Urteilskopf

83 I 240

32. Auszug aus dem Urteil vom 2. Oktober 1957 i.S. Sch. gegen Regierungsrat des Kantons Schwyz.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


BGE 83 I 240 S. 240

Der Beschwerdeführer, der gemäss Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
1    Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
2    Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen.
3    Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen.
ZGB bevormundet ist, wurde seit 1940 auf Grund der schwyzerischen Polizeiverordnung betreffend Unterbringung arbeitsfähiger
BGE 83 I 240 S. 241

Personen in Zwangsarbeitsanstalten vom 17. Mai 1892 wiederholt versorgt. Mit Beschluss vom 23. März 1953 wies ihn der Regierungsrat des Kantons Schwyz aufunbestimmte Zeit in die Anstalt Bellechasse ein. Am 25. Mai 1955 ordnete dieselbe Behörde die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers an, wobei sie ihm eröffnete, dass er wieder versorgt würde, sobald seine Lebensweise neuerdings zu berechtigten Klagen Anlass geben sollte. Mit Beschluss vom 8. Juni 1957 hob sie die bedingte Entlassung auf und verfügte die Einweisung des Beschwerdeführers in die Arbeitserziehungsanstalt Realta auf unbestimmte Zeit, mit der Begründung, er habe sich seit der Entlassung nicht bewährt. Gegen diesen Entscheid erhebt Sch. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV. Er wirft dem Regierungsrat unter anderm Gehörsverweigerung vor. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:
Der Bürger, der auf Grund der kantonalen Gesetzgebung oder des Vormundschaftsrechts (Art. 406
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 406 - 1 Der Beistand oder die Beiständin erfüllt die Aufgaben im Interesse der betroffenen Person, nimmt, soweit tunlich, auf deren Meinung Rücksicht und achtet deren Willen, das Leben entsprechend ihren Fähigkeiten nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.
1    Der Beistand oder die Beiständin erfüllt die Aufgaben im Interesse der betroffenen Person, nimmt, soweit tunlich, auf deren Meinung Rücksicht und achtet deren Willen, das Leben entsprechend ihren Fähigkeiten nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.
2    Der Beistand oder die Beiständin strebt danach, ein Vertrauensverhältnis mit der betroffenen Person aufzubauen und den Schwächezustand zu lindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten.
ZGB) in eine Zwangsarbeits- oder Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen werden soll, hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes gemäss Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV Anspruch auf rechtliches Gehör; er muss Gelegenheit erhalten, seine Einwendungen gegen die Gründe, aus denen die Versorgung erwogen wird, der Behörde vorzubringen, bevor diese die Massnahme anordnet (BGE 30 I 280,BGE 65 I 268,BGE 74 I 247/8; nicht veröffentlichte Urteile i.S. des Beschwerdeführers Sch. vom 25. Oktober 1940 und 4. Juni 1953). Dieser Grundsatz ist nicht nur bei erstmaliger Zwangsversorgung zu beachten, sondern auch dann, wenn jemand wegen ungehörigen Verhaltens nach bedingter Entlassung erneut in eine Arbeitsanstalt eingewiesen werden soll; denn hier trifft der Grund jener Praxis, ungerechtfertigten schweren Eingriffen in die Persönlichkeitssphäre des Bürgers vorzubeugen, ebenfalls zu, besonders wenn die Wiederversorgung, wie im vorliegenden Falle, für eine unbestimmte Dauer vorgesehen ist.

BGE 83 I 240 S. 242

Die Erwägungen, aus denen im Urteil Sch. vom 4. Juni 1953 die Rüge der Gehörsverweigerung verworfen wurde, sind hier nicht massgebend. Dort handelte es sich um eine Wiedereinweisung aus den gleichen Gründen, die schon zur früheren Internierung geführt hatten, um eine blosse Fortsetzung der vorher angeordneten, nur vorübergehend mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und auf den Anstaltsbetrieb unterbrochenen Versorgung, während es hier darum geht, ob der Beschwerdeführer durch seine Lebensweise seit der Entlassung, also aus neuen Gründen, Anlass zu abermaliger Zwangsversorgung gegeben habe. Dem Beschwerdeführer musste Gelegenheit geboten werden, sich im Verfahren vor der zuständigen Behörde, dem Regierungsrat, zu den neuen Vorwürfen zu äussern, bevor er wiederum in eine Anstalt eingewiesen wurde.