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Auszug aus dem Urteil der Abteilung V
i.S. X. gegen Bundesamt für Migration
E 6028/2011 vom 15. April 2013

Asyl. Kollektivverfolgung der Yeziden in der Türkei. Grundsatzurteil.

Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
AsylG. Art. 1 A FK.

Situation der Yeziden in der Türkei. Yeziden unterliegen in der Türkei keiner Kollektivverfolgung im Sinne der Rechtsprechung. Änderung der in EMARK 1995 Nr. 1 publizierten Rechtsprechung (E. 5.4.4-5.4.7).

Asile. Caractère collectif de la persécution des Yézidis en Turquie. Arrêt de principe.

Art. 3 LAsi. Art. 1 A de la Convention du 28 juillet 1951 relative au statut des réfugiés.

Situation des Yézidis en Turquie. La communauté yézidie en Turquie ne fait pas l'objet d'une persécution collective au sens de la jurisprudence. Changement de jurisprudence par rapport à la décision JICRA 1995 no 1 (consid. 5.4.4 5.4.7).

Asilo. Carattere collettivo della persecuzione degli iazidi in Turchia. Sentenza di principio.

Art. 3 LAsi. Art. 1 A della Convenzione del 28 luglio 1951 sullo statuto dei rifugiati.

Situazione degli iazidi in Turchia. In Turchia la comunità degli iazidi non è oggetto di una persecuzione collettiva ai sensi della giurisprudenza. Modifica della giurisprudenza pubblicata nella GICRA 1995 n. 1 (consid. 5.4.4 5.4.7).


Die Beschwerdeführenden, ein kurdisches Ehepaar türkischer Staatsangehörigkeit mit zwei Töchtern, verliessen ihr Heimatland nach eigenen Angaben im März 2007 und gelangten über diverse europäische Länder im Sommer 2007 von Deutschland aus in die Schweiz, wo sie um Asyl nachsuchten.

Die Beschwerdeführerin wurde am 31. Juli 2007 zur Person, am 13. August 2007 ergänzend zu ihrer Reiseroute und am 28. Juli 2008 zu ihren Asylgründen befragt. Der Beschwerdeführer wurde am 27. September 2007 zu seiner Person befragt und am 28. Juli 2008 zu seinen Asylgründen angehört. Die mittlerweile volljährige ältere Tochter wurde am 21. Dezember 2009 zu ihren Asylgründen angehört.

Die Beschwerdeführenden machten im Wesentlichen geltend, sie seien Yeziden und deshalb in der Türkei verfolgt. Nachdem sie 1999 aus Deutschland an ihren früheren Wohnort E. in der Türkei zurückgekehrt seien, seien sie mehrmals diskriminiert und verhaftet worden. Daraufhin seien sie in die Stadt F. geflüchtet, wo es aber nicht besser gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe im Jahr 2000 seine offizielle Registrierung als Yezide durchsetzen wollen, was ihm aber vom Gericht versagt worden sei; nun stehe im Personenstandsregister (nüfus kayit örnegi) zu seiner Person unter der Rubrik « Religion » nicht mehr « Muslim », sondern die Rubrik sei leer. Im Jahr 2004 sei er auf einer Newroz-Feier von einer Person, bei der es sich wahrscheinlich um einen Polizisten in Zivil gehandelt habe, mit einem Messer verletzt worden. Zehn Tage nach dem Neujahr 2007 sei ihr Sohn G. verschwunden; wahrscheinlich habe er sich in den Bergen der PKK (Partiya Karkerên Kurdistan, Arbeiterpartei Kurdistans) angeschlossen. Daraufhin habe sich die Polizei bei ihnen nach seinem Verbleib erkundigt. Da sie nicht hätten antworten können, seien sie kurz darauf verhaftet worden. Die Beschwerdeführerin sei während zweier Tage festgehalten und verhört worden; in dieser Zeit
sei sie auch sexuell belästigt und vergewaltigt worden. Der Beschwerdeführer sei zehn bis fünfzehn Tage festgehalten und gefoltert worden.

Mit Verfügung vom 30. September 2011 stellte das Bundesamt für Migration (BFM) fest, die Beschwerdeführenden erfüllten die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte ihre Asylgesuche ab, wies sie aus der Schweiz weg und ordnete den Vollzug der Wegweisung an. Gegen diese Verfügung erhoben die Beschwerdeführenden am 2. November 2011 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde. Nach erfolgter Akteneinsicht reichten die Beschwerdeführenden am 13. Januar 2012 eine zusätzliche Stellungnahme ein (...).


Aus den Erwägungen:

5.1 Nach Lehre und Rechtsprechung erfüllt eine asylsuchende Person die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) und Art. 1 A des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30), wenn sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit und in absehbarer Zukunft mit gutem Grund Nachteile von bestimmter Intensität befürchten muss, die ihr gezielt und aufgrund bestimmter Verfolgungsmotive zugefügt zu werden drohen und vor denen sie keinen ausreichenden staatlichen Schutz erwarten kann (vgl. BVGE 2007/31 E. 5.2f., BVGE 2008/4 E. 5.2, jeweils m.w.H.). Die im Art. 3 Abs. 1
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
AsylG erwähnten fünf Verfolgungsmotive sind über die sprachlich allenfalls engere Bedeutung ihrer Begrifflichkeit hinaus so zu verstehen, dass die Verfolgung wegen äusserer oder innerer Merkmale, die untrennbar mit der Person oder Persönlichkeit des Opfers verbunden sind, erfolgt ist beziehungsweise droht (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2006 Nr. 32 E. 8.7.1). Aufgrund der Subsidiarität des flüchtlingsrechtlichen Schutzes setzt die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausserdem
voraus, dass die betroffene Person in ihrem Heimat- oder Herkunftsstaat keinen ausreichenden Schutz finden kann (vgl. BVGE 2008/12 E. 7.2.6.2, BVGE 2008/4 E. 5.2). Massgeblich für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft ist die Situation im Zeitpunkt des Entscheides, wobei allerdings erlittene Verfolgung oder im Zeitpunkt der Ausreise bestehende begründete Furcht vor Verfolgung auf andauernde Gefährdung hinweisen kann. Veränderungen der Situation zwischen Ausreise und Asylentscheid sind zu Gunsten und zu Lasten der asylsuchenden Person zu berücksichtigen (vgl. BVGE 2010/57 E. 2, BVGE 2010/9 E. 5.2, BVGE 2007/31 E. 5.3f., jeweils m.w.H.).

Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Die Flüchtlingseigenschaft ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält (Art. 7
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 7 Nachweis der Flüchtlingseigenschaft - 1 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen.
1    Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen.
2    Glaubhaft gemacht ist die Flüchtlingseigenschaft, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält.
3    Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden.
AsylG). Vorbringen sind dann glaubhaft, wenn sie genügend substanziiert, in sich schlüssig und plausibel sind; sie dürfen sich nicht in vagen Schilderungen erschöpfen oder den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung widersprechen und sie dürfen nicht widersprüchlich sein oder der inneren Logik entbehren. Darüber hinaus muss die asylsuchende Person persönlich glaubwürdig erscheinen, was insbesondere dann nicht der Fall ist, wenn sie ihre Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abstützt (Art. 7 Abs. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 7 Nachweis der Flüchtlingseigenschaft - 1 Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen.
1    Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen.
2    Glaubhaft gemacht ist die Flüchtlingseigenschaft, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält.
3    Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden.
AsylG), wichtige Tatsachen unterdrückt oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens Vorbringen auswechselt oder unbegründet nachschiebt, mangelndes Interesse am Verfahren zeigt oder die nötige Mitwirkung verweigert. Glaubhaftmachung bedeutet - im Gegensatz zum strikten Beweis - ein reduziertes Beweismass und lässt Raum für gewisse Einwände und Zweifel an den Vorbringen des Beschwerdeführers. Eine Behauptung gilt bereits als glaubhaft gemacht, wenn das Gericht von
ihrer Wahrheit nicht völlig überzeugt ist, sie aber überwiegend für wahr hält, obwohl nicht alle Zweifel beseitigt sind. Für die Glaubhaftmachung reicht es demgegenüber nicht aus, wenn der Inhalt der Vorbringen zwar möglich ist, aber in Würdigung der gesamten Aspekte wesentliche und überwiegende Umstände gegen die vorgebrachte Sachverhaltsdarstellung sprechen. Entscheidend ist im Sinne einer Gesamtwürdigung, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht; dabei ist auf eine objektivierte Sichtweise abzustellen (vgl. BVGE 2010/57 E. 2.3; EMARK 2005 Nr. 21 E. 6.1).

