Urteilskopf

95 I 26

5. Auszug aus dem Urteil vom 2. April 1969 i.S. Erben Bosshardt gegen Kantone Graubünden und St. Gallen.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 27

BGE 95 I 26 S. 27

Aus dem Tatbestand:

A.- Die Alpha-Appartement AG mit Sitz in Davos stellte für ihre Aktionäre Ferienwohnungen bereit. Gemäss Vertrag vom 8. März 1963 kaufte Rudolf Bosshardt sen., St. Gallen, von der Normabau AG in Hergiswil 23 Aktien der Alpha-Appartement AG zum Preise von Fr. 23'000.--. Gleichzeitig gewährte er der Normabau AG ein Darlehen von Fr. 91'500.--, um ihr die Restfinanzierung gegenüber der Alpha-Appartement AG zu ermöglichen; an die Stelle dieser Forderung trat später eine direkte Forderung von Rudolf Bosshardt sen. gegen die Alpha-Appartement AG. Auf Grund des erwähnten Vertrages erhielt Rudolf Bosshardt das Recht, im Haus VIII/4 (Block B) in Davos eine 2 1/2- Zimmer-Wohnung mit Garage zu beziehen. § 20 des Vertrages sieht vor, bei Einführung des Stockwerk eigentums sei der Vertrag sinngemäss den neuen gesetzlichen Bestimmungen anzupassen. Am 11. März 1967 fand eine ausserordentliche Generalver sammlung der Alpha-Appartement AG statt, an der Rudolf Bosshardt sen. nicht teilnahm. Als Traktanden waren angekündigt: "1. Protokoll der 5. ordentlichen Generalversammlung vom 17. September 1966. 2. Genehmigung des Steuermodus bis 31. Dezember 1966 betr. Alpha Appartement AG und Verteilung der anfallenden Steuerlasten gemäss Antrag der Kontrollstelle. 3. Einführung des Stockwerkeigentums per 1. Januar 1967.
a) Reglementsentwurf für die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer des Alpha Hauses in Davos-Platz, Grundstück Nr. 4899, GB Davos, mit Nachträgen vom 21. und 28. Feb. 1967. b) Genehmigung Planunterlagen.
4. Diverses und Umfrage".
Zu Traktandum 2 enthält das Protokoll folgende Ausführungen: "Genehmigung des Steuermodus bis 31. Dezember 1966 betr. Alpha Appartement AG und Verteilung der anfallenden Steuerlasten gemäss Antrag der Kontrollstelle: Mit eingeschriebenem Brief vom 8. Dezember 1966 ist den Aktionären ein Exposé der Curia Treuhand AG, Chur, über die Besteuerung
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der Alpha Appartement AG bis 31. Dezember 1966 bzw. eine Aufstellung mit der Zulastung des Steueraufwandes auf die einzelnen Aktionäre zugestellt worden. Der Präsident erläutert die getroffene Regelung, die für den einzelnen Aktionär als günstig bezeichnet werden darf. Obwohl der Entscheid in die Kompetenz des Verwaltungsrates fallen würde, überlässt er ihn den Aktionären. Schwierigkeiten ergaben sich bei einzelnen Schweizer Aktionären infolge Doppelbesteuerung. Im Auftrag des Verwaltungsrates hat die Curia Treuhand AG bei den ausserkantonalen Steuerverwaltungen u.W. erfolgreich interveniert. Ab 1. Januar 1967 werden die Aktionäre bzw. Stockwerkeigentümer einzeln besteuert. Die Kontrollstelle wird im Sinne einer allgemeinen Richtlinie bei den Steuerbehörden für eine einheitliche Bewertung der Steuerwerte eintreten. Die zur Diskussion gestellte Steuerregelung bis 31. 12.1966 wird abschliessend einstimmig genehmigt". An der Generalversammlung wurden im weiteren eine "Erklärung auf Begründung von Stockwerkeigentum" und ein "Reglement für die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer" durchberaten. Über das weitere Vorgehen erklärte der Präsident des Verwaltungsrates was folgt: "Der Verwaltungsrat wird beim Grundbuchamt Davos die notwendigen Eintragungen anmelden. Sobald diese vom Grundbuchamt vollzogen sind, wird allen Aktionären offeriert, ihre Stockwerkeinheiten zu beziehen. Die Aktien und die Aktionär-Darlehen werden daraufhin abgeschrieben. Der Verwaltungsrat wird, sobald eine Mehrzahl der Aktionäre Stockwerkeigentum bezogen hat, zurücktreten; gleichzeitig schlägt er der Versammlung der Stockwerkeigentümer den zu wählenden Verwalter vor". In der Folge wurde Rudolf Bosshardt eine Eigentumswohnung offeriert. Ein Vertrag kamjedoch nicht mehr zustande, da Rudolf Bosshardt sen. am 18. Oktober 1967 starb. Mit Erbteilungsvereinbarung vom 18. November 1967 traten die Erben von Rudolf Bosshardt sen. die 23 Namensaktien und das Darlehensguthaben von Fr. 91'500.-- gegenüber der Alpha-Appartement AG an Rudolf Bosshardt jun., Birmensdorf, ab. Am 7. Dezember 1967 erfolgte die Übertragung von 23/1000 Miteigentumsanteil an Parzelle 4899 zu Stockwerkeigentum an Rudolf Bosshardt jun.
