VPB 69.91

(Auszug aus einem Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt vom 4. April 2005, Beschwerde gegen eine Verfügung des BAV vom 10. August 2004 [A-2004-160])

Eisenbahnen. Lärmschutz: Zulässigkeit des Einbringens neuer Varianten im Beschwerdeverfahren.

- Gestützt auf die Eventualmaxime ist die Beschwerdeführerin verpflichtet, sämtliche Anträge und Eventualanträge bereits in der Beschwerde vorzubringen. Auf in der Replik beantragte Varianten ist deshalb nicht einzutreten (E. 8.1).

- Optimierungsvarianten, welche über den Rahmen des Üblichen hinausgehen und von den Einsprechern im Plangeneh­migungsverfahren auch nicht zur Diskussion gestellt wurden, bilden nicht Bestandteil des vorinstanzlichen Verfahrens. Anträge, welche eine Prüfung solcher Varianten verlangen, weiten den Streitgegenstand in unzulässiger Weise aus, so dass darauf im Beschwerdeverfahren nicht eingetreten werden kann (E. 8.2).

Chemins de fer. Protection contre le bruit: Admissibilité de la production de nouvelles variantes dans le cadre de la procédure de recours.

- En vertu de la maxime éventuelle, la recourante est tenue de produire dans le recours déjà l'ensemble de ses conclusions ainsi que ses conclusions subsidiaires. Il n'y a par conséquent pas lieu d'entrer en matière sur des variantes proposées dans la réplique (consid. 8.1).

- Des variantes d'optimisation qui sortent du cadre de l'ordinaire et qui n'ont pas été mises en discussion par les opposants lors de la procédure d'approbation des plans ne font pas partie intégrante de la procédure devant l'instance inférieure. Des conclusions qui exigent un examen de telles variantes étendent l'objet du litige d'une manière inadmissible, de telle sorte qu'il n'est pas possible d'entrer en matière sur ce point dans la procédure de recours (consid. 8.2).

Ferrovie. Protezione dal rumore: ammissibilità della presentazione di nuove varianti nella procedura di ricorso.

- Sulla base della massima eventuale, la ricorrente ha l'obbligo di presentare tutte le richieste principali e le domande eventuali già nel ricorso. Non si entra quindi nel merito di varianti richieste nella replica (consid. 8.1).

- Le varianti di ottimizzazione che esulano dal quadro normale e che non sono state messe in discussione dai ricorrenti nella procedura d'approvazione dei piani non sono oggetto della procedura precedente. Le richieste di un esame di tali varianti estendono in modo inammissibile l'oggetto litigioso, per cui non si può entrare nel merito nella procedura di ricorso (consid. 8.2).

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Das Bundesamt für Verkehr (BAV) genehmigte mit Verfügung vom 10. August 2004 ein Plangenehmigungsgesuch zur Lärmsanierung in der Gemeinde Stein (AG). Trotz einer prognostizierten Überschreitung der Immissions- und Alarmgrenzwerte bei verschiedenen Liegenschaften sah das vorgelegte Projekt keine baulichen Massnahmen vor. Das BAV gewährte den Schweizerischen Bundesbahnen SBB (SBB AG) entsprechende Erleichterungen. Begründet wurde dies mit einem ungenügenden Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Teils der geprüften baulichen Massnahmen. Eine weitere geprüfte Variante - eine Lärmschutzwand auf einem Mittelperron des Bahnhofes Stein-Säckingen - wurde aufgrund von Sicherheitsbedenken verworfen.

Gegen diese Verfügung erhob die Gemeinde Stein (AG) am 12. September 2004 Beschwerde an die Eidgenössische Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt (REKO/INUM), beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und verlangte die Errichtung einer Lärmschutzwand auf dem Mittelperron. Sie machte geltend, besondere Verhältnisse würden ein Überschreiten des vorgesehenen Kosten-Nutzen-Indexes rechtfertigen. Zudem seien die angeführten Sicherheitsbedenken nicht stichhaltig. In einer Replik brachte die Beschwerdeführerin schliesslich Optimierungsvarianten vor, mit welchen den Sicherheitsbedenken Rechnung getragen werden könnte.

Aus den Erwägungen:

(...)

8. Die Beschwerdeführerin schlägt in ihren Schlussbemerkungen verschiedene Optimierungsvarianten vor, welche den Sicherheitsbedenken Rechnung tragen sollen. So könne eine schallabsorbierende Perronverkleidung angebracht oder eine Perronkante aufgehoben und die Lärmschutzwand verschoben werden. Zu prüfen sei auch, ob die Lärmschutzwand lediglich im Bereich zwischen dem Perrondach und einer lichten Höhe von 2.50 m zu errichten sei, so dass auf dem Perron die freie Zirkulation der Personen gewährleistet und die Winddruckproblematik gelöst würden. Als letzte Optimierungsvariante regt sie die Errichtung einer beweglichen Lärmschutzwand an. Da die Immissionsgrenzwerte primär in der Nacht überschritten werden, in dieser Zeit aber nur wenige Passagiere auf den Perrons zirkulierten, könnte die Lärmschutzwand tagsüber entfernt werden.

