S. 40 / Nr. 7 Staatsverträge (d)

BGE 54 I 40

7. Urteil vom 20. Januar 1928 i. S. Schärf gegen Kleiner Rat von Graubünden.

Regeste:
A r t. 18 u. 19 Haager Zivilprozessübereinkunft: Vollstreckung deutscher
Kostenurteile in der Schweiz. ­ Staatsvertragsrecht geht Bundesrecht vor.

A. - Der Rekursbeklagte hatte die Rekurrenten auf Schadenersatz belangt, war
aber durch Urteil des Amtsgerichtes Konstanz vom 11. November/2. Dezember 1926
damit abgewiesen worden. Die von ihm den Rekurrenten zu ersetzenden Kosten
wurden durch Verfügung vom 24. Januar 1927 auf 94 RM 80 festgesetzt. Für
diesen Betrag (116 Fr. 60 Cts. plus Zins seit 8. März 1927) hoben die
Rekurrenten Betreibung an und stellten nach erhobenem Rechtsvorschlag beim
Kreisamt Davos das Gesuch um Vollstreckbarerklärung des Amtsgerichtsurteils
und des Kostenfestsetzungsbeschlusses und um Erteilung der definitiven
Rechtsöffnung. Das Kreisamt Davos wies das Begehren ab und der Kleine Rat von
Graubünden bestätigte am 15. Juli 1927 auf Beschwerde hin den Entscheid mit
der Begründung: Nach Art. 18

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der Haager Zivilprozessübereinkunft sei die Vollstreckbarerklärung eines
ausländischen Kostenurteils auf diplomatischem Wege nachzusuchen, sofern nicht
auf Grund besonderer Abmachung zwischen den beteiligten Staaten das Exequatur
auch von den Parteien selbst eingeholt werden könne. Da eine solche Abmachung
zwischen der Schweiz und Deutschland nicht bestehe und das Gesuch um
Vollstreckbarerklärung nicht auf diplomatischem Weg gestellt worden sei, so
habe ihm auf Grund der Haager Übereinkunft nicht entsprochen werden können. -
Gegen diesen am 26. Juli 1927 eröffneten Kleinratsentscheid erhoben die
Rekurrenten am 22. September 1927 staatsrechtliche Beschwerde, die vom
Bundesgericht abgewiesen wurde mit der Begründung:
Die Haager Zivilprozessübereinkunft bestimmt:
Art. 18: «Entscheidungen, wonach der Kläger oder Intervenient, der nach Art.
17 Abs. 1 und 2 oder nach dem in dem Staat der Klageerhebung geltenden Rechte
von der Sicherheitsleistung, Hinterlegung oder Vorauszahlung befreit worden
war, in die Prozesskosten verurteilt wird, sind, wenn das Begehren auf
diplomatischem Wege gestellt wird, in jedem der andern Vertragsstaaten durch
die zuständige Behörde kostenfrei vollstreckbar zu erklären.
Die gleiche Regel findet Anwendung auf gerichtliche Entscheidungen, durch die
der Betrag der Kosten des Prozesses später festgesetzt wird.
Die vorgehenden Bestimmungen schliessen nicht aus, dass zwei Vertragsstaaten
übereinkommen, auch der beteiligten Partei selbst zu gestatten, die
Vollstreckbarkeitserklärung zu beantragen.»
Art. 19: «Die Kostenentscheidungen werden ohne Anhörung der Parteien, jedoch
unbeschadet eines spätern Rekurses der verurteilten Partei, gemäss der
Gesetzgebung des Landes, wo die Vollstreckung betrieben wird, vollstreckbar
erklärt.
Die zur Entscheidung über den Antrag auf

