154 Famiäenreeht. N° 23.

Vaters, an das Bundesgericht nicht weitergezogen werden kann.

Demnach erkennt das Bundesgericht : Auf die Beschwerde wird nicht
eingetreten.

23. Urteil der II. Zivilabteilug vom S. Juli 1923 i. S. Meier gegen Meier.

Vaterschaitsanerkennung, Anfechtung: Anwendbarkeit der allgemeinen
obligationenrechtlichen Grundsätze über die Anfechtung von
Reehtsgeschäften wegen WilIsensmàngeln.

Die Anfechtung dureh den Anerkennenden wegen Irrtums kann sich nicht
darauf stützen, dass der 'Geschieehtsverkehr der unehelichen Mutter mit
Dritten zur Zeit der Anerkennung noch nicht bekannt war.

A. Der Kläger Emil Meier, geb. 1901, kam im Frühjahr 1919 nach Bern, um
seine Studien als Lehramtskandidat zu vollenden. Er nahm bei Briefträger
Schütz Zimmer und Pension; dort lernte er dessen Tochter, die 1893
geborene Rosa Bertha Schütz kennen. Er besuchte sie öfters auf ihrem
Zimmer, wobei es Wieder-. holt zum Geschlechtsverkehr kam. Im Sommer
1921 machte Bertha Schütz Schwangerschaitsanzeige und be-. zeichnete
den Kläger als Schwängerer. Vor das Jugendamt Bern zitiert anerkannte
der Kläger am 3. August 1921 in einem mit Vergleich übersehriebenen
Schriftstüek, der Vater des zu erwartenden Kindes der Schütz zu sein
und verpflichtete sich, es anzuerkennen. Am 19. September 1921 kam er
dieser Verpflichtung nach. Er anerkannte vor dem Zivilstandsamt Bern
das am 13. September 1921 geborene Kind Roland Emil als das seinige und
verlangte die Eintragung seiner Anerkennung in das Zivilstandsregister.

Familienrecht. N° 23. 155

Mit der vorliegenden, am 21. Dezember 1921 gegen das Kind Roland
Emil erhobenen Klage verlangte der Kläger Ungültigerklärung der von
ihm ausgesprochenen Anerkennung. Er führte aus, er habe, als er die
Anerkennung ausgesprochen, die feste Überzeugung gehabt, die Schütz
habe nur mit ihm geschlechtlich verkehrt. Nachträglieh habe er nun
erfahren, dass sie vor und während der kritischen Zeit einen unzüchtigen
Lebenswandel geführt habe, seine Anerkennung beruhe daher auf einem
wesentlichen Irrtum, der ihn zur Anfechtung der abgegebenen Erklärung
berechtige. si

Der Vertreter der Beklagten, der Adjunkt des Jugendamtes Bern, beantragte
Abweisung der Klage, wegen Verspätung (Art. 306 ZGB). Eventuell machte
er geltend, die Tatsachen, welche als Grundlage für die Anfechtung
der Anerkennung herangezogen werden, seien dem Kläger schon vor dem
19. September 1921 bekannt gewesen.

Das Amtsgericht Bern hiess die Klage gestützt auf Art. 24 OR gut. Es nahm
auf Grund eines eingehenden Beweisverfahrens als bewiesen an dass die
Schütz zur Zeit der Empfängnis einen unzüehtigen Lebenswandel geführt
habe, und dass dem Kläger dies bis zum 22. September 1921 verborgen
geblieben sei.

B. Mit Urteil vom 5. Juli 1922 hat der Appellations+ hof des Kantons Bern
das erstinstanzliche Urteil unter Übernahme der Motive des Amtsgerichtes
in allen Teilen bestätigt.

C. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten mit der
dieser Abweisung der Klage bean-

tragt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Mit Recht haben die beiden Vorinstanzen die Anwendbarkeit des Art. 306
ZGB auf den vorliegenden Fall verneint. Schon das Marginale Anfechtung
durch Dritte zeigt, dass in Art. 306 nicht in das Anfechtungs-

