S. 165 / Nr. 42 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 73 III 165

42. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Oktober 1947 i.S Dreyfus gegen
Grimmer.

Regeste:
Eigentumsvorbehalt, Konkurs des Käufers: Die Konkursverwaltung kann in den
Vertrag eintreten und durch gänzliche Befriedigung des Verkäufers die Sache
für die Masse erwerben (vorbehalten Kompetenzqualität). Will sie dies nicht,
so kann der Verkäufer entweder unter Verzicht auf den Eigentumsvorbehalt die
Kaufpreisrestanz in 5. Klasse kollozieren lassen oder den Eigentumsvorbehalt
durch Vindikation der Sache geltend machen, wobei die gegenseitigen Ansprüche
nach Art. 716 ZGB zu bereinigen sind (Retentionsrecht der Masse für die
Rückforderung der Abzahlungen).
In der Einforderung des Kaufpreises, auch durch Betreibung und
Konkursbegehren, liegt kein Verzicht auf den Eigentumsvorbehalt.
Art. 226 /7 OR, 716 ZGB, 211 SchKG.

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Réserve de propriété, faillite de l'acheteur: L'administration de la faillite
peut se charger de l'exécution du contrat et acquérir la chose pour le compte
de la masse (sous réserve des questions d'insaisissabilité) à condition de
désintéresser complètement le vendeur. Si elle n'entend pas user de cette
faculté, le vendeur peut ou bien faire colloquer le solde de sa créance en 5e
classe ou bien faire valoir sa réserve de propriété en revendiquant la chose.
Il y aura lieu en ce cas de liquider les prétentions réciproques résultant de
l'art. 716 CC (droit de rétention de la masse pour la restitution des
acomptes)
Le fait de réclamer le payement du prix de vente, même par ]a voie d'une
poursuite et d'une réquisition de faillite n'implique pas une renonciation à
la réserve de propriété.
Art. 226/7 CO, 716 CC, 211 al. 2 LP.
Riserva della proprietà, fallimento del compratore: L'amministrazione del
fallimento può subentrare nel contratto e acquistare la cosa per conto della
massa (sotto riserva delle questioni d'impignorabilità) a condizione di
disinteressare completamente il venditore. Se non intende valersi di questa
facoltà, il venditore può o far collocare la rimanenza del suo credito in
quinta classe o far valere la sua riserva di proprietà mediante rivendicazione
della cosa. In questo caso si dovranno liquidare le pretese reciproche
derivanti dall'art. 716 CC (diritto di ritenzione della massa per la
restituzione dogli acconti).
Il fatto di reclamare il prezzo di vendita, anche per via d'esecuzione o
mediante domanda di fallimento non implica una rinuncia alla riserva della
proprietà.
Art. 226/7 CO, 716 CC, 211 cp. 2 LEF.

A. ­ Annaheim kaufte von Dreyfus im März 1944 Maschinen zum Preise von Fr.
9568.­ unter Eigentumsvorbehalt, der am 12. April 1944 ins Register
eingetragen wurde. Der Käufer zahlte Fr. 4000.­ an. Am 11. Januar 1945 wurde
er wegen Urkundenfälschung und Betruges zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Hierauf stellte Dreyfus gegen ihn das Konkursbegehren ohne vorgängige
Betreibung gemäss Art. 190 Ziff. 1 SchKG. Der Richter eröffnete den Konkurs am
20. Januar 1945. Der Konkurs wird im summarischen Verfahren durchgeführt.
B. ­ Dreyfus gab am 6. Februar 1945 seine restliche Preisforderung samt Zins
im Betrage von Fr. 5797.55 ein und wies zugleich auf den eingetragenen
Eigentumsvorbehalt hin. Auf Anfrage der Konkursverwaltung erklärte er, den
Eigentumsvorbehalt geltend machen zu wollen. Sein Anwalt bestätigte diese
Erklärung und bezifferte den Anspruch für Miete und Abnützung nach Art. 716
ZGB

