Urteilskopf

82 II 397

55. Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Mai 1956 i.S. Immobilien A.-G. gegen Ulrich.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 397

BGE 82 II 397 S. 397

A.- An die Westgrenze der dem Kläger Ulrich gehörenden Liegenschaft "Riedappel" (Grundbuchnummer 552) im Bezirk Küssnacht a.R. stossen auf eine Länge von 44 Metern die Liegenschaften Nr. 2926 und 2927 der Beklagten, Immobilien A.-G., Zug. Diese liess darauf im Frühjahr 1953 vier Achtfamilienhäuser errichten, wovon zwei (die Häuser Nr. 3 und 4) dem Grundstück des Klägers zugekehrt und zwar aneinander gebaut sind, aber keine gerade fortlaufende Fassadenflucht haben; vielmehr steht
BGE 82 II 397 S. 398

das Haus Nr. 3 etwas mehr von der Grenze zurück. Der Grenzabstand beträgt: beim Haus beim Haus
Nr. 3 Nr. 4
von der Fassadenmauer aus gemessen 3,07 m 1,99 m
von der Kante der Dachrinne aus ge-
messen 2,23 m 1,15 m
vom Vorsprung der Freitreppe aus ge-
messen 1,47 m 0,74 m

B.- Wegen Nichteinhaltung des in § 143 des schwyzerischen EG zum ZGB vorgeschriebenen Grenzabstandes von 1,50 m verlangt der Kläger Schadenersatz. Er erhielt in erster Instanz Fr. 1050.--, in zweiter Instanz Fr. 10'050.-- nebst Zins zugesprochen.
C.- Gegen das obergerichtliche Urteil vom 22. November 1955 hat die Beklagte Berufung an das Bundesgericht eingelegt mit dem Antrag auf vollumfängliche Abweisung der Klage.
D.- Der Kläger beantragt, die Berufung sei, soweit auf sie eingetreten werden könne, abzuweisen.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Soweit die Klage in erster Instanz geschützt worden war, also im Teilbetrag von Fr. 1050.--, muss es dabei sein Bewenden haben, da sich die Appellation der Beklagten an das Obergericht mangels rechtzeitiger Leistung des Kostenvorschusses als unwirksam erwies. Der insofern vom Obergericht gefällte Nichteintretensentscheid beruht auf der vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht nachzuprüfenden Anwendung kantonalen Prozessrechtes (Art. 43
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 685 - 1 Bei Grabungen und Bauten darf der Eigentümer die nachbarlichen Grundstücke nicht dadurch schädigen, dass er ihr Erdreich in Bewegung bringt oder gefährdet oder vorhandene Vorrichtungen beeinträchtigt.
1    Bei Grabungen und Bauten darf der Eigentümer die nachbarlichen Grundstücke nicht dadurch schädigen, dass er ihr Erdreich in Bewegung bringt oder gefährdet oder vorhandene Vorrichtungen beeinträchtigt.
2    Auf Bauten, die den Vorschriften des Nachbarrechtes zuwiderlaufen, finden die Bestimmungen betreffend überragende Bauten Anwendung.
OG). Freilich rügt die Beklagte in der Berufungsschrift in diesem Punkte Willkür und damit eine Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV. Das kann jedoch, was Art. 43 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Satz 2 OG noch ausdrücklich bestimmt, nicht mit Berufung geltend gemacht werden, und eine staatsrechtliche Beschwerde hätte in getrennter Eingabe erhoben werden müssen (BGE 63 II 38; dementsprechend auchBGE 68 IV 9). Auf diesen Teil der Berufung ist somit nicht einzutreten.