5.2 Das BFM führt in der angefochtenen Verfügung aus, die Vorbringen der Beschwerdeführenden in Bezug auf die Verletzung, die der Beschwerdeführer bei einer Newroz-Feier im Jahr 2004 erlitten habe, und in Bezug auf seine Festnahme nach der Rückkehr aus Deutschland im Jahr 1999 seien nicht asylrelevant, da sie keinen genügend engen Kausalzusammenhang mit der Ausreise der Beschwerdeführenden im Jahr 2007 aufwiesen. Das BFM führt weiter aus, die Weigerung der türkischen Behörden, den Beschwerdeführer als Yeziden im Personenstandsregister einzutragen, habe ebenfalls keinen zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit der Flucht der Beschwerdeführenden und sei zudem auch aufgrund ihrer Art und Intensität nicht asylrelevant.

Zudem kommt das BFM in der angefochtenen Verfügung zum Schluss, es sei nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführenden aufgrund ihrer Religion (Yezidentum) verfolgt seien. Die Abklärungen der schweizerischen Botschaft in Ankara (...) hätten ergeben, dass es sich bei den Beschwerdeführenden nicht um eine yezidische, sondern um eine seit mehreren Generationen als Muslime registrierte Familie handle. Sie würden als assimiliert gelten und seien keinen Diskriminierungen ausgesetzt. Diese Schlussfolgerung werde dadurch gestützt, dass die Beschwerdeführenden nur lückenhafte Kenntnisse der yezidischen religiösen Bräuche hätten. Die Aussagen der Beschwerdeführenden bezüglich der geltend gemachten Festnahmen seit ihrer Rückkehr aus Deutschland seien insgesamt unglaubhaft, da sie teilweise übertrieben, unsubstanziiert und widersprüchlich seien. Die Situation der Yeziden habe sich in der Türkei verbessert und die türkischen Staatsorgane seien zunehmend bereit und in der Lage, Yeziden gegen Übergriffe Dritter zu schützen. Insgesamt seien die Vorbringen der Beschwerdeführenden, wonach sie in ihrer Heimatregion wegen ihres yezidischen Glaubens sowohl von Privaten als auch von den Sicherheitskräften verfolgt würden, unglaubhaft.

Zur Aussage, ihr Sohn sei kurz nach Neujahr 2007 verschwunden, und sie selber seien von den Sicherheitskräften mitgenommen und unter schweren Misshandlungen nach dem Verbleib des Sohnes gefragt worden, hätten die Beschwerdeführenden widersprüchliche, ungereimte und lebensfremde Angaben gemacht. Es sei aufgrund der Aktenlage unwahrscheinlich, dass das Verschwinden des Sohnes und die Befragungen der Beschwerdeführenden - wie von diesen geltend gemacht - in einem PKK-Kontext stehen würden. Es müsse auch bezweifelt werden, dass die Beschwerdeführerin auf dem Polizeiposten vergewaltigt worden sei. Insgesamt komme das BFM zum Schluss, dass sich auch diese Vorbringen auf einen konstruierten Sachverhalt und nicht auf tatsächlich Erlebtes bezögen und damit unglaubhaft seien.

5.3 Die Beschwerdeführenden entgegnen auf Beschwerdeebene, dass sie über all die Jahre immer wieder behelligt, schikaniert, festgenommen und misshandelt worden seien, wobei es sich mehrheitlich nicht um registrierte Festnahmen gehandelt habe. Deshalb sei sehr wohl ein Kausalzusammenhang aller geltend gemachten Vorbringen mit ihrer Flucht vorhanden, da sich über die Jahre ein grosser, nicht mehr auszuhaltender Druck auf den Beschwerdeführer erzeugt habe, so dass er die Türkei schliesslich im Jahr 2007 verlassen habe (...).

Die Beschwerdeführenden verweisen zur Stützung ihrer Aussagen auf verschiedene Berichte zur Religionsfreiheit in der Türkei. Den Angehörigen jener religiösen Minderheiten, die nicht den drei anerkannten Minderheiten angehörten, werde es nach wie vor verwehrt, ihre Religionszugehörigkeit in der nationalen Identitätskarte festschreiben zu lassen. Personen, die sich öffentlich zum yezidischen Glauben bekennen, würden in der Türkei auch heute noch verfolgt. Sie hätten unter grosser Stigmatisierung, unter Verdächtigungen und Misstrauen zu leiden (...). Die Verfolgung von Bekennern zum yezidischen Glauben sei gemäss türkischer Verfassung illegal, weshalb sie sich schwer nachweisen lasse. Es sei nicht zu erwarten, dass zum Beispiel Festnahmeprotokolle vorlägen (...). Menschenrechtsorganisationen berichteten aber von regelmässigen Missbräuchen, Folter und Schlägen in Polizeigewahrsam, die oft an versteckten, inoffiziellen Haftorten durchgeführt würden. Deshalb sei die geltend gemachte Verfolgung aufgrund des yezidischen Glaubens durchaus glaubhaft gemacht, zumal der Beschwerdeführer im Rahmen des Gerichtsverfahrens für seine Religionsfreiheit gekämpft habe (...). Diese Feststellungen deckten sich im Übrigen mit den Aussagen im
Botschaftsbericht vom 29. Juni 2011. Es sei unbestritten, dass die yezidischen Vorfahren der Beschwerdeführenden vor vier bis fünf Generationen zum Übertritt zum sunnitischen Islam gezwungen worden seien. E. gelte offiziell nicht als yezidisches Dorf, die ehemaligen Yeziden lebten heute konform und würden als Muslime betrachtet. Es sei jedoch nicht auszuschliessen, dass Personen, die eine private Verbindung zum yezidischen Glauben hätten, sich heute nicht öffentlich dazu äussern könnten, da ein öffentliches Bekenntnis einen starken gesellschaftlichen Druck und Diskriminierungen zur Folge hätte (...). Der Beschwerdeführer habe sich mit dem Gerichtsverfahren öffentlich zum yezidischen Glauben bekannt, weshalb er und seine Familie schikaniert, diskriminiert, festgenommen, verhört und misshandelt worden seien (...).

Die Beschwerdeführenden hätten zudem eine Verfolgung aufgrund des Verdachts, sie würden die kurdische PKK unterstützen, geltend gemacht. Dieser Verdacht ergebe sich durch das Verschwinden des Sohnes sowie dadurch, dass zwei ihrer Cousins wegen ihrer Nähe zur PKK vom türkischen Staat ermordet worden seien. Die verschiedenen und systematischen Verfolgungsmassnahmen, denen sie in der Türkei ausgesetzt gewesen seien, seien auf ihre yezidische Religionszugehörigkeit und auf ihre angebliche Nähe zur PKK zurückzuführen. Deshalb bestehe eine begründete Furcht vor künftiger asylrelevanter Verfolgung (...).

5.4 Die Beschwerdeführenden behaupten, das BFM habe den rechtserheblichen Sachverhalt insofern nicht korrekt erstellt, als es die allgemeine Situation der Yeziden in der Türkei nicht berücksichtigt habe. Im Folgenden ist die Situation der Yeziden in der Türkei umfassend abzuklären und anschliessend zu prüfen, ob bezüglich der Yeziden in der Türkei (weiterhin) von einer Kollektivverfolgung auszugehen ist.

