323 A. Staatsrechdiche Entscheidungen. Il. Abschnitt. Bundesgesetze.
III. Persönliche Handlungsfähigkeit
Capacità civile.
10. Urteil vom 26. März 1896 in Sachen Grüter.
A. Albert Griiter von Werthenstein, Kantons Luzem, ist geboren 1882. Kaum
oolljährig geworden, flüchtete er, um der Strafverfolgung wegen
eines Raufhandels zu entgehen, in's Ausland. Die Gemeinde Werthenstein
bestellte ihm einen Abwesenheitsvormund, der die Verwaltung des dem Grüter
eingefallenen Vermögens (bon circa 13,000 Fr.) besorgte. Nach Ablauf
der Strafverjährungsfrifi kehrte Grüter im November 1894 in die Schweiz
zurück. Er beantragte darauf beim Gemeinderat von Werthenstein Aufhebung
der bestehenden Vormundschaft Und unverzügliche Rechnungsstellung Unterm
14. Juni 1895 benachrichtigte ihn der genannte Gemeinderat, dass am
6. September 1895 wieder eine ordentliche Rechnungsveriode von 4 Jahren
zu Ende gehe, daher mit der Rechnungsablage bis zu genanntem Zeitpunkt
zugewartet werden und dann auch die Frage der Vormundschaftsentlassuug
geprüft werden solle; zur bezüglichen Verhandlung werde man
Griiter s. Z. einluden. Gegen diesen Bescheid rekurrierte Grüter '
an den luzernischen Regierungsrat, indem er daselbst Aufhebung der
Vormundschast und unverzügliche Rechnungsablage verlangte. Bevor derselbe
einen Entscheid fällte, erledigte der Gemeinderat Werthenstein die Pendenz
in der Weise, dass er unterm 3. Oktober 1895 die Vormuudschastsrechnung
genehmigte und das Gesuch um Aufhebung der Vormundschaft abwies, dies
zwar mit der Begründung, dass Grüter den Zins des im Jahre 1886 geerbten
Vermögens von 13,208 Fr. verbraucht und die Gesuche um Aushändigung der
betreffenden Guthaben mit heftigen Drohungen gegen Vogt und Gemeinderat
begleitet habe, derselbe ferner seit
1883 in Amerika und seit seiner Rückkehr von dort ein leicht'
fertiges, verschwenderisches Leben geführt und mir unter dem Drucke
der Not gearbeitet habe, ze. Der Regierungsrat erklärte darauf unterm
14. Oktober 1895 den ersten Rekurs des Grüter als er-
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ledigt. Dagegen gelangte Grüter gegen den Entscheid des Gemeindegates
neuerdings auf dem Beschwerdewege an den Regierungsrat unterm 6. Dezember
1895 wandelte derselbe die über den Rekur; renten verhängte Vormundschaft
in Beistandschaft um, indem er ausführte: Rekurrent suche durch eine
Reihe von Zeugnissen zu beweisen, dass seine bisherigen Dienstherren mit
seinem Betragen usrieden gewesen seien und der Vorwurf der Verschwendung
unzbe; gründet fei. Wenn nun auch derartigen Bescheinigungen weni Gewicht
beigelegt werden könne, zudem sie zu erwiesenen Thatsacheigr % teiltxetseg
Widegspruch ständen, so sei doch versuchsweise die orm er ormun at u '
' ' wrbäflgm sch f z mildern und bloss Betstandschaft zu [B. A. Grüter
erklärte darauf den Rekurs an das Bundesgericht mit dem Antrage, es sei
die Schlussnahme des Regierungsrates vom S. Dezember 1895 aufzuheben,
unter Kostenfolge. Er machte
'im' wesentlichen geltend: Er sei volljährig und daher regelmässiger
Weise voll handlungsfähig; um ihn unter Bei tand at u t
müsste einer der in Art-. 5 c des Handlungsfähigbkitsgäsetzlxllxkx uanten
Gründe vorliegen. Solche träer in easu nicht zu und seien vom luzernischen
Regierungsrat auch nicht festgestellt wenn derselbe nachträglich
Verschwendung behaupten wollte, so, werde dieser Bevogtigungsgrund bloss
vorgeschobenz aus zahlreichen eingelangten Zeugnissen und der Thatsache,
dass Rekurrent trotz wiederholter Arbeitslosigkeit und andauernder
Kränklichkeit nicht nur die Zinsen seines bescheidenen Kapitals nicht
aufbrauchte sondern dasselbe in circa elf Jahren noch um 2000 Fr. ver:
mehrte, ergehe sich nämlich der Beweis-, dass Rekurrent kein Verschwender
sei. Was die cum absentis betreffe, so sei dieselbe mit EZ Heimkehr des
Rekurrenten ohne weiteres dahingefallen (Amtl. ExigväslIIL ©. 35). Es
liege auch Verletzung der Rechts-gleich' 0. Dee luzernische Regierungsrat
beantragt Abweisung des Rekurses, Indem er im wesentlichen ausführt: Der
Entmündiglltglgsgrund sei leichtfertige und oerschwenderische Lebensweise;
dersé e set im luzernischen Vormundschaftsgesetze, sowie im Bundes-
gefetz betreffend Handlungsfähigkeit vorgesehen. Vorgeschoben sei
derselbe nicht. Rekurrent habe nämlich, obwohl unverheiratet und xxu
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34 A Staatsrechtliche Entscheidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze.