B.- Am 10. Januar 1968 stellte die Steuerverwaltung des Kantons St. Gallen, dem Ort des letztenWohnsitzes von Rudolf Bosshardt sen., der Erbengemeinschaft des Verstorbenen die "Erbschafts- und Vermächtnissteuer"-Rechnung zu. Im entsprechenden
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Vermögensstatus waren auch die 23 Alpha-Aktien und das Darlehen von Fr. 91'500.-- enthalten. Die Steuerrechnung wurde Ende Januar 1968 bezahlt. Mit Schreiben vom 1. Februar 1968 forderte die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden die Erben Bosshardt auf, eine Steuerklärung einzureichen. Sie nimmt an, die Erben seien für die Wohnung des Erblassers im Appartementhaus "Alpha", Davos, erbschaftssteuerpflichtig. Nachdem die Erbengemeinschaft es abgelehnt hatte, eine Steuererklärung einzureichen, bestätigte die bündnerische Steuerbehörde ihre Ansicht mit einer Verfügung vom 18. April 1968.
C.- Auf Doppelbesteuerungsbeschwerde der Erben Bosshardt hin hebt das Bundesgericht die Verfügung der Bündner Steuerverwaltung auf.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Nach ständiger Rechtsprechung sind Erbschaftssteuern vom beweglichen Vermögen im Kanton des letzten Wohnsitzes des Erblassers, diejenige von Liegenschaften im Kanton der gelegenen Sache zu erheben (BGE 73 I 17/8 Erw. 4 mit Hinweisen, LOCHER, das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht, § 7 II Nr. 5). Der Kanton Graubünden darf den auf die Beteiligung an der Alpha-Appartement AG entfallenden Teil des Nachlasses somit nur besteuern, wenn Rudolf Bosshardt sen. im Zeitpunkt seines Todes auf Grund jener Beteiligung dingliche Rechte am Alpha-Haus zustanden. Es ist unbestritten, dass der Erblasser noch kein Stockwerkeigentum erworben hatte, also auch auf die Erben nur das Eigentum an den Aktien und das Forderungsrecht aus dem Darlehen, nicht aber Grundeigentum überging. Trotzdem glaubt der Kanton Graubünden, im vorliegenden Fall die entsprechenden Vermögenswerte mit einer Nachlasssteuer belegen zu dürfen. Er macht einmal geltend, wirtschaftlich habe zur Zeit des Todes Bosshardt's bereits Stockwerkeigentum bestanden. Die Aktionäre hätten an der Generalversammlung vom 11. März 1967 beschlossen, sich ab 1. Januar 1967 als Stockwerkeigentümer besteuern zu lassen. Dieser Beschluss binde auch die damals nicht anwesenden Aktionäre. Rudolf Bosshardt sen. sei zwar nicht gezwungen gewesen, einen Miteigentumsanteil zu übernehmen. Andernfalls wäre ihm bzw. seinen Erben aber nur die Möglichkeit geblieben, einen Liquidationserlös in Empfang
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zu nehmen. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise sei der zivilrechtlichen unter diesen Umständen vorzuziehen. In seiner zweiten Vernehmlassung legt der Kanton Graubünden das Gewicht dann weit mehr auf die grundsätzliche Frage, ob der Liegenschaftskanton bei sog. Mieter-Aktiengesellschaften auch Aktien und deren Erträgnisse besteuern dürfe. Wenn man bei derartigen Gesellschaften dem Liegenschaftskanton den "Durchgriff" auf die einzelnen Aktionäre gestatte, könne der betreffende Kanton erheblich höhere Einnahmen erzielen; dies sei gerade für "Ferien-Kantone" von grösster Bedeutung. Je nach dem Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites stehe im Kanton Graubünden ein Betrag von jährlich Fr. 200'000.