Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal
Geschäftsnummer:
BK.2006.4
Entscheid vom 1. Juni 2006 Beschwerdekammer
Besetzung
Bundesstrafrichter Emanuel Hochstrasser, Vorsitz, Andreas J. Keller und Tito Ponti , Gerichtsschreiberin Petra Williner
Parteien
A., vertreten durch Fürsprecher Bruno Hunziker,
Gesuchsteller
gegen
Schweizerische Bundesanwaltschaft,
Gesuchsgegnerin
Gegenstand
Entschädigungsbegehren (Art. 122
BStP)
Sachverhalt:
A. Am 22. März 1999 eröffnete die Schweizerische Bundesanwaltschaft (nachfolgend „Bundesanwaltschaft“) ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen die durch A. vertretenen verantwortlichen Organe der B. SA wegen Verdachts der Widerhandlung gegen das Kriegsmaterialgesetz. Auf Antrag der Bundesanwaltschaft verfügte das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt (nachfolgend „Untersuchungsrichteramt“) am 30. Juni 1999 die Eröffnung der Voruntersuchung (Akten URA, VU.1999.1, Schlussbericht vom 16. November 2005, S. 10 f.). Mit Verfügung vom 16. Juli 2003 schloss das Untersuchungsrichteramt die Voruntersuchung und stellte den Schlussbericht in Aussicht (Akten URA, VU.1999.1, Allgemeine Verfahrensakten, S. 64). Am 16. November 2003 übermittelte das Untersuchungsrichteramt der Bundesanwaltschaft schliesslich den Schlussbericht und beantragte, von der Strafverfolgung zurückzutreten und die Einstellung des Verfahrens zu veranlassen (Akten URA, VU.1999.1, Schlussbericht vom 16. November 2003, S. 138). Die Bundesanwaltschaft teilte dem Untersuchungsrichteramt am 24. März 2004 mit, sie trete von der Strafverfolgung zurück und gewärtige die Einstellungsverfügung des Untersuchungsrichteramtes (act. 1.5).
B. Am 13. September 2004 gelangte A. an die Bundesanwaltschaft und verlangte sinngemäss, es seien ihm seine Verteidigungskosten in der Höhe von Fr. 115'806.25 zu vergüten, und es sei ihm eine Genugtuung von Fr. 10'000.-- auszurichten (Verfahren
BK.2005.20 act. 1).
Nachdem die Bundesanwaltschaft das Gesuch zuständigkeitshalber an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts weitergeleitet und Letztere einen Schriftenwechsel durchgeführt hatte, trat die Beschwerdekammer mangels Vorliegens einer formellen Einstellungsverfügung auf das Gesuch nicht ein und auferlegte A. die Gerichtsgebühr in der Höhe von Fr. 500.-- (Entscheid des Bundesstrafgerichts
BK.2005.20 vom 12. Januar 2006).
Der Rechtsvertreter von A. reichte der Beschwerdekammer hierauf am 19. Januar 2006 per Telefax die vom 31. März 2004 datierende Einstellungsverfügung des Untersuchungsrichteramtes nach, die weder seinem Gesuch beigelegen hatte, noch in den Verfahrensakten enthalten gewesen war (Verfahren
BK.2005.20 act. 17). Die Beschwerdekammer teilte dem Rechtsvertreter von A. daraufhin mit, sie überlasse es ihm, die angesichts der gegebenen Rechts- und Sachlage erforderlichen Schritte einzuleiten. In der Zwischenzeit erfahre der ergangene Entscheid keine Änderung (Verfahren
BK.2005.20 act. 18).
C. Am 28. Februar 2006 wendet sich A. mit neuerlichem Gesuch an die Bundesanwaltschaft und fordert eine Entschädigung in der Höhe von Fr. 119'306.25 sowie eine Genugtuung von Fr. 10'000.--, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (act. 1).
Auf Aufforderung der Bundesanwaltschaft verweist das Untersuchungsrichteramt am 27. März 2006 auf seine Stellungnahme vom 9. November 2005 im Verfahren
BK.2005.20, wonach es sinngemäss auf Gutheissung des Gesuches schliesst, wobei der Stundenansatz auf Fr. 200.-- bzw. 180.-- zu reduzieren sei (act. 2; Verfahren
BK.2005.20 act. 2.2).
Die Bundesanwaltschaft leitete das Entschädigungsbegehren am 24. April 2006 zuständigkeitshalber an die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts weiter und beantragt, die Anwaltskosten von Fr. 3'000.-- und die Gerichtsgebühr von Fr. 500.--, herrührend aus dem Entschädigungsersuchen vom 13. September 2004, seien wem rechtens aufzuerlegen. Zudem sei A. für seine Verteidigung angemessen zu entschädigen und die ausgewiesenen Auslagen seien ihm zu ersetzen. Im Übrigen sei das Gesuch abzulehnen (act. 3).
