TPF 2009 189, p.189
44. Auszug aus dem Entscheid der I. Beschwerdekammer in Sachen Kanton Solothurn gegen Kanton Genf und Kanton Bern vom 14. Dezember 2009 (BG.2009.22)
Örtliche Zuständigkeit; triftige Gründe für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand, insbesondere Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit in einer Sprachregion.
Art. 344 StGB, Art. 263 Abs. 3 BStP
Für das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand muss eine deutlich überwiegende Mehrheit der Delikte in der gleichen Sprachregion verübt worden sein. Gerade bei kleinen Deliktsserien ist nicht leichthin von einer überwiegenden Mehrheit auszugehen, wenn auf eine Sprachregion wenige Delikte mehr entfallen.
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Übersetzung der Verfahrensakten sowie Einarbeitung der Behörden stellen grundsätzlich keine triftigen Gründe für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand dar.
Compétence ratione loci; motifs sérieux pour s'écarter du for légal, notamment intensité de l'activité délictueuse dans une région linguistique.
Art. 344 CP, art. 263 al. 3 PPF
Pour qu'il se justifie de s'écarter du for légal, une majorité clairement prépondérante des délits doit avoir été commise dans la même région linguistique. C'est précisément en présence de petites séries de délits que l'on ne saurait sans autre admettre l'existence d'une large majorité lorsque quelques délits de plus concernent une région linguistique donnée.
La traduction du dossier de procédure ainsi que l'étude du dossier par les autorités ne constituent en principe pas des motifs sérieux permettant de s'écarter du for légal.
Competenza ratione loci; motivi validi per derogare al foro legale, in particolare reati compiuti prevalentemente in una regione linguistica.
Art. 344 CP, art. 263 cpv. 3 PP
Per derogare al foro legale i reati devono essere stati commessi per la maggior parte all'interno della stessa regione linguistica. In caso di piccoli reati non si può parlare di chiara maggioranza se in una regione linguistica sono stati commessi pochi reati in più.
La traduzione degli atti procedurali e il lavoro delle autorità non costituiscono in linea di principio dei motivi validi per derogare al foro legale.
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Im Kanton Solothurn wurden A., B., C. und D. nach einem Einbruch am 20. Mai 2008 auf frischer Tat ertappt und verhaftet. Im Zuge der Strafuntersuchung gestanden sie zudem einen Einbruchdiebstahl im Kanton Bern vom 19. Mai 2008. Inbesondere aufgrund der rückwirkenden Randdatenerhebung bzw. der Auswertung der Antennenstandorte wurden die vier Beschuldigten verdächtigt, ebenfalls die Einbruchdiebstähle im Kanton Genf vom 14. Mai 2008, im Kanton Bern vom 15. Mai 2008, im Kanton Luzern vom 15. Mai 2008 und im Kanton Waadt vom 16. Mai 2008 begangen zu haben. Nach dem erfolglosen Meinungsaustausch zwischen den Kantonen Solothurn, Genf und Bern beantragte der a.o. stellvertretende
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Oberstaatsanwalt des Kantons Solothurn, die Behörden des Kantons Genf, eventualiter diejenigen des Kantons Bern, seien zur Verfolgung und Beurteilung aller Straftaten von A., B., C. und D. für berechtigt und verpflichtet zu erklären.
Die I. Beschwerdekammer erklärte die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Genf für berechtigt und verpflichtet, die A., B., C. und D. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.
Aus den Erwägungen:
3.4 Entgegen der Ansicht des Kantons Genf steht die Tatsache, dass die Untersuchung bis anhin im Kanton Solothurn geführt wurde und eventuell schon ziemlich weit fortgeschritten ist, der Übertragung des Verfahrens nicht entgegen, soll doch eine Strafverfolgungsbehörde nicht bestraft werden, wenn sie während der Abklärung der Gerichtsstandsfrage die Strafuntersuchung mit der notwendigen Beschleunigung vorantreibt (vgl. SCHWERI/ BÄNZIGER, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl., Bern 2004, N. 443 in fine).
Bisher war die Verfahrenssprache entsprechend der Verfahrensführung Deutsch. Da jedoch die Beschuldigten nur Spanisch und kein Deutsch wie auch keine andere Landessprache sprechen, spielt die Sprache der Beschuldigten vorliegend keine Rolle (vgl. SCHWERI/BÄNZIGER, a.a.O., N. 506). Jedoch können sprachliche Gründe auch die Grundlage für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand bilden, wenn ein Schwergewicht der deliktischen Tätigkeit in einer der drei Sprachregionen der Schweiz liegt, mithin eine überwiegende Mehrheit der Delikte innerhalb der gleichen Sprachregion verübt wurde (SCHWERI/BÄNZIGER, a.a.O., N. 467; TPF 2008 183 E. 3.4). Da wie bereits erwähnt vom gesetzlichen Gerichtsstand nur in Ausnahmefällen abzuweichen ist, ist gerade bei kleinen Deliktsserien nicht leichthin von einer überwiegenden Mehrheit auszugehen, wenn auf eine Sprachregion wenige Delikte mehr entfallen. Das Argument des Kantons Genf, dass nur eines der Delikte im Kanton Genf verübt wurde, trifft zwar zu, jedoch wurden von den sechs vorliegend relevanten Einbruchdiebstählen insgesamt zwei im Welschland und vier in der deutschsprachigen Region begangen. Im Unterschied zum Entscheid TPF 2008 183, bei welchem fünf der sechs Delikte in der deutschen Schweiz begangen wurden, kann hier nicht von einer deutlich
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überwiegenden Mehrheit der Delikte in der deutschen Sprachregion gesprochen werden.
Schliesslich können auch die sofern überhaupt nötige Übersetzung der drei Bundesordner sowie die Einarbeitung der Genfer Behörden grundsätzlich keine triftigen Gründe für ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand darstellen, handelt es sich dabei doch um Aufwände, die in der Regel jedem Kanton bei der Übernahme von Verfahren aus anderen (verschiedensprachigen) Kantonen anfallen. (...)
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