisung der Beschwerde.

E.
Mit Zwischenverfügung vom 17. Februar 2017 wurde das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gutgeheissen.

F.
In seiner Replik vom 17. März 2017 hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen und deren Begründung fest.

G.
Am 4. April 2017 nahm die Vorinstanz zur Replik Stellung.

H.
Am 28. April 2017 reichte der Beschwerdeführer "Schlussbemerkungen" ein.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

1.1 Verfügungen des SEM betreffend Anerkennung der Staatenlosigkeit unterliegen der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (Art. 31 ff . VGG).

1.2 Gemäss Art. 37 VGG richtet sich das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt.

1.3 Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerde legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG; zum Rechtsschutzinteresse vgl. BVGE 2014/5 E. 9.5). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 49 ff . VwVG).

2.
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann vorliegend die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet im Beschwerdeverfahren das Bundesrecht von Amtes wegen an. Unter Bundesrecht ist auch das direkt anwendbare Völkerrecht zu verstehen (vgl. Zibung/Hofstetter, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016, N 7 zu Art. 49 VwVG m.H.), zu dem das hier in Frage stehende Staatenlosenübereinkommen zu zählen ist. Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG an die Begründung der Begehren nicht gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen. Massgebend ist grundsätzlich die Sachlage zum Zeitpunkt seines Entscheides (vgl. BVGE 2014/1 E. 2 m.H.)

3.

3.1 Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, der Beschwerdeführer sei nicht als staatenlos im Sinne von Art. 1 Abs. 1 StÜ anzuerkennen, da auf ihn die Ausnahmeklausel von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ anwendbar sei. Durch seine Registrierung bei der UNRWA erhalte er Schutz und Hilfe im Sinne der genannten Bestimmung. Die UNRWA erfülle nach wie vor ihre Aufgabe in Syrien, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Der Beschwerdeführer geniesse daher trotz seines Aufenthalts in der Schweiz weiterhin den Schutz durch die UNRWA. Es sei ihm zudem möglich, bei der syrischen Vertretung in der Schweiz ein Reisedokument zu beantragen.

3.2 Der Beschwerdeführer bestätigt, bei der UNRWA registriert gewesen zu sein. Allerdings macht er geltend, er habe Syrien nicht freiwillig verlassen. Vielmehr sei er aufgrund des Bürgerkriegs gezwungen gewesen, das Land zu verlassen, um sein Leben zu retten. Es sei ihm nicht möglich, durch eine Rückkehr auf den Schutz der UNRWA zurückzugreifen. Ein Reisedokument werde ihm erst wieder ausgestellt, wenn er Militärdienst in der syrischen Armee geleistet habe. Zudem sei die UNRWA nicht mehr in der Lage, die Nachteile der Staatenlosigkeit - fehlender diplomatischer Schutz, Fehlen von Reisedokumenten - zu beseitigen.

4.

4.1 Der Beschwerdeführer gehört unbestrittenermassen zu der von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ erfassten Personengruppe. Uneinig sind sich die Parteien demgegenüber, ob durch die Ausreise des Beschwerdeführers aus Syrien der Schutz und die Hilfe der UNRWA weggefallen sind und er in den Anwendungsbereich des zweiten Teils von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ fällt, der ihn allenfalls in den Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 1 StÜ führen würde.

4.2 Gemäss Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ ist das Übereinkommen nicht anwendbar "auf Personen, die zurzeit durch eine andere Organisation oder Institution der Vereinten Nationen als den Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten, solange sie diesen Schutz oder diese Hilfe geniessen."

4.3 Der Wortlaut dieser Bestimmung ist nicht eindeutig. Das BVGer hat sich deshalb im Urteil C-6841/2008 vom 7. Juli 2011 eingehend damit auseinandergesetzt. In Anlehnung an die ausführliche Auslegung der Parallelbestimmung der Flüchtlingskonvention (Art. 1 D FK; SR 0.142.30) in BVGE 2008/34 führte das Gericht aus, dass bei der Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ wegen der gleichen Entstehungsgeschichte teilweise die gleichen Kriterien zur Anwendung kämen wie bei der Auslegung von Art. 1 D FK. Allerdings betonte das Gericht, dass die beiden Abkommen unterschiedliche Schutzziele verfolgten - die Flüchtlingskonvention schütze vor Verfolgung (Art. 1 A Ziff. 2 FK), das Staatenlosenübereinkommen mildere die Folgen des Fehlens einer Staatsangehörigkeit -, weshalb die Formulierung "Schutz und Hilfe" unterschiedlich zu interpretieren sei (E. 6).