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Vollstreckbarkeitserklärung zuständige Behörde hat ihre Prüfung darauf zu
beschränken:
1. ob nach dem Gesetze des Landes, wo die Verurteilung erfolgt ist, die
Ausfertigung der Entscheidung die für ihre Beweiskraft erforderlichen
Voraussetzungen erfüllt;
2. ob nach demselben Gesetze die Entscheidung die Rechtskraft erlangt hat;
3. den Erfordernissen des Abs. 2 Ziff. 1, 2 wird genügt durch eine Erklärung
der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates, dass die Entscheidung die
Rechts kraft erlangt hat. Die Zuständigkeit dieser Behörde ist, vorbehältlich
anderweitiger Übereinkunft, durch den höchsten Justizverwaltungsbeamten des
ersuchenden Staates zu bescheinigen.»
In der Erklärung betreffend Vereinfachung des Rechtshülfeverkehrs vom 5. April
1910 vereinbarten sich die Schweiz und Deutschland dahin, dass «gemäss dem
Vorbehalt in Art. 19 Abs. 3 des Abkommens - die dort vorgesehene Bescheinigung
des höchsten Justizverwaltungsbeamten über die Zuständigkeit der Behörde,
welche die Erklärung über die Rechtskraft der Kostenentscheidungen abgibt,
nicht verlangt werden» solle, «wenn die Erklärung nach dem
Beglaubigungsvertrage vom 14. Februar 1907 keine Beglaubigung bedarf». Nach
Art. 1 dieses Vertrages betrifft das die gerichtlichen, einschliesslich die
vom Gerichtsschreiber ausgestellten Urkunden. Eine Abmachung, wonach der
diplomatische Weg nicht eingeschlagen werden muss, wurde dagegen nie
getroffen.
Die Vollstreckbarkeit des Kostenerkenntnisses des Amtsgerichtes Konstanz
setzte also entgegen der Annahme des Rekursbeklagten nicht die Bescheinigung
des höchsten Verwaltungsjustizbeamten über die Zuständigkeit der ihre
Rechtskraft bescheinigenden Behörde voraus (ganz abgesehen davon, dass diese
Bescheinigung des badischen Justizministers vom 20. Mai 1927 bei den

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Akten lag). Dagegen setzte sie voraus, dass das Gesuch um
Vollstreckbarerklärung auf dem diplomatischen Wege gestellt werde, was hier
nicht geschehen ist. Es fragt sich deshalb, ob diese Verletzung der
Zivilprozessübereinkunft den angesuchten Kanton berechtige, das Exequatur zu
verweigern, wie das Kreisamt Davos und der Kleine Rat von Graubünden
angenommen haben. Die Rekurrenten scheinen behaupten zu wollen, das
Bundesgericht habe diese Frage verneint; doch zu Unrecht (die von ihnen
angerufenen Entscheidungen BGE 28 I S. 320 und 49 III S. 67 beziehen sich
überhaupt nicht auf diese Frage der Interpretation der
Zivilprozessübereinkunft) und die gegenteilige Auffassung, wonach das
Exequatur verweigert werden darf, wenn nicht im diplomatischen Wege darum
nachgesucht worden ist, entspricht dem Wortlaut und dem Sinn der Übereinkunft
selbst. Auf diesem Boden steht die Doktrin (vgl. PILLET, Traité de droit
intern. II S. 493 und MEILI U. MAMELOCK, Internationales Prozessrecht S. 349
Ziff. 2 und 351 Ziff. 2 und 4), wie die Rechtssprechung (KOSTERS, Convention
de la Haye, Rec. de jurisprudence S. 1203, 1248). Die Nichterteilung der
Vollstreckbarkeitserklärung für das Kostenurteil des Konstanzer Amtsgerichtes,
weil nicht auf diplomatischem Wege darum ersucht worden sei, verletzt also
jedenfalls nicht die Haager Übereinkunft. Damit entfällt auch die Einrede der
Verletzung von Art. 81 Abs. 3
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 81 - 1 Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren Entscheid eines schweizerischen Gerichts oder einer schweizerischen Verwaltungsbehörde, so wird die definitive Rechtsöffnung erteilt, wenn nicht der Betriebene durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Entscheids getilgt oder gestundet worden ist, oder die Verjährung anruft.
1    Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren Entscheid eines schweizerischen Gerichts oder einer schweizerischen Verwaltungsbehörde, so wird die definitive Rechtsöffnung erteilt, wenn nicht der Betriebene durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Entscheids getilgt oder gestundet worden ist, oder die Verjährung anruft.
2    Beruht die Forderung auf einer vollstreckbaren öffentlichen Urkunde, so kann der Betriebene weitere Einwendungen gegen die Leistungspflicht geltend machen, sofern sie sofort beweisbar sind.
3    Ist ein Entscheid in einem anderen Staat ergangen, so kann der Betriebene überdies die Einwendungen geltend machen, die im betreffenden Staatsvertrag oder, wenn ein solcher fehlt, im Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987159 über das Internationale Privatrecht vorgesehen sind, sofern nicht ein schweizerisches Gericht bereits über diese Einwendungen entschieden hat.160
SchKG (s. Erw. 1).
Die Rüge, Art. 18
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 18 Sprachenfreiheit - Die Sprachenfreiheit ist gewährleistet.
der Haager Übereinkunft verletze Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV, weil die darin
enthaltene Verweisung auf den diplomatischen Weg für die Gesuche um
Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile dem schweizerischen Staatsrecht
widerspreche (sofern das wirklich der Sinn der unklaren rekurrentischen
Ausführungen ist), kann nicht ernst genommen werden. Denn nach Art. 113 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge.
1    Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge.
2    Er beachtet dabei folgende Grundsätze:
a  Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise.
b  Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.
c  Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern.
d  Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern.
e  Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären.
3    Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen.
4    Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen.