156 Familienrecht. N° 23.

recht der direkt Beteiligten, also Weder das. von Mutter und Kind noch
das des Vaters geregelt werden wollte. Aber auch der Text des Artikels 306
lässt einen Zweifel über die Richtigkeit der von den kantonalen Gerichten
vertretenen Auffassung nicht zu. Hätte der Gesetzgeber den Anerkennenden
unter die Bestimmung des Art. 306 einbeziehen wollen, so hätte er dies,
nachdem er in Art. 305 Mutter und Kind speziell entführte in Art. 306
ausdrücklich gesagt und sich nicht mit der allgemeinen Wendung begnügt,
die Anfechtung stehe jedermann der ein Interesse hat zu. Ebensowenig
passt auf den Anerkennenden die Fristbestimmung, die Anfechtung müsse
3 Monate nach der Kenntnisnahme von der Anerkennung stattfinden
-. schliesslich finden s sich auch in den 'Gesetze'smaterialien zu den
Art. 305 und 306 keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass dem Anerkennenden
selbstin Art. 306 ein Anfechtungsrecht eingeräumt werden wollte, vielmehr
ist immer nur einerseits von der Anfechtung durch Mutter und Kind und
anderseits von der Anfechtung durch Dritte, die ein Interesse haben,
die Rede (vgl. Er]. I 263). ss

si2. -'Damit ist jedoch die Möglichkeit einer Anfechtung durch den
Anerkennenden nicht ausgeschlossen. Aus der Nichterwähnung in Art. 305 und
306 darf nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber habe den Anerkennenden
überhaupt jedes Rechtsmittels berauben wollen, um seine Erklärung
anzuiechten. Es ist ohne weiteres klar, dass z. B. in Fällen von Zwang
und Drohung eine Anfechtungsmögiichlceit bestehen muss. Auch gibt das
ZGB in einem der Anfechtung der Kindesanerkennung ganz ähnlichen Falle,
nämlich bei der Anfechtung der Anerkennung der Ehelichkeit eines Kindes
(Art. 257 ZGB) dem Anerkennenden ausdrücklich das Recht, sich auf Arglist
und Täuschung zu berufen.

Mit den beiden kantonalen Instanzen ist vielmehr gestützt auf Art. ?' des
ZGB davon auszugehen, dass mangels besonderer Bestimmungen die allgemeinen
Regeln

Familienrecht. N° 23. 157

des OR über die Anfechtung von Rechtsgeschäften wegen Willensmängeln,
d. h. wegen Irrtums, Betrugs oder Zwanges zur Anwendung zu gelangen haben
(so Bl.-f. zch. Rspr. 17 S. 337, 18 S. 253 ; A. ZIEGLEn, Die Anerkennung
ausserehelicher Kinder; LICHTENSTEIG,1908 S. 27f. , a. A. EGGER, N. 3
zu Art. 306 und SILBERNAGEL, N. IV zu Art. 306, die die entsprechende
Anwendung von Art. 306 befürworten). Dabei ist selbstverständlich,
dass es sich nur um eine entsprechende, d. h. um eine die besonderen
Verhältnisse des streitigen Rechtsgeschäktes berücksichtigende Anwendung
der obligationenrechtlichen Vorschriften handeln kann (GIESKER-ZELLEB,
Die Auslegung von Art. 7 des Schweizerischen Zivilgeset'zbuches, ZSR 52
S. 153 ff.).

Der Kläger hat sich einzig auf Art. 23 und 24 OR berufen. Nach der
Tatsachenfeststellung des kantonalen Richters ist seine Behauptung als
bewiesen zu erachtener habe sich zur Zeit der Vornahme der Anerkennung
insoweit in einem Irrtum befunden , als er geglaubt habe,. die Schütz
sei nur zu ihm in intime Beziehungen getreten, während sie in Wirklichkeit
eine Dirne gewesen sei, die sich insbesondere auch in der kritischen Zeit
ver-: schiedenen Männern hingegeben habe. Das Vorliegen eines Irrtums
kann daher nicht bestritten werden. Dagegen fragt es sich, ob er bei
sinngemässer Anwendung dieser Bestimmung unter einen der m Art. 24
OR aufgeführten Tatbestände fällt. In Betracht kommt dabei einzig Art
. 24 Ziff. 4. Danach ist der Kläger an seine Erklärung nicht gebunden,
wenn die Tatsachen, über welche er sich irrte, unter Berücksichtigung
aller Umstände als .eine notwendige Grundlage seiner Anerkennung zu
betrachten sind.

