S. 128 / Nr. 31 Obligationenrecht (d)

BGE 67 II 128

31. Urteil der 1. Zivilabteilung vom 30. September 1941 i.S. «Vita»
Lebensversicherungsgesellschaft gegen Bachmann.

Regeste:
Bürgschaft bei Schuldübernahme, Art. 178 Abs. 2 OR. Die zum voraus erteilte
Zustimmung des Bürgen zu jedem Schuldnerwechsel ist ungültig; Art. 27 ZGB,
Art. 20 OR.
Cautionnement, reprise de la dette garantie, art. 178 al. 2 CO. La clause par
laquelle la caution consent d'avance à tout changement de débiteur n'est pas
valable; art. 27 CC, art. 20 CO.
Fideiussione nel caso di assunzione di debito (art. 178 cp. 2 CO). La clausola
per cui il fideiussore si dich'ara in anticipo d'accordo circa ogni
cambiamento di debitore non è valida (art. 27 CC. art. 20 CO).


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A. - Die «Vita» Lebensversicherungsgesellschaft gewährte der Baugenossenschaft
«Markus» im Jahre 1934 ein Darlehen im Betrage von Fr. 360000. -, wofür ihr
ein Schuldbrief im ersten Range auf der Liegenschaft Überlandstrasse Nr. 3/5
in Örlikon eingeräumt wurde.
Für die gleiche Schuld ging der Beklagte Bachmann mit sechs andern Bürgen am
27. Dezember 1933 eine «Bürg- und Selbstzahlerschaftsverpflichtung» ein, die
u. a. die Bestimmung enthielt: «Im Falle der Handänderung ist die «Vita»
ermächtigt, nach freiem Ermessen den alten Schuldner beizubehalten oder den
neuen anzunehmen; sofern die «Vita» den neuen annimmt, so gilt diese
Bürgschaft ohne weiteres auch für den neuen Schuldner geleistet und dauert in
jedem Falle so lange fort, bis die «Vita» für ihre sämtlichen Ansprüche aus
diesem Schuldverhältnis befriedigt ist».
B. - Zu Beginn des Jahres 1935 wurde die Hotel Markus A.-G. gegründet mit dem
Zweck, das Hotel Markus an der Überlandstrasse 3/5 zu erwerben und zu
betreiben. Die neue Gesellschaft übernahm die auf der Liegenschaft haftenden
Hypotheken im Betrage von Fr. 500000.-. Die Genossenschaft «Markus», die
unterdessen zur Genossenschaft «Ackergut» geworden war, kam am 14. Februar
1935 in Konkurs.
Am 14. Januar 1935 hatte das Grundbuchamt Schwamendingen der «Vita» von der
Schuldübernahme im Sinne von Art. 832 ZGB Kenntnis gegeben. Diese kehrte auf
diese Mitteilung hin nichts vor.
C. - Im Jahre 1938 belangte die «Vita» den Beklagten auf Grund seiner
Solidarbürgschaftsverpflichtung auf Bezahlung rückständiger Hypothekarzinsen
von Fr. 8550.-.
D. - Das Bezirksgericht Frauenfeld und das Obergericht des Kantons Thurgau
wiesen die Klage ab. Das Bundesgericht weist die Berufung der Klägerin gegen
das Urteil des Obergerichts ab.

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Aus den Erwägungen:
1.- Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die Klägerin die
Genossenschaft «Ackergut» als Schuldnerin entlassen und an deren Stelle die
neugegründete Hotel Markus A.-G. angenommen hat. Nach Massgabe des Art. 178
Abs. 2 OR haftet mithin der Beklagte als Bürge nur noch, falls er dem
Schuldnerwechsel zugestimmt hat.
2.- Die Zustimmung eines Bürgen im Sinne des Art. 178 Abs. 2 OR kann vor dem
Schuldübergang formlos, sei es ausdrücklich, sei es durch konkludentes
Verhalten, erfolgen (BGE 60 II 333).
Nach der das Bundesgericht bindenden Feststellung der Vorinstanz hat sich der
Beklagte vor dem Schuldübergang weder ausdrücklich zum konkreten
Schuldnerwechsel geäussert, noch ist er etwa irgendwie für die neue
Schuldnerin tätig geworden. Mit der Vorinstanz muss daher davon ausgegangen
werden, dass der Bürge weder ausdrücklich noch durch konkludentes Verhalten
der Schuldübernahme vor dem Übergang zugestimmt hat.
Ob eine Zustimmung zum Schuldnerwechsel ausdrücklich oder durch konkludentes
Verhalten nach der Schuldübernahme erfolgt sei, kann dahingestellt bleiben.
Denn da eine Zustimmung im Zeitpunkt der Schuldübernahme fehlte und die
Bürgschaft damit unterging, hätte eine nachträgliche Zustimmung als
Neubegründung einer Bürgschaft der schriftlichen Form gemäss Art. 493 OR
bedurft (BGE 60 II 333 f.). Die Einhaltung dieser Form wird aber nicht einmal
behauptet.
3.- Es stellt sich weiter die Frage, ob der Beklagte trotz dem
Schuldnerwechsel forthafte, weil er seinerzeit die Klägerin im
Bürgschaftsvertrag ermächtigt hatte, nach freiem Ermessen den alten Schuldner
beizubehalten oder den neuen anzunehmen, und weil er daselbst überdies erklärt
hatte, dass im Falle eines Schuldnerwechsels die Bürgschaft ohne weiteres auch
als für den neuen Schuldner geleistet gelte.

