S. 1 / Nr. 1 Gleichheit vor dem Gesetz (Rechtsverweigerung) (d)

BGE 67 I 1

1. Urteil vom 17. Januar 1941 i. S. Frei gegen Obergericht Aargau.


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Regeste:
Der bundesrechtliche Anspruch auf das Armenrecht ist nicht verletzt, wenn das
kantonale Recht den Grundsatz der Unteilbarkeit des Armenrechts aufstellt, d.
h. der armen Partei in jedem Fall auch einen armenrechtlichen Beistand
bestellt sofern ihr das volle Armenrecht für einen nicht aussichtslosen
Prozess auch dann gewährt wird, wenn sie imstande wäre, den Prozess ohne
Rechtsbeistand zu führen. Ebenso folgt aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV kein Anspruch auf freie
Anwaltswahl; die Kantone können insbesondere ausserkantonale Anwälte als
Armenbeistände ausschliessen.
Le droit à l'assistance judiciaire gratuite, tel que l'institue l'art. 4 CF,
n'est pas violé lorsque la législation cantonale le répute indivisible et
accorde un avocat d'office à tout plaideur mis au bénéfice de cette
assistance, alors même que ce plaideur pourrait conduire son procès sans
l'aide d'un juriste. De même, l'art. 4 CF ne confère pas à celui qui a obtenu
l'assistance judiciaire gratuite le droit de choisir librement son avocat; il
permet notamment à la législation cantonale d'exclure, comme défenseur
d'office, tout avocat étranger au canton.
Il diritto all'assistenza giudiziaria gratuita, quale è istituito dall'art. 4
CF, non è violato allorchè la legislazione cantonale lo ritiene indivisibile e
concede un avvocato d'officio a ogni attore messo al beneficio di
quest'assistenza, anche se l'attore potrebbe condurre il suo processo senza
l'ausilio di un legale. D'altra parte, non discende dall'art. 4 CF il diritto
di libera scelta dell'avvocato d'officio, in particolare, la legislazione
cantonale può escludere come difensore d'officio l'avvocato estraneo al
cantone

A. - In den Grenz- und Dienstbarkeitsbereinigungsprozessen des J. Fasler in
Asp-Densbüren gegen den

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Rekurrenten Gottfried Frei hatte der diesem gerichtlich bestellte Armenanwalt
das Mandat niedergelegt und der Bezirksgerichtspräsident von Brugg dem
Rekurrenten einen neuen Armenanwalt ernannt. Frei lehnte diesen aber ab und
erklärte, selbst einen Anwalt beauftragen zu wollen. Als ihm hiezu Frist
angesetzt wurde, ansonst es bei der getroffenen Verfügung sein Bewenden habe,
erteilte er Fürsprech Dr. Lüscher in Luzern Prozessvollmacht. Mit Verfügung
vom 15. April 1940 entzog hierauf der Gerichtspräsident dem Rekurrenten das
Armenrecht und auferlegte ihm für einen in Aussicht genommenen Augenschein
einen Kostenvorschuss von Fr. 100.-. Frei beschwerte sich gegen diese
Verfügung beim Obergericht, wurde aber abgewiesen, im wesentlichen mit der
Begründung: das Armenrecht des aargauischen Prozesses sei unteilbar; die
Wirkungen der Erteilung, zu denen die Bestellung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistandes gehöre, seien in § 64 ZPO zwingend aufgezählt und könnten
weder durch Verfügung der Parteien noch durch gerichtlichen Entscheid
abgeändert werden. Es sei nicht unbillig, wenn einer Partei, die in der Lage
sei, selber einen - dazu ausserkantonalen - Anwalt zu bestellen, zugemutet
werde, auch die regelmässig geringern Prozesskosten zu bezahlen (Entscheid des
Obergerichtes vom 21. Juni 1940).
B. - Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde beantragt Frei, den
obergerichtlichen Entscheid aufzuheben und die Sache mit der Weisung auf
Erteilung bezw. Belassung des Armenrechtes zurückzuweisen. Er macht geltend: §
64 lit. d aarg. ZPO gewähre dem Bürger zwar das Recht, sich einen vom Staate
bestellten Armenrechtsanwalt beiordnen zu lassen, verpflichte ihn aber nicht
dazu. Es sei willkürlich, einer armen Partei das Armenrecht deshalb zu
entziehen, weil sie von dem ihr zustehenden Recht keinen Gebrauch machen
wolle, sondern entweder den Prozess selber führe, oder damit einen ihr
bekannten Anwalt betraue, ohne dadurch den Staat mit Kosten zu belasten. Denn
dieser habe kein Interesse daran, dass jede

