Urteilskopf

94 IV 1

1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. März 1968 i.S. Flachsmann gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
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Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 1

BGE 94 IV 1 S. 1

A.- Das Bezirksgericht Baden verurteilte Flachsmann am 18. Januar 1967 zu sechs Wochen Gefängnis, weil er am 28. Juni 1965 anlässlich einer rogatorischen Einvernahme vor dem Gerichtspräsidium Baden als Zeuge falsch ausgesagt habe. Im Frühjahr 1967 erfuhr sein Anwalt, dass Flachsmann am 28. Juni 1965 nicht durch den Gerichtspräsidenten, sondern durch den Gerichtsschreiber einvernommen worden war. Der Verurteilte ersuchte daraufhin um Wiederaufnahme des Strafverfahrens.
BGE 94 IV 1 S. 2

B.- Das Obergericht des Kantons Aargau wies das Gesuch am 12. Januar 1968 mit der Begründung ab, das Bezirksgericht Baden habe zwar gewusst, dass der Zeuge durch den Gerichtsschreiber einvernommen worden sei, dagegen habe es übersehen, dass eine solche Einvernahme nach dem kantonalen Prozessrecht ungültig sei; insofern liege eine neue Tatsache vor, die aber nicht zur Freisprechung des Gesuchstellers führen könne. Flachsmann sei bei seiner Einvernahme durch den Gerichtsschreiber keineswegs der Meinung gewesen, er stehe vor einer unzuständigen Amtsperson; subjektiv habe er vielmehr gehandelt wie jemand, der vor dem zuständigen Richter absichtlich falsch aussage, weshalb er auf jeden Fall wegen untauglichen Versuchs zu falschem Zeugnis zu bestrafen sei.
C.- Flachsmann führt gegen das Urteil des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, ihm die Wiederaufnahme des Verfahrens zu bewilligen.
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:
Nach Art. 307 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 307 - 1 Wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge, Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher zur Sache falsch aussagt, einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt oder falsch übersetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge, Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher zur Sache falsch aussagt, einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt oder falsch übersetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    ...417
3    Bezieht sich die falsche Äusserung auf Tatsachen, die für die richterliche Entscheidung unerheblich sind, so ist die Strafe Geldstrafe.418
StGB wird bestraft, wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge zur Sache falsch aussagt. Welche Amtspersonen im kantonalen Verfahren Zeugen einvernehmen dürfen und wer als Zeuge abgehört werden darf, bestimmt das kantonale Recht. Nach diesem beurteilt sich auch, welche Formen bei der Einvernahme eines Zeugen zu beachten sind und ob Zeugenaussagen, die unter Verletzung von Form- oder Zuständigkeitsvorschriften zustande kommen, als ungültig zu gelten haben. Ergibt sich, dass das kantonale Recht deswegen eine Aussage als ungültig erklärt, so liegt objektiv überhaupt kein Zeugnis, folglich auch keine strafbare Handlung im Sinne von Art. 307
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 307 - 1 Wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge, Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher zur Sache falsch aussagt, einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt oder falsch übersetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge, Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher zur Sache falsch aussagt, einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt oder falsch übersetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    ...417
3    Bezieht sich die falsche Äusserung auf Tatsachen, die für die richterliche Entscheidung unerheblich sind, so ist die Strafe Geldstrafe.418
StGB vor, wenn ein Zeuge falsch aussagt (vgl. BGE 69 IV 222, BGE 71 IV 43). Fragen kann sich nur, ob diesfalls wenigstens ein untauglicher Versuch zu einem falschen Zeugnis anzunehmen sei. Diese Frage wurde in den angeführten Entscheiden weder erörtert noch aufgeworfen. Sie wurde auch in den Urteilen BGE 80 IV 122 und BGE 85 IV 30, die andere Sachverhalte betrafen, nicht berührt; dort hatte der Kassationshof lediglich zu entscheiden, ob der Zeuge, der seine falsche Aussage vor Beendigung der