BV sind die von der Bundesversammlung genehmigten Staatsverträge für das
Bundesgericht verbindlich und können nicht auf ihre Verfassungsmässigkeit

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geprüft werden. Das Bundesgericht kann deshalb auch nicht einzelne
Staatsvertragsbestimmungen als für die Schweiz nicht anwendbar erklären, weil
sie unserem Rechte widersprechen sollen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 54 I 40
Datum : 01. Januar 1927
Publiziert : 20. Januar 1928
Quelle : Bundesgericht
Status : 54 I 40
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : A r t. 18 u. 19 Haager Zivilprozessübereinkunft: Vollstreckung deutscher Kostenurteile in der...


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
18 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 18 Sprachenfreiheit - Die Sprachenfreiheit ist gewährleistet.
113
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge.
1    Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge.
2    Er beachtet dabei folgende Grundsätze:
a  Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise.
b  Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen.
c  Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern.
d  Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern.
e  Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären.
3    Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen.
4    Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen.
SchKG: 81
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 81 - 1 Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren Entscheid eines schweizerischen Gerichts oder einer schweizerischen Verwaltungsbehörde, so wird die definitive Rechtsöffnung erteilt, wenn nicht der Betriebene durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Entscheids getilgt oder gestundet worden ist, oder die Verjährung anruft.
1    Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren Entscheid eines schweizerischen Gerichts oder einer schweizerischen Verwaltungsbehörde, so wird die definitive Rechtsöffnung erteilt, wenn nicht der Betriebene durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Entscheids getilgt oder gestundet worden ist, oder die Verjährung anruft.
2    Beruht die Forderung auf einer vollstreckbaren öffentlichen Urkunde, so kann der Betriebene weitere Einwendungen gegen die Leistungspflicht geltend machen, sofern sie sofort beweisbar sind.
3    Ist ein Entscheid in einem anderen Staat ergangen, so kann der Betriebene überdies die Einwendungen geltend machen, die im betreffenden Staatsvertrag oder, wenn ein solcher fehlt, im Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987159 über das Internationale Privatrecht vorgesehen sind, sofern nicht ein schweizerisches Gericht bereits über diese Einwendungen entschieden hat.160
BGE Register
28-I-320 • 54-I-40
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bescheinigung • bundesgericht • weiler • kostenentscheid • ersuchender staat • deutschland • verurteilter • frage • entscheid • staatsvertragspartei • gerichtskosten • verfahren • bewilligung oder genehmigung • sicherstellung • staatsrechtliche beschwerde • vollstreckbarerklärung • angabe • gesuch an eine behörde • vertrag zwischen kanton und ausländischem staat • staatsvertrag
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