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arme Partei sich eines von ihm bestellten Anwaltes bediene. Als willkürlich
wird insbesondere gerügt, dass der Bezirksgerichtspräsident den Rekurrenten
aufgefordert habe, einen Anwalt in eigenen Kosten zu stellen, um ihm nachher
das Armenrecht zu entziehen, nachdem der Rekurrent der Aufforderung
entsprochen habe, und dass ausserkantonale Anwälte von den aargauischen
Gerichten nicht als Armenanwälte anerkannt würden.
C. - Das Obergericht des Kantons Aargau beantragt die Abweisung der
Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Das aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV fliessende Recht einer armen Partei auf unentgeltliche
Rechtshilfe für die Führung eines nicht aussichtslosen Prozesses umfasst nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Gerichtskosten, in dem Sinne, dass
der Richter für die arme Partei ohne Kostenvorschuss tätig sein muss, den
unentgeltlichen Rechtsbeistand dagegen nur dann, wenn die Partei zur gehörigen
Wahrung ihrer Interessen eines solchen bedarf (BGE 64 I 3). Liegt somit kein
Verstoss gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV darin, dass ihr in einfacheren Prozessen kein
Rechtsbeistand gegeben wird, wenn nicht Verfahrensschwierigkeiten dies
gebieten, so folgt daraus von Bundesrechtswegen doch kein Anspruch der armen
Partei darauf, dass ihr gegen ihren Willen kein Armenanwalt bestellt werde,
oder ein anderer, als sie ihn wünscht, oder dass sie auf diese Bestellung
überhaupt verzichten könne. Der bundesrechtliche Anspruch auf das Armenrecht
ist also nicht verletzt, wenn ein Kanton in Gesetzgebung und Praxis den
Grundsatz der sog. Unteilbarkeit des Armenrechts aufstellt, wie das für das
aargauische Recht zutrifft, vorausgesetzt, dass das volle Armenrecht der
Partei für einen nicht aussichtslosen Prozess auch dann gewährt wird, wenn sie
imstande wäre. den Prozess ohne Rechtsbeistand zu führen. Denn wenn der Staat
sie bei der Rechtsverfolgung unterstützt, ist er, wie das Bundesgericht
bereits ausgesprochen hat (BGE 60

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), befugt, Bedingungen zu stellen, deren Erfüllung ihm Gewähr dafür
bietet, dass der Prozess richtig geführt werde; er kann deswegen die Gewährung
des Armenrechts von der Bestellung eines Rechtsbeistandes abhängig machen. Es
war daher auch zulässig, dem Rekurrenten das Armenrecht zu entziehen, nachdem
dieser den ihm für die Prozessführung amtlich bezeichneten Armenanwalt ohne
Begründung ablehnte, um selbst einen Anwalt damit beauftragen zu können. Dass
dies mit dem kantonalen Recht, § 64 lit. d aarg. ZPO, unvereinbar und die
Entscheidung deshalb willkürlich wäre, davon kann im Ernst nicht gesprochen
werden. Denn daraus, dass dort von einem Recht der armen Partei auf einen
Rechtsbeistand die Rede ist, folgt keineswegs, dass sie darauf verzichten, im
übrigen aber die Vorteile des Armenrechts in Anspruch nehmen könne, von dem
die Gewährung des unentgeltlichen Armenanwalts einen Teil darstellt. Der
Rekurrent bestreitet übrigens nicht, dass diese Auslegung von § 64 lit. d
einer ständigen Praxis der aargauischen Gerichte entspricht. Ebenso wenig wäre
es willkürlich, wenn der Richter der armen Partei gegen ihren Willen einen
Armenanwalt bestellt, wenn sie den Prozess selber führen möchte, hiezu aber
ausserstande ist. Denn was von der zur Prozessführung befähigten Partei gilt,
muss umsomehr für diejenige gelten, die diese Voraussetzung nicht erfüllt.
2.- Von Bundesrechtswegen hat aber die arme Partei auch keinen Anspruch auf
freie Anwaltswahl, noch ist es willkürlich, wenn ihrem Wunsche, einen andern
als den in Aussicht genommenen oder bezeichneten Anwalt zu bestellen, nicht
entsprochen wird. Dabei mag offen bleiben, ob es zulässig wäre, ihr einen
andern als den von ihr vorgeschlagenen Armenanwalt aufzudrängen, wenn sie zu
diesem - etwa wegen Verwandtschaft, besonderer Freundschaft usw. - besondere
Beziehungen hat, er für die richtige Führung des Prozesses alle Gewähr bietet
und im Hinblick auf die besondern Umstände auf eine Entschädigung verzichten
würde. Denn derartige Verhältnisse liegen

