S. 158 / Nr. 35 Obligationenrecht (d)

BGE 66 II 158

35. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Oktober 1940 i. S. Portner gegen
Zybach.

Regeste:
Verjährungsfrist des Zivilanspruchs aus strafbarer Handlung, Art. 60 Abs. 2
OR; Bedeutung des Freispruchs im Strafverfahren. Verhältnis von Art. 60 Abs. 3
OR zur Willensmangellehre.
Délai de prescription applicable à la prétention civile issue d'un acte
punissable, art. 60 al. 2 CO; portée de l'acquittement. Rapports de l'art. 60
al. 3 CO avec la théorie des vices du consentement.
Termine di i prescrizione applicabile alla pretesa civile risultante da atto
punibile, art. 60 cp. 2 CO; portata di un verdetto di assoluzione. Rapporto
dell'art. 60 cp. 3 CO con la teoria dei vizi del consenso.


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Aus dem Tatbestand:
Der Kläger Portner kaufte im Jahre 1931 von der Beklagten Frau Zybach ein
Chalet mit Pension. Die nach Anzahlung und Übernahme der Grundpfandschulden
verbleibende Restschuld von Fr. 25600.- war je zur Hälfte am 1. Januar 1937
und 1. Januar 1942 zu zahlen. Im Jahre 1932 entdeckte der Kläger, dass die
Beklagte ihn über das Bestehen eines Pensionspatentes sowie über den
Gästebesuch getäuscht hatte. Er bezahlte jedoch gleichwohl den Zins bis 1935.
Im Jahre 1937 erstattete er gegen Frau Zybach Strafanzeige wegen Betruges. Das
Obergericht Bern stellte fest, dass objektiv der Tatbestand des Betruges
gegeben sei, sprach aber die Beklagte wegen Unzurechnungsfähigkeit frei.
Anfangs 1939 betrieb die Beklagte den Kläger auf Bezahlung der am 1. Januar
1937 fällig gewordenen Hälfte der Restschuld. Der Appellationshof Bern wies
die Aberkennungsklage Portners ab. Das Bundesgericht bestätigt diesen
Entscheid.
Aus den Erwägungen:
(Abweisung der Einrede der einseitigen Unverbindlichkeit wegen Genehmigung des
Vertrages durch positives konkludentes Verhalten des Klägers, Zinszahlung in
Kenntnis der Täuschung).
4.- Der Schadenersatzanspruch, den der Kläger gestützt auf Art. 31 Abs. 3 OR
geltendmacht und gegenüber der Kaufpreisforderung zur Verrechnung stellt, war
vor Eintritt der Fälligkeit der letzteren verjährt. Die in Betreibung
gesetzten Fr. 12800.- waren als 1. Hälfte der Schuldbriefsumme am 1. Januar
1937 fällig. Damals waren über vier Jahre verstrichen, seit der Kläger die
Täuschung entdeckt hatte, der er zum Opfer gefallen war. Die in Art. 31 Abs. 3
dem Getäuschten vorbehaltene Forderung ist aber ein Anspruch aus Delikt. Die
Bestimmung bezweckt lediglich, die Anwendbarkeit der Art. 41 ff . OR zu
garantieren (BGE 47 II 186 ff.). Die

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Verjährungsfrist des Anspruchs aus Art. 31 Abs. 3 beträgt also in der Regel
ein Jahr; dieses war hier schon längst verstrichen.
Der Kläger will dem entgegenhalten, er leite seinen Anspruch aus einer
strafbaren Handlung her, weshalb nach Art. 60 Abs. 2 OR die Verjährungsfrist
für den Zivilanspruch sich nach den Vorschriften über die strafrechtliche
Verjährungsdauer bemesse. Auch dieser Einwand ist jedoch mit der Vorinstanz
abzulehnen. Die Beklagte ist vom Strafrichter freigesprochen worden. Daran ist
der Zivilrichter mit Bezug auf die Frage der Dauer der Verjährungsfrist
gebunden. Denn die Strafbarkeit der Handlung ist Voraussetzung für die längere
Dauer der Verjährung; es handelt sich um einen Fall wahrer Präjudizialität des
im Strafprozess ergangenen Urteils. Wenn die Strafbehörden rechtskräftig
festgestellt haben, dass dem Staate aus der in Frage stehenden Handlung kein
Strafanspruch erwachsen sei, kann der Zivilrichter, der gar nicht befugt ist,
über den Strafanspruch des Staates zu entscheiden, die Strafbarkeit nicht
hinterher nochmals prüfen (BGE 45 II 329; 62 II 149). Die Verjährungsfrist für
den Schadenersatzanspruch beschränkte sich also auf ein Jahr; dieses war am 1.
Januar 1937, bei Fälligkeit der in Betreibung gesetzten Forderung, längst
abgelaufen. Nach Art. 120 Abs. 3 besteht deshalb keine Verrechnungsmöglichkeit
mehr.
5.- In letzter Linie weist der Kläger auf Art. 60 Abs. 3 OR hin und macht
geltend, er könne - trotz Verjährung seines Schadenersatzanspruches und trotz
Genehmigung des Vertrages - die Erfüllung, d.h. die Zahlung der Schuldbrief-
und Kaufrestsumme verweigern. Die Vorinstanz hat, im Widerspruch zu der
herrschenden Meinung (V. TUHR OR S. 279, BECKER N. 9, OSER-SCHÖNENBERGER N. 16
zu Art. 31 OR) Art. 60 Abs. 3 als nicht anwendbar erklärt, da die in Frage
stehende Forderung nicht durch die unerlaubte Handlung, die Täuschung, sondern
erst durch die Genehmigung des Vertrages durch den Getäuschten begründet
werde. Die grundsätzliche Frage nach dem

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Verhältnis des Art. 60 Abs. 3 OR zur Willensmängellehre braucht jedoch hier
nicht entschieden zu werden; denn auf jeden Fall ist hier dem Kläger die
Berufung auf Art. 60 Abs. 3 OR deshalb verwehrt, weil er durch positives
konkludentes Verhalten den Vertrag genehmigt und dadurch die Rechtmässigkeit
der vertraglichen Forderung der Beklagten anerkannt hat.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 66 II 158
Datum : 01. Januar 1940
Publiziert : 01. Oktober 1940
Quelle : Bundesgericht
Status : 66 II 158
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Verjährungsfrist des Zivilanspruchs aus strafbarer Handlung, Art. 60 Abs. 2 OR; Bedeutung des...


Gesetzesregister
OR: 31  41  60  120
BGE Register
45-II-322 • 47-II-183 • 62-II-147 • 66-II-158
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • frage • strafbare handlung • dauer • konkludentes verhalten • vorinstanz • betrug • restschuld • zahl • strafprozess • kantonsgericht • entscheid • wille • leiter • erwachsener • opfer • bundesgericht • zins • weiler • einseitige unverbindlichkeit • wiese • aberkennungsklage • freispruch • unerlaubte handlung • termin • kenntnis • strafanzeige • sprache
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