-- kantonaler Steuern und solcher der Gemeinden Davos, St. Moritz, Arosa und Flims auf dem Spiele. Eine Immobilien-Aktiengesellschaft mit Sitz am Standort der Liegenschaft ist im Liegenschaftskanton steuerpflichtig; die einzelnen Aktien und ihre Erträgnisse hingegen sind von den Aktionären in deren Wohnortskanton zu versteuern. An diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung bisher stets festgehalten. Sie liess höchstens insofern eine gewisse Einschränkung zu, als Liegenschaftsgewinne, die durch den Verkauf sämtlicher Aktien einer Immobilien-Aktiengesellschaft entstehen, dem Liegenschaftskanton zur Besteuerung zugewiesen wurden (BGE 85 I 96 Erw. 2 und 3, BGE 91 I 470 ff.). Hier geht es jedoch nicht um die Besteuerung eines Liegenschaftsgewinnes. Vielmehr frägt es sich, ob bei sog. Mieter-Aktiengesellschaften - die u.a. aus steuerrechtlichen Gründen zum Teil nach Einführung des Stockwerkeigentums weiter bestehen bleiben - auf die selbständige Besteuerung der Immobilien-Aktiengesellschaft verzichtet werden soll. Nur wenn diese Frage verneintwird, ist ferner zu prüfen, ob im vorliegenden Fall angesichts des schon weit fortgeschrittenen Stadiums der Umwandlung des Grundeigentums der Aktiengesellschaft in Miteigentum der Aktionäre ein Steuerdomizil der Beschwerdeführer im Kanton Graubünden zu bejahen ist.
3. Das Bundesgericht hat auch bei der Einmann-Immobilien-Aktiengesellschaft bisher an der selbständigen Besteuerung der Gesellschaft festgehalten (vgl. die oben zitierten Entscheide). Der gleiche Grundsatz muss bei Mieter-Aktiengesellschaften gelten, haben doch Mieter-Aktionäre jedenfalls keine stärkere Stellung als der Alleinaktionär einer Immobilien-Aktiengesellschaft. Die Auffassung des Kantons Graubünden
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hätte zur Folge, dass das gesamte Steuerstatut der Immobilien-Aktiengesellschaft hinsichtlich der interkantonalen Steuerausscheidung zu ändern wäre. Dies wäre wohl eine der weittragendsten Änderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtes auf dem Gebiet von Art. 46 Abs. 2
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999
Cst. Art. 46 Mise en oeuvre du droit fédéral - 1 Les cantons mettent en oeuvre le droit fédéral conformément à la Constitution et à la loi.
1    Les cantons mettent en oeuvre le droit fédéral conformément à la Constitution et à la loi.
2    La Confédération et les cantons peuvent convenir d'objectifs que les cantons réalisent lors de la mise en oeuvre du droit fédéral; à cette fin, ils mettent en place des programmes soutenus financièrement par la Confédération.10
3    La Confédération laisse aux cantons une marge de manoeuvre aussi large que possible en tenant compte de leurs particularités.11
BV; denn die Zahl der Einmann-Immobilien-Aktiengesellschaften ist sehr gross. Liesse die Rechtsprechung bei den Einmann-Immobilien-Aktiengesellschaften den Durchgriff auf die Aktionäre zu, indem sie ein sekundäres Steuerdomizil des Liegenschaftskantons zur Besteuerung der Aktien einer solchen Aktiengesellschaft anerkennte, so stellte sich zudem sogleich die Frage, wie es sich mit Aktiengesellschaften verhält, die nicht im ausschliesslichen Eigentum eines Aktionäres stehen. Für die von Graubünden gewünschte Änderung der Rechtsprechung müssten demnach ganz schwerwiegende Gründe ins Feld geführt werden können; die Nachteile der geltenden Praxis für alle Kantone müssten offensichtlich sein. Solche Nachteile vermag jedoch der Kanton Graubünden nicht aufzuzeigen. Er bringt zur Hauptsache vor, es wäre für ihn als "Ferien-Kanton" günstiger, wenn bei den Mieter-Aktiengesellschaften auf die Aktionäre "durchgegriffen" werden könnte. Das ist jedoch eine einseitig fiskalpolitische Überlegung. Die heute in der grossen Mehrheit