5.4.1 Gemäss der Rechtsprechung der Schweizerischen Asylrekurskommission (ARK), die vom Bundesverwaltungsgericht übernommen wurde, werden die Yeziden in der Türkei als Kollektiv verfolgt (EMARK 1995 Nr. 1; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts E 6666/2006 vom 29. Januar 2008, D 3833/2006 vom 11. August 2008 und D 3754/2009 vom 23. August 2010). Zufolge dieser bis heute nicht geänderten Rechtsprechung wird hinsichtlich der Glaubensgemeinschaft der Yeziden in der Türkei von einer gezielten Gruppen- oder Kollektivverfolgung ausgegangen; mithin ist allein die Zugehörigkeit zu dieser Zielgruppe als Indiz dafür zu werten, dass bei jedem einzelnen Angehörigen begründete Furcht vor Verfolgung vorliegt. Aufgrund einer solchen Verfolgung des Kollektivs gilt jeder und jede Angehörige dieser Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als gefährdet. Hingegen sind Personen, die sich assimiliert haben und ihren Glauben nicht mehr praktizieren beziehungsweise zum Islam konvertiert haben, nicht mehr von der Gruppenverfolgung betroffen.

Die ARK führte im genannten Urteil im Jahr 1995 aus, den Yeziden werde aufgrund ihrer für Aussenstehende fremd wirkenden Religion, verbunden mit ihren zahlreichen Tabus, ein grundsätzliches Misstrauen und eine Grundverachtung entgegengebracht, weshalb sie seit Jahrhunderten und bis heute verfolgt würden. Die Diskriminierung beginne bereits bei den Schulkindern, die gezwungen würden, am islamischen Religionsunterricht teilzunehmen. Yezidische Männer würden während des Militärdienstes unvorstellbaren Herabwürdigungen ausgesetzt und junge yezidische Frauen seien der Gefahr der Entführung und Zwangsheirat ausgesetzt. Hinzu komme eine erhebliche wirtschaftliche Diskriminierung und eine eigentliche Vertreibungspolitik durch kurdische (muslimische) Grossgrundbesitzer und ihre Clans. Der türkische Staat wäre grundsätzlich in der Lage, die Yeziden zu schützen, unterlasse dies jedoch. Die Grossgrundbesitzer würden in ihren Übergriffen nicht gehindert, sondern geschützt und aktiv unterstützt. Die Schikanen während des Militärdienstes seien zudem direkt dem Staat zurechenbar.

Diese Übergriffe und Diskriminierungen seien als gezielt gegen die Glaubensgemeinschaft der Yeziden gerichtet zu bezeichnen und erreichten in ihrer Gesamtheit die von Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
AsylG vorausgesetzte Intensität. Die Yeziden würden im Kernbereich ihrer religiösen Persönlichkeit getroffen und ihrer religiösen Identität beraubt. Deshalb seien die Massnahmen in ihrer Gesamtheit auch geeignet, bei der Gemeinschaft der Yeziden einen unerträglichen psychischen Druck zu bewirken, weshalb von einer gezielten Gruppen- oder Kollektivverfolgung auszugehen sei.

5.4.2 Eine Kollektivverfolgung liegt gemäss der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn eine relativ grosse Anzahl Personen eines bestimmten Kollektivs einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung ausgesetzt ist. Die flüchtlingsrechtlich zu beurteilenden Massnahmen müssen dabei in gezielter Art und Weise auf das Kollektiv gerichtet sein und eine gewisse Intensität aufweisen. Aus der Verfolgung einzelner, zum Kollektiv gehörender Personen kann dabei nicht ohne Weiteres auf die Verfolgung des Kollektivs geschlossen werden. Die gezielten und intensiven Nachteile müssen vielmehr zum Ziel haben, möglichst alle Mitglieder des Kollektivs zu treffen, und sie müssen in Relation zur Grösse des Kollektivs eine bestimmte Dichte aufweisen, so dass der Einzelne aus der erheblichen Wahrscheinlichkeit heraus, selbst verfolgt zu werden, objektiv begründete Furcht hat (BVGE 2011/16 m.w.H.). Ein unerträglicher psychischer Druck im Sinne von Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
AsylG liegt vor, wenn einzelne Personen oder Teile einer Bevölkerung systematisch schweren oder wiederholten Eingriffen in ihre Menschenrechte durch den Staat ausgesetzt sind und diese Eingriffe eine derartige Intensität erreichen, dass ein menschenwürdiges Leben
nicht mehr möglich erscheint (BVGE 2010/28 E. 3.3.1.1 m.w.H.).

In der Folge ist zu prüfen, ob heute noch von einer Kollektivverfolgung der Yeziden in der Türkei auszugehen ist.

5.4.3 Es gibt nur relativ wenige Informationen bezüglich der aktuellen Lage der Yeziden in der Türkei. Für die folgenden Ausführungen stellt das Bundesverwaltungsgericht auf die folgenden Quellen ab:

- United States Commission on International Religious Freedom, Annual Report 2012, März 2012 (nachfolgend: U.S. Commission Report)

- United States Department of State, International Religious Freedom Report for 2011 (nachfolgend: U.S. Department of State, Religious Freedom Report)

- European Commission, Turkey 2011 Progress Report (nachfolgend: European Commission, Progress Report)

- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland), Informationszentrum Asyl und Migration, Lage der Religionsgemeinschaften in ausgewählten islamischen Ländern, August 2011 (nachfolgend: Informationszentrum, Lage der Religionsgemeinschaften)

- Yezidisches Forum e.V., Stellungnahme zur Situation der Yeziden in der Türkei, Stand: Juni 2006, 4. Juli 2006 (nachfolgend: Yezidisches Forum, Stellungnahme)

- Minority Rights Group International Report, Forgotten or Assimilated? Minorities in the Education System of Turkey, Januar 2009 (nachfolgend: Minority Group, Education System)

- Minority Rights Group International Report, A Quest for Equality: Minorities in Turkey, September 2007

- Human Rights Watch, Displaced and Disregarded, Turkey's Failing Village Return Program, Oktober 2002 (nachfolgend: HRW, Displaced)

5.4.4 Die Diskriminierung der Yeziden durch die muslimische Bevölkerung ist darin begründet, dass Muslime die Yeziden als Heiden betrachten. Yeziden sind in der Türkei, ebenso wie Angehörige anderer nichtislamischer Religionsgemeinschaften, gesellschaftlichen Verdächtigungen und Argwohn ausgesetzt (U.S. Department of State, Religious Freedom Report). Auch kommt es in der Türkei immer noch zu (asylrelevanten) Übergriffen durch die muslimische Mehrheitsbevölkerung auf Yeziden. Seit dem Jahrtausendwechsel werden jedoch nur noch vereinzelt solche Übergriffe der muslimischen Bevölkerung auf Yeziden in der Türkei publik. So verweist das Yezidische Forum e.V. in einem Bericht vom Juli 2006 auf elf Übergriffe auf yezidische Personen seit dem Jahr 2002 (Yezidisches Forum, Stellungnahme). In zwei Fällen wird von insgesamt drei Yeziden berichtet, die getötet worden seien, fünf weitere Vorfälle betreffen nichttödliche physische Gewalt gegen Yeziden (Schüsse oder Schlägereien), in den restlichen Fällen wird vor allem von Drohungen berichtet. Bei sieben dieser elf Fälle handelte es sich um (zumindest kurzzeitig) aus Deutschland zurückgekehrte Yeziden, die teilweise versuchten, ihren ursprünglichen Landbesitz
registrieren zu lassen. In einem Fall war eine politisch aktive Person betroffen und in einem anderen Fall handelte es sich um einen Sheik und seine Ehefrau, die umgebracht wurden. Zwei niederschwellige Übergriffe betrafen Yeziden, die nie weggezogen waren. Neuere Übergriffe auf Yeziden (seit 2006) sind nicht bekannt. Weder Amnesty International noch Human Rights Watch oder das U.S. State Department dokumentierten in den letzten Jahren Übergriffe auf Yeziden in der Türkei. Auch von einer gestiegenen Dunkelziffer ist nicht auszugehen, da in der Türkei verschiedene Menschenrechtsorganisationen aktiv sind, die Übergriffe gegen Minderheiten dokumentieren und publik machen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass nicht unbemerkt mehrere Übergriffe der muslimischen Bevölkerung gegen Yeziden geschehen könnten. In einem Teil der genannten Fälle in den letzten zehn Jahren mögen zwar individuell betrachtet asylrelevante Vorkommnisse zu bejahen sein, in ihrer Gesamtheit sind sie jedoch weder genügend intensiv noch genügend zahlreich, um eine Kollektivverfolgung der Yeziden in der Türkei darzustellen.