BGE 82 II 397 S. 399

2. § 143 des schwyzerischen EG zum ZGB bestimmt unter dem Randtitel "B. Nachbarrecht: I. Bauten: 1. Abstände: a) neue Baustellen": "Gebäude dürfen ohne Zustimmung des Nachbars auf neuen Baustellen nur in einer Entfernung von wenigstens 1,50 Meter von der nachbarlichen Grenze aufgeführt werden. Diese Bestimmung gilt für jeden einzelnen Teil des Gebäudes. Vorbehalten bleiben Bauten an öffentlichen Strassen mit zusammenhängenden Häuserreihen." Der gesetzliche Grenzabstand gilt nach der Praxis der schwyzerischen Behörden nicht nur für die Umfassungsmauern, sondern auch für Dachvorsprünge (SJZ 26 S. 217 Nr. 160) und nach dem angefochtenen Entscheid auch für Freitreppen. Diese Anwendung des in Art. 686
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 686 - 1 Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
1    Die Kantone sind befugt, die Abstände festzusetzen, die bei Grabungen und Bauten zu beobachten sind.
2    Es bleibt ihnen vorbehalten, weitere Bauvorschriften aufzustellen.
ZGB vorbehaltenen kantonalen Rechtes ist für das Bundesgericht verbindlich. Somit hat die Beklagte den vorgeschriebenen Grenzabstand in der Tat nicht eingehalten, indem bei beiden Neubauten die Freitreppe und beim Haus Nr. 4 ausserdem der Dachvorsprung in die Sperrzone hineinragt.
3. Die Folgen einer Verletzung der kantonalen Bauvorschriften bestimmen sich nach Bundesrecht, wobei sowohl die für überragende Bauten geltenden Regeln (Art. 674
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 674 - 1 Bauten und andere Vorrichtungen, die von einem Grundstücke auf ein anderes überragen, verbleiben Bestandteil des Grundstückes, von dem sie ausgehen, wenn dessen Eigentümer auf ihren Bestand ein dingliches Recht hat.
1    Bauten und andere Vorrichtungen, die von einem Grundstücke auf ein anderes überragen, verbleiben Bestandteil des Grundstückes, von dem sie ausgehen, wenn dessen Eigentümer auf ihren Bestand ein dingliches Recht hat.
2    Das Recht auf den Überbau kann als Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen werden.
3    Ist ein Überbau unberechtigt, und erhebt der Verletzte, trotzdem dies für ihn erkennbar geworden ist, nicht rechtzeitig Einspruch, so kann, wenn es die Umstände rechtfertigen, dem Überbauenden, der sich in gutem Glauben befindet, gegen angemessene Entschädigung das dingliche Recht auf den Überbau oder das Eigentum am Boden zugewiesen werden.
in Verbindung mit Art. 685 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 685 - 1 Bei Grabungen und Bauten darf der Eigentümer die nachbarlichen Grundstücke nicht dadurch schädigen, dass er ihr Erdreich in Bewegung bringt oder gefährdet oder vorhandene Vorrichtungen beeinträchtigt.
1    Bei Grabungen und Bauten darf der Eigentümer die nachbarlichen Grundstücke nicht dadurch schädigen, dass er ihr Erdreich in Bewegung bringt oder gefährdet oder vorhandene Vorrichtungen beeinträchtigt.
2    Auf Bauten, die den Vorschriften des Nachbarrechtes zuwiderlaufen, finden die Bestimmungen betreffend überragende Bauten Anwendung.
ZGB) wie auch die allgemeine Verantwortlichkeit des Grundeigentümers für die Folgen einer Ueberschreitung seines Eigentums (Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
1    Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
2    Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584
ZGB) in Betracht fallen (vgl.BGE 41 II 215,BGE 53 II 221). Für den vom Kläger als fortdauernd geduldeten, einer dinglichen Belastung seines Grundstückes gleichkommenden "Näherbau" gebührt ihm somit "angemessene Entschädigung" bzw. "Schadenersatz" (Art. 674 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 674 - 1 Bauten und andere Vorrichtungen, die von einem Grundstücke auf ein anderes überragen, verbleiben Bestandteil des Grundstückes, von dem sie ausgehen, wenn dessen Eigentümer auf ihren Bestand ein dingliches Recht hat.
1    Bauten und andere Vorrichtungen, die von einem Grundstücke auf ein anderes überragen, verbleiben Bestandteil des Grundstückes, von dem sie ausgehen, wenn dessen Eigentümer auf ihren Bestand ein dingliches Recht hat.
2    Das Recht auf den Überbau kann als Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen werden.
3    Ist ein Überbau unberechtigt, und erhebt der Verletzte, trotzdem dies für ihn erkennbar geworden ist, nicht rechtzeitig Einspruch, so kann, wenn es die Umstände rechtfertigen, dem Überbauenden, der sich in gutem Glauben befindet, gegen angemessene Entschädigung das dingliche Recht auf den Überbau oder das Eigentum am Boden zugewiesen werden.
, 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
1    Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
2    Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584
ZGB).
4. Ob und welcher Schaden entstanden sei, ist grundsätzlich Tatfrage (BGE 47 II 192,BGE 56 II 126). Dagegen hat das Bundesgericht zu prüfen, ob der behauptete Schaden rechtlich genügend substanziert und bei der Schadensberechnung von richtigen Grundsätzen ausgegangen worden sei. Dementsprechend ist es auch eine Frage der Rechtsanwendung, ob der Richter bei ziffermässig nicht nachweisbarem
BGE 82 II 397 S. 400