der Kantone geltende Ordnung, wonach bei Einmann-Immobilien-Gesellschaften und bei Mieter-Aktiengesellschaften dem Liegenschaftskanton stets die Aktiengesellschaft, dem Wohnsitzkanton der Aktionäre die Aktien zur Besteuerung zugewiesen werden (Fälle der offensichtlichen Steuerumgehung vorbehalten), hat den grossen Vorteil der Systemgerechtigkeit und damit der Schaffung klarer Verhältnisse. Die Steuereinnahmen von Wohnsitzkanton und Liegenschaftskanton zusammen sind dabei jedenfalls nicht geringer, wie wenn unter sonst gleichen Umständen die Aktiengesellschaft nicht mehr besteuert würde und der Liegenschaftskanton ausschliesslich den Aktionär für die Liegenschaft und deren Ertrag besteuern könnte. Wer das Nutzungsrecht an einem Haus oder an einer Wohnung über eine Immobilien-Aktiengesellschaft ausübt, muss sich als Steuerpflichtiger mit der Doppelbelastung AG - Aktionär abfinden; somit haben auch die beteiligten Kantone eine entsprechende Aufteilung der Steuereinnahmen hinzunehmen und zwar selbst dann, wenn diese Aufteilung für sie in irgendeiner Beziehung Nachteile mit sich bringen sollte.

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Es trifft zu, dass der Nutzniesser an unbeweglichem Vermögen das Nutzniessungsrecht im Liegenschaftskanton zu versteuern hat (BGE 8, 22; 12, 252; LOCHER, a.a.O. § 7 I C Nr. 1). Im Gegensatz zum Mieter-Aktionär besitzt indessen der Nutzniesser ein dingliches Recht an der Liegenschaft. Den grundsätzlichen Überlegungen des Kantons Graubünden hinsichtlich der Besteuerung der Mieter-Aktionäre kann aus diesen Gründen nicht gefolgt werden.
4. Es besteht aber auch kein Anlass, im vorliegenden Falle mit Rücksicht auf die vorgesehene Auflösung der Mieter-Aktiengesellschaft (Umwandlung ihres Grundeigentums in Stockwerkeigentum) die wirtschaftliche Betrachtungsweise der zivilrechtlichen vorzuziehen. Entscheidend ist hiefür, dass zur Zeit des Todes von Rudolf Bosshardt sen. die Alpha-Appartement AG noch bestand, die Beschwerdeführer somit Eigentum an den Aktien und nicht Grundeigentum erwarben. Die Steuerhoheit des Liegenschaftskantons über den Käufer einer Liegenschaft beginnt nach bisheriger Rechtsprechung mit dem Erwerb des Eigentums (Urteil vom 9. Oktober 1963 i.S. Zürcher gegen Kanton Zug, wiedergegeben im ASA Bd. 33, S. 61). Ob unter dem "Erwerb" des Eigentums der Übergang von Nutzen und Gefahr oder derjenige des Eigentums im Grundbuch zu verstehen ist, kann hier offen bleiben. Weder das eine noch das andere war nämlich im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bereits der Fall. Im Lichte der genannten Praxis begründet der blosse Beschluss einer Immobilien-Aktiengesellschaft, ihr Grundeigentum in das Miteigentum der Aktionäre übergehen zu lassen, jedenfalls noch kein sekundäres Steuerdomizil der Aktionäre. Das Grundeigentum der Alpha-Appartement AG wurde unbestrittenermassen in der üblichen Weise in Stockwerkeigentum umgewandelt. Von einer Steuerumgehung kann deshalb nicht gesprochen werden. Steht aber keine Steuerumgehung in Frage, so hält sich die Rechtsprechung in Doppelbesteuerungsfällen grundsätzlich an die zivilrechtliche Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse und weicht davon in der Regel nicht ab. Dass an der ausserordentlichen Generalversammlung vom 11. März 1967 eine Besteuerung der Aktionäre als Miteigentümer der Liegenschaft ab 1. Januar 1967 in Aussicht genommen wurde, ist belanglos. Ein Beschluss war nämlich, wie sich aus dem Protokoll ergibt, nur hinsichtlich der Steuerregelung "bis 31. Dezember 1966" gefasst worden.