Urteilskopf

83 IV 189

54. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 13. Dezember 1957 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Stettler.
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Erwägungen ab Seite 189

BGE 83 IV 189 S. 189

Ob Stettler den Tod Egloffs, den er nicht gewollt hat, als Folge der ihm zugefügten schweren Körperverletzungen gemäss Art. 122 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 122 - Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer vorsätzlich:
a  einen Menschen lebensgefährlich verletzt;
b  den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines Menschen verstümmelt oder ein wichtiges Organ oder Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt;
c  eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht.
StGB habe voraussehen können, ist nicht Tatfrage, sondern reine Rechtsfrage. Voraussehbar im Sinne dieser Bestimmung ist der Tod, wenn er fahrlässig herbeigeführt wird (BGE 69 IV 229, BGE 74 IV 84). Art. 18 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
StGB setzt nicht notwendig voraus, dass der Täter die Möglichkeit des Todes tatsächlich vorausgesehen habe; es genügt, dass er sie bei Anwendung der Vorsicht, zu der er nach den Umständen des Falles und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet war,
BGE 83 IV 189 S. 190

hätte voraussehen können. Die Frage des Voraussehenkönnens aber fällt nicht in den Bereich tatsächlicher Vorgänge, die feststellbar sind, sondern beurteilt sich nach allgemeinen Erfahrungssätzen. Sie unterliegt daher der freien Überprüfung durch den Kassationshof, der dabei, wie bei allen Rechtsfragen, von den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Behörde auszugehen hat. Trotzdem der Voraussehbarkeit des Todes im Wahrspruch der Geschworenen nur eine Frage gewidmet ist und deren Verneinung im angefochtenen Urteil nicht näher begründet wird, liegt darin kein Mangel im Sinne des Art. 277
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
BStP. Über die Umstände, unter denen der Angeklagte gehandelt hat, geben die übrigen Ausführungen des Schwurgerichtes genügenden Aufschluss, um prüfen zu können, ob es vom richtigen Begriff des Voraussehenkönnens ausgegangen ist. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist ein heftiger Schlag oder Stich, der mit einer Dreikantfeile oder einem ähnlichen harten, spitzen Instrument gegen einen empfindlichen Körperteil geführt wird, geeignet, eine tödliche Verletzung herbeizuführen. Umsomehr ist mit einem tödlichen Ausgang zu rechnen, wenn mit einem solch gefährlichen Instrument einem Menschen am Kopf und Rumpf mindestens 30 Stich- und Schnittwunden beigebracht werden. Wer zudem, wie es Stettler getan hat, dabei wahllos und mit derart brutaler Wucht zuschlägt und Stiche versetzt, dass selbst die Schädeldecke an mehreren Stellen durchstossen wird und im Gesicht, am Hals und Rumpf tiefe Wunden entstehen, muss die Möglichkeit des Todes als normale Folge der schweren Verletzungen voraussehen. Stettler war als 23 Jahre alter, durchschnittlich begabter Mann, der von Beruf Mechaniker war und Militärdienst geleistet hatte, auch imstande, die Möglichkeit, dass seine Hiebe und Stiche tödlich wirken könnten, vorauszusehen. Der Umstand, dass er in einen Kampf verwickelt und erregt war, hinderte ihn nicht, sich über die möglichen
BGE 83 IV 189 S. 191

Folgen seines Tuns Rechenschaft abzulegen. Ob dann, wenn angenommen werden müsste, Stettler sei in der Fähigkeit, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss seiner Einsicht zu handeln, wegen übermässiger Erregung beeinträchtigt gewesen (Art. 11
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden.
1    Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden.
2    Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund:
a  des Gesetzes;
b  eines Vertrages;
c  einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder
d  der Schaffung einer Gefahr.
3    Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte.
4    Das Gericht kann die Strafe mildern.
StGB), schon die Voraussehbarkeit zu verneinen gewesen wäre, kann dahingestellt bleiben. Die Vorinstanz hat keine dahingehende Feststellung getroffen, und das psychiatrische Gutachten der Heil- und Pflegeanstalt Rheinau kommt zum Schluss, das der Angeklagte zur Zeit der Tat voll zurechnungsfähig gewesen ist. Dass er die Vorsicht nicht beachtet hat, zu der er verpflichtet war, ist ihm daher als Fahrlässigkeit im Sinne des Nichtvoraussehens dessen, was voraussehbar war, anzurechnen. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Strafe in Anwendung von Art. 122 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 122 - Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer vorsätzlich:
a  einen Menschen lebensgefährlich verletzt;
b  den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines Menschen verstümmelt oder ein wichtiges Organ oder Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt;
c  eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht.
StGB wegen schwerer Körperverletzung mit voraussehbarer Todesfolge neu beurteile. Ob es dazu einer Abänderung des Wahrspruchs durch die Geschworenen bedarf oder ob der Gerichtshof auf Grund der nach Art. 277ter
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 122 - Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer vorsätzlich:
a  einen Menschen lebensgefährlich verletzt;
b  den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines Menschen verstümmelt oder ein wichtiges Organ oder Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt;
c  eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht.
BStP verbindlichen Weisung des Kassationshofes das neue Urteil von sich aus fällen kann, ist eine Frage des kantonalen Rechts.