5.

5.1 Zunächst ist daher auf das Mandat der UNRWA einzugehen. Dieses ermöglicht ihr, den palästinensischen Flüchtlingen "Schutz und Hilfe" im Zusammenhang mit Nachteilen der fehlenden Staatsangehörigkeit zu gewähren oder zu vermitteln. Solche Nachteile bestehen beispielsweise im Zusammenhang mit fehlendem Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung oder sozialer Sicherheit. Aber auch Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, des Rechts auf Eigentum oder auf Zugang zum Arbeitsmarkt und zum Rechtsschutz treffen Staatenlose (vgl. Laura van Waas, Nationality Matters, 2008, Kapitel X und XI, S. 235 ff., 301 ff.). Die UNRWA ist in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Soziale Sicherheit und Arbeit tätig (vgl. Qafisheh/Azarov, in: Zimmermann et al. [Hrsg.], The 1995 Convention Relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol, 2011, N 13 zu Art. 1 D, m.H.; Lance Bartholomeusz, The Mandate of UNRWA at Sixty, in: Refugee Survey Quarterly, 2010, Vol. 28, Nr. 2 & 3, S. 452-473, S. 462 ff.). Zudem setzt sie sich für den Schutz und die Stärkung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge ein (vgl. Website der UNRWA: www.unrwa.org > What we do, besucht im Juni 2019), um weitere Nachteile abzumildern, denen Personen ohne Staatsangehörigkeit ausgesetzt sind. Hierzu gehört beispielsweise das Fehlen von diplomatischem Schutz und von Reisedokumenten.

5.2 Die UNRWA stellt zwar selbst keine Reisedokumente an palästinensische Flüchtlinge aus (vgl. Urteil des BVGer C-6841/2008 vom 7. Juli 2011 E. 9 m.H.). Allerdings haben die Staaten der Arabischen Liga, darunter auch Syrien, eine Vereinbarung getroffen, wonach jeder dieser Staaten den in seinem Territorium ansässigen palästinensischen Flüchtlingen auf Gesuch hin Reisedokumente ausstellt und erneuert. Die anderen Staaten der Arabischen Liga behandeln die Inhaber solcher Reisedokumente wie Staatsangehörige des ausstellenden Staates (vgl. League of Arab States, Protocol for the Treatment of Palestinians in Arab States ["Casablanca Protocol"] vom 11. September 1965, abrufbar unter www.refworld.org > [suche:] Casablanca Protocol, zuletzt besucht im April 2019). Es obliegt somit den Aufnahmestaaten, den palästinensischen Flüchtlingen auf ihrem Territorium entsprechende Dokumente auszustellen und zu verlängern.

5.3 Das Fehlen diplomatischen Schutzes betrifft alle staatenlosen Personen gleichermassen, da diplomatischer Schutz nur den eigenen Staatsangehörigen zugutekommen kann (vgl. Website des Eidgenössischen Departements für auswärtigen Angelegenheiten: www.eda.admin.ch > Aussenpolitik > Völkerrecht > Einhaltung und Förderung des Völkerrechts > Diplomatischer und konsularischer Schutz, zuletzt besucht im April 2019). Eine Unterstellung unter das Staatenlosenübereinkommen könnte daran nichts ändern.

