S. 76 / Nr. 18 Familienrecht (d)

BGE 74 II 76

18. Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Mai 1948 i. S. König gegen Haller und
Konsorten.

Regeste:
Führung der Vormundschaft. Voraussetzungen und Art der Veräusserung von
Grundstücken, die im gemeinschaftlichen Eigentum des Mündels und weiterer
Personen stehen (Art. 404 ZGB). Verantwortlichkeit der vormundschaftlichen
Organe bei gesetzwidrigem Freihandverkauf (Art. 426 ZGB). Schadensbeweis (Art.
8 ZGB, Art. 42 OR).
Administration de la tutelle. Conditions et mode de la vente d'immeubles,
propriété commune du pupille et d'autres personnes (art. 404 CC).
Responsabilité des organes de la tutelle en cas de vente de gré à gré
contraire à la loi (art. 426 CC). Preuve du dommage (art. 8 CC. 42 CO).
Amministrazione della tutela. Condizioni e modo della vendita di fondi,
proprietà comune del tutelato e di altre persone (art. 404 CC). Responsabilità
dogli organi di tutela in caso di vendita a trattative private contraria alla
logge (art. 426 CC). Prova del danno (art. 8 CC, 42 CO).

Der im Jahre 1925 geborene Kläger und seine beiden ältern Geschwister waren
als Erben ihrer im Jahre 1935 gestorbenen Eltern Gesamteigentümer eines

Seite: 77
Einfamilienhauses in Burgdorf. Auf Wunsch der Geschwister des Klägers bemühte
sich der Hausverwalter Jakob um den Verkauf dieser Liegenschaft. Er bot sie im
Frühjahr 1942 dem damaligen Mieter Lüthi an. Nachdem der von ihm zugezogene
Experte Locher ihren Verkehrswert auf mindestens Fr. 42000.­, abzüglich Fr.
1000.­ bis 1200.­ für notwendige Reparaturen, geschätzt hatte, einigte er sich
mit Lüthi auf den Preis von Fr. 41500.­. Die Vormundschaftsbehörde Burgdorf,
die die Vormundschaft über den Kläger führte, erklärte sich mit dem Verkauf zu
diesem Preise einverstanden und wies den Vormund Kunz an, den Kaufvertrag mit
Lüthi im Namen seines Mündels zu unterzeichnen. Am 20. April 1942 genehmigte
sie den am 15. April 1942 abgeschlossenen Vertrag. Die Aufsichtsbehörde
stimmte am 2. Mai 1942 dem Verkauf aus freier Hand zu. Der damals 17-jährige
Kläger wurde nicht um seine Ansicht befragt, da die Vormundschaftsbehörde
seine Befragung für wertlos hielt.
Nach erreichter Mündigkeit belangte Oskar König den Vormund Kunz, die
Mitglieder der Vormundschaftsbehörde und subsidiär die Einwohnergemeinde
Burgdorf auf Ersatz des Schadens von mindestens Fr. 4000.­, der ihm daraus
erwachsen sei, dass Vormund und Behörde beim Hausverkauf die Vorschriften über
die Veräusserung von Mündelliegenschaften (Art. 404 Abs. 1 und 2 ZGB) und über
die Mitwirkung des Mündels (Art. 409 ZGB) sowie die nach Art. 426 ZGB für ihre
Amtsführung massgebenden Regeln einer sorgfältigen Verwaltung verletzt haben.
Er machte geltend, die Liegenschaft hätte überhaupt nicht, jedenfalls aber
nicht freihändig und ohne seine Befragung zu bloss Fr. 41,500.­ verkauft
werden dürfen.
Der Appellationshof des Kantons Bern hat diese Verantwortlichkeitsklage am 4.
Dezember 1947 abgewiesen.
Vor Bundesgericht wiederholt der Kläger sein Klagebegehren. Das Bundesgericht
weist die Berufung ab aus folgenden

