Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}

6B_326/2013

Urteil vom 2. September 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Borner.

Verfahrensbeteiligte
R.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger,
Beschwerdeführer,

gegen

Jugendanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Verteidigungs- und Verfahrenskosten, Genugtuung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Jugendstrafkammer, vom 26. Februar 2013.

Sachverhalt:

A.

Das Jugendgericht Brugg verurteilte R.________ am 22. September 2010 wegen versuchten bewaffneten Raubs, Raufhandels, mehrfacher einfacher Körperverletzung, mehrfacher Nötigung, Drohung und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten und Fr. 400.-- Busse. Der Strafvollzug wurde zugunsten einer Massnahme für junge Erwachsene aufgeschoben. Nachdem die Massnahme wegen Aussichtslosigkeit aufgehoben worden war, ordnete das Gericht den Vollzug der Strafe an.

B.

Kurz vor Ende der Freiheitsstrafe am 12. April 2012 beantragte die Jugendanwaltschaft, gegen R.________ sei nachträglich eine stationäre Massnahme anzuordnen. Am erwähnten Datum wurde er in Sicherheitshaft versetzt, die bis zum 27. Februar 2013 (Ausschaffung) dauerte.

Das Gericht wies am 13. Juni 2012 den Antrag ab. Die Berufung der Jugendanwaltschaft wies das Obergericht des Kantons Aargau am 26. Februar 2013 ab.

C.

R.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt sinngemäss, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Obergericht und die Jugendanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet (act. 11 f.).

Erwägungen:

1.

Das vorinstanzliche Dispositiv bestimmt, dass die Entschädigung an den amtlichen Verteidiger vom Verurteilten zurückgefordert wird, sobald seine wirtschaftlichen Verhältnisse es erlauben (Ziff. 3 Abs. 2).

Der Beschwerdeführer beantragt, dieser Absatz sei wie folgt zu ersetzen: "Die Entschädigung wird vom Verurteilten nicht zurückgefordert." Diesem Antrag ist die Vorinstanz inzwischen in einer Berichtigung von Amtes wegen nachgekommen (act. 8), weshalb er gegenstandslos ist.

2.

Der Beschwerdeführer macht geltend, vom Ende der Freiheitsstrafe am 12. April 2012 bis zu seiner Ausschaffung am 27. Februar 2013 sei er zu Unrecht in Sicherheitshaft gewesen. Die Vorinstanz hätte deshalb von Amtes wegen prüfen müssen, ob er einen Anspruch auf Genugtuung habe (Art. 429
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 429 Ansprüche - 1 Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf:
1    Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf:
a  eine nach dem Anwaltstarif festgelegte Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte, wobei beim Anwaltstarif nicht unterschieden wird zwischen der zugesprochenen Entschädigung und den Honoraren für die private Verteidigung;
b  Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind;
c  Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug.
2    Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldigte Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen.
3    Hat die beschuldigte Person eine Wahlverteidigung mit ihrer Verteidigung betraut, so steht der Anspruch auf Entschädigung nach Absatz 1 Buchstabe a ausschliesslich der Verteidigung zu unter Vorbehalt der Abrechnung mit ihrer Klientschaft. Gegen den Entschädigungsentscheid kann die Verteidigung das Rechtsmittel ergreifen, das gegen den Endentscheid zulässig ist.275
StPO), zumal er darauf weder explizit noch implizit verzichtet habe.

Die (zu Recht angeordnete) Sicherheitshaft dauerte über das Ende der Freiheitsstrafe hinaus an. Wenn (theoretisch) eine Verlängerung der Freiheitsstrafe zu beurteilen gewesen und abschlägig entschieden worden wäre, hätte das Gericht von Amtes wegen prüfen müssen, ob der Betroffene einen Anspruch auf Genugtuung habe. Weil eine Freiheitsstrafe und eine stationäre Massnahme von der Einschränkung der persönlichen Freiheit her vergleichbar sind, hätte die Vorinstanz somit von Amtes wegen prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Genugtuung hat (Art. 429 ff
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 429 Ansprüche - 1 Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf:
1    Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf:
a  eine nach dem Anwaltstarif festgelegte Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte, wobei beim Anwaltstarif nicht unterschieden wird zwischen der zugesprochenen Entschädigung und den Honoraren für die private Verteidigung;
b  Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind;
c  Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug.
2    Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldigte Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen.
3    Hat die beschuldigte Person eine Wahlverteidigung mit ihrer Verteidigung betraut, so steht der Anspruch auf Entschädigung nach Absatz 1 Buchstabe a ausschliesslich der Verteidigung zu unter Vorbehalt der Abrechnung mit ihrer Klientschaft. Gegen den Entschädigungsentscheid kann die Verteidigung das Rechtsmittel ergreifen, das gegen den Endentscheid zulässig ist.275
. StPO). Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben, das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist gegenstandslos und dessen Rechtsvertreter ist vom Kanton Aargau angemessen zu entschädigen (Art. 66 Abs. 4
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
und Art. 68 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird, soweit sie nicht gegenstandslos geworden ist, gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 26. Februar 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Jugendstrafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. September 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Borner
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 6B_326/2013
Datum : 02. September 2013
Publiziert : 16. September 2013
Quelle : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Strafprozess
Gegenstand : Verteidigungs- und Verfahrenskosten, Genugtuung


Gesetzesregister
BGG: 66 
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
68
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
StPO: 429
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 429 Ansprüche - 1 Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf:
1    Wird die beschuldigte Person ganz oder teilweise freigesprochen oder wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie Anspruch auf:
a  eine nach dem Anwaltstarif festgelegte Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte, wobei beim Anwaltstarif nicht unterschieden wird zwischen der zugesprochenen Entschädigung und den Honoraren für die private Verteidigung;
b  Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind;
c  Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug.
2    Die Strafbehörde prüft den Anspruch von Amtes wegen. Sie kann die beschuldigte Person auffordern, ihre Ansprüche zu beziffern und zu belegen.
3    Hat die beschuldigte Person eine Wahlverteidigung mit ihrer Verteidigung betraut, so steht der Anspruch auf Entschädigung nach Absatz 1 Buchstabe a ausschliesslich der Verteidigung zu unter Vorbehalt der Abrechnung mit ihrer Klientschaft. Gegen den Entschädigungsentscheid kann die Verteidigung das Rechtsmittel ergreifen, das gegen den Endentscheid zulässig ist.275
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