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auf Fr. 4600.­, sodass nach Verrechnung der Anzahlung noch Fr. 600.­ zugunsten
des Dreyfus in 5. Klasse zu kollozieren seien. Die Konkursverwaltung war mit
der Rücknahme der Maschinen durch den Verkäufer einverstanden, wollte ihm aber
für Miete und Abnützung nur Fr. 1500.­ zuerkennen, sodass er den Rest der
Anzahlung mit Fr. 2500.­ zurückzuerstatten habe.
C. ­ Eine Einigung wurde darüber nicht erzielt. Der Konkursgläubiger Grimmer
bestritt ausserdem den Fortbestand des Eigentumsvorbehaltes nach Stellung des
Konkursbegehrens für die Preisforderung. Er liess sich die Einwendungen der
Masse gegen den Eigentumsvorbehalt im Sinne von Art. 260 SchKG abtreten.
Dreyfus erhob gegen ihn Aussonderungsklage und beantragte ferner die
gerichtliche Festsetzung des allenfalls nach Art. 716 ZGB zurückzuerstattenden
Betrages.
D. ­ Die kantonalen Gerichte, das Obergericht des Kantons Solothurn mit Urteil
vom 5. Februar 1947, wiesen die Aussonderungsklage ab. Die Begründung geht
dahin, mit der Stellung des Konkursbegehrens habe der Kläger das ihm nach Art.
226 OR zustehende Wahlrecht ausgeübt. Er habe sich damit für die restliche
Preisforderung, nicht für Geltendmachung des Eigentumsvorbehaltes entschieden.
Dieser sei dadurch untergegangen. Auf die damalige Entscheidung könne der
Kläger nicht zurückkommen.
E. ­ Mit der vorliegenden Berufung hält der Kläger an seinem Begehren fest.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. ­ Art. 226 OR lautet:
«Ist eine bewegliche Sache unter Verabredung von Teilzahlungen verkauft und
dem Käufer übergeben worden und kommt dieser mit einer Teilzahlung in Verzug,
so kann der Verkäufer entweder die Teilzahlung verlangen oder, wenn er sich
das vorbehalten hat, das Eigentum oder den Rücktritt geltend machen.»
Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung möchte man ein dreifaches Wahlrecht des
durch Eigentumsvorbehalt

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gesicherten Verkäufers annehmen. Aus Art. 227 OR und Art. 716 ZGB erhellt
jedoch, dass die Geltendmachung des Eigentumsvorbehaltes nur eine Modalität
des Rücktrittes vom Vertrage ist (vergl. v. TUHR, Streifzüge im revidierten
Obligationenrecht SJZ 18, 371). Der Verkäufer, der sich das Eigentum an der
verkauften und gelieferten Sache vorbehalten hat, kann die Sache beim
Rücktritt vom Vertrag vindizieren, auch im Konkurse des Käufers; er ist nicht
auf eine obligatorische Rückforderung der Sache oder (was im Konkurse des
Käufers auch bei vereinbarter Rückgabe einzig in Betracht käme, Art. 212
SchKG) auf Geldersatz angewiesen. Zur Vindikation der Sache ist der Rücktritt
vom Vertrage erforderlich. Dem Verkäufer ist, wie aus den erwähnten
Bestimmungen erhellt, verwehrt, bei Verzug des Käufers die Sache
zurückzunehmen und dennoch weiterhin die gänzliche Abzahlung des Preises zu
verlangen. Vielmehr steht ihm die Rücknahme der Sache nur gegen Rückerstattung
der erhaltenen Abzahlungen zu (wofür der Käufer ein Retentionsrecht nach Art.
895 ff . ZGB hat). Solchenfalls hat der Verkäufer nur die in Art. 716 ZGB
vorgesehenen Ansprüche für Miete und Abnützung der Sache, die freilich unter
Umständen den Betrag der erhaltenen Abzahlungen erreichen oder gar
übersteigen. Er kann bis zum entsprechenden Betrage die Abzahlungen darauf
anrechnen.
2. ­ Aus Art. 226 OR ist dagegen nicht zu folgern, der Verkäufer müsse bei
Verzug des Käufers ein Wahlrecht ausüben, nämlich entweder den fälligen Teil-
oder Restbetrag des Kaufpreises einfordern und dabei auf den
Eigentumsvorbehalt verzichten oder den letztern geltend machen unter Verzicht
auf die Preisforderung. Ist zwar, wie dargetan, die Geltendmachung des
Eigentumsvorbehaltes durch Vindikation der Sache nur unter Rücktritt vom
Vertrage statthaft, so hindert dagegen nichts, vorerst die primär gegebene
Preisforderung geltend zu machen und dabei am Eigentumsvorbehalt festzuhalten,