Die tiefe Zahl der Vorfälle hängt zweifellos damit zusammen, dass die Anzahl der in der Türkei lebenden Yeziden stark abgenommen hat. Ging man in den 1980er-Jahren noch von etwa 60 000 Personen yezidischer Glaubensrichtung aus, leben heute nach Schätzungen noch zwischen 200 und 500 Yeziden ganzjährig in der Türkei (Yezidisches Forum, Stellungnahme; Minority Group, Education System, S. 10); der Religious Freedom Report des U.S. Department of State geht hingegen von einer Restbevölkerung von 5 000 Yeziden aus. Die Zahl der yezidischen Rückkehrer ist nach wie vor gering, und viele von ihnen kehren lediglich vorübergehend zurück (Informationszentrum, Lage der Religionsgemeinschaften S. 125). Deshalb stellt auch das Yezidische Forum in seinem Bericht fest, dass es « nur selten zu direkten Begegnungen mit Moslems » komme (Yezidisches Forum, Stellungnahme, S. 10).

Die türkischen Behörden sind allerdings heute auch zunehmend bereit und in der Lage, die yezidische Bevölkerung vor Übergriffen durch Muslime zu schützen (Informationszentrum, Lage der Religionsgemeinschaften, S. 126). Bei den im Bericht des Yezidischen Forums erwähnten Vorfällen ist lediglich in einem Fall davon die Rede, dass die Behörden die Yeziden nicht geschützt hätten. Im Fall des ermordeten Sheiks und seiner Ehefrau seien zwar die Täter auch vier Jahre später noch nicht festgenommen gewesen, die Staatsanwaltschaft habe jedoch auf Aufforderung eines Yeziden die Ermittlungen wieder aufgenommen. In den meisten Fällen scheinen die Behörden nicht involviert worden zu sein (Yezidisches Forum, Stellungnahme, S. 3ff.). Zudem ist zumindest ein Fall bekannt, in dem zurückkehrende Yeziden, deren Land von Dorfschützern in Besitz genommen worden war, die Rückgabe ihres Landes vor Gericht erfolgreich erstritten haben (HRW, Displaced, S. 43).

5.4.5 Seit dem genannten Grundsatzurteil der ARK im Jahr 1995 hat sich die allgemeine Lage der religiösen Minderheiten in der Türkei verbessert, auch wenn deren Angehörige weiterhin verschiedenen staatlichen Benachteiligungen ausgesetzt sind. Die türkische Verfassung garantiert die Religionsfreiheit im Sinne einer individuellen Bekenntnisfreiheit. Auch in der Praxis gewährleistet der türkische Staat die individuelle Glaubens- und Religionsfreiheit weitgehend (U.S. Department of State, Religious Freedom Report; Informationszentrum, Lage der Religionsgemeinschaften, S. 116f.).

Die sunnitisch-islamische Mehrheitsreligion ist jedoch - nach dem Modell des Säkularismus nach Mustafa Kemal Atatürk - durch das Amt für Religiöse Angelegenheiten (Diyanet) fest in die staatlichen Verwaltungsstrukturen eingebunden, weshalb die kollektive Ausübung von Minderheiten-Religionen verschiedenen rechtlichen und administrativen Einschränkungen unterliegt (U.S. Department of State, Religious Freedom Report; Informationszentrum, Lage der Religionsgemeinschaften, S. 116f.). Als religiöse Minderheiten nach dem Lausanner Vertrag vom 24. Juli 1923 sind lediglich die griechisch-orthodoxen und die armenisch-orthodoxen Christen sowie die Juden staatlich anerkannt, nicht jedoch die Yeziden (und alle anderen Religionsgemeinschaften). Als nicht anerkannte Minderheit sind die Yeziden immer noch verschiedenen Einschränkungen und Diskriminierungen im öffentlichen Bereich ausgesetzt (U.S. Department of State, Religious Freedom Report). Einschränkungen bestehen für diese Religionsgemeinschaften vor allem bezüglich der Möglichkeit, Eigentum zu besitzen und ihre eigenen Geistlichen auszubilden. Es liegen jedoch keine Berichte über konkrete staatliche Benachteiligungen der Yeziden in diesem Bereich vor. Dies liegt wohl auch daran, dass
die Yeziden keine Tradition öffentlicher Gebete oder regelmässiger Rituale in öffentlichen, heiligen Gebäuden ihrer Gemeinschaft haben, sondern vor allem individuell beten (vgl. Birgül Açikyildiz, The Yezidis, The History of a Community, Culture and Religion, London/New York 2010, S. 103 und 130).

Auf der türkischen Identitätskarte ist weiterhin die Religionszugehörigkeit eingetragen. Es können andere als islamische Glaubensbekenntnisse eingetragen werden, jedoch (unter anderen) nicht das Yezidentum. Das Feld des Glaubensbekenntnisses kann auch leer gelassen werden. Die obligatorische Sichtbarkeit des Glaubensbekenntnisses auf der Identitätskarte setzt Nichtmuslime jedoch potenziell Diskriminierungen aus und wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als nicht konform mit Art. 9
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.
der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) eingestuft (U.S. Department of State, Religious Freedom Report; European Commission, Progress Report, S. 30; Urteil des EGMR, Sinan Isik gegen die Türkei vom 2. Februar 2010, Beschwerde Nr. 21924/05, §§ 37ff.).

Ein gewisser Fortschritt ist bezüglich der religiösen Schulbildung zu verzeichnen. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2010 enthält das Schulfach « Religion und Ethik » Informationen zu allen Religionen und auch zum Atheismus. Nichtmuslimische Schüler können neu von diesem Schulfach dispensiert werden. In der Praxis scheint diese neue Rechtslage jedoch nicht immer umgesetzt zu werden. Entsprechend verweigern gewisse Schulen die Möglichkeit der Dispensation grundsätzlich; vor allem Schüler, deren Identitätskarte den Islam als Religion ausweist oder leer ist, haben teilweise Schwierigkeiten, eine Dispensation zu erhalten (U.S. Commission Report, S. 209ff.; U.S. Department of State, Religious Freedom Report; European Commission, Progress Report, S. 29).

Nach wie vor gibt es keine religiös begründeten Ausnahmen vom obligatorischen Militärdienst und keine zivile Alternative dazu, was, wie der EGMR feststellte, Art. 9
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.
EMRK widerspricht (European Commission, Progress Report, S. 31; Urteil des EGMR, Savda gegen die Türkei vom 12. Juni 2012, Beschwerde Nr. 42730/05, §§ 91ff. mit Verweisen auf weitere Urteile).

Diese Ausführungen zeigen, dass die Yeziden in der Türkei nach wie vor staatlichen Benachteiligungen ausgesetzt sind und der türkische Staat teilweise weiterhin systematisch gegen die Religionsfreiheit verstösst. Gleichzeitig sind einzelne Verbesserungen bezüglich der Gewährleistung der Religionsfreiheit durch den türkischen Staat zu verzeichnen. Konkrete Vorfälle staatlicher Benachteiligungen oder Verfolgungen von Yeziden sind den genannten Quellen keine zu entnehmen.