8.1. Im Rahmen des Plangenehmigungsverfahrens wurden mehrere bauliche Massnahmen geprüft, letztlich aber als wirtschaftlich untragbar oder aus Sicherheitsgründen unzulässig beurteilt. In ihrer Beschwerde hat die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Errichtung einer Lärmschutzwand auf dem Mittelperron zwischen den Gelei­sen 4 und 5 verlangt. Aus der Beschwerdebegründung geht unzweifelhaft hervor, dass damit die Errichtung der von der Vorinstanz geprüften und verworfenen Lärmschutzwand auf dem Mittelperron gemeint war. Der Beschwerde ist hingegen nicht zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin der Vorinstanz vorwerfen würde, die möglichen Varianten nicht umfassend abgeklärt zu haben. Die in der Replik vorgeschlagenen Optimierungsvarianten bildeten somit nicht Gegenstand der Beschwerde. Gestützt auf die Eventualmaxime ist die Beschwerdeführerin im Verwaltungsbeschwerdeverfahren jedoch verpflichtet, sämtliche Begehren und Eventualbegehren in der Beschwerdeschrift vorzubringen (Alfred Kölz / Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, Rz. 108 und 611). Bereits aus diesem Grund sind die in der Replik beantragten Varianten unzulässig und es
ist darauf nicht einzutreten.

8.2. Abgesehen davon müssten bei sämtlichen Optimierungsvarianten sowohl die bauliche Umsetzbarkeit und die Kosten neu beurteilt, als auch die akustischen und lärmtechnischen Auswirkungen jeweils vollständig neu berechnet werden. Die Errichtung von «hängenden» oder «beweglichen» Lärmschutzwänden würde, sofern sie überhaupt möglich wäre, völlig neue Konstruktionen bedingen. Diese beiden Varianten könnten deshalb nicht einfach als reduzierte Varianten der bereits geprüften Schallschutzmassnahmen betrachtet werden. Bei den Varianten «schallabsorbierende Perronverkleidung» und «Aufhebung einer Perronkante und Verschiebung der LSW» würde zudem auch in räumlicher Hinsicht ein andersartiges Projekt vorliegen.

Im Ergebnis laufen diese Lösungen auf eine Änderung des genehmigten Projektes hinaus, welche nicht Gegenstand des Plangenehmigungsverfahrens bildete. Weil es sich zudem bei den erst im Beschwerdeverfahren vorgeschlagenen Optimierungsvarianten um unübliche Massnahmen handelt, deren Realisierbarkeit nicht ohne weiteres gegeben ist, kann der Vorinstanz auch nicht vorgeworfen werden, diese Alternativen in pflichtwidriger Weise nicht in ihre Entscheidfindung einbezogen zu haben. Denn die Aufgabe der Genehmigungsbehörde ist darin zu sehen, die verschiedenen Einwände gegen das Projekt und alle zur Diskussion gestellten Varianten zu beurteilen. Von ihr kann jedoch nicht verlangt werden, alle denkbaren, ausserhalb des üblichen Rahmens liegenden Massnahmen zu prüfen. Vielmehr ist es Sache der Einsprechenden, entsprechende Anregungen zu machen. Sie müssen deshalb ihre Einwände gegen ein Auflageprojekt und ihre Alternativvorschläge möglichst genau und umfassend im erstinstanzlichen Verfahren vorbringen. Die Aufgabe der Beschwerdeinstanz ist demgegenüber grundsätzlich darauf beschränkt, das Genehmigungsprojekt allenfalls unter Berücksichtigung der im erstinstanzlichen Verfahren diskutierten Varianten auf seine Rechtmässigkeit und
Angemessenheit hin zu überprüfen. Dies zumindest dann, wenn die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift nicht vorbringt, die Vorinstanz habe es unterlassen, eine umfassende Variantenprüfung vorzunehmen. Ist dies - wie vorliegend - nicht der Fall, würde das erstinstanzliche Verfahren, das der Evaluation aller zur Prüfung vorgelegten Varianten dient, seines Sinnes und Zweckes beraubt, wenn es statthaft wäre, im Beschwerdeverfahren bis anhin unbekannte Projektvarianten vorzubringen. Weiter würde der zwingend vorgeschriebene Instanzenzug nicht eingehalten, soll sich doch eine obere Instanz erst dann mit einer Streitsache beziehungsweise einer Projektvariante befassen dürfen, wenn sie zuvor von der unteren Instanz beurteilt worden ist (vgl. zum Ganzen: VPB 55.4 E. 1.3). Diese Ausführungen stehen im Einklang mit dem verfahrensrechtlichen Grundsatz, dass der durch die Parteibegehren bestimmte Streitgegenstand grundsätzlich durch den Inhalt der angefochtenen Verfügung beschränkt ist (vgl. Christoph Auer, Streitgegenstand und Rügeprinzip im Spannungsfeld der verwaltungsrechtlichen Prozessmaximen, Bern 1997, S. 35 ff. und S. 63; Kölz/Häner, a.a.O., Rz. 402 ff.; André Moser / Peter Uebersax, Prozessieren vor eidgenössischen
Rekurskommissionen, Basel 1998, Rz. 2.85; René Rhinow / Heinrich Koller / Christina Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel 1996, Rz. 1313; VPB 65.114 E.4). Auf eine ausserhalb des Anfechtungsgegenstandes liegende Frage kann das Beschwerdeverfahren nur dann ausgedehnt werden, wenn die Frage spruchreif ist, sie mit dem bisherigen Streitgegenstand derart eng zusammenhängt, dass von einer Tatbestandsgesamtheit gesprochen werden kann und sich die Vorinstanz zu dieser Frage mindestens in Form einer Prozesserklärung geäussert hat (BGE 122 V 34 E. 2a; Urteil des Bundesgerichtes vom 7. Februar 2005 [1A.254/2004] E. 2.3).

Die neu eingebrachten Optimierungsvarianten sind von der Vorinstanz weder geprüft worden, noch hätten sie geprüft werden müssen. Sie sind als Anträge auf Abänderung des genehmigten Projektes zu betrachten, welche einer komplett neuen Planung bedürften und liegen deshalb ausserhalb des Anfechtungsgegenstandes. Damit könnte auch dann nicht darauf eingetreten werden, wenn die Beschwerdeführerin diese Varianten bereits in ihrer Beschwerde beantragt hätte.

(...)

Homepage der Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt