Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B 405/2010
Urteil vom 1. Oktober 2010
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiber Briw.
Verfahrensbeteiligte
Y.________, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Erdös,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. X.________, vertreten durch Rechtsanwältin Stefanie Wagner,
2. Generalprokurator des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Genugtuung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 22. Januar 2010.
Sachverhalt:
A.
X.________ wird vorgeworfen, am 3. März 2006 A.________ mit einem Messer in den rechten Oberkörper und Oberarm gestochen, mit dem Stich in den Oberarm die grosse Armarterie durchtrennt und dadurch seinen Tod verursacht zu haben. Sie habe seine Tötung zumindest in Kauf genommen. Weiter wurde sie der Widerhandlungen gegen das BetmG angeklagt.
B.
Das Kreisgericht des Gerichtskreises X Thun erklärte sie am 29. Mai 2009 der vorsätzlichen Tötung sowie der mehrfachen und mengenmässig qualifizierten Widerhandlungen gegen das BetmG schuldig und verurteilte sie zu 4 Jahren Freiheitsstrafe (unter Anrechnung von 99 Tagen Untersuchungshaft) sowie zur Zahlung von Fr. 3'000.-- als Schadenersatz an Y.________, die Mutter des Opfers, und Genugtuungssummen von Fr. 5'000.-- an sie und ihren Ehegatten sowie von Fr. 10'000.-- an die Schwester des Opfers.
Auf Appellation der Angeklagten, der Staatsanwaltschaft (betreffend die Sanktion) sowie der Eltern des Opfers im Zivilpunkt stellte das Obergericht des Kantons Bern am 22. Januar 2010 fest, dass der kreisgerichtliche Schuldspruch wegen Widerhandlungen gegen das BetmG in Rechtskraft erwachsen ist. Es verurteilte die Angeklagte wegen vorsätzlicher Tötung zu 5 Jahren Freiheitsstrafe sowie zur Bezahlung von Fr. 5'000.-- Schadenersatz an Y.________ und bestätigte die vom Kreisgericht zugesprochenen Genugtuungssummen, insbesondere auch den Betrag von Fr. 5'000.-- an Y.________.
C.
Y.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, ihr eine Genugtuung von Fr. 10'000.-- zu Lasten von X.________ zuzusprechen sowie ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
In der Vernehmlassung beantragt X.________, die Beschwerde abzuweisen und die Zivilforderung zurückzuweisen. Obergericht und Staatsanwaltschaft verzichten auf Vernehmlassung.
D.
Das Bundesgericht weist mit heutigem Entscheid die Beschwerde in Strafsachen von X.________ ab, soweit es darauf eintritt (Urteil 6B 432/2010).
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht stellte die Vernehmlassung von X.________ ohne Fristansetzung der Beschwerdeführerin zu. Nach Treu und Glauben müsste eine Stellungnahme umgehend erfolgen. Das Bundesgericht wartet mit der Entscheidfällung zu, bis es annehmen darf, der Adressat verzichte auf eine Stellungnahme (BGE 131 I 98 E. 2.2). Die Beschwerdeführerin reagierte innert nützlicher Frist nicht.
2.
2.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei als Mutter die nächste Verwandte des Opfers. Die Vorinstanz stütze sich einseitig auf Aussagen ihrer Tochter (der Zwillingsschwester des Opfers) ab und behaupte auch aktenwidrig, ihr Sohn sei wegen erzieherischer Verwahrlosung in ein Heim verbracht worden, während er aus rein gesundheitlichen Gründen mit ca. 10 Jahren in ein Schülerheim gekommen sei. Ein Geburtsgebrechen habe zu Verhaltensauffälligkeiten geführt. Die Höhe der Genugtuungssumme hänge massgeblich von der Beeinträchtigung des Nähegefühls im Zeitpunkt der Tötung ab (mit Hinweis auf Urteil 1C 106/2008 vom 24. September 2008 E. 3.2.2). "Sie [die Beschwerdeführerin] kämpfte, sie hoffte und sie litt mit ihm, wenn es ihm nicht gelingen wollte, die von ihm erwartete Leistung zu erbringen und das von ihm erwartete Verhalten zu zeigen." Die Vorinstanz habe sich mit der Mutter-Sohn-Beziehung nicht auseinandergesetzt und nicht erwogen, welche spezielle Situation durch die Drogensucht und die angeborene Invalidität bestanden hatte. Sein Tod habe bei ihr tief greifendes Leid ausgelöst. Sie werde wohl nie darüber hinweg kommen. Die Vorinstanz verletze mit der Nichtberücksichtigung dieser Tatsachen das rechtliche Gehör und mit der
fehlenden Angabe des Ausmasses des Mitverschuldens ihre Begründungspflicht. Die Genugtuungsansprüche in den Urteilen 1C 106/2008 a.a.O. [Fr. 20'000.--], 1A.169/2001 vom 7. Februar 2002 [Fr. 15'000.--] und 1A.120/1999 vom 17. Januar 2000 [Fr. 25'000.--] bei Verlust eines erwachsenen, nicht mehr im gleichen Haushalt lebenden Kindes zeigten, dass Fr. 5'000.-- zu tief seien.