5.4 Die UNRWA ist aufgrund ihres Mandats somit grundsätzlich in der Lage, "Schutz und Hilfe" gegen die Folgen der fehlenden Staatsangehörigkeit zu bieten oder zumindest zu vermitteln. Anders als in Bezug auf die Parallelbestimmung der Flüchtlingskonvention (Art. 1 D FK; vgl. BVGE 2008/34 E. 6.5) besteht somit kein Grund, palästinensische Flüchtlinge generell von der Anwendung der Ausnahmebestimmung von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ auszuschliessen (vgl. Urteil des BVGer C-6841/2008 vom 7. Juli 2011 E. 8; anderer Meinung UNHCR, Staatenlosigkeit in der Schweiz, 2018, S. 59 ff., insb. S. 62; vgl. zur Bedeutung der "travaux préparatoires" Richard Gardiner, Treaty Interpretation, 2. Aufl. 2015, S. 112 ff. und 349 ff.). Es ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob und in welchem Umfang die UNRWA den notwenigen Schutz gewähren oder wenigstens vermitteln kann. Dabei ist von der individuellen Situation der betroffenen Person und von deren aktuellem Schutzbedürfnis auszugehen (vgl. Urteil des BVGer C-6841/2008 vom 7. Juli 2011 E. 6).

6.

6.1 Der Beschwerdeführer hält sich ausserhalb des Tätigkeitsgebiets der UNRWA auf, weshalb die Gründe, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets bewogen haben, bei der Beurteilung eine zentrale Rolle spielen. Um die Vergünstigungen des Staatenlosenübereinkommens anstelle des von der UNRWA gebotenen bzw. vermittelten "Schutz und Hilfe" in Anspruch nehmen zu können, genügt die blosse Ausreise der betreffenden Person aus dem Tätigkeitsgebiet der UNRWA nicht. Reist die Person freiwillig und gegebenenfalls sogar im Wissen aus, dass eine Rückkehr nicht möglich sein wird, fällt der Schutz nicht dahin. Folglich ist Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ nur dann nicht anwendbar, wenn die Gründe für den Wegfall der Unterstützung durch die UNRWA ausserhalb des Einflussbereichs der betroffenen Person liegen (vgl. Qafisheh/Azarov, a.a.O., N 57 ff. zu Art. 1 D, m.H., Goodwin-Gill/McAdam, The Refugees in International Law, 3. Aufl. 2007, S. 153, 157, Lex Takkenberg, The Status of Palestinian Refugees in International Law, 1998, S. 122 f.; vgl. Urteil des BVGer C-6841/2008 vom 7. Juli 2011 E. 7.2 sowie Urteil des EuGH vom 19. Dezember 2012 El Kott et al. C-364/11 ECLI:EU:C:2012:826 Rn. 49, 56-59 [zu Art. 1 D FK]). Andernfalls wäre die Ausnahmebestimmung obsolet, können die Vertragsstaaten doch die Rechte aus dem Staatenlosenübereinkommen nur Personen zukommen lassen, die sich auf ihrem Territorium befinden (vgl. zu Art. 1 D FK: Urteil des EuGH El Kott et al. Ziff. 49 ff.). Gründe, die vom Willen der betroffenen Person unabhängig sind, könnten beispielsweise die Unmöglichkeit der UNRWA sein, im betreffenden Gebiet ihr Mandat weiterzuführen, oder wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet, und es der UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihr übertragenen Aufgabe in Einklang stehen (vgl. Urteil des BVGer C-6841/2008 vom 7. Juli 2011 E. 8; Urteil des EuGH El Kott Ziff. 56, 63; Goodwin-Gill/McAdam, a.a.O., S. 159).

6.2 Entscheidend für die Frage, ob die Ausschlussklausel im Einzelfall anwendbar ist, sind somit die konkreten Umstände der Ausreise aus dem Tätigkeitsgebiet der UNRWA. Dabei wird unterschieden, ob die Ausreise freiwillig oder unfreiwillig erfolgt ist. Nur bei einer unfreiwilligen Ausreise wird von einem Wegfall des Schutzes der UNRWA ausgegangen. Was unter unfreiwilliger Ausreise aus dem Tätigkeitsgebiet der UNRWA zu verstehen ist, steht dabei in engem Zusammenhang mit der Tätigkeit der UNRWA. Solange die UNRWA ihre Aufgaben im Tätigkeitsgebiet wahrnimmt, kann die Ausreise grundsätzlich nicht als notwendig und damit unfreiwillig angesehen werden.

