BGE 61 I 445
69. Urteil des Kassationshofs vom 23. Dezember 1935 i. S. Rüttimann gegen
Staatsanwaltschaft Zürich.
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Regeste:
Bedingter Strafvollzug, Art. 335 BStrP. Bei Vorliegen der in Art. 335 Abs. 2-4
genannten Voraussetzungen darf der Richter den Strafaufschub nur verweigern,
wenn im konkreten Falle besondere Umstände vorliegen, welche dessen Anwendung
als zweckwidrig erscheinen lassen. - Gegen die Verweigerung ist die
Nichtigkeitsbeschwerde nur gegeben, wenn der Richter das ihm in Art. 335
gelassene Ermessen überschritten hat.
A. - Jakob Rüttimann in Arni ist vom Obergericht des Kantons Zürich durch
Urteil vom 24. Oktober 1935 wegen fortgesetzter Milchfälschung (Zusatz
zentrifugierter Magermilch) gestützt auf Art. 36
SR 817.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (Lebensmittelgesetz, LMG) - Lebensmittelgesetz LMG Art. 36 Vorsorgliche Massnahmen - 1 Die Vollzugsbehörden stellen beanstandete Produkte sicher, wenn dies für den Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten oder Dritter erforderlich ist. |
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1 | Die Vollzugsbehörden stellen beanstandete Produkte sicher, wenn dies für den Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten oder Dritter erforderlich ist. |
2 | Sie können auch im Falle eines begründeten Verdachts Produkte sicherstellen, wenn dies für den Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten oder Dritter erforderlich scheint. |
3 | Sichergestellte Produkte können amtlich verwahrt werden. |
4 | Sichergestellte Produkte, die sich nicht aufbewahren lassen, werden unter Berücksichtigung der Interessen der Betroffenen verwertet oder beseitigt. |
SR 817.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (Lebensmittelgesetz, LMG) - Lebensmittelgesetz LMG Art. 37 Strafanzeige - 1 Die Vollzugsbehörden zeigen der Strafverfolgungsbehörde strafbare Widerhandlungen gegen Vorschriften des Lebensmittelrechts an. |
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1 | Die Vollzugsbehörden zeigen der Strafverfolgungsbehörde strafbare Widerhandlungen gegen Vorschriften des Lebensmittelrechts an. |
2 | In leichten Fällen können sie auf eine Strafanzeige verzichten. |
Gefängnis und 500 Fr. Geldbusse verurteilt worden unter Ablehnung des
bedingten Strafvollzugs des Art. 335 BStrP. Die Ablehnung ist damit begründet,
dass der Angeklagte bereits früher einmal neben seinem Bruder in ein
Strafverfahren wegen Milchfälschung verwickelt war, wo er freigesprochen
wurde. Trotz Freisprechung sei ihm dieses Verfahren natürlich eine deutliche
Warnung gewesen, die aber, wie der vorliegende Fall zeige, nicht genügend
gewirkt habe. Das lasse seinen Charakter nicht in günstigem Licht erscheinen.
Dazu komme noch, dass er einen erheblichen deliktischen Willen und eine
Beharrlichkeit an den Tag legte, die kaum erwarten lassen, dass er sich ohne
Vollzug der Freiheitsstrafe künftig an die Schranken der Rechtsordnung halten
werde. Damit sei nicht gesagt, dass er etwa auch in anderer Beziehung zu
Delikten neige; inbezug auf sein Gewinnstreben habe er aber zweifellos nicht
genügenden innern Halt, der Versuchung zu widerstehen, es mit unredlichen
Mitteln zu befriedigen.
B. - Die Verweigerung des bedingten Strafvollzugs greift der Verurteilte mit
rechtzeitig eingereichter Kassationsbeschwerde an. Er bezeichnet die hierfür
gegebene Begründung als willkürlich. Es sei nicht einzusehen, wieso
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der in der frühern Strafuntersuchung völlig unschuldig befundene
Angeschuldigte diese zu Unrecht angehobene Strafuntersuchung als eine
«deutliche Warnung» zu empfinden hatte und warum der Vorinstanz der Charakter
dieser Person, die nach Jahren zum ersten Mal straffällig wurde, auf Grund
dieser «deutlichen Warnung» in einem ungünstigen Licht erscheine. Auch der
zweite von der Vorinstanz angeführte Grund des erheblichen deliktischen
Willens, gefolgert aus der Tatsache, dass Rüttimann seine Tat fortgesetzt
verübte, erscheine in einem andern Licht auf Grund der Feststellung des
Obergerichts, dass er erhebliche Verluste aus Bürgschaften erlitten hatte und
aus dieser prekären Situation heraus das Delikt begangen habe. Er wollte sich
nicht bereichern, sondern nur seine grossen finanziellen Verluste
einigermassen ausgleichen; von einem Gewinnstreben im Sinne des
obergerichtlichen Urteils könne nicht die Rede sein. Die fortgesetzte Verübung
des Delikts könne nach seiner Natur nicht als Ausfluss eines intensiven
verbrecherischen Willens gewertet werden, es liege ihm ein einmaliger auf den
gewünschten Erfolg gerichteter Entschluss zugrunde. Da somit die im Gesetz
aufgezählten Voraussetzungen für den bedingten Strafvollzug gegeben seien,
müsse der Richter ihn gewähren, es stehe trotz der Ausdrucksweise des Gesetzes
nicht mehr in seiner Hand, ihn zu verweigern.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Der bedingte Strafvollzug ist durch Art. 335 BStrP an bestimmte
Voraussetzungen geknüpft. Sind diese gegeben, so ist nach deutlicher Fassung
des Gesetzes («der Richter kann den Vollzug einer Gefängnisstrafe...