' en C"a ren 'tehend, und trotz eines einträglichen Berufs
sxlitdkcrtlnxeetstk diesshinseu1 seines Kapitals aufgebraucht habe,
letzteres selbst herausverlangt und hätte es schon lange verbraucht wenn
er es bekommen hätte. Während der Zett, wo er imlAudrtorium hotel in
Chicago eine einträgliche Stelle 1nnehatte, habe er Ton seinem Vormund
in zweiZMalen 600 Fr. bezogen; weitere 600 (gg bezog er in der Zeit vom
November 1894 bis August 15ä9ll, während er in Basel als Brückengehilseq
und Portier angeste t war. Seit August 1895 treibe sich Gruter ohne
Beschtastigung herum. Kraut sei er nicht und Exärenm Stande zu arbeiten. _
undes eri t ieht in rwagung: ' ' '
andBder Egornkungbestellung im Jahre 188.2 war· die Abwesenheit des
Rekurrentenz während derselben sollten seine vermögensrechtlichen
Interessen durch einen Vormund TFY} sdogg Abwesenheitspsleger besorgt
werden; adie Handlungsfähig ei ;Rekurrenten wurde dadurch nicht
beruhrtz sobald derselbe zuginkehrte, musste die Pflegschaft dahinfallen
(Amii. Sig. 'XVM , S. 38). Nun ist Rekurrent zurnckgelehrts statt dagegen
diel( of; als Abwesenheitspflegschast bestehende) Vogtschaft aufhoren zu
affette, liess der Gemeinderat Werthenstein als Vogieibehorde dieselbe
une; bem Titel der Vogtschaft wegen Verschwendung fortbestehenZ
un hielt dann der luzernische Regierungsrat dieselbe( allerdings
tagen mildern Form der Beistandschaft, aufrecht. Die genannten ku e.
hörden beschlossen also den Entng und resss. bee Beschraanl ng der
Handlungsfähigkeit des Rekurrenten Eine solche d; Wi; nahme nun
hätten sie nur aus denpgesetzlichemGrunden un unter Jnnehaltung des
gesetzlichen Verfahrens fassen durfe;1, si: mussten daher laut dem
lnzernischen Gesetz fsuber die Vormun schaf die zu bevogtende Person
womöglich kersonlich vorberufe1;,sthr: allfälligen Einwendungen anhören
bezuglich der Persondt e uid wählenden Vormundes, nach den Wunschen der
AnverwanRen tdes zu bevormundendeu selbst sich erkundigen und das-aufs
uckstch nehmen, ze. (s. insbes. §§ 8, 12, 14' leg. at,). Dies Ferssihretx
ist nun im vorliegenden Falle nicht eingehalten worden, ge mîh sind
die rekursbeklagten Behörden von der (nach dssem' eszîeeî unrichtigen)
Ansicht ausgegangen, dass ein tEntmundtgungvvortq fahren unnötig sei,
und ohne em solches die Abwesenhei-
IV. Civilreehtl. Verhältnisse der Fiedel-gelassenen und Aufenthalter. N°
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mundschaft einfach in eine die Handlungsfähigkeit beschränkende
Beistandschaft umgewandelt werden könne. Dem Rekurrenten ist
dergestalt das rechtliche Gehör entzogen bezw. ihm gegenüber eine
Rechtsverweigerung begangen worden (Art. 4 B.-V.). Es ist daher die
über ihn verhängte Beschränkung der Handlungsfähigkeitaufzuheben (hiezu
s. auch Amtl. Sig. XVII, S. 229).
Aus die andere Frage sodann, ob Rekurrent aus einem gesetzlich zulässigen
Grunde unter Beistandschaft gestellt, bezw. ein solcher nur vorgeschoben
worden sei, braucht dermalen nicht eingetreten zu werden.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird als begründet erklärt und die Erkenntnis
des luzernischen Regierungsrates vom 6. Dezember 1895 demgemäss
aufgehoben.
IV. Civilrechtliche Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufesinthalter.
_Rapports de droit civil des citoyens établis ou en séjour.
11. Urteil vom 16. Januar 1896 in Sachen Leder.
A. Jean Leder von Muri, Kantons Aargau, war mit Maria Eiter von Steinen,
Kantons Schwyz, verheiratet. Nachdem er 1881 seine Familie verlassen
hatte, begab sich seine Frau mit den ans der Ehe hervorgegangenen Kindern
nach Steinen zu ihren Eltern zurück. Die Kinder blieben dann auch nach dem
(1884. erfolgten) Tode der Mutter in Steinen bei den Grosseltern.
Dagegen bestellte die Heimatgemeinde Muri eine Vormundschaft über die
Kinder und ernannte den Jakob Waltenspühl in Muri zum Vormund. Die
Armenpflege Muri leistete den Grosseltern Beiträge an die Erziehung und
den Unterhalt der Kinder-. In der Folge verlangte der Vormund genannter
Kinder von Steinen,