7.

7.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei aufgrund des Bürgerkriegs gezwungen gewesen, das Land zu verlassen, um sein Leben zu retten. Es sei ihm nicht möglich, durch eine Rückkehr auf den Schutz der UNRWA zurückzugreifen. Ein Reisedokument werde ihm von den syrischen Behörden überdies erst wieder ausgestellt, wenn er den Militärdienst in der syrischen Armee geleistet habe.

7.2 Die Vorinstanz hielt in ihrer Verfügung vom 19. Oktober 2016 (Ziff. II/5 S. 5) fest, die UNRWA sei, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, weiterhin in Syrien tätig. Soweit es um die Ausstellung von Reisedokumenten für palästinensische Flüchtlinge gehe, sei davon auszugehen, dass die syrische Vertretung in der Schweiz solche weiterhin ausstelle. In ihrer Vernehmlassung vom 31. Januar 2017 stellt sich die Vorinstanz zudem auf den Standpunkt, die Tatsache einer unfreiwilligen Ausreise habe keine Konsequenzen auf die Ausstellung von Reisedokumenten durch die syrische Vertretung in der Schweiz. Belege für das Gegenteil habe der Beschwerdeführer trotz entsprechender Aufforderung nicht vorgelegt.

8.

8.1 Die UNRWA leistete zur Zeit der Ausreise des Beschwerdeführers im November 2013 und leistet trotz der sehr schwierigen Situation nach wie vor humanitäre (Not-)Hilfe und führt ihre übrigen Tätigkeiten fort, soweit es die Situation zulässt (vgl. Website der UNRWA: www.unrwa.org > What we do > Emergency Response bzw. Where we work > Syria; besucht im Juni 2019). In diesem Zusammenhang ergeben sich somit keine ausserhalb des Einflussbereichs des Beschwerdeführers liegende Gründe für die Ausreise aus dem Tätigkeitsgebiet der UNRWA.

8.2

8.2.1 Gemäss seinen Angaben im Asylverfahren verliess der Beschwerdeführer seinen Wohnort X._______ am 13. November 2013 und reiste in die Türkei. Er verfügte über einen am 13. Oktober 2013 von den syrischen Behörden ausgestellten Reiseausweis für palästinensische Flüchtlinge. Am 14. Februar 2014 reiste er mit einem Laissez-passer und einem (humanitären) Visum - beide von der Schweiz ausgestellt - von der Türkei aus in die Schweiz ein und ersuchte am 26. Februar 2014 um Asyl. In der Befragung zur Person (BzP) am 21. März 2014 gab er an, wegen des Krieges ausgereist zu sein. Er persönlich sei allerdings nicht konkret vom Krieg betroffen gewesen (Akten SEM A3/10 Ziff. 7.01 S. 7). In der Anhörung zu den Asylgründen vom 5. März 2015 beschrieb der Beschwerdeführer, dass der Schul- und später der Arbeitsweg durch Kontrollposten deutlich verlängert worden sei. Er sei immer wieder gefragt worden, weshalb er keinen Militärdienst leiste. Sein Bruder habe ihm geraten, das Land zu verlassen, damit er nicht in den Militärdienst müsse. Er sei aufgefordert worden, sein Militärbüchlein abzuholen und spätestens wenn er 18 Jahre alt sei, Militärdienst zu leisten. Wäre er in Syrien geblieben, wäre er ins Militär eingezogen worden (Akten SEM A8/12 S. 3 f., S. 6 f.).

8.2.2 Aus der Beschreibung der Umstände der Ausreise des Beschwerdeführers aus Syrien ergeben sich keine Hinweise auf Gründe, die im vorliegenden Kontext relevant sein können (vgl. E. 6.1). Vielmehr ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, dass die Ausreise zwar im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg erfolgte, jedoch nicht aufgrund eines Versagens der UNRWA und einer daraus entstehenden Not. Vielmehr stand beim Beschwerdeführer die bevorstehende Pflicht, in der syrischen Armee Dienst zu leisten, im Zentrum. Für eine im obenerwähnten Sinne freiwillige Ausreise spricht auch die sorgfältige Planung, zu der die Beschaffung eines Reisedokuments gehörte, das dem Beschwerdeführer am 13. Oktober 2013 ausgestellt wurde. Einen Monat später reisten er und seine Familie in die Türkei aus.