Schaden richtigen Gebrauch von dem ihm durch Art. 42
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 42 - 1 Wer Schadenersatz beansprucht, hat den Schaden zu beweisen.
1    Wer Schadenersatz beansprucht, hat den Schaden zu beweisen.
2    Der nicht ziffernmässig nachweisbare Schaden ist nach Ermessen des Richters mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge und auf die vom Geschädigten getroffenen Massnahmen abzuschätzen.
3    Bei Tieren, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, können die Heilungskosten auch dann angemessen als Schaden geltend gemacht werden, wenn sie den Wert des Tieres übersteigen.26
OR eingeräumten Ermessen gemacht habe. Dass Art. 42
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 42 - 1 Wer Schadenersatz beansprucht, hat den Schaden zu beweisen.
1    Wer Schadenersatz beansprucht, hat den Schaden zu beweisen.
2    Der nicht ziffernmässig nachweisbare Schaden ist nach Ermessen des Richters mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge und auf die vom Geschädigten getroffenen Massnahmen abzuschätzen.
3    Bei Tieren, die im häuslichen Bereich und nicht zu Vermögens- oder Erwerbszwecken gehalten werden, können die Heilungskosten auch dann angemessen als Schaden geltend gemacht werden, wenn sie den Wert des Tieres übersteigen.26
OR auch in Verbindung mit Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
1    Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
2    Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584
ZGB anwendbar ist, wird von Lehre und Rechtsprechung mit guten Gründen bejaht (vgl. HAAB, N. 18 zu Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
1    Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
2    Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584
ZGB, SJZ 14 S. 77 N. 24 und ZbJV 66 S. 20). Das gilt ebenso für die "angemessene Entschädigung" nach Art. 674 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 674 - 1 Bauten und andere Vorrichtungen, die von einem Grundstücke auf ein anderes überragen, verbleiben Bestandteil des Grundstückes, von dem sie ausgehen, wenn dessen Eigentümer auf ihren Bestand ein dingliches Recht hat.
1    Bauten und andere Vorrichtungen, die von einem Grundstücke auf ein anderes überragen, verbleiben Bestandteil des Grundstückes, von dem sie ausgehen, wenn dessen Eigentümer auf ihren Bestand ein dingliches Recht hat.
2    Das Recht auf den Überbau kann als Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen werden.
3    Ist ein Überbau unberechtigt, und erhebt der Verletzte, trotzdem dies für ihn erkennbar geworden ist, nicht rechtzeitig Einspruch, so kann, wenn es die Umstände rechtfertigen, dem Überbauenden, der sich in gutem Glauben befindet, gegen angemessene Entschädigung das dingliche Recht auf den Überbau oder das Eigentum am Boden zugewiesen werden.
ZGB.
5. Die kantonalen Gerichte gehen davon aus, infolge des "Näherbaues" der Beklagten werde ein dessen Ausmass entsprechender Landstreifen ausser der gesetzlichen Sperrzone für den Kläger unüberbaubar. Nach der Expertise handelt es sich um einen Streifen von 39,5 m Länge und, je nachdem ob die Rinnenkante oder die Freitreppe des Hauses 4 als massgebender Punkt für die Abstandsberechnung betrachtet wird, 35 oder 76 cm Breite. Das erstinstanzliche Gericht legt seinem Urteil das grössere dieser zwei Ausmasse zugrunde, fasst also einen für den Kläger unüberbaubar werdenden Landstreifen von 0,76 x 39,5 = 30 m2 ins Auge, mit einem Wert von Fr. 35.- pro m2 gemäss Expertenbefund, also ingesamt Fr. 1050.--. In diesem Betrag ist die Klage, wie erwähnt, aus prozessualen Gründen endgültig geschützt.
6. Zu überprüfen bleibt, ob das Obergericht dem Kläger mit Recht eine weitere Forderung von Fr. 9000.-- für entgehenden Baukubus zugesprochen habe (der auf Grund eines bloss 35 cm breiten Landstreifens berechnet wird, entsprechend der Herabsetzung des Klagebegehrens in zweiter Instanz). Das angefochtene Urteil begründet diese Mehrforderung wie folgt: "... Wohl sind die Kosten für eine Baute, die nicht ausgeführt werden kann, kein Schaden im Rechtssinne, sondern eine Einsparung an künftigem Aufwand. Dieser Aufwand ist nun aber kein unproduktiver, d.h. es entspricht ihm kein Gegenwert, der sich nicht vermögensvermehrend auswirkt. Vielmehr ist ein solcher Aufwand als Anlageaufwand und zwar als produktiver zu betrachten. Produktiv deshalb, weil der Kläger aus Miethäusern, die er auf seinen Parzellen baut, eine Rendite herausschlagen kann, die unzweifelhaft viel grösser ist, als z.B. bei einer landwirtschaftlichen Verpachtung. Anderseits ist dieser Aufwand das Mittel dazu, um
BGE 82 II 397 S. 401