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Das Bundesgericht hat die Gültigkeit derartiger Klauseln im Entscheid 63 II
410
offengelassen, immerhin aber schon damals deutlich durchblicken lassen,
dass es zur Verneinung dieser Frage neige. Im Entscheid i. S. Göhner gegen
Gewerbebank Zürich A.-G. vom 7. Juli 1941 hat es sich dann eindeutig auf
diesen Boden gestellt. Daran ist festzuhalten. Es muss schlechterdings als
unzulässig erachtet werden, dass sich ein Bürge inbezug auf eine Situation,
die er noch gar nicht kennt, ja gar nicht kennen kann, gültig verpflichte
(vgl. auch STAUFFER in der Zeitschr. f. Schweiz. Recht, 1935, S. 511 a). Es
liegt auf der Hand, dass gerade die Person des Schuldners für die Frage der
Eingehung der Bürgschaft, insbesondere aber für den Umfang des von ihm
übernommenen Risikos, von entscheidender Bedeutung ist. Es würde zu einer
unerträglichen Fesselung der Persönlichkeit führen, wenn man es als gültig
anerkennen wollte, dass sich ein Bürge nach dieser wichtigen Richtung hin
blindlings dem Gutdünken des Gläubigers ausliefern dürfe. Das würde auch der
bei der Revision des Bürgschaftsrechts klar zutage tretenden Tendenz eines
bessern Schutzes des Bürgen widersprechen. Eine Bürgschaftserklärung kann nur
dann als gültig anerkannt werden, wenn sich der Bürge auf ihrer Grundlage eine
klare Vorstellung über die Art und den Umfang des von ihm übernommenen Risikos
machen kann. Da das bei einem zum voraus erklärten Einverständnis zu jedem
beliebigen Schuldnerwechsel nicht zutrifft, ist eine Bestimmung dieses Inhalts
rechtlich unbeachtlich (Art. 27 ZGB, Art. 20 OR).
4.- Liegt aber eine gültige Verbürgung der Forderung gegenüber dem neuen
Schuldner nicht vor, so vermag der Klägerin auch eine Berufung auf die
Grundsätze von Treu und Glauben im Sinne des Art. 2 ZGB nicht zu helfen. Denn
in der Berufung auf das Fehlen der formellen gesetzlichen Voraussetzungen
eines Bürgschaftsvertrages kann ein Rechtsmissbrauch nicht erblickt werden;
das Fehlen eines solchen gesetzlichen Erfordernisses kann nicht durch

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eine Berufung auf Rechtsmissbrauch überbrückt werden. Denkbar wäre vielmehr an
sich höchstens eine Schadenersatzklage gemäss Art. 41 Abs. 2 OR wegen einer
gegen die guten Sitten verstossenden absichtlichen Schadenszufügung. Eine
solche ist aber vorliegend nicht einmal behauptet worden.
Information de décision   •   DEFRITEN
Document : 67 II 128
Date : 31 décembre 1941
Publié : 30 septembre 1941
Source : Tribunal fédéral
Statut : 67 II 128
Domaine : ATF - Droit civil
Objet : Bürgschaft bei Schuldübernahme, Art. 178 Abs. 2 OR. Die zum voraus erteilte Zustimmung des Bürgen...


Répertoire des lois
CC: 2  27  832
CO: 20  41  178  493
Répertoire ATF
60-II-332 • 63-II-409 • 67-II-128
Répertoire de mots-clés
Trié par fréquence ou alphabet
changement de débiteur • débiteur • défendeur • société coopérative • acte concluant • tribunal fédéral • question • pouvoir d'appréciation • autorité inférieure • abus de droit • hameau • décision • autorisation ou approbation • cautionnement • nullité • forme et contenu • rang • principe de la bonne foi • thurgovie • connaissance
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