Nun enthält aber das Vaterschattsanerkenntnis nicht nur das Geständnis
der Beiwohnung, sondern auch einen Verzicht auf die Einreden, die der
Anerkennende trotz des Nachweises der Beiwohnung im Vaterschaftsprozess
hätte erheben können, d. h. auf die exe. piurium und die

158 Fsmfliemeeht. N° 23.

Einrede, dass die Mutter zur Zeit der Empfàngnis einen unsittlichen
Lebenswandel geführt habe. Objektiv besteht für den als Vater
Angesprochenen der Natur der in Frage kommenden physiologischen Vorgänge
nach immer Unsicherheit darüber, ob s e i n e Beiwohnung die Konzeption
verursacht hat. Anerkennt er die Vaterschaft dennoch, so verzichtet
er damit implizite darauf, aus der bestehenden Ungewissheit für sich
etwas abzuleiten. Der Anerkennung kommt mit a. W. in gewissem Sinne
regelmässig der Charakter eines Vergleiches zu, bei dem der Anerkennende
die bestehende objektive Ungewissheit seiner Vaterschaft in den Kauf
nimmt, um den Vaterschaftsprozess zu vermeiden.

Hieraus ergibt sich, dass die Anfechtung wegen Irrtums sich
nicht auf diese Ungewissheit stützen kann. Als Sachverhalt, dessen
irrtümlicheWürdigung die Unverbindlichkeit der Anerkennungserklärung
herbeiführen Würde, kommen vielmehr nur Umstände in Betracht, die nicht
nur die Ungewissheit der Vaterschaft, sondern geradezu die Unmöglichkeit
einer Konzeption durch den Anerkennenden dartun. Derartige Umstände sind
im vorliegenden Falle nicht nachgewiesen werden.

Die nach dem soeben Ausgeführten notwendige Beschränkung der Anfechtung
aus Art. 24 Ziff. 4 drängt sieh auch mit Rücksicht darauf auf, dass
andernfalls die Rechtssicherheit in hohem Masse gefährdet Würde. Die
Wirkungen, die die Anerkennung nicht nur in privatrechtlicher Beziehung,
hinsichtlich der Alimentatiensverpflichtungen und Erin-echte, sondern
auch in öffentlichrechtlicher Hinsicht hat, indem das anerkannte
Kind die Heimatzugehörigkeit des Vaters erwirbt, lassen es als
ausgeschlossen erscheinen, dass das nachträgliche Auf-tauchen blosser
Zweifel über die Vaterschaft genügt, um die gesamte Rechtslage Wieder
umzugestalten. Allerdings können sich, wie gerade der vorliegende Fall
zeigt, aus dieser Beschränkung des ' Anfechtungsrechtes gewisse Härten
ergeben. Allein diese Härten müssen im Interesse

Obligationemecht. N° 24. 159

der allgemeinen Rechtssicherheit in den Kauf genommen werden. Übrigens
hat der Vertreter des Beklagten mit Recht darauf hingewiesen, dass ja
der Gesetzgeber die Anerkennung an besondere, strenge Formvorschriften
geknüpft hat, die dem Anerkennenden die Wichtigkeit seines Schrittes
vor Augen führen und ihn vor übereilten Erklärungen zurückhalten sollten
(vgl. in diesem Sinne auch BGB § 1718 und JOSEF, Arch. f. bürg. Recht 34

s. 285).

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird gutgeheissen und die Klage abgewiesen. '

II. OBL IGATIONENRECHT

DROIT DES OBLIGATIONS

24. Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. März 1923 i. 8. Lutz und c
Zürich gegen Bender. Körperverletzung, Art. 46 OR. Fahrlässigkeit des
Schadensstifters. Kein Mitverschulden des Verletzten. Entschädigung
für die Nachteile der Arbeitsunfähigkeit und die Erschwerung des
wirtschaftlichen Fortkommens ;

Berücksichtigung der abstrakten Schädigung und der konkreten Vermögenslage
vor und nach dem Schadens--

ereignis.

A. Der im Jahre 1882 geborene Kläger Baader ist als Hauswart und
Aushilfschauffeur bei Schöller & Cm in Zürich 7 angestellt. Im Frühjahr
1920 hatte er dem Beklagten Lutz das Automobil seines Schwagers zur
Reparatur übergeben. Am 19. April 1920 begab er sich in die Garage,
um sich nach dem Stand der Arbeit
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 49 II 154
Datum : 01. Juli 1923
Publiziert : 31. Dezember 1924
Quelle : Bundesgericht
Status : 49 II 154
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 154 Famiäenreeht. N° 23. Vaters, an das Bundesgericht nicht weitergezogen werden


Gesetzesregister
OR: 23  24  46
ZGB: 257  306
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vater • mutter • irrtum • beklagter • bundesgericht • schaden • kenntnis • rechtssicherheit • zimmer • zweifel • geschlechtsverkehr • bern • kantonales rechtsmittel • richterliche behörde • arbeitnehmer • rechtsmittel • beweis • angabe • anfechtung der anerkennung des kindes • zivilstandsregister
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