Urteilskopf

130 IV 140

22. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer i.S. X. gegen Eidg. Untersuchungsrichteramt 8G.145/2003 vom 9. März 2004

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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 140

BGE 130 IV 140 S. 140

A. NZZ Online berichtete am 19. Dezember 2003, der ehemalige Stabschef der Nationalen Alarmzentrale solle wegen ungetreuer Amtsführung angeklagt werden. Der Eidgenössische Untersuchungsrichter sei zum Schluss gekommen, dass der Staatsbeamte mit der Auftragsvergabe an eine Firma, deren Verwaltungsrat er gewesen
BGE 130 IV 140 S. 141

sei, öffentliche Interessen verletzt habe. Finanziell habe er jedoch nicht profitiert.
B. Der ehemalige Stabschef, X., wendet sich mit Eingabe vom 23. Dezember 2003 an die Anklagekammer des Bundesgerichts und beantragt, es sei festzustellen, dass die Information der Presse durch den Eidgenössischen Untersuchungsrichter rechtswidrig gewesen sei. Gegen diesen sei ein Verfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses gemäss Art. 320
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 320 - 1. Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde offenbart hat.
StGB zu eröffnen. Der Eidgenössische Untersuchungsrichter beantragt in seiner Vernehmlassung vom 13. Januar 2004, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Eventuell sei sie abzuweisen. Im zweiten Schriftenwechsel halten die Parteien mit Eingaben vom 26. Januar und 10. Februar 2004 an ihren Anträgen fest.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Eine Beschwerde an die Anklagekammer gemäss Art. 214 Abs. 1 BStP ist gegen Amtshandlungen (und überdies wegen Säumnis) des Eidgenössischen Untersuchungsrichters zulässig. Es stellt sich die Frage, ob eine Pressemitteilung eine Amtshandlung im Sinne von Art. 214 Abs. 1 BStP darstellt oder nicht. Das Gesetz spricht nicht von "Untersuchungshandlungen", sondern von "Amtshandlungen" (französisch: opérations; italienisch: operazioni). Dies liesse den Schluss zu, dass Art. 214 Abs. 1 BStP weit auszulegen und auf die Beschwerde gegen eine Pressemitteilung deshalb einzutreten sein könnte. In den Verhandlungen der Expertenkommission für die Bundesstrafprozessreform 1926/1927 wurde denn auch ausgeführt, dass "alles, was der Untersuchungsrichter tut oder unterlässt", mit einer Beschwerde an die Anklagekammer angefochten werden könne (PETER BÖSCH, Die Anklagekammer des Schweizerischen Bundesgerichts [Aufgaben und Verfahren], Diss. Zürich 1978, S. 74 mit Hinweis). Andererseits spricht jedoch einiges dafür, Art. 214 Abs. 1 BStP restriktiver auszulegen und die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen eine Pressemitteilung des Untersuchungsrichters zu verneinen. Der Untersuchungsrichter verweist zur Begründung seines Antrags auf Nichteintreten zunächst zu Recht darauf, dass es sich bei einer Pressemitteilung nicht um eine Verfügung handle. Art. 214 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 320 - 1. Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde offenbart hat.
BStP spricht jedoch ausdrücklich davon, dass zur Beschwerde nach
BGE 130 IV 140 S. 142