8.2.3 Insgesamt kann die Ausreise im Jahre 2013 nicht als vom Willen des Beschwerdeführers unabhängig angesehen werden.

8.3 Was die Pflicht zur Leistung von Militärdienst anbelangt, so vermag diese die Beurteilung der Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ nicht zu beeinflussen. Der Beschwerdeführer gehört zu der Gruppe palästinensischer Flüchtlinge in Syrien, die eine gegenüber anderen Gruppen von Ausländern privilegierte Rechtsstellung geniessen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen (z.B. politische Rechte) geniessen sie die gleiche Stellung wie syrische Staatsangehörige. Diesen weitgehenden Rechten steht die Pflicht für Männer, Militärdienst zu leisten, gegenüber (vgl. Noura Erakat, Palestinian Refugees and the Syrian Uprising: Filling the Protection Gap during Secondary Forced Displacement, International Journal of Refugee Law, 2014, Vol. 26, Nr. 4, S. 581-621, S. 598; Asem Khalil, Socioeconomic Rights of Refugees, The Case of Palestinian Refugees in Egypt, Jordan, Lebanon, and Syria, 2010, S. 23 f.; Abbas Shiblak, Stateless Palestinians, in: Forced Migration Review 26 [August 2006] S. 9; Takkenberg, a.a.O., S. 167 f.; vgl. ferner: Australia, Departement of Foreign Affairs and Trade [DFAT], DFAT Thematic Report on Conditions in Syria, 2017, Ziff. 3.11 und 3.13 S. 10 f., Quelle: www.ecoi.net; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [BFA], Fact Finding Mission Report Syrien, 2017, S. 24, Quelle: www.ecoi.net; Finnish Immigration Service, Syria, Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, 2016, S. 5, Quelle: www.ecoi.net; zuletzt besucht im Juni 2019). Hieraus wird deutlich, dass allein das Bestehen der Militärdienstpflicht den von der UNRWA gewährten Schutz nicht dahinfallen lässt. Ansonsten würden alle bei der UNRWA registrierten palästinensischen Flüchtlinge, die militärdienstpflichtig sind, vom Mandat der UNRWA ausgenommen. Die Pflicht, Militärdienst zu leisten, vermag somit nichts an der rechtlichen Stellung der betroffenen Personen in Syrien zu ändern, die sie grundsätzlich in den Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ bringt.

8.4 Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, er könne auch im Falle einer Rückkehr nach Syrien die Unterstützung der UNRWA nicht in Anspruch nehmen. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Auch hierbei ist die Fähigkeit der UNRWA, ihr Mandat auszuüben, als Massstab anzuwenden (vgl. Takkenberg, a.a.O., S. 101, 108). Würde der Beschwerdeführer sich entscheiden, freiwillig nach Syrien zurückzukehren, könnte er auf die Leistungen der UNRWA zurückgreifen (vgl. Takkenberg, a.a.O., S. 110 f.). Dass er in der Schweiz zur Zeit vorläufig aufgenommen ist, bedeutet nicht, dass er nicht zurückkehren könnte, sofern er den Wunsch hätte, sondern, dass die Wegweisung wegen der unsicheren Lage in Syrien zur Zeit nicht (zwangsweise) vollzogen wird.

8.5 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich nach wie vor unter das Mandat der UNRWA i.S. von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ fällt. Allerdings ist sein aktuelles Schutzbedürfnis in die Beurteilung miteinzubeziehen (vgl. E. 5.4).

9.

Soweit der Beschwerdeführer das Fehlen des diplomatischen Schutzes als konkreten Nachteil seiner Situation geltend macht, vermag dieser Umstand, wie in E. 5.3 ausgeführt, an der Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ auf den Beschwerdeführer nichts zu ändern.