Die Parteien halten mit Replik vom 3. Mai 2006 und Duplik vom 9. Mai 2006 an ihren Anträgen fest (act. 6 und 9).
Auf Aufforderung der Beschwerdekammer hin reichte der Rechtsvertreter von A. am 12. Mai 2006 seine Kostennote für das vorliegende Verfahren ein (act. 11 und 11.1), die der Bundesanwaltschaft am 15. Mai 2006 zur Kenntnisnahme zugestellt wurde (act. 12).
D. Da die Einstellungsverfügung nach wie vor nicht in den Akten des Untersuchungsrichteramtes enthalten war, zog die Beschwerdekammer über diesen Umstand beim Untersuchungsrichteramt Erkundigungen ein. Hierauf stellte das Untersuchungsrichteramt der Beschwerdekammer am 5. Mai 2006 das Original der erwähnten Einstellungsverfügung mit der Bemerkung zu, die Verfügung hätte sich noch bei den Restakten der ehemaligen – für den Fall zuständigen – Untersuchungsrichterin befunden. Die Einstellungsverfügung wurde alsdann von der Beschwerdekammer am 10. Mai 2006 als Pagina 66A in den Akten des Untersuchungsrichteramtes abgelegt (act. 8).
Da die vom 31. März 2004 datierende Einstellungsverfügung sowohl bei der Beschwerdekammer im Rahmen der Aufsicht gemäss Art. 28 Abs. 2
SGG als auch bei den Parteien erst am 19. April 2004 eingegangen war (act. 1.3; Akten BA EAI/1/99/0008 [neu]/BA/020/99/BKM/LP/I [bisher], Reg. 4, Einstellungsverfügung vom 31. März 2004), ersuchte die Beschwerdekammer das Untersuchungsrichteramt zudem um Zustellung eines Screenshots über die Erstellungsdaten der erwähnten Verfügung. Aus den übermittelten Belegen ist ersichtlich, dass die vom 31. März 2004 datierende Einstellungsverfügung am 16. April 2004 erstellt wurde (act. 13 und 14). Den Parteien wurde am 16. Mai 2006 Gelegenheit eingeräumt, sich hierzu zu äussern (act. 15). Die Stellungnahmen der Parteien vom 19. Mai 2006 (act. 16 und 17) – derjenigen von A. lag eine neuerliche Kostennote bei – wurden ihnen am 22. Mai 2006 wechselseitig zur Kenntnisnahme zugestellt (act. 18 und 19).
Dem Untersuchungsrichteramt wurde mit Post vom 24. Mai 2006 die Verfahrensakten des Beschwerdedossiers
BK.2006.4 zugestellt und gleichzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt (act. 20). Das Untersuchungsrichteramt machte hiervon mit Eingabe vom 30. Mai 2006 Gebrauch (act. 21). Diese Stellungnahme wurde den Parteien am 31. Mai 2006 zur Kenntnisnahme übermittelt (act. 22).
Auf die Ausführungen der Parteien sowie die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den rechtlichen Erwägungen eingegangen.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Dem Beschuldigten, gegen den die Untersuchung eingestellt wird, ist auf Begehren eine Entschädigung für die Untersuchungshaft und für andere Nachteile, die er erlitten hat, auszurichten (Art. 122 Abs. 1
BStP). Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch ist folglich die Einstellung des Verfahrens. Die Kompetenz zur Einstellung des Verfahrens ging am 1. April 2004 vom Untersuchungsrichteramt auf die Bundesanwaltschaft über (vgl. Art. 120 Abs. 1
BStP in der Fassung vor und nach dem 1. April 2004; Bänziger/Leimgruber, Das neue Engagement des Bundes in der Strafverfolgung, Bern 2001, N. 266; vgl. den Entscheid des Bundesstrafgerichts
BK.2005.20 vom 12. Januar 2006).
1.2 Aus den Akten erhellt, dass die Einstellungsverfügung – obschon sie vom 31. März 2004 datiert – erst am 16. April 2004 erstellt wurde. Dies ergibt sich nicht nur aus den Erstellungsdaten des Word-Dokuments und des Eintrages im Computerprogramm Juris (act. 13 und 14), sondern auch aus dem Umstand, dass die Einstellungsverfügung sowohl bei den Parteien als auch bei der Beschwerdekammer erst am 19. April 2004 einging. Überdies räumt auch das Untersuchungsrichteramt ein, die Einstellungsverfügung sei am 16. April 2004 erstellt, ausgedruckt und verschickt worden (act. 21). Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass die Einstellung des Verfahrens erst am 16. April 2004 vom Untersuchungsrichteramt verfügt wurde. In diesem Zeitpunkt war aber nicht mehr das Untersuchungsrichteramt für die Einstellung von Strafverfahren des Bundes zuständig, sondern die Gesuchsgegnerin. Somit wurde die nunmehr in den Akten figurierende Einstellungsverfügung von der funktionell unzuständigen Behörde erlassen.