5.4.6 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die yezidische Bevölkerung in der Türkei, seien es Alteingesessene oder Rückkehrer, immer noch unter staatlichen Diskriminierungen leidet und teilweise auch mit Übergriffen von Privatpersonen zu kämpfen hat. Intensität und insbesondere Anzahl der Diskriminierungen und Übergriffe haben jedoch gegenüber den 1980er-Jahren stark abgenommen und sind heute gering. Die dokumentierten Vorfälle von privaten Übergriffen auf Yeziden sind zudem zu einem grossen Teil auf Landstreitigkeiten zurückzuführen. Bei diesen Vorfällen stehen wirtschaftliche Gründe im Vordergrund - auch wenn das religiöse Element ebenfalls eine gewisse Rolle spielen mag -, womit sie nicht zum Ziel haben, möglichst alle Yeziden zu treffen, sondern stark von den Umständen des Einzelfalls geprägt sind. Schliesslich ist festzustellen, dass die türkischen Behörden vermehrt in der Lage und willens sind, die yezidische Bevölkerung vor Übergriffen Privater zu schützen.

Bezeichnend für die verbesserte Lage der Yeziden in der Türkei ist, dass eine Reihe deutscher Oberverwaltungsgerichte seit 2005 nicht mehr von einer Kollektivverfolgung der Yeziden in der Türkei ausgeht. In Deutschland leben circa 20 000 türkische Yeziden. Die deutsche Rechtsprechung ging ab den 1980er-Jahren einhellig von einer Kollektivverfolgung aus. Seit Mitte der 2000er-Jahre sind jedoch mehrere Gerichte von dieser Rechtsprechung abgerückt und verneinen heute eine Kollektivverfolgung (siehe z.B. Oberverwaltungsgericht [OVG] Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. Februar 2006, 15 A 2119/02.A; OVG Lüneburg, Urteil vom 17. Juli 2007, 11 LB 3323/03; OVG Saarland, Urteil vom 11. März 2010, 2 A 401/08; OVG Sachsen, Urteil vom 24. Februar 2011, A 3 B 551/07; das OVG Rheinland-Pfalz liess die Frage der Kollektivverfolgung in seinem Urteil 10 A 11576/06 vom 5. Juni 2007 offen). Dabei stützen sich die Gerichte vor allem darauf, dass die Anzahl seit 2002 registrierter Übergriffe auf Yeziden in der Türkei, selbst in Bezug auf deren insgesamt kleine Bevölkerungszahl, gering ist. Zudem stellen auch die deutschen Gerichte fest, dass die türkischen Behörden vermehrt bereit seien, Yeziden gegen Übergriffe Privater zu schützen. Die Hindernisse,
die Yeziden beim Versuch anträfen, in die Türkei zurückzukehren, knüpften auf jeden Fall nicht vorrangig an die yezidische Religion an (OVG Lüneburg, §§ 56f.; OVG Saarland, S. 17ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, §§ 85ff.).

5.4.7 Unter diesen Umständen kann heute - im Sinne einer Praxisänderung gegenüber dem Grundsatzurteil EMARK 1995 Nr. 1 und der seitherigen Praxis der ARK und des Bundesverwaltungsgerichts - nicht mehr von einer Kollektivverfolgung der Yeziden in der Türkei gesprochen werden: Es muss nicht mehr davon ausgegangen werden, dass alle in der Türkei wohnhaften Yeziden allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit einem unerträglichen psychischen Druck im Sinne von Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
AsylG ausgesetzt sind und für sie deshalb kein menschenwürdiges Leben möglich erscheint.

Nichtsdestotrotz ist aufgrund der nach wie vor angespannten Beziehung der Yeziden zur muslimischen Mehrheit in der Türkei (E. 5.4.4) und den staatlichen Diskriminierungen (E. 5.4.5) eine asylrelevante Verfolgung im Einzelfall selbstverständlich möglich, entsprechend ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine asylrelevante Verfolgungsfurcht vorliegt.

5.5 Im Folgenden ist mithin zu prüfen, ob die Beschwerdeführenden bei einer Rückkehr in die Türkei einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sind.

5.5.1 Die Beschwerdeführenden befassen sich in der Beschwerdeschrift vom 2. November 2011 und in der Beschwerdeergänzung vom 13. Januar 2012 nur sehr beschränkt mit der Argumentation des BFM in der angefochtenen Verfügung. Im Wesentlichen machen sie auf Beschwerdeebene geltend, der Beschwerdeführer habe sich öffentlich zum Yezidentum bekannt, indem er versucht habe, vor Gericht die Eintragung seiner Zugehörigkeit zum Yezidentum in seinem Personenstandsregister zu erstreiten, was ihm aber verweigert worden sei. Zudem würden Berichte über die Menschenrechtslage in der Türkei zeigen, dass es immer wieder zu Übergriffen durch die türkischen Behörden komme, womit die Vorbringen der Beschwerdeführenden glaubhaft gemacht seien. Schliesslich argumentieren sie, auch die Antwort der schweizerischen Botschaft in Ankara schliesse nicht aus, dass Personen, die sich öffentlich zum Yezidentum bekannten, Diskriminierungen ausgesetzt seien.

Die Beschwerdeführenden wurden 1999 von Deutschland zwangsweise in ihr Heimatland abgeschoben. Ihre Vorbringen bezüglich einer angeblichen Verfolgung nach ihrer Rückkehr in die Türkei können in zwei Phasen unterteilt werden: Die erste Phase umfasst die Zeit von ihrer Rückkehr in die Türkei im Jahr 1999 bis zum (angeblichen) Verschwinden ihres Sohnes G. Anfang 2007, die zweite die Zeit von diesem Zeitpunkt bis zu ihrer Ausreise im März 2007. Für den ersten Zeitraum machen die Beschwerdeführenden insbesondere mehrere Festnahmen geltend, die sie vor allem auf ihre Zugehörigkeit zum Yezidentum zurückführen. Nach dem Verschwinden ihres Sohnes machen die Beschwerdeführenden geltend, sie seien deswegen ein weiteres Mal verhaftet und befragt worden, wobei sie den Grund dafür neben ihrer Religionszugehörigkeit im Verdacht der Behörden, ihr Sohn unterstütze die PKK, sehen.

5.5.2 Bezüglich der ersten Phase von 1999 bis Anfang 2007 macht der Beschwerdeführer erstens geltend, er sei bei der Einreise im Jahr 1999 am Flughafen festgehalten worden. Zweitens machen die Beschwerdeführenden geltend, in ihrem Heimatdorf E. hätten sie nicht in Ruhe leben können, da sie von den Muslimen unterdrückt und belästigt worden seien. Deshalb seien sie in die Stadt F. gezogen, wo sie jedoch auch keine Ruhe gehabt hätten. Konkret bringen sie vor, sie seien sowohl in E. als auch in F. immer wieder auf den Polizeiposten mitgenommen worden, wo sie jeweils misshandelt worden seien. Der Beschwerdeführer macht drittens geltend, er sei am 21. März 2004 auf einer Newroz-Feier von einem Zivilpolizisten im Bauchbereich mit einem Messer verletzt worden. Alle diese Vorfälle führen die Beschwerdeführenden vor allem auf ihre Zugehörigkeit zum Yezidentum zurück, wobei der Beschwerdeführer insbesondere darauf verweist, dass er im Jahr 2000 seine Anerkennung als Yezide gerichtlich eingeklagt habe.

