S. 220 / Nr. 42 Bundesratsbeschluss betr. Verbilligung des Mehl- und
Brotpreises (d)
BGE 64 I 220
42. Urteil das Kassationshofes vom 18. Juli 1938 i. S. Meyerhans gegen
Thurgau, Staatsanwaltschaft.
Regeste:
BRB vom 14. Dez. 1936 betr. Verbilligung des Mehl- und Brotpreises:
Das Bundesgericht hat sich bei der Prüfung der Gesetzmässigkeit darauf zu
beschränken, zu untersuchen, ob die getroffenen Massnahmen offensichtlich aus
dem Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung herausfallen.
Der Erlass war ausserordentlich dringlich. Die Vorschriften über das Ausmahlen
des Getreides und das Typmuster dienen der Brotverbilligung und liegen im
Rahmen wirtschaftlicher Notmassnahmen.
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A. - Am 29. September 1936 erging der dringlich erklärte Bundesbeschluss über
wirtschaftliche Notmassnahmen, der den Bundesrat ermächtigt, in Fällen
aussergewöhnlicher Dringlichkeit vorgängig der Beschlussfassung durch die
Bundesversammlung durch vorsorgliche Bundesratsbeschlüsse wirtschaftliche
Notmassnahmen zu treffen, die in Gesetzen oder dringlichen Bundesbeschlüssen
nicht vorgesehen sind. Der Bundesrat hat der Bundesversammlung über seine
Massnahmen Bericht zu erstatten und ist befugt, auf Zuwiderhandlungen gegen
seine Beschlüsse Bussen bis auf Fr. 10000.- oder Gefängnis bis auf 3 Monate
anzudrohen.
Gestützt hierauf erliess der Bundesrat am 14. Dezember 1936 den Beschluss
betreffend die Verbilligung des Mehl- und Brotpreises, durch welchen die
Inhaber der Handelsmühlen verpflichtet werden, ein Vollmehl herzustellen und
ihrer Bäckerkundschaft zur Verfügung zu halten (Art. 1), das aus einer
Getreidemischung von etwa 80 Gewichtsprozenten Weizen oder Dinkel und etwa 20
Gewichtsprozenten Roggen hergestellt und durchschnittlich auf 82-85%
auszumahlen ist; das Mehl darf nicht heller sein, als das von der
Getreideverwaltung aufgestellte Typmuster (Art. 3). Widerhandlungen gegen die
Bestimmungen des Beschlusses sind mit Busse bis auf Fr. 10000.- oder Gefängnis
bis zu 3 Monaten zu bestrafen; beide Strafen können miteinander verbunden
werden. Auch die fahrlässige Handlung ist strafbar (Art. 8). Werden die
Zuwiderhandlungen im Geschäftsbetrieb einer juristischen Person begangen, so
finden die Strafbestimmungen auf die Personen Anwendung, die für sie gehandelt
haben oder hätten handeln sollen (Art. 9). Die Strafverfolgung wird als Sache
der Kantone erklärt (Art. 10).
Die Bundesversammlung genehmigte diesen Beschluss (II. Bericht des Bundesrates
an die Bundesversammlung über wirtschaftliche Notmassnahmen vom 12. Februar
1937) .
B. - Gegen den Nichtigkeitskläger wurde durch die thurgauischen Behörden ein
Strafverfahren durchgeführt,
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weil er im Juli 1937 Vollmehl geliefert hatte, das wesentlich heller war, als
das in Art. 3 BRB vorgesehene und von der Getreideverwaltung Ende Januar 1937
gelieferte Typmuster. Bezirksgerichtskommission Weinfelden und
Rekurskommission des thurgauischen Obergerichtes, letztere mit Urteil vom 29.
März/2. April 1938 erklärten den Angeschuldigten der Übertretung des
Bundesratsbeschlusses schuldig und auferlegten ihm eine Busse von Fr. 200.-
und die Kosten des Verfahrens.
C. - Mit Nichtigkeitsbeschwerde vom 2. Mai 1938 beantragt der Kassationskläger
seine Freisprechung von Schuld und Strafe, eventuell die Aufhebung des
angefochtenen Entscheides und die Rückweisung der Sache an die kantonalen
Instanzen zu neuer Beurteilung.
Er macht geltend: er sei wegen Verletzung einer Vorschrift bestraft worden,
deren Erlass nicht ausserordentlich dringlich gewesen sei und die inhaltlich
keine wirtschaftliche Notmassnahme im Sinne des Bundesbeschlusses vom 29.
September 1936 darstelle; der Bundesratsbeschluss sei daher nicht
rechtsbeständig.
Aus den Erwägungen:
1.- Der Nichtigkeitskläger geht mit Recht davon aus, dass der Bundesbeschluss
über wirtschaftliche Notmassnahmen weder auf seine inhaltliche Übereinstimmung
mit der Verfassung, noch daraufhin überprüft werden kann, ob die
Voraussetzungen der Dringlicherklärung desselben gegeben waren (BGE 61 I S.
365; 62 I S. 79). Er bestreitet dagegen, dass der gestützt hierauf erlassene
Beschluss des Bundesrates innerhalb des gesetzlichen Rahmens erlassen worden
sei, d. h. dass sich seine Vorschriften über das Typmuster und das Ausmahlen
des Getreides im Rahmen der wirtschaftlichen Notmassnahmen bewegen und
dringlichen Charakter haben.