9.1

9.1.1 Als weiteren konkreten Nachteil seiner derzeitigen Situation nennt der Beschwerdeführer das Fehlen von Reisedokumenten. Ihm sei im Zusammenhang mit der Ausstellung des Reisedokuments im Jahre 2013 gesagt worden, ein neuer Ausweis werde ihm erst nach der Erfüllung seiner Militärdienstpflicht ausgestellt.

9.1.2 Es finden sich Hinweise, dass die Ausstellung von Reisedokumenten an den Nachweis, der Militärdienstpflicht nachgekommen zu sein, oder zumindest an eine Bewilligung der zuständigen Militärbehörde geknüpft wird (vgl. etwa DFAT, a.a.O., S. 27; IRB - Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Requiremens and procedures to obtain, renew, and replace passports an national identity cards, [...], 2017, Ziff. 1.1, Quelle: www.ecoi.net, besucht im Juni 2019; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 2017, S. 13). Daneben gibt es auch Hinweise auf mögliche Ausnahmen von der Militärdienstpflicht (vgl. etwa Finnish Immigration Service, a.a.O., S. 7, 9; BFA, a.a.O., S. 19 f., S. 33). Zudem besteht offenbar auch für palästinensische Flüchtlinge die Möglichkeit, Reisedokumente bei den syrischen Auslandvertretungen zu beantragen (vgl. etwa Erakat, a.a.O., S. 598; IRB, a.a.O., Ziff. 1.2).

9.1.3 Soweit aus den Akten ersichtlich, hat sich der Beschwerdeführer bisher nicht um die Ausstellung von Reisedokumenten durch die syrische Vertretung in der Schweiz bemüht. Es kann daher nicht beurteilt werden, in welche der oben genannten Kategorien er fällt und ob allenfalls in der speziellen Situation des Beschwerdeführers - in der Schweiz vorläufig aufgenommen wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs nach Syrien -von einem Wegfall des Schutzes durch die UNRWA (Ausstellung von Reisedokumenten durch die syrischen Behörden gestützt auf das Casablanca-Protocol, vgl. E. 5.2) auszugehen wäre. Der in der Beschwerdeschrift (Art. 5 ) dargelegte Umstand, dass ein Pass für eine ausländische Person, der gestützt auf Art. 59 Abs. 2 Bst. b AIG ausgestellt wird, für den Beschwerdeführer vorteilhafter wäre als ein von den syrischen Behörden ausgestelltes Reisedokument, kommt bei der vorliegenden Beurteilung keinerlei Gewicht zu.

9.2 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Voraussetzungen, um den Beschwerdeführer von der Anwendung der Ausnahmeklausel von Art. 1 Abs. 2 Ziff. i StÜ auszunehmen, nicht erfüllt sind.

10.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung im Lichte von Art. 49 VwVG nicht zu beanstanden ist. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

11.
Bei diesem Ausgang wären die Verfahrenskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Da ihm jedoch die unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 und Abs. 2 VwVG gewährt wurde, ist er einerseits davon befreit, für die entstandenen Verfahrenskosten aufzukommen. Andererseits sind die Kosten der Rechtsvertretung von der erkennenden Behörde zu übernehmen und dem Rechtsbeistand gemäss Art. 9 ff
SR 173.320.2 Reglement vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE)
VGKE Art. 9 Kosten der Vertretung
1    Die Kosten der Vertretung umfassen:
a  das Anwaltshonorar oder die Entschädigung für eine nichtanwaltliche berufsmässige Vertretung;
b  die Auslagen, namentlich die Kosten für das Kopieren von Schriftstücken, die Reise-, Verpflegungs- und Unterkunftskosten, die Porti und die Telefonspesen;
c  die Mehrwertsteuer für die Entschädigungen nach den Buchstaben a und b, soweit eine Steuerpflicht besteht und die Mehrwertsteuer nicht bereits berücksichtigt wurde.
2    Keine Entschädigung ist geschuldet, wenn der Vertreter oder die Vertreterin in einem Arbeitsverhältnis zur Partei steht.
. des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) ein amtliches Honorar zulasten der Gerichtskasse auszurichten. Da der Rechtsvertreter keine Kostennote eingereicht hat, ist das Honorar aufgrund der Akten festzulegen (vgl. Art. 14 Abs. 2
SR 173.320.2 Reglement vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE)
VGKE Art. 14 Festsetzung der Parteientschädigung
1    Die Parteien, die Anspruch auf Parteientschädigung erheben, und die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen haben dem Gericht vor dem Entscheid eine detaillierte Kostennote einzureichen.
2    Das Gericht setzt die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen auf Grund der Kostennote fest. Wird keine Kostennote eingereicht, so setzt das Gericht die Entschädigung auf Grund der Akten fest.
VGKE). Unter Berücksichtigung der rechtlichen Komplexität und des Umfangs des Verfahrens ist von einem Gesamtaufwand von Fr. 2'800.- auszugehen. Gelangt der Beschwerdeführer später zu hinreichenden Mitteln, so hat er dem Gericht das amtliche Honorar zu vergüten (vgl. Art. 65 Abs. 4
SR 173.320.2 Reglement vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE)
VGKE Art. 14 Festsetzung der Parteientschädigung
1    Die Parteien, die Anspruch auf Parteientschädigung erheben, und die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen haben dem Gericht vor dem Entscheid eine detaillierte Kostennote einzureichen.
2    Das Gericht setzt die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen auf Grund der Kostennote fest. Wird keine Kostennote eingereicht, so setzt das Gericht die Entschädigung auf Grund der Akten fest.
VwVG).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