5.5.2.1 Bei der Beurteilung, ob eine Verfolgung auf einem flüchtlingsrechtlich relevanten Motiv nach Art. 1 A FK und Art. 3
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
AsylG beruht, kommt es auf die Perspektive des Verfolgers an. Es ist nicht entscheidrelevant, ob die verfolgten Personen die Eigenschaft, welche für die Verfolgung ursächlich ist, tatsächlich besitzen; entscheidend ist vielmehr, dass der Verfolger seinen Opfern diese Eigenschaft (richtiger- oder fälschlicherweise) zuschreibt (vgl. Martina Caroni/Tobias D. Meyer/ Lisa Ott, Migrationsrecht, 2. Aufl., Bern 2011, Rz. 659). Ungeachtet der vom BFM angeführten Zweifel, ob es sich bei den Beschwerdeführenden tatsächlich um Yeziden handelt, stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Beschwerdeführer sich gemäss dem von ihm eingereichten Urteil des Zivilgerichts der 1. Instanz in H. vom (...) gerichtlich um die Eintragung seiner Zugehörigkeit zum Yezidentum in sein Personenstandsregister bemühte. Obwohl ihm dies verweigert wurde und der entsprechende Eintrag in seinem Personenstandsregister seither leer ist, hat sich der Beschwerdeführer damit öffentlich zum Yezidentum bekannt. Damit ist zwar nicht bewiesen, dass es sich bei den Beschwerdeführenden um gläubige Yeziden handelt (diese innere
Tatsache ist zudem nur einem indirekten Beweis zugänglich), aber es ist unabhängig davon und auch unabhängig vom Ergebnis der vom BFM gemachten Botschaftsabklärung - davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer und seine Familie von ihrem sozialen Umfeld in der Türkei (und auch von den staatlichen Behörden) als Yeziden betrachtet und wahrgenommen werden. Davon geht das Bundesverwaltungsgericht im Folgenden aus. Entsprechend ist es nach dem oben Gesagten möglich, dass (auch) die Beschwerdeführenden aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen Diskriminierungen oder gar Verfolgungen ausgesetzt waren und dies bei einer Rückkehr erneut wären. Diese Frage ist im Folgenden zu prüfen, wobei es bei der Erfüllung der Flüchtlingseigenschaft stets darum geht, ob die betroffenen Personen im heutigen Zeitpunkt eine begründete Furcht vor (erneuter oder erstmaliger) Verfolgung bei einer Rückkehr glaubhaft machen können.

5.5.2.2 Dem BFM ist zuzustimmen, wenn es festhält, dass die Festhaltung des Beschwerdeführers bei der Einreise in die Türkei im Jahr 1999 weder zeitlich noch ursächlich kausal für die Ausreise der Beschwerdeführenden aus der Türkei im Jahr 2007 war. Dass den Beschwerdeführenden erst nach acht Jahren die Ausreise aus der Türkei möglich gewesen sein soll, wird nicht geltend gemacht und wäre auch nicht glaubhaft.

5.5.2.3 Ebenfalls ist dem BFM zuzustimmen, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen konnte, dass ihm die (angeblichen) Messerstiche am Newroz-Fest 2004 von einem Polizisten in Zivil zugefügt wurden. Der Beschwerdeführer sagt selber aus, er wisse nicht, ob es sich um einen Polizisten gehandelt habe, aber die Menschen dort (am Fest) hätten das gesagt (...). Damit ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Beschwerdeführer von einem Polizisten verletzt wurde. Zudem wurde der Beschwerdeführer anschliessend nach eigenen Aussagen in einem Spital angemessen behandelt, womit auch diesbezüglich keine Diskriminierung auszumachen ist. Dieses Vorbringen ist damit nicht asylrelevant.

5.5.2.4 Des Weiteren machen die Beschwerdeführenden geltend, sie seien nach ihrer Rückkehr in die Türkei unzählige Male festgenommen worden. Der Beschwerdeführer spricht von zehn bis fünfzehn Festnahmen, « vielleicht auch noch mehr » (...); er sei jeweils zwei bis zehn Tage festgehalten worden. Zwei Mal sei er festgenommen worden, während er noch in E. gelebt habe. Die Festnahmen seien erfolgt, weil man ihm vorgeworfen habe, er sei ein Ungläubiger und lehne sich gegen den Staat auf. Er sei während der Festnahmen erniedrigt und gefoltert worden und man habe ihm gedroht, seine Familie umzubringen. Er sei jedoch nie zu einer Haftstrafe verurteilt worden und es gebe auch keine hängigen Verfahren gegen ihn. Die Beschwerdeführerin gibt ebenfalls an, regelmässig verhaftet worden zu sein, etwa sieben oder acht Mal vor dem Verschwinden ihres Sohnes. Dabei sei sie jeweils zwei, drei Tage festgehalten worden (...).

Das BFM bezeichnet diese Vorbringen in der angefochtenen Verfügung als unglaubhaft. Die Anzahl der geltend gemachten Festnahmen erscheine auch im türkischen Kontext als übertrieben und unwahrscheinlich. Zudem hätten sowohl der Beschwerdeführer als auch die Beschwerdeführerin widersprüchliche und ungereimte Aussagen dazu gemacht, auf welche Polizeiposten sie jeweils mitgenommen worden seien.

Auch das Bundesverwaltungsgericht beurteilt es als unglaubhaft, dass die Beschwerdeführenden zwischen 1999 und Ende 2006 mehrere Male verhaftet und dabei gefoltert wurden. Die Ausführungen sowohl des Beschwerdeführers als auch der Beschwerdeführerin zu ihren zahlreichen Festnahmen fielen sehr allgemein und unsubstanziiert aus (...). Beide können nicht ein einziges Datum nennen, an dem sie festgenommen wurden. Der Beschwerdeführer wiederholt lediglich mehrmals, er sei immer wieder bedroht und festgenommen worden. Auf die Frage, von wem er in E. das erste Mal festgenommen worden sei, antwortet er in unbestimmter Weise, « von Polizisten und Soldaten » (...); zudem äussert er sich widersprüchlich dazu, ob er in seinem Dorf festgehalten oder in die Stadt gebracht wurde (....). Die Aussagen bezüglich der Anzahl Festnahmen sind stereotyp und bleiben ohne jede Substanz. So gibt der Beschwerdeführer an, in F. sei er « viele Male, zehn, fünfzehn » Mal festgenommen worden und fügt an: « Es waren mehrere Male » (...). Zuvor hatte er auf eine ähnliche Frage geantwortet: « Unzählige Male, zehn, ich weiss es nicht mehr, fünfzehn Mal etwa. Vielleicht auch noch mehr. Es waren wirklich viele Male. » (...). Diese Aussagen wirken konstruiert und der
Beschwerdeführer scheint bemüht, die Anzahl der Festnahmen zu dramatisieren. Er macht auch keine konkreten Ausführungen zu seiner Behandlung während der Festnahmen, sondern wiederholt lediglich, er sei bei jeder Festnahme gefoltert und verprügelt worden. Die Aussagen der Beschwerdeführerin, die angibt, vor dem Verschwinden ihres Sohnes etwa sieben, acht Mal festgenommen worden zu sein, sind ebenfalls unbestimmt und substanzlos. Zudem macht sie - wie das BFM zu Recht ausführt - widersprüchliche Aussagen dazu, ob sie immer in das gleiche oder in verschiedene Gefängnisse geführt worden sei.

Überdies vermochten die Beschwerdeführenden die Festnahmen in keiner Art und Weise in andere Vorkommnisse, Handlungen und Lebensumstände einzubetten, und ihre Aussagen enthalten keinerlei Realkennzeichen im Sinne von Details, persönlichen Bemerkungen oder Emotionen. Die Ausführungen machen nie den Eindruck, als würden die Beschwerdeführenden von selber erlebten Ereignissen erzählen. Auch wenn dies zu einem gewissen Grad auf die Art der Fragestellung in den Anhörungen zurückzuführen sein mag, wäre doch zu erwarten gewesen, dass die Beschwerdeführenden zu den Umständen der Verhaftungen und ihrer persönlichen Situation einige Details nennen würden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Insbesondere fällt auf, dass die Beschwerdeführenden zwar vorbringen, sie seien in dieser Zeit vor allem aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Yezidentum verfolgt worden, sie jedoch in keiner Art und Weise konkretisieren, was anlässlich der Verhaftungen in Bezug auf ihre Religion beziehungsweise ihre Religionsausübung von ihnen erwartet worden war und inwiefern sie insbesondere in ihrem Heimatdorf von der muslimischen Bevölkerung diskriminiert worden seien. Die kurzen Ausführungen der Beschwerdeführerin in ihrer Anhörung (...) vermögen ebenso wenig eine
Verfolgung von asylrelevanter Intensität glaubhaft zu machen wie die Aussagen der älteren Tochter (...).