Abs. 1 legitimiert sei, wer durch eine "Verfügung" einen Nachteil erlitten habe. Der Gesetzgeber versteht unter Amtshandlungen Akte, welche die Strafuntersuchung vorantreiben und auf diese Weise die Rechtsstellung des Beschuldigten berühren. Pressemitteilungen gehören nicht dazu. Im Übrigen kann sich der Beschuldigte gegen den Untersuchungsrichter, der Pressemitteilungen abgibt, auf zivil- und strafrechtlichem Weg zur Wehr setzen. Der Untersuchungsrichter kann sich der Verletzung des Amtsgeheimnisses oder einer Ehrverletzung strafbar gemacht haben; allenfalls besteht für den Betroffenen ein Anspruch auf Berichtigung oder Genugtuung (vgl. NIKLAUS SCHMID, in: Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Loseblattsammlung, Zürich 1996, § 34 N. 19). Es ist denn auch zu berücksichtigen, dass sich bei der Prüfung der Rechtmässigkeit einer Pressemitteilung schwierige Tat- und Rechtsfragen stellen können, für deren Beurteilung das beförderlich zu behandelnde und deshalb eher summarische Beschwerdeverfahren gemäss Art. 214
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 320 - 1. Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde offenbart hat.
BStP ungeeignet ist. Gesamthaft gesehen sind Pressemitteilungen eines Eidgenössischen Untersuchungsrichters mit Beschwerde gemäss Art. 214
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 320 - 1. Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde offenbart hat.
BStP nicht anfechtbar. Art. 13
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 13 Recht auf wirksame Beschwerde - Jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.
EMRK steht dieser Auffassung nicht entgegen. Soweit die Möglichkeit besteht, sich gegen allfällige Grundrechtsverletzungen durch Pressemitteilungen auch auf andere Weise als allein mittels Aufsichtsbeschwerde zur Wehr zu setzen, erfordert die Garantie eines wirksamen Rechtsschutzes nicht, zusätzlich eine Beschwerde an ein unabhängiges Gericht zuzulassen (vgl. BGE 121 I 87 E. 1b). Wie bereits gesagt, stehen einem Betroffenen in der Schweiz hinreichende zivil- und strafrechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, um sich gegen eine seiner Ansicht nach rechtswidrige Pressemitteilung zu wehren. Aus den genannten Gründen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
3. Die Anklagekammer entscheidet nicht nur über Beschwerden im Sinne von Art. 214
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 320 - 1. Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde offenbart hat.
BStP, sondern übt überdies die allgemeine Aufsicht über die Voruntersuchung aus (Art. 11
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 13 Recht auf wirksame Beschwerde - Jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.
BStP). Soweit keine beschwerdefähigen Amtshandlungen - sondern z.B. Pressemitteilungen - zur Diskussion stehen, kann die Anklagekammer somit nötigenfalls aufsichtsrechtlich einschreiten. Die Aufsichtsbeschwerde stellt allerdings kein Rechtsmittel dar (vgl. ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI, Schweizerisches Strafprozessrecht, 5. Aufl., Basel
BGE 130 IV 140 S. 143

2002, § 94 N. 6), weshalb die Rechtssuchenden keinen Anspruch darauf haben, dass sich die Aufsichtsbehörde mit der ihr unterbreiteten Angelegenheit befasst (BGE 123 II 402 E. 1b/bb). Im vorliegenden Fall gibt die vom Beschwerdeführer erhobene Kritik, er sei durch die Mitteilung in der Presse "überrumpelt" worden, der Anklagekammer Anlass, Folgendes anzumerken: Der leitende Untersuchungsrichter hat am 11. Juni 2002 über das Problem der "Medienorientierungen" ein ausführliches Vademecum erstellt. Darin hat er sich unter anderem auch zu der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage geäussert, ob der Betroffene vorgängig über eine Pressemitteilung informiert werden sollte oder nicht. Der leitende Untersuchungsrichter hat in dem Vademecum ausdrücklich festgehalten, eine schriftliche Medienorientierung sei nach Möglichkeit vorgängig den Parteien zur Stellungnahme zuzustellen, wobei ein Anspruch auf Berücksichtigung der Stellungnahme allerdings nicht bestehe. Dadurch kann verhindert werden, dass der Betroffene durch die Mitteilung in der Presse "überrumpelt" wird (ebenso Rep 1995 S. 297 Nr. 91). Es ist zwar unbekannt, aus welchem Grund dieses Vorgehen im vorliegenden Fall nicht gewählt worden ist. Aber immerhin liegen klare interne Richtlinien vor, auf deren Einhaltung inskünftig - auch vom leitenden Untersuchungsrichter - zu achten sein wird. Es besteht unter diesen Umständen kein Anlass für aufsichtsrechtliche Massnahmen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 130 IV 140
Datum : 09. März 2004
Publiziert : 31. Dezember 2004
Quelle : Bundesgericht
Status : 130 IV 140
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 214 Abs. 1 BStP; Pressemitteilung. Eine Pressemitteilung des Eidg. Untersuchungsrichteramtes stellt keine Amtshandlung


Gesetzesregister
BStP: 11  214
EMRK: 13
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 13 Recht auf wirksame Beschwerde - Jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.
StGB: 320
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 320 - 1. Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung oder als Hilfsperson eines Beamten oder einer Behörde wahrgenommen hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Der Täter ist nicht strafbar, wenn er das Geheimnis mit schriftlicher Einwilligung seiner vorgesetzten Behörde offenbart hat.
BGE Register
121-I-87 • 123-II-402 • 130-IV-140
Weitere Urteile ab 2000
8G.145/2003
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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