BGE 94 IV 1 S. 3

Einvernahme zurücknimmt oder berichtigt, wegen Versuchs zu falschem Zeugnis zu bestrafen, Art. 21
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 21 - Wer bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält, handelt nicht schuldhaft. War der Irrtum vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe.
StGB also anwendbar sei. Hier aber geht es um die Anwendung von Art. 23 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB. a) Nach dieser Bestimmung ist der Versuch untauglich, welcher an einem Gegenstand oder mit einem Mittel ausgeführt wird, an oder mit dem die Tat überhaupt nicht ausgeführt werden könnte. Damit sind Handlungen mit Mitteln oder an Objekten, die sich bloss unter den besonderen Umständen des Einzelfalles, nicht aber zum vorneherein als untauglich erweisen, von der Regel des Art. 23
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB ausgeschlossen; sie sind als gewöhnliche Versuchshandlungen nach Art. 21
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 21 - Wer bei Begehung der Tat nicht weiss und nicht wissen kann, dass er sich rechtswidrig verhält, handelt nicht schuldhaft. War der Irrtum vermeidbar, so mildert das Gericht die Strafe.
oder 22 StGB zu beurteilen (BGE 78 IV 147, BGE 80 IV 179). Von der Regel des Art. 23 auszunehmen sind ferner Handlungen, die den angestrebten Erfolg nicht wegen der Untauglichkeit des Tatmittels oder des Tatobjektes, sondern aus einem andern Grunde nicht herbeiführen können (BGE 70 IV 77 Erw. 1); sie sind strafrechtlich unerheblich und deshalb von den Versuchsvorschriften überhaupt ausgeschlossen. Das gilt insbesondere von der Begehung einer Tat durch ein untaugliches Subjekt. Wer z.B. als Zeuge falsch aussagt, nicht aber als solcher abgehört werden darf, kann nicht wegen untauglichen Versuchs bestraft werden, sondern bleibt straffrei. Die Begriffe des Tatmittels und Tatobjektes, die auf ältere Strafrechtslehren zurückgehen, sind weit auszulegen. Was darunter im Einzelfall zu verstehen ist, hängt von der versuchten Straftat und dem gesamten Vorgehen des Täters gegen das geschützte Rechtsgut ab. Fehlt das Angriffsobjekt, so ist Versuch an einem untauglichen Gegenstand anzunehmen (BGE 74 IV 66 Erw. 1). Zu beachten ist zudem, dass der untaugliche Versuch seiner subjektiven Merkmale wegen von Bedeutung ist. Der Täter wird bestraft, weil seine Tätigkeit nach seiner Vorstellung und nach seinem durch äusseres Verhalten deutlich bekundeten Willen einen verbrecherischen Erfolg haben soll, aus ihm unbekannten Gründen dazu aber nicht taugt (BGE 71 IV 211). Ob sein Irrtum sich auf die Beschaffenheit des Tatmittels, auf die tatsächliche oder rechtliche Tauglichkeit des Tatobjektes oder auf den Kausalzusammenhang bezieht, ist gleichgültig (vgl. insbes. GERMANN, Das Verbrechen im neuen Strafrecht, S. 19 und 66 ff.; SCHULTZ, Die versuchte strafbare Handlung, S. 23).
BGE 94 IV 1 S. 4