1.3 Nach der Praxis stellt die funktionelle und sachliche Unzuständigkeit einen schwerwiegenden Mangel und damit einen Nichtigkeitsgrund dar, es sei denn, der verfügenden Behörde komme auf dem betreffenden Gebiet allgemeine Entscheidungsgewalt zu oder der Schluss auf Nichtigkeit vertrüge sich nicht mit der Rechtssicherheit. Die Nichtigkeit einer Verfügung ist jederzeit und von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden von Amtes wegen zu beachten (vgl. BGE
127 II 32, 47 f. E. 3g mit zahlreichen weiteren Hinweisen).
1.4 Da dem Untersuchungsrichteramt im Bundesstrafprozess keine allgemeine Entscheidungsgewalt zukommt, erweist sich die Einstellungsverfügung infolge funktioneller Unzuständigkeit als nichtig; die Rechtssicherheit wird dadurch nicht gefährdet. Mangels ordnungsgemässer Einstellung des Verfahrens kann daher auf das Gesuch nicht eingetreten werden.
1.5 Es wird nun der Gesuchsgegnerin obliegen, die Untersuchung formell einzustellen und sich insbesondere über die Verfahrenskosten im Sinne von Art. 246bis
BStP auszusprechen. Der Gesuchsteller wird hernach erneut an die Beschwerdekammer gelangen und eine Entschädigung verlangen können. Dabei wird er unter anderem aufgefordert sein darzulegen, inwiefern er durch das Verfahren einen Schaden erlitten hat. Aufgrund der derzeitigen Aktenlage ist nämlich weder behauptet noch erstellt, dass der Gesuchsteller die von ihm beigebrachten und auf die B. SA lautenden „Details of invoices“ beglichen hat.
Eine Einstellung des Verfahrens in laufendem Entschädigungsverfahren erwiese sich insbesondere mit Blick auf das unter dieser Ziffer Gesagte als nicht opportun.
2.
2.1 Von einer Kostenauflage kann abgesehen werden, wenn eine Behörde einen Verfahrensfehler zu verantworten hat. Diesfalls kann dieser Behörde eine Parteientschädigung auferlegt werden (vgl. Geiser, in: Geiser/ Münch, Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl., Basel 1998, N. 1.18 mit weiteren Hinweisen).
2.2 Für den Gesuchsteller war vor Einleitung dieses Verfahrens die Nichtigkeit der Einstellungsverfügung nicht ersichtlich, und es bestand für ihn weder Anlass noch Verpflichtung, die Richtigkeit des Datums der Einstellungsverfügung zu überprüfen. Er durfte vielmehr in guten Treuen davon ausgehen, die Voraussetzungen zur Prozessführung seien erfüllt. Es rechtfertigt sich somit, auf eine Kostenauferlegung ausnahmsweise zu verzichten. Dem Gesuchsteller ist folglich der von ihm geleistete Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 1'000.-- (act. 3) von der Kasse des Bundesstrafgerichts zurückzuerstatten.
2.3 Da das Untersuchungsrichteramt vorliegend den Verfahrensfehler zu verantworten hat, bezahlt es dem Gesuchsteller eine Parteientschädigung. Nach Massgabe von Art. 3 Abs. 1 des Reglements vom 11. Februar 2004 über die Entschädigungen in Verfahren vor dem Bundesstrafgericht (
SR 173.711.31) beträgt der Stundenhonoraransatz zwischen Fr. 200.-- und Fr. 300.--. Da das vorliegende Entschädigungsverfahren eine durchschnittliche tatsächliche und rechtliche Schwierigkeit aufweist, ist der Stundenansatz auf Fr. 220.-- festzulegen. Aufgerechnet auf die insgesamt 8.5 geltend gemachten Stunden (act. 11.1 und 17.1) ergibt dies einen Betrag von Fr. 1’870.--. Zudem sind dem Gesuchsteller Auslagen in der Höhe von insgesamt Fr. 55.-- zu erstatten. Zuzüglich der auf den Gesamtbetrag von Fr. 1'925.-- zu erhebenden Mehrwertsteuer von 7.6%, d.h. Fr. 146.30, ergibt dies eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 2'071.30, die dem Gesuchsteller vom Untersuchungsrichteramt zu entschädigen ist.
Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1. Auf das Gesuch wird nicht eingetreten.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. Die Kasse des Bundesstrafgerichts vergütet dem Gesuchsteller den geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 1'000.-- zurück.
3. Das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt wird verpflichtet, dem Gesuchsteller eine Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 2'071.30 (inkl. MwSt) zu bezahlen.
Bellinzona, 1. Juni 2006
Im Namen der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Zustellung an
- Fürsprecher Bruno Hunziker
- Schweizerische Bundesanwaltschaft
- Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.