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ohne ihn bis auf weiteres durch Rücknahme der Sache «geltend zu machen».
Letzteres ist dem Verkäufer dem Inhalt und Zweck des Eigentumsvorbehaltes
entsprechend auch später noch möglich, solange eben der Kaufpreis nicht
gänzlich bezahlt, die Bedingung für den Übergang des Eigentums an den Käufer
also nicht erfüllt ist.
Auch eine Geltendmachung der Kaufpreisrestanz auf dem Betreibungswege bedeutet
nicht Ausübung eines Wahlrechtes in dem Sinne, dass nun der Eigentumsvorbehalt
dahinfalle. Vielmehr ist der Verkäufer durch diesen fortwährend geschützt, und
er bleibt es, wenn er in der Betreibung nicht gänzliche Befriedigung, sondern
allenfalls einen Verlustschein erzielt. Anders verhält es sich natürlich, wenn
er gerade die unter Eigentumsvorbehalt stehende Sache für sich pfänden und
verwerten lässt. Ja, es frägt sich, ob das auf diese Sache bezogene
Verwertungsbegehren endgültigen Verzicht auf den Eigentumsvorbehalt bedeute,
ohne Rücksicht darauf, ob es dann zur Verwertung kommt oder ob die Betreibung
etwa wegen inzwischen eingetretener Konkurseröffnung über den Käufer
dahinfällt (BGE 32 II 137). Ist ferner der Käufer (auch) von dritter Seite
betrieben, so kann die unter (anerkanntem) Eigentumsvorbehalt stehende Sache
(sofern sie nicht etwa nach Art. 92 SchKG unpfändbar ist) gepfändet und mit
der Massgabe verwertet werden, dass der Zuschlag nur zu einem die
Kaufpreisrestanz übersteigenden Betrag erfolgt und der Betrag der
Kaufpreisrestanz dem Verkäufer zugewiesen wird. Das bedeutet keinen
unzulässigen Eingriff in dessen Rechte, da ja der Schuldner befugt ist, gegen
gänzliche Abzahlung der Kaufpreisrestanz Eigentümer der Sache zu werden
(Kreisschreiben Nr. 29 der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 31. März
1911). Daneben bleibt aber der Verkäufer ungehindert, trotz der von dritter
Seite gegen den Käufer angehobenen Pfändungsbetreibungen vom Vertrag
zurückzutreten und die Sache zurückzunehmen. Entscheidet er sich in diesem
Sinne, so unterliegen der

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Pfändung nur die retentionsgesicherten Ansprüche des Käufers auf
Rückerstattung der geleisteten Abzahlungen unter Abzug der Forderungen des
Verkäufers nach Art. 716 ZGB (Kreisschreiben Nr. 14 des Bundesgerichts vom 11.
Mai 1922). Im Konkurs des Käufers kann nicht nach dem ersterwähnten
Kreisschreiben vorgegangen werden, weil dem Konkursverfahren das
Deckungsprinzip fremd ist (BGE 38 I 260 = Sep.-Ausg. 15 S. 77). Die
Konkursverwaltung kann sich jedoch den Anspruch des Käufers auf Erwerb der
Sache gegen Bezahlung der Kaufpreisrestanz zunutze machen, indem sie in den
Vertrag eintritt und die Kaufpreisrestanz gänzlich als Masseverbindlichkeit
übernimmt und bezahlt (Art. 211 Abs. 2 SchKG). Der Verkäufer hat diese
Entscheidung abzuwarten, sofern er nicht schon vor der Konkurseröffnung vom
Vertrage zurückgetreten ist. Lehnt aber, wie hier, die Konkursverwaltung den
Eintritt in den Vertrag ab, so ist ihm unbenommen, nunmehr vom Vertrage
zurückzutreten, also «den Eigentumsvorbehalt geltend zu machen», wobei die
Abrechnung nach Art. 716 ZGB Platz greift. Nur ausnahmsweise wird es der
Verkäufer vorziehen, die Sache fahren zu lassen und sich mit der Kollozierung
der Kaufpreisrestanz (es ist allenfalls die letzte von 12 Abzahlungen) in der
5. Klasse zu begnügen (vergl. BGE 48 III 163).
3. ­ Hier, wo der Konkurs gerade auf Begehren des Verkäufers eröffnet wurde,
wollen indessen die Vorinstanzen diese Art der Rechtsausübung nicht mehr
gestatten. Sie halten dafür, mit dem Konkursbegehren habe der Kläger auf den
Eigentumsvorbehalt verzichtet; er habe nicht nur vorderhand davon abgesehen,
diesen «geltend zu machen», sondern ihn überhaupt aufgegeben, und sei daher
auf die Kollozierung seiner restlichen Preisforderung in 6. Klasse angewiesen.
Dieser Auffassung ist nicht beizutreten. Das Konkursbegehren lässt sich nicht
als stillschweigender Verzicht auf den Eigentumsvorbehalt deuten. hat doch der
Kläger den Registereintrag