2.2 Die Vorinstanz verweist zunächst auf die Ausführungen der Erstinstanz (act. VII/481 ff.) und führt zusammenfassend insbesonders aus, bereits neunjährig sei das Opfer unter anderem wegen erzieherischer Verwahrlosung in ein Heim in St. Gallen und später in ein bündnerisches Heim verbracht worden, wo es seine Kindes- und Jugendzeit erlebte. Ein regelmässiger Kontakt habe in dieser Zeit zu seinen Eltern nicht bestanden. In den Jahren vor seinem Tod habe es vor allem zu seiner Zwillingsschwester Kontakt gehabt. Die Eltern hätten teilweise nicht gewusst, wo es sich aufhielt und wie es ihm ging. Diese Beziehung sei gestört gewesen. Nach Aussage der Schwester habe das Opfer wahnsinnige Wut auf seine Eltern gehabt. Insgesamt sei diese Beziehung als massiv unterdurchschnittlich zu bezeichnen (angefochtenes Urteil S. 63 f.).
2.3 Bei Tötung eines Menschen kann das Gericht unter Würdigung der besonderen Umstände den Angehörigen des Getöteten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen (Art. 47
SR 220 Parte prima: Disposizioni generali Titolo primo: Delle cause delle obbligazioni Capo primo: Delle obbligazioni derivanti da contratto CO Art. 47 - Nel caso di morte di un uomo o di lesione corporale, il giudice, tenuto conto delle particolari circostanze, potrà attribuire al danneggiato o ai congiunti dell'ucciso un'equa indennità pecuniaria a titolo di riparazione. |
Bemessungskriterien sind dabei vor allem die Art und Schwere des Eingriffs, die Intensität und Dauer der Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen sowie der Grad des Verschuldens des Geschädigten. Dem Gericht steht ein weites Ermessen zu. Das Bundesgericht übt bei der Überprüfung Zurückhaltung und greift in den Ermessensentscheid nur ein, wenn sich dieser als offensichtlich unbillig oder in stossender Weise als ungerecht erweist (BGE 127 IV 215 E. 2a; 128 IV 53 E. 7a S. 71).
Die Hinweise der Beschwerdeführerin auf Genugtuungssummen für die mit einem Flugzeug verunglückten russischen Kinder oder im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt im Zuger Kantonsratssaal 2001 (hier legte die Zuger Sicherheitsdirektion gemäss Art. 12 Abs. 2
SR 312.5 Legge federale del 23 marzo 2007 concernente l'aiuto alle vittime di reati (LAV) LAV Art. 12 Consulenza - 1 I consultori consigliano la vittima e i suoi congiunti e li aiutano a far valere i loro diritti. |
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1 | I consultori consigliano la vittima e i suoi congiunti e li aiutano a far valere i loro diritti. |
2 | Se ricevono un avviso secondo l'articolo 8 capoverso 1 o 2, i consultori si mettono in contatto con la vittima o con i suoi congiunti.12 |
erhielt (Urteil S. 59). Das Zitat aus einer nicht aktenmässig belegten Eingabe vom 12. Januar 2010 (Beschwerde S. 6 f.) widerspricht wohl dieser Beweiswürdigung, vermag aber als blosse Schilderung eines gegensätzlichen Parteistandpunkts Willkür nicht zu belegen.
