TPF 2018 22, p.22

5. Auszug aus dem Urteil der Strafkammer in Sachen Bundesanwaltschaft gegen A. vom 15. Dezember 2017 (SK.2017.43)

Terrorismus

Art. 2 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen
Würdigung des Sachverhalts unter den Gesichtspunkten der Generalklausel der «Förderung auf andere Weise» (E. 2.3) und der Tathandlung der personellen Unterstützung (E. 2.4).

Terrorisme

Art. 2 al. 1 et 2 de la loi fédérale interdisant les groupes «Al-Qaïda» et «Etat islamique» et les organisations apparentées

Examen de l'état de fait déterminant, du point de vue de la clause générale de l'«encouragement d'une autre manière» (consid. 2.3) et de la forme du soutien personnel (consid. 2.4).

Terrorismo

Art. 2 cpv. 1 e 2 della legge federale che vieta i gruppi «Al-Qaïda» e «Stato islamico» nonché le organizzazioni associate

Valutazione della fattispecie dal punto di vista della clausola generale della «promozione in altro modo» (consid. 2.3) e della forma del sostegno personale (consid. 2.4).

TPF 2018 22, p.23

Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Bundesanwaltschaft warf A., einer vormals in Ägypten wohnhaften Schweizerin, vor, sie sei um die Jahreswende 2015/2016 mit ihrem 4jährigen Sohn illegal von Ägypten nach Griechenland gereist, um von dort über die Türkei nach Raqqa (Syrien) weiterzureisen mit dem Ziel, sich dem «Islamischen Staat» (IS) anzuschliessen und diesen vor Ort tatkräftig zu unterstützen. Sie habe dabei in Kauf genommen, dass ihr Versuch, das ISTerritorium zu erreichen, medial grosse Aufmerksamkeit erlangen und sie damit eine Vorbildfunktion für potenzielle Nachahmer einnehmen würde. Sie habe sich mit ihrem gesamten Verhalten und insbesondere mit der begonnenen Reise nach Syrien im vom IS propagierten Sinn gezielt aktiv verhalten und damit die verbrecherische Tätigkeit und Existenz des IS gefördert.

Der Einzelrichter sprach A. der versuchten Widerhandlung gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 2014 über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen (SR 122; nachfolgend: Al-Qaïda/IS-Gesetz) i.V.m. Art. 22 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
1    Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
2    Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos.
StGB schuldig.

Aus den Erwägungen:

1.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes macht sich strafbar, wer sich auf dem Gebiet der Schweiz an einer nach Art. 1 dieses Gesetzes verbotenen Gruppierung oder Organisation, darunter namentlich dem IS, beteiligt, sie personell oder materiell unterstützt, für sie oder ihre Ziele Propagandaaktionen organisiert, für sie anwirbt oder ihre Aktivitäten auf andere Weise fördert. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist auch strafbar, wer die Tat im Ausland begeht, wenn er oder sie in der Schweiz verhaftet und nicht ausgeliefert wird. [...]

2.2 Aufgrund der im Wesentlichen konsistenten Aussagen der Beschuldigten ist in objektiver und subjektiver Hinsicht erstellt, dass sie um die Jahreswende 2015/2016 mit ihrem Sohn von Ägypten nach Griechenland gereist ist, mit dem Plan, über die Türkei nach Syrien zu gelangen, um dort in Raqqa unter dem IS zu leben und diesen moralisch vor Ort zu unterstützen, insbesondere indem sie die «Kinder auf den richtigen Weg bringen» würde. Die Beschuldigte hat mindestens zwei Mal versucht, die griechisch-türkische Grenze zu überqueren, wurde daran jedoch jeweils