aufschieben») die Bewilligung des Strafaufschubes weiterhin in sein Ermessen
gestellt. Dieses Ermessen ist jedoch kein völlig freies; Ermessen bedeutet
nicht Willkür. Es kann nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen haben,
eine kriminalpolitisch so bedeutungsvolle und einschneidende Massnahme bei
Vorhandensein der von ihm aufgestellten
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Voraussetzungen immer noch dem freien Befinden des Richters anheim zu geben,
so etwa wie die Begnadigung zur freien Ausübung übertragen ist. Wenn er nicht
überhaupt die Verpflichtung des Richters ausgesprochen hat, unter den
angegebenen Voraussetzungen den Strafaufschub zu gewähren, so ist das im
Bewusstsein geschehen, dass diese Voraussetzungen zwar im grossen und ganzen,
aber bei der Vielgestaltigkeit der Erscheinungen nicht ausnahmslos genügen, um
die Gewährung nur dort zu garantieren, wo sie nach Sinn und Geist der
Institution angezeigt erscheint. Daraus folgt, dass bei Vorliegen der im
Gesetz erwähnten Voraussetzungen der Richter den Strafaufschub nur noch
verweigern darf, wenn im gerade gegebenen Fall besondere Umstände vorliegen,
welche die Anwendung des Strafaufschubes als zweckwidrig erscheinen lassen.
Fehlen solche Umstände, so überschreitet der Richter sein Ermessen, wenn er
den Strafaufschub verweigert (vgl. KIRCHHOFER, zu Art. 32 MStrG in SchwZStrR
42 S. 15 ff.).
Ein Entscheid, der sich in den Grenzen des Ermessens hält, unterliegt der
Überprüfung des Kassationshofes nicht. Wohl aber liegt eine Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 269 BStrP vor, wenn der Richter sein Ermessen überschreitet.
Im vorliegenden Fall ist das nicht geschehen. Hier hat der urteilende Richter
schon das Vorhandensein einer der im Gesetz genannten Voraussetzungen
verneint, nämlich dass der Charakter des Verurteilten erwarten lasse, er werde
durch diese Massnahme von weitern Verbrechen und Vergehen abgehalten. Dies
wird geschlossen aus der Intensität des verbrecherischen Willens, der in der
fortgesetzten Ausübung der Milchfälschung zum Ausdruck gekommen ist und der
nicht zur Annahme berechtige, dass der Täter ohne Vollzug der Strafe genügend
innern Halt besitze, um der Versuchung zu widerstehen, sein Gewinnstreben
weiterhin mit unredlichen Mitteln zu befriedigen. Zur Verdeutlichung des
ungenügenden Halts wird noch
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darauf hingewiesen, dass der Verurteilte sich eine frühere Strafuntersuchung
wegen Milchfälschung, in der er dann allerdings freigesprochen worden ist,
nicht hat zur Warnung dienen lassen. Ob Vorleben und Charakter ein bestimmtes
Verhalten erwarten lassen, ist wiederum in weitgehendem Masse eine Frage des
Ermessens, das nur dann überschritten wäre, wenn die angestellten Überlegungen
schlechterdings unhaltbar wären. Das kann keineswegs gesagt werden.
Insbesondere war es nicht unzulässig, die frühere Strafuntersuchung, obschon
sie zu einem Freispruch geführt hat, in der geschehenen Weise zu
berücksichtigen. Denn wenn zwar Art. 335 al. 2 das Fehlen näher umschriebener
Vorstrafen zu einer Bedingung des Strafaufschubes macht, so ist damit nicht
zugleich gesagt, dass ein Strafverfahren, das zu keiner Bestrafung führte,
keinerlei Bedeutung für die Entscheidung über den bedingten Strafaufschub
haben könne. Es ist eine höchst natürliche, unmöglich zu verkennende Wirkung,
dass das Erstehen einer Strafuntersuchung zur Warnung wird, und es ist daher
durchaus gegeben, aus der Fruchtlosigkeit dieser Warnung auf mangelnden Halt
zu schliessen, wie die Vorinstanz es getan.
In Wirklichkeit richtet sich die Rüge des Beschwerdeführers nicht gegen eine
Überschreitung des Ermessens durch die Vorinstanz, sondern läuft sie darauf
hinaus, dass die Vorinstanz von dem ihr zustehenden Ermessen unrichtigen
Gebrauch gemacht habe und dass der Kassationshof sein eigenes Ermessen walten
lasse.
Demnach erkennt der Kassationshof: Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht
eingetreten.