Seite: 78
Erwägungen:
1. ­ (Eintretensfrage).
2. ­ Die Veräusserung von Grundstücken des Bevormundeten erfolgt gemäss Art.
404 Abs. 1 ZGB nach Weisung der Vormundschaftsbehörde und ist nur in den
Fällen zu gestatten, wo die Interessen des Mündels es erfordern. Diese
Vorschrift kann indessen nur für solche Grundstücke ohne Vorbehalt gelten, die
dem Mündel allein gehören. Im Falle gemeinschaftlichen Eigentums lässt sie die
Befugnisse zur Herbeiführung der Veräusserung unberührt, die den Partnern des
Mündels nach Gesetz oder Vertrag zustehen. Die streitige Liegenschaft stand im
Gesamteigentum der Erbengemeinschaft König. Da die Miterben des Klägers gemäss
Art. 604 ZGB Anspruch auf Teilung der Erbschaft hatten, und da eine Sache,
über deren Teilung oder Zuweisung die Erben sich nicht einigen können, gemäss
Art. 612 Abs. 2 ZGB zu verkaufen ist, konnte sich die Vormundschaftsbehörde
dem Wunsche der Miterben, die Liegenschaft zu verkaufen, nicht mit Erfolg
widersetzen. Die Liegenschaft für den Kläger zu erwerben, war wenn nicht
unratsam oder überhaupt unmöglich, so doch auf jeden Fall nicht geboten. Den
Beklagten kann daher nicht schon der Verkauf als solcher zum Vorwurf gemacht
werden.
3. ­ Anders als Absatz 1 sind die Absätze 2 und 3 von Art. 404 ZGB, wonach die
Veräusserung durch öffentliche Steigerung erfolgt und ein Verkauf aus freier
Hand nur ausnahmsweise und nur mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde
stattfinden kann, uneingeschränkt auch auf Grundstücke anwendbar, die dem
Mündel nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit weitern Personen gehören,
selbst wenn der Anteil des Mündels verhältnismässig klein ist (BGE 63 I 108).
Auch gilt Art. 404 ZGB entgegen der Auffassung der Beklagten und der
Aufsichtsbehörde nicht bloss bei Übernahme der Vormundschaft, sondern während
ihrer ganzen Dauer (vgl. den eben zit.

Seite: 79
Entscheid). Die streitige Liegenschaft war also auf dem Wege der öffentlichen
Versteigerung zu veräussern, es sei denn, dass besondere Gründe den
Freihandverkauf rechtfertigten. Solche Gründe fehlten. Von vornherein konnte
für die vormundschaftlichen Organe der Umstand nicht massgebend sein, dass die
Miterben des Klägers keine Steigerung wünschten. Aber auch die Tatsache, dass
der langjährige Mieter Dr. Lüthi als Kaufinteressent auftrat, war nicht
entscheidend. Obwohl Lüthi gemäss Mietvertrag vorkaufsberechtigt war und einen
Preis bot, der ungefähr der Verkehrswertschätzung Lochers entsprach, war nicht
mit Bestimmtheit vorauszusehen, dass bei der Steigerung kein höheres Angebot
erfolgen würde. Noch weniger bestanden konkrete Anhaltspunkte für die Annahme,
dass der Steigerungserlös niedriger ausgefallen wäre als der Preis, der sich
beim freihändigen Verkauf an Lüthi erzielen liess. Die allgemeine Erwägung,
dass der Ausgang einer Steigerung immer ungewiss ist, kann schon deswegen
nicht zur Rechtfertigung des Freihandverkaufes dienen, weil sonst zur Regel
werden könnte, was nach dem Gesetz die Ausnahme sein soll. Dem Risiko eines
ungenügenden Erlöses kam übrigens auch deshalb keine erhebliche Bedeutung zu,
weil die Vormundschaftsbehörde dem Zuschlag die nach Art. 404 Abs. 2 ZGB
erforderliche Genehmigung versagen konnte, wenn das Ergebnis sie nicht
befriedigte. Der freihändige Verkauf der streitigen Liegenschaft bedeutete
also ein gesetzwidriges Vorgehen, das den Beklagten (mindestens den
Mitgliedern der Vormundschaftsbehörde) zum Verschulden gereicht, sodass sie
dem Kläger nach Art. 426 ZGB gegebenenfalls für den daraus entstandenen
Schaden haftbar sind. Die Genehmigung der gesetzwidrigen Veräusserungsart
durch die Aufsichtsbehörde befreite sie nicht von ihrer Verantwortlichkeit.
4. ­ Durch den Freihandverkauf wurde der Kläger geschädigt, wenn die
öffentliche Steigerung einen höhern Erlös ergeben hätte. Sein Schaden beläuft
sich in diesem