TPF 2018 22, p.24

durch die griechische Polizei gehindert. Anlässlich der Schlusseinvernahme und in der Hauptverhandlung bestritt die Beschuldigte indes, dass sie sich dem IS habe «anschliessen» wollen, wie sie gemäss dem ersten Einvernahmeprotokoll ausgesagt haben soll. Sie habe lediglich unter dem IS leben wollen; sie wolle unter dem islamischen Gesetz leben, wie jeder Muslim. Wie sich im Folgenden zeigen wird, ist diese unterschiedliche Interpretation für die Beurteilung des Anklagevorwurfs unerheblich.
Die Beschuldigte hat in den Einvernahmen die terroristischen und andere Gräueltaten des IS gebilligt. Sie stellte allerdings in Abrede, durch ihr Verhalten Propaganda zugunsten des IS betrieben zu haben. Zum Vorwurf, sie habe in Kauf genommen, dass ihr Versuch, das IS-Territorium zu erreichen, in der Schweiz medial Aufmerksamkeit erlangen würde und sie dadurch eine Vorbildfunktion für potenzielle Nachahmer einnehmen würde, sagte die Beschuldigte aus, sie könne nichts dafür, wenn Medien über sie berichten würden. Konkrete Hinweise, dass die Beschuldigte Kontakt zu Medien gesucht hätte, fehlen ebenso wie aktenkundige Belege dafür, dass sie über soziale Medien oder auf andere Weise gegenüber Dritten von ihrer Reise nach Syrien berichtet hätte. Diesbezüglich ist somit von den Aussagen der Beschuldigten auszugehen, wonach sie während ihrer Zeit in Ägypten keinen Kontakt zu anderen Leuten mit ihrer Gesinnung gehabt und auch nichts auf der Facebook-Pinnwand gepostet habe.
2.3
2.3.1 Nach der Anklage soll die Beschuldigte durch das inkriminierte Verhalten den IS im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes «auf andere Weise gefördert» haben. Diese Generalklausel ist angesichts des in Art. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.
StGB verankerten Bestimmtheitsgebots im Strafrecht problematisch und deshalb durch Rechtsfindung intra legem zu konkretisieren. Die Judikatur hat sie analog zur Abgrenzung zwischen strafloser Vorbereitungshandlung und strafbarem Versuch dahingehend interpretiert, dass Verhaltensweisen erfasst sind, welche eine gewisse «Tatnähe» zu den verbrecherischen Aktivitäten des IS aufweisen (Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2016.9 vom 15. Juli 2016 E. 1.14.3, bestätigt durch Urteil des Bundesgerichts 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.1).
2.3.2 Im erwähnten Urteil SK.2016.9 qualifizierte das Bundesstrafgericht die Propagandawirkung, die ein sog. Dschihad-Reisender durch seinen Aufbruch nach Syrien mit dem Ziel, sich dem IS anzuschliessen, bei den zurückgebliebenen potenziellen Nachahmern bewusst herbeiführt, als Förderung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes (a.a.O., E.

TPF 2018 22, p.25

1.18). Im konkreten Fall wurde der Beschuldigte einige Tage vor seiner Abreise vor einer Moschee von allen Personen, welche die Moschee verliessen, auf eine auffällige Weise begrüsst bzw. verabschiedet, woraus geschlossen wurde, dass seine bevorstehende Abreise den Dritten bekannt war. Das Bundesgericht bestätigte den Schuldspruch, hielt indes fest, es sei «einerlei», ob das inkriminierte Verhalten unter die Tathandlung der «Unterstützung» oder die Generalklausel der «Förderung auf andere Weise» gefasst werde (Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.2).
2.3.3 Der vorliegende Fall ist anders gelagert. Aus den Aussagen der Beschuldigten geht hervor, dass sie in Ägypten nach der Trennung von ihrem Ehemann mit ihrem Sohn isoliert lebte. Wie bereits dargelegt, bestehen keine Hinweise darauf, dass die Beschuldigte ihre Reise nach Syrien Dritten bekannt gegeben hat; soweit ersichtlich, hat sie ihre Reiseabsicht lediglich dem Schlepper in Bezug auf die Überfahrt nach Kreta angekündigt. Auch sind keine Kontakte der Beschuldigten zum IS aktenkundig. Aus dem Umstand, dass die Medien im Nachhinein über ihren erfolglosen Versuch, nach Syrien zu gelangen, berichtet haben, kann entgegen der Auffassung der Bundesanwaltschaft nicht geschlossen werden, dass die Beschuldigte mit ihrer Reise Propagandazwecke verfolgt oder dies in Kauf genommen hat, war sie doch darauf bedacht, ihr Vorhaben geheim zu halten und möglichst ungehindert nach Syrien zu reisen. Auch der Umstand, dass die Beschuldigte nach der Tat Medienkontakte und auch Kontakte zu IS-Sympathisanten in der Schweiz gemieden hat, deutet auf einen fehlenden Willen hin, Propaganda zu betreiben. Der bewiesene Sachverhalt lässt nach dem Gesagten nicht den Schluss zu, dass die Beschuldigte mit dem inkriminierten Verhalten eine Propagandawirkung vorsätzlich ausgelöst hat.

Auch sonst ist nicht ersichtlich, inwiefern die Beschuldigte mit ihrer verhinderten Reise nach Syrien die Aktivitäten des IS im Sinne der Generalklausel von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes effektiv gefördert haben soll.

2.4 Es stellt sich die Frage, ob die Beschuldigte versucht hat, den IS im Sinne der zweiten Tatbestandsvariante der genannten Strafbestimmung personell zu unterstützen.