Schliesslich haben die Beschwerdeführenden keinerlei Beweise für ihre zahlreichen Festnahmen eingereicht, obwohl sie in der Beschwerdeschrift davon sprechen, es habe sich lediglich « mehrheitlich » um nicht registrierte Festnahmen gehandelt (...). Die pauschale Behauptung, « solche Verfolgungsmassnahmen würden ausserhalb aller rechtlichen Bestimmungen, möglichst heimlich und an unbekannten Orten und mit Sicherheit auch ohne Festnahmeprotokolle stattfinden » (...), entspricht nicht der dem Gericht bekannten üblichen Vorgehensweise der türkischen Polizei und vermag auch nicht zu erklären, wieso es ihnen nicht möglich gewesen sein sollte, bezüglich der registrierten Inhaftierungen Festnahmeprotokolle oder andere Dokumente zu beschaffen und einzureichen. Dies, zumal die Beschwerdeführenden im erstinstanzlichen Verfahren nie geltend gemacht hatten, sie seien an « versteckten, inoffiziellen Haftorten » festgehalten worden, sondern immer von normalen Polizeiposten sprachen.

Damit erscheinen die Aussagen des Beschwerdeführers und der Beschwerdeführerin bezüglich ihrer Festnahmen zwischen 1999 und 2006 als unglaubhaft. An dieser Feststellung ändern auch ihre Verweise auf diverse Menschenrechtsberichte nichts. Mit solchen Hinweisen auf Berichte und der lapidaren Aussage, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführenden Opfer von ähnlichen Übergriffen der Behörden geworden seien, kann die Flüchtlingseigenschaft nicht glaubhaft gemacht werden.

5.5.2.5 Schliesslich kann zwar die Verweigerung des Eintrags als Yezide und die Sichtbarmachung der Religionszugehörigkeit im Personenstandsregister - selbst wenn es dem Beschwerdeführer angesichts der ihm zweifellos bekannten Praxis der türkischen Behörden, die yezidische Religionszugehörigkeit nie einzutragen, nur um ein Beweisstück im Hinblick auf ein Asylverfahren in der Schweiz (oder anderswo) gegangen sein sollte - als Verletzung der Religionsfreiheit nach Art. 9
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 9 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.
EMRK angesehen werden. Eine derartige EMRK-Verletzung stellt jedoch keine Verfolgung von asylrelevanter Intensität dar; insbesondere können die Beschwerdeführenden daraus keine ernsthaften Nachteile im Sinne eines unerträglichen psychischen Druckes nach Art. 3 Abs. 2
SR 142.31 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)
AsylG Art. 3 Flüchtlingsbegriff - 1 Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
1    Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.
2    Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen.
3    Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Vorbehalten bleibt die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 19514 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Flüchtlingskonvention).5
4    Keine Flüchtlinge sind Personen, die Gründe geltend machen, die wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise entstanden sind und die weder Ausdruck noch Fortsetzung einer bereits im Heimat- oder Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Vorbehalten bleibt die Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951.6
AsylG glaubhaft machen.

5.5.2.6 Es ist damit insgesamt festzustellen, dass die Beschwerdeführenden bezüglich der Phase von 1999 bis Ende 2006 keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können.

5.5.3

5.5.3.1 Bezüglich der zweiten Phase des Aufenthalts der Beschwerdeführenden in der Türkei machen sie geltend, Anfang Januar 2007 sei ihr damals 16-jähriger Sohn G. verschwunden. Er sei ein paar Tage der Schule ferngeblieben, und seither hätten sie ihn nicht mehr gesehen. Ein paar Tage danach seien sie von der Polizei zu seinem Verschwinden befragt worden, da die Polizei vermutet habe, er sei zur PKK in die Berge gegangen. Etwa zwei Wochen später seien sie verhaftet worden. Der Beschwerdeführer sei während zehn bis fünfzehn Tagen festgehalten, befragt und geschlagen worden. Die Beschwerdeführerin sei während zweier Tage festgehalten, befragt und ebenfalls geschlagen worden. Zudem sei sie sexuell belästigt und vergewaltigt worden.

Das BFM bezeichnete in der angefochtenen Verfügung die diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführenden als widersprüchlich, ungereimt und lebensfremd. Die Vorbringen seien deshalb unglaubhaft.

Die Beschwerdeführenden setzen sich in der Beschwerdeschrift in keiner Weise konkret mit den Erwägungen des BFM zur Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen für die Zeit ab dem Jahr 2007 auseinander und machen keine weiterführenden Ausführungen zur Glaubhaftigkeit ihrer Vorbringen. Sie stellen lediglich in pauschaler Weise fest, « im Gesamtkontext betrachtet » erwiesen sich die vom BFM genannten Widersprüche als « konstruiert »; mehr könne erst ausgeführt werden, wenn die geforderte Akteneinsicht gewährt worden sei (...). In ihrer Eingabe vom 13. Januar 2012 - nach Gewährung der Akteneinsicht - äussern sie sich jedoch ebenfalls nicht zur Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen.

5.5.3.2 Die Vorbringen der Beschwerdeführenden bezüglich des Verschwindens des Sohnes G. Anfang 2007 und der darauffolgenden Festnahmen, Befragungen und Misshandlungen erscheinen insgesamt als konstruiert und damit unglaubhaft.

Zu den Umständen des Verschwindens ihres Sohnes G. bleiben diverse Fragen offen. Insbesondere können sie nicht plausibel erklären, wieso G. plötzlich seine Familie verlassen haben und seither verschwunden geblieben sein soll. Ihre diesbezüglichen Aussagen sind vage und teilweise widersprüchlich. Der Beschwerdeführer gibt an, er habe keine Ahnung, wieso sein Sohn verschwunden sei und wo er jetzt sei. Er vermute, dass er « die ganze Situation » und den Druck, unter dem sie standen, nicht mehr ausgehalten habe und deshalb gegangen sei (...). Später sagt er dann aus, sein Sohn habe ein paar Tage vor seinem Verschwinden politische Zeitungen gelesen (...). Gleichzeitig sagt er jedoch aus, dass G. vorher nicht politisch aktiv gewesen sei (...). Die Beschwerdeführerin gibt dazu im Widerspruch an, G. sei « eigentlich sehr für die kurdische Sache » gewesen und habe « auf Seiten der PKK » gestanden (...); sie beide (die Beschwerdeführenden) hätten vermutet, er sei in die Berge gegangen, um für die kurdische Sache zu kämpfen (...). Auch diese Aussage wird jedoch weder konkretisiert noch begründet. Auch wenn nicht erwartet werden kann, dass die Beschwerdeführenden im Detail über die Interessen und Handlungen ihres 16-jährigen Sohnes Bescheid
wissen, wäre doch zu erwarten, dass sie immerhin gewisse plausible und substanziierte Aussagen dazu machen könnten, wieso dieser plötzlich ohne Vorankündigung und ohne spätere Nachricht - verschwunden sei. Diese Aussagen der Beschwerdeführenden vermögen deshalb das Verschwinden ihres Sohnes im Januar 2007 nicht glaubhaft zu machen.