Seite: 80
Falle entsprechend seiner Erbquote auf einen Drittel des Mehrerlöses. Auf
diesen Betrag beschränkt sich die Ersatzpflicht der Beklagten auch dann, wenn
ihnen neben der Verletzung von Art. 404 Abs. 2 auch noch eine Verletzung von
Art. 409 ZGB vorzuwerfen ist, d. h. wenn sie es ohne zureichenden Grund
unterlassen haben, den Kläger vor der Veräusserung um seine Ansicht zu
befragen. Wäre er befragt worden, so hätte er nämlich bestenfalls erreichen
können, dass die Veräusserung statt durch freihändigen Verkauf auf dem Wege
der öffentlichen Versteigerung erfolgt wäre. Daher kann dahingestellt bleiben,
ob von seiner Befragung zu Recht oder zu Unrecht abgesehen worden sei. Auch
der Vorwurf, dass beim Freihandverkauf die Regeln einer sorgfältigen
Verwaltung (Art. 426 ZGB) verletzt worden seien, erheischt keine nähere
Überprüfung, da er darauf hinausläuft, dass die Liegenschaft überhaupt nicht
oder jedenfalls nicht freihändig zu Fr. 41500.­ hätte veräussert werden
dürfen, und da die Veräusserung als solche, wie schon dargetan (Erw. 2), nicht
verhindert werden konnte. Der Prozessausgang hängt somit einzig noch davon ab,
ob und wieweit die Steigerung ein günstigeres Ergebnis gezeitigt hätte als der
freihändige Verkauf.
5. ­ Wer Schadenersatz beansprucht, hat nach Art. 8 ZGB und Art. 42 Abs. 1 OR
den Schaden zu beweisen. Diesen Beweis betrachtet die Vorinstanz im
vorliegenden Falle als gescheitert, weil ihr trotz der gerichtlichen
Expertise, wonach die Liegenschaft im Frühjahr 1942 einen Verkehrswert von Fr.
45000.­ hatte, als ungewiss erscheint, dass bei der Steigerung mehr als Fr.
41500.­ gelöst worden wären. Dabei handelt es sich um eine Feststellung
tatsächlicher Natur, die gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht
massgebend ist.
Dass aus der Verletzung von Art. 404 Abs. 2 ZGB ein Schaden entstanden sei,
wird sich freilich kaum je zwingend beweisen lassen. Nach der Rechtsprechung
zu Art. 42 Abs 2 OR muss deshalb das Vorhandensein eines

Seite: 81
Schadens als erwiesen gelten, wenn die Akten genügende
Anhaltspunkte bieten, die geeignet sind, auf seinen Eintritt schliessen zu
lassen, und wenn sich dieser Schluss mit einer gewissen Überzeugungsgewalt
aufdrängt (BGE 40 II 354 ff., 43 II 55 E. 6, 60 II 131; vgl. auch 61 II 389,
68 II 244, 72 II 399), m.a.W. es muss für den Schadensbeweis genügen, wenn
sich aus den konkreten Umständen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür ergibt,
dass sich bei der Steigerung ein höherer Preis hätte erzielen lassen als beim
durchgeführten Freihandverkauf. Das Bestehen einer solchen Wahrscheinlichkeit
konnte die Vorinstanz hier verneinen, ohne den Rahmen der ihr zustehenden
Beweiswürdigung zu überschreiten.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 74 II 76
Date : 01. Januar 1948
Published : 06. Mai 1948
Source : Bundesgericht
Status : 74 II 76
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : Führung der Vormundschaft. Voraussetzungen und Art der Veräusserung von Grundstücken, die im...


Legislation register
OG: 63
OR: 42
ZGB: 8  404  409  426  604  612
BGE-register
40-II-347 • 43-II-47 • 60-II-121 • 61-II-381 • 63-I-107 • 68-II-237 • 72-II-392 • 74-II-76
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
selling over the counter • damage • defendant • guardian • federal court • hamlet • heir • auction • brother and sister • common ownership • lower instance • buy • authorization • directive • earnings • decision • knowledge • compensation • responsibility of the tutelage organs • partition among coheirs
... Show all