3.
Dem amtlichen Anwalt, Fürsprecher Peter Weibel, wird ein Honorar von Fr. 2'800.- zulasten der Gerichtskasse zugesprochen.

Gelangt der Beschwerdeführer später zu hinreichenden Mitteln, hat er dem Gericht das Honorar zu vergüten.

4.
Dieses Urteil geht an:

- den Beschwerdeführer (Gerichtsurkunde; Formular Zahladresse)

- die Vorinstanz (Ref-Nr. [...]; gegen Empfangsbestätigung; Beilagen: Doppel der Schlussbemerkungen vom 28. April 2017 [Akt. 11], Vorakten)

Für die Rechtsmittelbelehrung wird auf die nächste Seite verwiesen.

Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:

Martin Kayser Barbara Kradolfer

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff
SR 173.320.2 Reglement vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE)
VGKE Art. 14 Festsetzung der Parteientschädigung
1    Die Parteien, die Anspruch auf Parteientschädigung erheben, und die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen haben dem Gericht vor dem Entscheid eine detaillierte Kostennote einzureichen.
2    Das Gericht setzt die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen auf Grund der Kostennote fest. Wird keine Kostennote eingereicht, so setzt das Gericht die Entschädigung auf Grund der Akten fest.
., 90 ff. und 100 BGG). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie der Beschwerdeführer in Händen hat, beizulegen (Art. 42
SR 173.320.2 Reglement vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE)
VGKE Art. 14 Festsetzung der Parteientschädigung
1    Die Parteien, die Anspruch auf Parteientschädigung erheben, und die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen haben dem Gericht vor dem Entscheid eine detaillierte Kostennote einzureichen.
2    Das Gericht setzt die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtlich bestellten Anwälte und Anwältinnen auf Grund der Kostennote fest. Wird keine Kostennote eingereicht, so setzt das Gericht die Entschädigung auf Grund der Akten fest.
BGG).

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Decision information   •   DEFRITEN
Document : F-7244/2016
Date : 03. Juli 2019
Published : 22. Juli 2019
Source : Bundesverwaltungsgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Bürgerrecht und Ausländerrecht
Subject : Anerkennung der Staatenlosigkeit


Legislation register
AuG: 5  59
BGG: 42  82
VGG: 31  37
VGKE: 9  14
VwVG: 48  49  62  63  65
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
syria • departure • lower instance • federal administrational court • diplomatic protection • remuneration • person concerned • costs of the proceedings • outside • judicature without remuneration • bailiff • arab league • counterplea • complaint to the federal administrative court • convention relating to the status of refugees • condition • social security • distress • question • evidence
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BVGE
2014/5 • 2014/1 • 2008/34
BVGer
C-6841/2008 • F-7244/2016