Bezüglich bundesrätlicher Verordnungen steht dem Bundesgericht im allgemeinen
zu, deren Verfassungs- und Gesetzmässigkeit zu überprüfen. Da indes der BRB
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vom 14. Dezember 1936 unselbständiger Natur ist, d. h. auf Delegation beruht,
kann sich die Prüfung nur darauf beziehen, ob er sich im Rahmen dieser
Delegationsnorm bewegt. Ähnlich wie beim Bundesbeschluss über wirtschaftliche
Massnahmen gegenüber dem Ausland vom 14. Oktober 1933 wird dem Bundesrat durch
denjenigen vom 29. September 1936 eine ausserordentlich weitgehende
Ermächtigung erteilt. Es stehen hier wie dort Massnahmen in Frage, über deren
Notwendigkeit und Dringlichkeit nach ihrer Natur bis zu einem gewissen Grade
dem Ermessen der Behörde, welcher der Erlass übertragen ist, eine
ausserordentlich grosse Rolle zukommt; an die Stelle ihres Ermessens kann
nicht dasjenige des Richters treten. Seine Prüfung hat sich vielmehr darauf zu
beschränken, ob die Massnahmen des Beschlusses zur Erreichung des Zweckes
dienen konnten, der durch den Bundesbeschluss erreicht werden wollte, oder ob
sie offensichtlich aus dem Rahmen der erteilten Ermächtigung herausfallen (BGE
61 I S. 369).
2.- Eine derart beschränkte Prüfung kann aber keinesfalls zum Ergebnis
gelangen, dass der Bundesratsbeschluss nicht rechtsbeständig sei. Sein Erlass
bezweckte die Verbilligung des Brotpreises, die angesichts der
vorausgegangenen Abwertung und der infolge derselben drohenden Verteuerung der
Lebenshaltung eine wirtschaftliche Notwendigkeit war. Das wird vom Rekurrenten
auch nicht bestritten, sondern er geht selber davon aus, dass dem Erlass des
Bundesrates, soweit er der Verbilligung des Brotpreises dient, der Charakter
der wirtschaftlichen Notmassnahme im Sinne des Bundesbeschlusses vom 29.
September 1936 nicht abgesprochen werden kann. Wenn er hingegen bestreitet,
dass die Ausmahlvorschriften und das Typmuster für diesen Zweck nötig waren,
übersieht er, dass die Abgabe von Brot zu einem verbilligten Preis für den
Verbraucher nur dann einen Vorteil bedeutet, wenn die Herabsetzung des Preises
nicht auf Kosten der Qualität erfolgt. Es bestand die Gefahr, dass die
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Müller versuchen würden, im Interesse der Hebung ihres Absatzes das
verbilligte Mehl möglichst hell zu liefern und dass dies dazu geführt hätte,
dass der Getreidemischung das Weissmehl entzogen und den Kunden das weniger
wertvolle Nachmehl zum verbilligten Preis geliefert worden wäre, das heller
hätte geliefert werden können, als die in der vorgeschriebenen Weise
ausgemahlene unveränderte Mischung. Wenn diese Vorschriften auf die Art und
Weise des Konkurrenzkampfes im Müllereigewerbe gewisse Rückwirkungen haben
konnten, weil dadurch der Kundenwerbung durch Lieferung eines möglichst hellen
und deswegen von den Verbrauchern bevorzugten, dafür aber minderwertigeren
Mehls ein Riegel vorgeschoben wird, so dienten sie nichtsdestoweniger der
Verbilligung des Brotpreises. Sie sollen die Umgehung der Vorschriften über
die Qualität des Volksbrotes verunmöglichen und bilden damit einen Bestandteil
des Erlasses vom 14. Dezember 1936.
Auch der Charakter der ausserordentlichen Dringlichkeit wird dem Beschluss
durch den Beschwerdeführer zu Unrecht abgesprochen. Der Bundesrat hatte, um
jegliches Ansteigen des Brotpreises zu verhindern, bereits am 5. Oktober 1936
durch Zuschüsse aus Bundesmitteln diese Verteuerung abgewendet (II. Bericht
des BR an die Bundesversammlung über wirtschaftliche Notmassnahmen vom 12.
Februar 1937). Diese Lösung hatte wegen ihrer finanziellen Auswirkungen nur
provisorischen Charakter und musste durch eine Regelung ersetzt werden, welche
dem Bund die Kosten der Verbilligungsaktion abnahm. Das war der Grund, weshalb
man zu einem besonderen Vollmehl Zuflucht nahm, das von den Müllern zu einem
billigen Preis abgegeben werden musste, während sie die Möglichkeit erhielten,
sich durch die Preisfestsetzung für andere Mehlsorten für den auf dem Vollmehl
entgangenen Ausfall schadlos zu halten. Dass die Vorarbeiten dazu nicht von
einem Tag auf den andern durchgeführt werden konnten und auch den Müllern Zeit
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musste, um die für die Herstellung des Vollmehles nötigen technischen
Einrichtungen zu treffen, ändert an der ausserordentlichen Dringlichkeit
nichts. Der Zweck, die mit der parlamentarischen Beratung unvermeidlicherweise
verbundene Verzögerung des Inkrafttretens auszuschliessen, wurde erfüllt.
Damit erübrigt sich, zu prüfen, ob dann, wenn der Bundesratsbeschluss sich
nicht im Rahmen der ihm zugrunde liegenden Ermächtigung gehalten hätte, dieser
Mangel durch die Genehmigung des Berichtes des Bundesrates geheilt worden
wäre.