Im oben E. 2.1 erwähnten Urteil 1C 106/2008 führt das Bundesgericht gestützt auf die Literatur aus, für die Bemessung der Genugtuung bei einer Tötung sei insbesondere die Intensität der Beziehung zwischen der getöteten Person und deren Angehörigen massgebend. Die Höhe hänge massgeblich vom Ausmass der Beeinträchtigung des tatsächlichen Nähegefühls zwischen dem Getöteten und dem Anspruchsteller im Zeitpunkt der Tötung ab. Im Urteil 1A.169/2001 sei der Mutter der von ihrem Ehegatten getöteten Tochter Fr. 15'000.-- zugesprochen worden. Im Urteil 1A.120/1999 sei der Mutter einer in ihrem Haushalt lebenden Tochter wegen der besonderen Umstände Fr. 25'000.-- zugesprochen worden. Danach sei die (im Urteil 1C 106/2008 zugrunde liegende) angenommene Basis-Genugtuung von Fr. 20'000.-- als Ausgangspunkt nicht offensichtlich ungerecht.
Bereits die Erstinstanz misst dem "Nähegefühl" oder der Intensität der Beziehung wesentliche Bedeutung zu. Sie führte aus, die Tatsache, dass die Eltern seit langer Zeit keinen Kontakt zum Opfer hatten, nicht wussten, was es machte und wo es sich aufhielt, und auch keine grossen Anstrengungen unternahmen, um dies herauszufinden, wirke sich stark genugtuungsmindernd aus. Diese Beziehung könne in keiner Weise als "normal" bezeichnet werden, sondern sei massiv unterdurchschnittlich gewesen. Im Zeitpunkt seines Todes sei das Opfer weder seiner Mutter noch seinem Vater besonders nahe gestanden. Dass die Mutter psychiatrischer Behandlung bedurfte, ändere daran nichts (Urteil S. 58 und 59; act. VII/495 f.). Es ergibt sich, dass im Zeitpunkt des Todes keine nahe Beziehung zur Mutter bestand.
2.4 Genugtuungsrechtlich entscheidet die tatsächliche Beziehung im Zeitpunkt des Todes. Nach dem für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1
SR 173.110 Legge del 17 giugno 2005 sul Tribunale federale (LTF) - Organizzazione giudiziaria LTF Art. 105 Fatti determinanti - 1 Il Tribunale federale fonda la sua sentenza sui fatti accertati dall'autorità inferiore. |
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1 | Il Tribunale federale fonda la sua sentenza sui fatti accertati dall'autorità inferiore. |
2 | Può rettificare o completare d'ufficio l'accertamento dei fatti dell'autorità inferiore se è stato svolto in modo manifestamente inesatto o in violazione del diritto ai sensi dell'articolo 95. |
3 | Se il ricorso è diretto contro una decisione d'assegnazione o rifiuto di prestazioni pecuniarie dell'assicurazione militare o dell'assicurazione contro gli infortuni, il Tribunale federale non è vincolato dall'accertamento dei fatti operato dall'autorità inferiore.96 |
3.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann gutgeheissen werden. Entsprechend sind keine Kosten zu erheben und dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung zuzusprechen (Art. 64
SR 173.110 Legge del 17 giugno 2005 sul Tribunale federale (LTF) - Organizzazione giudiziaria LTF Art. 64 Gratuito patrocinio - 1 Se una parte non dispone dei mezzi necessari e le sue conclusioni non sembrano prive di probabilità di successo, il Tribunale federale la dispensa, su domanda, dal pagamento delle spese giudiziarie e dalla prestazione di garanzie per le spese ripetibili. |
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1 | Se una parte non dispone dei mezzi necessari e le sue conclusioni non sembrano prive di probabilità di successo, il Tribunale federale la dispensa, su domanda, dal pagamento delle spese giudiziarie e dalla prestazione di garanzie per le spese ripetibili. |
2 | Se è necessario per tutelare i diritti di tale parte, il Tribunale federale le designa un avvocato. Questi ha diritto a un'indennità adeguata, versata dalla cassa del Tribunale, in quanto le spese di patrocinio non possano essere coperte dalle spese ripetibili. |
3 | La corte decide sulla domanda di gratuito patrocinio nella composizione di tre giudici. Rimangono salvi i casi trattati in procedura semplificata secondo l'articolo 108. Il gratuito patrocinio può essere concesso dal giudice dell'istruzione se è indubbio che le relative condizioni sono adempiute. |
4 | Se in seguito è in grado di farlo, la parte è tenuta a risarcire la cassa del Tribunale. |
Der mit ihrem Vernehmlassungsantrag unterliegenden Beschwerdegegnerin sind keine Kosten aufzuerlegen. Sie bekräftigt damit lediglich das Rechtsbegehren ihrer strafrechtlichen Beschwerde. Es können ihr nicht zweimal in der gleiche Sache die Kosten auferlegt werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt Christoph Erdös, wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 2'000.-- entschädigt.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 1. Oktober 2010
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Favre Briw