b) Die falsche Zeugenaussage des Beschwerdeführers war für das Bezirksgericht Untertoggenburg bestimmt, das sich mit der Scheidungsklage der Frau X. zu befassen hatte. Als Angriffsobjekt im Sinne von Art. 23 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 23 - 1 Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
1    Führt der Täter aus eigenem Antrieb die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder trägt er dazu bei, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht die Strafe mildern oder von einer Bestrafung absehen.
2    Sind an einer Tat mehrere Täter oder Teilnehmer beteiligt, so kann das Gericht die Strafe dessen mildern oder von der Bestrafung dessen absehen, der aus eigenem Antrieb dazu beiträgt, die Vollendung der Tat zu verhindern.
3    Das Gericht kann die Strafe auch mildern oder von der Bestrafung absehen, wenn der Rücktritt des Täters oder des Teilnehmers die Vollendung der Tat verhindert hätte, diese aber aus anderen Gründen ausbleibt.
4    Bemüht sich einer von mehreren Tätern oder Teilnehmern aus eigenem Antrieb ernsthaft, die Vollendung der Tat zu verhindern, so kann das Gericht seine Strafe mildern oder von seiner Bestrafung absehen, wenn die Tat unabhängig von seinem Tatbeitrag begangen wird.
StGB kommt daher vor allem dieses Gericht in Frage, dessen Urteil der Beschwerdeführer zugunsten der Klägerin beeinflussen wollte. Dass das falsche Zeugnis mit der Beendigung der Aussage vollendet ist (BGE 69 IV 216, BGE 80 IV 123), seine Strafbarkeit folglich nicht davon abhängt, ob es den Ausgang des Prozesses irgendwie beeinflusse oder dem Sachrichter überhaupt bekannt wird, steht dem nicht entgegen. Mit Tatobjekt und Tatmittel sind stets bloss Voraussetzungen, nicht Folgen der Tat gemeint. Ob das Gesetz den verpönten Erfolg ausdrücklich als Tatbestandsmerkmal aufführt oder nicht, es sich um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt oder um ein eigentliches Erfolgsdelikt handelt, ist daher für die Frage nach dem Tatobjekt nicht entscheidend. Als Objekt der Handlung kommt in Fällen, wie hier, aber auch die Amtsperson in Betracht, welche einen Zeugen auf ein Rechtshilfegesuch hin abzuhören hat. Ein pflichtbewusster Richter begnügt sich diesfalls nicht damit, dem Zeugen die im Gesuch enthaltenen Fragen zu stellen und die Antworten im Protokoll festzuhalten. Er gibt sich über die Glaubwürdigkeit des Zeugen vielmehr persönlich Rechenschaft, würdigt die Aussagen vorläufig und berücksichtigt den dabei gewonnenen Eindruck bei weiteren Fragen. Die Tätigkeit des Zeugen, der wie der Beschwerdeführer falsch aussagt, um eine Prozesspartei zu begünstigen, richtet sich daher nicht nur gegen den Sachrichter, sondern auch gegen den Einvernehmenden. Bei einem Gericht, das aus mehreren Richtern besteht, die Einvernahme von Zeugen aber einem davon überlässt, verhält es sich übrigens nicht anders. Im einen wie im andern Falle täuscht der Zeuge mit falschen Aussagen notwendigerweise auch die Person, die ihn abhört. Es besteht kein sachlicher Grund, solche Fälle unter schuldstrafrechtlichen Gesichtspunkten verschieden zu behandeln. c) Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beschwerdeführer absichtlich als Zeuge falsch ausgesagt. Laut seinen eigenen Angaben hatte er es zudem darauf abgesehen, das Bezirksgericht Untertoggenburg und damit auch das Bezirksgericht Baden, welches die Einvernahme durchzuführen hatte, über seine Beziehungen zu Frau X. zu täuschen. Seine Aussage
BGE 94 IV 1 S. 5

war ungültig, weil er durch eine Person abgehört wurde, die dazu nach dem in Frage stehenden Verfahrensrecht nicht befugt war. Er wusste das zur Zeit der Einvernahme nicht, sondern sagte aus, wie wenn er vor einem zuständigen Richter stände. Nach den vorstehenden Ausführungen bezog sich sein Irrtum somit bloss auf die rechtliche Tauglichkeit des unmittelbaren Objektes seiner Handlung. Trifft dies aber zu, so wirft ihm das Obergericht mit Recht vor, sich des untauglichen Versuches zu falschem Zeugnis schuldig gemacht zu haben.