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stehen lassen und dann in der Konkurseingabe ausdrücklich auf den ihm laut dem
Eintrag zustehenden Eigentumsvorbehalt hingewiesen. Diese Doppeleingabe, wie
sie bei unerledigten Abzahlungsgeschäften mit Eigentumsvorbehalt gebräuchlich
ist, verdient ihrem vollen Inhalt gemäss berücksichtigt zu werden. Sie
schliesst die Annahme eines Verzichtes auf den Eigentumsvorbehalt aus (BGE 54
III 41
). Der Kläger hatte auch nicht etwa den Eigentumsvorbehalt zufolge
seines Konkursbegehrens von Rechts wegen verwirkt. Das Konkursbegehren zielte
freilich auf Vertragserfüllung ab. Es blieb aber dabei, dass der
Eigentumsvorbehalt bis zur gänzlichen Befriedigung der Verkäufers
fortzubestehen hatte. Die Vertragserfüllung stand bis zur Konkurseröffnung dem
Schuldner anheim, hernach, wie dargetan, der Konkursverwaltung, eben zwecks
Erwerbs der Kaufsache für die Konkursmasse. Der Konkurs konnte dem Kläger
somit in erster Linie die Erfüllung des Vertrages durch die Konkursmasse
ermöglichen. Wenn nicht, konnte er den subsidiären Vindikationsanspruch
geltend machen. Übrigens mochte der Kläger befürchten, der als Betrüger
verurteilte Käufer, der sich in der von Art. 190 Ziff. 1 SchKG verpönten Weise
verhielt, möchte über die unter Eigentumsvorbehalt stehenden Maschinen
anderweitig verfügen. Solchem vorzubeugen, war das Konkursbegehren ebenfalls
ein geeignetes Mittel. So betrachtet, konnte das Konkursbegehren noch in
besonderer Weise der Wahrung des Eigentumsvorbehaltes dienen.
4. ­ Der Einwand des Beklagten, zur Geltendmachung des Eigentumsvorbehaltes
fehle es schon an einem regelrechten Rücktritt vom Vertrage, insbesondere an
der Ansetzung einer Nachfrist gemäss Art. 107 OR, ist unbegründet. Gewiss ist
die Geltendmachung des Eigentumsvorbehaltes an die allgemeinen Voraussetzungen
zum Rücktritt vom Vertrage gebunden. Nach der Konkurseröffnung war jedoch der
Käufer schlechterdings nicht mehr in der Lage, den ausstehenden Kaufpreis zu
bezahlen.

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Und die Konkursmasse ihrerseits entschloss sich nicht zur Übernahme und
gänzlichen Bezahlung der Preisrestanz. Die Ansetzung einer Nachfrist an den
Käufer oder die Konkursmasse war bei dieser Sachlage unnütz, der Rücktritt
daher ohne weiteres zulässig (Art. 108 Ziff. 1 OR).
5. ­ Es bleibt die Abrechnung über die gegenseitigen Ansprüche nach Art. 716
ZGB vorzunehmen. Hiezu ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, die
diesen Punkt entsprechend ihrer grundsätzlichen Abweisung der Klage ungeprüft
gelassen hat...
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Solothurn vom 5. Februar 1947 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im
Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 73 III 165
Datum : 01. Januar 1947
Publiziert : 23. Oktober 1947
Quelle : Bundesgericht
Status : 73 III 165
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : Eigentumsvorbehalt, Konkurs des Käufers: Die Konkursverwaltung kann in den Vertrag eintreten und...


Gesetzesregister
OR: 7  107  108  226  227
SchKG: 92  190  211  212  260
ZGB: 716  895
BGE Register
32-II-131 • 38-I-256 • 48-III-163 • 54-III-34 • 73-III-165
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
eigentumsvorbehalt • konkursbegehren • konkursverwaltung • mass • kaufpreis • konkursmasse • eigentum • bundesgericht • verzug • vorinstanz • retentionsrecht • angewiesener • aussonderungsklage • schuldner • wiese • biene • verurteilter • entscheid • rückerstattung • rückübertragung
... Alle anzeigen
SJZ
18 S.371