80 IV 109
20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Juni 1954 i.S. Hinden gegen Wachter.
Regeste (de):
- Art. 173 StGB.
- Nach der neuen Fassung dieser Bestimmung ist die Wahrung öffentlicher oder berechtigter privater Interessen nicht mehr an sich Rechtfertigungsgrund.
- Nichtzulassung des Beweises nach Art. 173 Ziff. 2 wegen Handelns mit Schädigungsabsicht.
Regeste (fr):
- Art. 173 CP.
- Selon le texte revisé de cette disposition légale, le fait d'avoir eu égard à l'intérêt public ou aux intérêts privés légitimes n'exclut plus, en lui-même, le caractère illicite de l'acte.
- Exclusion de la preuve prévue par l'art. 173 ch. 2, l'acte ayant été commis dans le dessein de nuire.
Regesto (it):
- Art. 173 CP.
- Secondo il nuovo testo di questo disposto, la tutela di interessi pubblici o di interessi privati legittimi non è più in sè un motivo escludente il carattere illecito dell'atto.
- Improponibilità della prova di cui all'art. 173 cifra 2 pel fatto che il colpevole ha agito con l'intenzione di nuocere.
Sachverhalt ab Seite 109
BGE 80 IV 109 S. 109
Die Eheleute Ernst und Olga Hinden-Nater haben seit langem mit ihren Nachbarn, den Eheleuten Theodor und Rosa Wachter-Hemmer, deren Sohn René Wachter und dem Schwiegersohne der Frau Wachter,
BGE 80 IV 109 S. 110
Justin Comte, Streit. Ein Strafverfahren vor dem Strafgericht des Kantons Basel-Land, in dem alle sechs Genannten der Körperverletzung beschuldigt waren, endete am 10. Juli 1952 damit, dass die Parteien gegenseitig ihre Strafanträge zurückzogen. Im Vergleich verpflichtete sich Theodor Wachter, Olga Hinden Fr. 60.- zu bezahlen. Justin Comte versprach dem Ernst Hinden Fr. 20.-. Alle Beteiligten erklärten, inskünftig einander in Ruhe lassen zu wollen. Am 4. August 1952 setzte B., der Vertreter der Eheleute Hinden, dem Theodor Wachter und dem Justin Comte durch Schreiben an ihren Anwalt Frist bis 10. August 1952, um die versprochenen Beträge zu bezahlen. Am 6. August 1952 um 20.15 Uhr wurde René Wachter beim Vertreter der Eheleute Hinden wegen dieser Fristansetzung telephonisch vorstellig. Da der Angerufene das Gespräch vorzeitig abbrach, schrieb ihm René Wachter noch am gleichen Abend in gereiztem Tone einen Brief. B. beantwortete ihn am 9. August 1952, indem er René Wachter ungehöriges Vorgehen vorwarf und erklärte, er werde am 12. August Betreibung anheben, wenn die im Vergleich versprochenen Beträge bis dahin nicht bezahlt seien. B. will den Brief des René Wachter vom 6. August und seine Antwort vom 9. August dem Ernst Hinden am 9. August 1952 zur Kenntnis gebracht haben. Er erklärt, Ernst Hinden sei dadurch in grosse Erregung geraten, zumal René Wachter ihn auch sonst schikaniert und ihm zuleide gelebt habe, wo er nur konnte. Das sei der Grund, weshalb er sich am 11. August 1952 schriftlich an die Eidgenössische Militärversicherung gewandt habe. Dieses Schreiben Hindens an die Militärversicherung lautet:
"Betr. Militärpatient Wachter René...
Unterzeichneter macht folgende Meldung bezügl. ob. Patienten:
BGE 80 IV 109 S. 111
Das private Verhalten resp. Leben dieses Herrn dürfte mit den Satzungen der Versicherung nicht in Einklang zu bringen und einer völligen Gesundung hinderlich sein. Das fast allabendliche Heimkommen gegen Mitternacht und noch später (resp. früh), das zufällige Antreffen von Damen (16 jährige), die man mit dem eigenen Wagen generös heimfährt, um vor dem Hause dann darin mit dieser bis 1 1/2 zu plauschen, lässt andere Schlüsse zu. Ebenso das sich erbrechen dieses Herrn, über die Terrasse in den Hof, am Sonntagmorgen um 1 1/2 Uhr dürfte andern Umständen, als der Gesundheit dienlich, beizumessen sein.
Die weitere Nachbarschaft musste die Vermittlung der Polizei in Anspruch nehmen, um diesem Herrn beizubringen, das Wagentürenzuschlagen zu mitternächtlicher Zeit abzugewöhnen. Ist es Ihnen bekannt, dass auch seine Schwester, Frau A. Comte-Koster, die zwar im gleichen Hause, aber im eigenen Haushalt wohnt, am gleichen Übel leidet und bereits zum 2ten Male sich zur Erholung in Davos resp. Arosa befindet. Dass ebenso deren beide Kinder deswegen schon fort waren? Im Interesse der Allgemeinheit und diesem Patienten im besondern dürfte eine bezügl. Kontrolle nur von Nutzen sein. Die Nachbarn:... und andere mehr können weitere bezügl. Auskunft geben. Ebenso stehe ich sowie meine Frau für weitere Auskünfte bereit. In der Hoffnung, Ihnen mit dieser Meldung dienlich gewesen zu sein, verbleibt mit vorzüglicher Hochachtung: E. Hinden-Nater." Auf Klage des René Wachter erklärte das Obergericht des Kantons Basel-Land Ernst Hinden wegen dieses Schreibens und anderer Äusserungen der wiederholten üblen Nachrede und der Beschimpfung schuldig und verurteilte ihn zu Fr. 150.-- Busse. Hinden führte Nichtigkeitsbeschwerde. Der Kassationshof des Bundesgerichts wies sie ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei nicht strafbar, weil er den Brief an die Militärversicherung in Wahrung öffentlicher Interessen geschrieben habe; es liege in öffentlichem Interesse, wenn eine zuständige Behörde von Missständen Kenntnis erhalte und dank der Anzeige zum Rechten sehen könne. Die Wahrung öffentlicher Interessen ist jedoch nicht an sich Rechtfertigungsgrund; sie öffnet dem Täter lediglich den Weg zum Beweis, dass seine Äusserung der Wahrheit entspreche oder dass er ernsthafte Gründe gehabt habe, sie in guten Treuen für wahr zu halten
BGE 80 IV 109 S. 112
(Art. 173 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
|
1 | Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
2 | Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar. |
3 | Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen. |
4 | Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden. |
5 | Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
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1 | Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
2 | Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar. |
3 | Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen. |
4 | Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden. |
5 | Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
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1 | Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
2 | Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar. |
3 | Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen. |
4 | Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden. |
5 | Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen. |