Unsubstanziiert und widersprüchlich äussern sich die Beschwerdeführenden auch bezüglich ihrer Reaktion auf das angebliche Verschwinden ihres Sohnes. Erstens machen sie widersprüchliche Aussagen dazu, ob sie von der Schule darüber informiert wurden, dass ihr Sohn seit zwei, drei Tagen nicht mehr in der Schule war, oder ob der Beschwerdeführer sich nach zwei, drei Tagen Abwesenheit des Sohnes von sich aus bei der Schule erkundigte. Zudem erklären sie, sie hätten nach ihrem Sohn gesucht, jedoch bleiben ihre Aussagen auch diesbezüglich äusserst vage. Insbesondere geben sie an, sie wüssten nicht, wie die beiden Freunde des Sohnes hiessen, die mit ihm zusammen verschwunden seien. Wie das BFM zu Recht feststellt, ist nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführenden nicht zumindest im Rahmen ihrer Suche nach dem Sohn versucht haben herauszufinden, wer diese Freunde waren. Diametral im Widerspruch zu allen diesen Aussagen steht schliesslich die Aussage des Beschwerdeführers in der Anhörung, er habe nach dem Verschwinden einmal mit seinem Sohn telefoniert und dieser habe ihm erzählt, er sei bei Freunden und mache Schularbeiten (...). Zu einem späteren Zeitpunkt der gleichen Anhörung streitet der Beschwerdeführer ab, dass er mit seinem
Sohn telefoniert habe (...).

Unklar bleibt schliesslich, woher die Polizei wusste, dass der Sohn verschwunden war, und wieso sie ihn verdächtigte, sich der PKK angeschlossen zu haben. Die Beschwerdeführenden geben an, G. habe vorher nie Probleme mit den Behörden gehabt (...). Auf Fragen, woher die Polizei von seinem Verschwinden gewusst habe, geben sie einerseits an, jemand habe die Polizei wohl über das Verschwinden ihres Sohnes informiert (...), was jedoch nicht zu erklären vermag, wieso die Polizei ihn verdächtigte, sich der PKK angeschlossen zu haben. Andererseits machen sie geltend, die Polizei habe sie wohl einfach deshalb verdächtigt, weil sie Kurden und Yeziden seien. Diese zwei gleichermassen substanzlosen Vorbringen überzeugen nicht, auch weil die Beschwerdeführenden keine regelmässigen behördlichen Schikanen glaubhaft machen konnten (siehe E. 5.5.2.4). Daran ändert nichts, dass sie in der Beschwerdeschrift vorbringen, ein Onkel und zwei Cousins von ihnen seien « wegen ihrer Nähe zur PKK » (...) ermordet worden. Im erstinstanzlichen Verfahren hatte die Beschwerdeführerin lediglich in der Befragung zur Person angegeben, zwei ihrer Cousins seien vom Staat ermordet worden (...), was sie aber in der Anhörung nicht erwähnte. Damit vermag dieses
Vorbringen nicht, zur Glaubhaftigkeit der Verfolgung der Beschwerdeführenden aufgrund einer von der Polizei vermuteten Nähe zur PKK beizutragen.

Die Aussagen der Beschwerdeführenden zu ihrer Festnahme und Befragung sowie zu den dabei erlittenen Misshandlungen bleiben durchgehend kurz, vage und ohne jegliche Substanz. Es entsteht nie der Eindruck, der Beschwerdeführer habe die geschilderten Ereignisse tatsächlich selber erlebt. Er nennt keine Details, sondern wiederholt stereotyp bereits gemachte Aussagen. Bezeichnenderweise vermag er nicht anzugeben, wo in F. sich das Gebäude befindet, in dem er zehn oder vierzehn Tage gefangen gehalten worden sei - obwohl er bei seiner Freilassung einfach auf die Strasse gestellt worden sei und einen Bus nach Hause genommen habe, weshalb er den Aufenthaltsort ziemlich genau wissen müsste (...).

Das Gleiche gilt, wenn auch in vermindertem Mass, für die Aussagen der Beschwerdeführerin. Auch sie bleibt bezüglich der angeblichen Verhaftung, der Befragungen und der Misshandlungen vage und auch ihre Aussagen weisen nur wenig Substanz auf. So können die angeblichen sexuellen Belästigungen während der Gefangenschaft respektive die angebliche Vergewaltigung der Beschwerdeführerin nicht geglaubt werden. Auch wenn verständlich ist, dass es ihr schwerfallen würde, über solche Ereignisse Auskunft zu geben, vermögen ihre äusserst vagen Ausführungen insgesamt nicht zu überzeugen. So ist es nicht nachvollziehbar, dass sie die angebliche Vergewaltigung in der Anhörung erst auf konkrete Nachfrage und zu einem Zeitpunkt vorbringt, an dem das Thema der sexuellen Belästigung bereits ausführlich behandelt und abgeschlossen wurde, obwohl sie die Vergewaltigung in der Befragung zur Person in der freien Erzählung ohne Weiteres erwähnte und damit nicht davon ausgegangen werden muss, sie habe sich nicht getraut, die Vergewaltigung zu erwähnen. Schliesslich macht die Beschwerdeführerin widersprüchliche Aussagen dazu, wann sie ihrem Ehemann von der Vergewaltigung erzählt habe. Einmal sagt sie aus, dies sei am Abend nach seiner Freilassung geschehen,
einmal, dies sei erst in Basel erfolgt. Demgegenüber nennt sie immerhin einige Details, wie zum Beispiel, dass die Befrager vermummt gewesen seien und dass bei den Befragungen ein Übersetzer anwesend gewesen sei. Diese wenigen, der Glaubhaftigkeit zuträglichen Elemente vermögen jedoch die zahlreichen Unglaubhaftigkeitselemente in den Aussagen der Beschwerdeführenden insgesamt nicht aufzuwiegen.

5.5.3.3 Schliesslich widersprechen sich die Beschwerdeführenden darin, wo die erste Befragung nach dem Verschwinden ihres Sohnes stattgefunden habe. Der Beschwerdeführer gibt an, die Polizisten seien zu ihnen nach Hause gekommen, und erwähnt nichts davon, dass sie bereits zu diesem Zeitpunkt auf einen Polizeiposten mitgenommen worden seien. Im Gegenteil sagt er: « Zehn Tage später hatten sie mich auf den Posten gebracht » (...). Gemäss der Beschwerdeführerin seien sie schon für die erste Befragung auf den Posten mitgenommen worden (...).

5.5.3.4 Der Anhörung der älteren Tochter (...) ist zu entnehmen, sie wisse, dass ihre Eltern immer wieder mitgenommen worden und nach drei oder vier Tagen zurückgekommen seien, dass der Vater an einem Newroz-Fest durch einen Messerstich verletzt worden sei und dass die Eltern nach dem Verschwinden des Bruders erneut festgenommen worden seien, wobei der Vater eine Woche lang festgehalten und gefoltert und die Mutter vergewaltigt worden sei. Aus der Anhörung ist nicht erkennbar, ob die ältere Tochter dieses Wissen aufgrund eigener Wahrnehmung und Erfahrung erworben oder von den Eltern gehört haben will. Aufgrund der oben aufgeführten Gründe für die Unglaubhaftigkeit der Vorbringen vermögen ihre Aussagen keine andere Wertung zu bewirken.

5.5.3.5 In einer Gesamtwürdigung aller Aussagen der Beschwerdeführenden überwiegen damit die Gründe, die gegen die Richtigkeit ihrer Sachverhaltsdarstellung bezüglich des Zeitraums von Anfang 2007 bis zu ihrer Ausreise sprechen. Es kann ihnen mithin nicht geglaubt werden, dass ihr Sohn beziehungsweise Bruder Anfang 2007 einfach so verschwand und dass sie selber von der Polizei befragt, festgenommen und misshandelt wurden, weil diese ihren Sohn verdächtigte, sich der PKK angeschlossen zu haben.

5.6 Den Beschwerdeführenden gelingt es damit zusammenfassend nicht, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Die Beschwerde ist im Asylpunkt abzuweisen.