2.4.1 Diese Tatbestandsvariante erfasst Handlungen, welche eine nach dem Al-Qaïda/IS-Gesetz verbotene Organisation oder Gruppierung in ihrem Bestand stärken (vgl. Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2016.9 vom 15. Juli

TPF 2018 22, p.26

2016 E. 1.14.1; EICKER, Das Antreten eines Fluges nach Istanbul als strafbare Unterstützung oder Förderung des «islamischen Staats»? Besprechung von BGer 6B_948/2016 vom 22.2.2017, forumpoenale 2017, S. 351 ff., 354).

Subjektiv ist Vorsatz erforderlich. Der Täter muss wissen oder zumindest eventualvorsätzlich damit rechnen, dass er eine dschihadistisch motivierte Terrororganisation unterstützt (Urteil des Bundesstrafgerichts SK.2016.9 vom 15. Juli 2016 E. 1.16).

2.4.2 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder eines Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende, macht er sich gemäss Art. 22 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
1    Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
2    Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos.
StGB des Versuchs strafbar. Beim Versuch erfüllt der Täter sämtliche subjektiven Tatbestandsmerkmale und manifestiert seine Tatentschlossenheit, ohne dass alle objektiven Tatbestandsmerkmale verwirklicht sind (BGE 137 IV 113 E. 1.4.2 m.w.H.). Zur «Ausführung» der Tat im Sinne von Art. 22 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 22 - 1 Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
1    Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern.
2    Verkennt der Täter aus grobem Unverstand, dass die Tat nach der Art des Gegenstandes oder des Mittels, an oder mit dem er sie ausführen will, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen kann, so bleibt er straflos.
StGB gehört jede Tätigkeit, die nach dem Plan, den sich der Täter gemacht hat, auf dem Weg zur Tatbestandsverwirklichung den letzten entscheidenden Schritt darstellt, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gibt, es sei denn wegen äusserer Umstände, die eine Weiterverfolgung der Absicht erschweren oder verunmöglichen (BGE 131 IV 100 E. 7.2.1 m.w.H.).
2.4.3 In subjektiver Hinsicht kann zunächst aufgrund der breiten Medienberichterstattung und der notorischen Propagandaaktivitäten des IS davon ausgegangen werden, dass jede erwachsene und urteilsfähige Person im europäischen und arabischen Raum weiss, dass der IS Gräueltaten verübt. Dass dieses Wissen bei der Beschuldigten vorhanden war, geht auch aus ihren oben thematisierten Aussagen (E. 2.2) klar hervor. Weiter ist unbestritten, dass die Beschuldigte im Herrschaftsgebiet des IS in Syrien leben wollte. Das freiwillige Leben unter dem Regime des IS geht zwangsläufig mit seiner Stärkung einher, hängt doch seine Existenz als selbsternannter Staat in den eroberten Gebieten davon ab, dass er auf menschliche Ressourcen, insbesondere auch Frauen, für verschiedenste Aufgaben, etwa die Versorgung der Kämpfer, Pflege der Verwundeten etc., zurückgreifen kann. Zudem wollte die Beschuldigte ihren 4-jährigen Sohn dem IS zuführen und ihn im Sinne der IS-Ideologie aufziehen. Ein Tatentschluss, den IS personell zu unterstützen, liegt demnach vor.
In objektiver Hinsicht hatte die Beschuldigte bereits damit begonnen, ihren Tatplan umzusetzen, indem sie sämtliches nicht für die Reise benötigte Hab

TPF 2018 22, p.27

und Gut auf Online-Plattformen veräusserte und unter dem Einsatz von beträchtlichen finanziellen Mitteln (insbesondere durch Bezahlung eines Schleppers für die Überfahrt von Ägypten nach Kreta) bereits den Weg in Richtung Syrien eingeschlagen hatte. Die Beschuldigte befand sich bereits inmitten ihrer Reise und es waren lediglich äussere Umstände die infolge der internationalen Ausschreibung erfolgten polizeilichen Anhaltungen in Griechenland , welche die Weiterreise verhinderten. Die Beschuldigte hat folglich mit ihrem Vorgehen die Schwelle der straflosen Vorbereitung zur versuchten Tat überschritten.

2.4.4 Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass der objektive Tatbestand der personellen Unterstützung des IS in casu nicht erfüllt ist, da die Beschuldigte ihr Vorhaben, das vom IS kontrollierte Gebiet zu erreichen und unter dem IS zu leben, letztlich nicht realisieren konnte.

TPF 2018 22, p.28