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hier nicht vor. Die Weigerung, der armen Partei den Anwalt ihrer freien Wahl
zuzubilligen, kann insbesondere auch dann nicht mit Erfolg angefochten werden,
wenn es sich um einen ausserkantonalen Anwalt handelt. Denn diese, nicht nur
im Kanton Aargau, sondern auch in andern Kantonen (Luzern § 309 ZPO, Bern Art.
81, dazu LEUCH Note 4, Zug § 48) geltende Ordnung, wonach zu Armenanwälten nur
die im Kanton wohnhaften oder ständig tätigen Rechtsanwälte ernannt werden
können, lässt sich, wie die Rechtsprechung des Bundesgerichtes bereits
festgestellt hat (BGE 60 I 17), sachlich durchaus begründen. Übrigens geht die
aargauische Praxis gemäss den Feststellungen der Vernehmlassung nach beiden
Richtungen nicht so weit. Denn sie lässt nicht nur zu, dass die Partei den
bezeichneten Armenanwalt aus sachlichen Gründen ablehnen darf, sondern
schliesst es auch nicht aus, berechtigte Wünsche der Partei, die einen Anwalt
bereits beigezogen hat, für dessen Ernennung zum unentgeltlichen
Rechtsbeistand zu berücksichtigen, und zwar nicht nur dann, wenn es sich um
einen im Kanton tätigen Anwalt handelt, sondern auch wenn sie einen ausserhalb
des Kantons wohnhaften Vertreter vorschlägt, sofern dieser seine Einwilligung
erklärt und der betreffende Kanton Gegenrecht hält. Doch lagen beim
Rekurrenten auch diese Voraussetzungen nicht vor: weder hat er Dr. Lüscher als
unentgeltlichen Rechtsbeistand vorgeschlagen, bevor ihm anstelle des ersten
ein neuer Beistand bestellt wurde, noch haben er oder Dr. Lüscher selber im
kantonalen Verfahren zu erkennen gegeben, dass dieser als Armenanwalt bestellt
werden solle. Die erst in der staatsrechtlichen Beschwerde abgegebene
Erklärung dieses Inhalts fällt für die Entscheidung der Frage ausser Betracht,
ob dem Rekurrenten der bundesrechtliche oder nach kantonalem Prozessrecht
gewährte Anspruch in Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV versagt worden sei.
3.- Das Verhalten des Rekurrenten gestattete vielmehr ohne Willkür den
Schluss, dass er seinen Anwalt

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selbst bezahlen werde und daher auch für die Gerichtskosten aufkommen könne.
Zwar hat er ein gemeinderätliches Armutszeugnis eingereicht. Doch darf die für
die Erteilung des Armenrechts zuständige Behörde dieses Zeugnis überprüfen und
beim Vorliegen gegenteiliger Indizien von der Gewährung des Armenrechts
absehen oder dieses widerrufen. Solche Indizien waren hier vorhanden. Denn die
Annahme musste sich aufdrängen, dass der ausserkantonale Anwalt eine bedeutend
höhere Forderung stellen werde, als sie dem aargauischen unentgeltlichen
Rechtsbeistand nach § 16 Abs. 2 des Tarifes vom 6. März 1919 zuerkannt wird,
und dass er sich dafür auch rechtzeitig durch genügenden Vorschuss decken
werde, oder dass andernfalls für die Interessen der Partei nicht gesorgt sei.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 67 I 1
Date : 31. Dezember 1941
Published : 16. Januar 1941
Source : Bundesgericht
Status : 67 I 1
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : Der bundesrechtliche Anspruch auf das Armenrecht ist nicht verletzt, wenn das kantonale Recht den...


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aargau • orderer • federal court • position • litigation costs • advance on costs • appeal relating to public law • intention • cantonal law • correctness • lawyer • decision • authorization • proceeding • judicature without remuneration • nomination • statement of reasons for the adjudication • judicial agency • prohibition of arbitrariness • legal representation
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