Vermögen wertbeständig anzulegen. Diese Verstärkung der Sicherheit wird durch den Näherbau der Beklagten verunmöglicht. Zweifellos liegt ein Schaden nicht nur dann vor, wenn ein Vermögen rechtswidrig vermindert wird, sondern auch dann, wenn durch ein rechtswidriges Verhalten eines Dritten unmöglich gemacht wird, ein Vermögen von einer weniger sichern in eine sicherere Anlage überzuführen. Der Schaden stellt sich somit sowohl im Hinblick auf die Rendite als auch bezüglich der Sicherheit der Vermögensanlage als lucrum cessans dar ... Schaden infolge Verlust an Vermögensrendite und grösserer Anlagesicherheit ... unmittelbare Folge des Verlustes an Baukubus ... Das Obergericht findet es angemessen, dem Geschädigten als Schadenersatz auch jenen Betrag zuzusprechen, den er hätte aufwenden müssen, um eine rentablere und sicherere Vermögensanlage zu erzielen." Dem kann nicht beigepflichtet werden. Die Vorinstanz übersieht, dass der Ersatz des Wertes eines Landstreifens, wie ihn das erstinstanzliche Urteil dem Kläger bei Annahme einer Breite von sogar 76 cm zugesprochen hatte, auch den Wert des über dem Streifen liegenden, d.h. des zugehörigen Baukubus deckt. Der Preis für Bauland bestimmt sich ja im Hinblick auf die mögliche Überbauung, und der Experte ist ausdrücklich vom Baulandpreis "wie bei einer Expropriation" ausgegangen und hat den Preis pro m2 noch etwas über dem Durchschnittspreis auf Fr. 35.- festgesetzt (S. 10 des Gutachtens). Es kann daher nicht in Frage kommen, dem Kläger ausser dem, wie angenommen wird, wegen des Näherbaues der Beklagten unüberbaut bleibenden Landstreifen noch einen Baukubus zu ersetzen, und es ist vollends abwegig, dem (leeren) Baukubus einen Wert beizumessen, der dem Betrag der auf ihn entfallenden Baukosten entsprechen würde. Der vom Obergericht ferner herangezogene Gesichtspunkt eines Entganges von Kapitalanlagemöglichkeit ist gleichfalls zu verwerfen. Ersatz für lucrum cessans, d.h. für Gewinnentgang, ist nach allgemeiner Lehre nur geschuldet, soweit es sich um einen üblichen oder sonstwie sicher in Aussicht stehenden Gewinn handelt (vgl. v. TUHR, OR I § 13 Ziff. 10, BECKER, N. 9 zu Art. 41
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
und N. 31 und 34 ff. zu Art. 97
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 97 - 1 Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
1    Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
2    Für die Vollstreckung gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 11. April 188943 über Schuldbetreibung und Konkurs sowie der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 200844 (ZPO).45
OR). Es kann dahingestellt bleiben, ob eine so indirekte Auswirkung eines Näherbaues wie der Verlust
BGE 82 II 397 S. 402

einer Möglichkeit der Geldanlage überhaupt nach Art. 674 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 674 - 1 Bauten und andere Vorrichtungen, die von einem Grundstücke auf ein anderes überragen, verbleiben Bestandteil des Grundstückes, von dem sie ausgehen, wenn dessen Eigentümer auf ihren Bestand ein dingliches Recht hat.
1    Bauten und andere Vorrichtungen, die von einem Grundstücke auf ein anderes überragen, verbleiben Bestandteil des Grundstückes, von dem sie ausgehen, wenn dessen Eigentümer auf ihren Bestand ein dingliches Recht hat.
2    Das Recht auf den Überbau kann als Dienstbarkeit in das Grundbuch eingetragen werden.
3    Ist ein Überbau unberechtigt, und erhebt der Verletzte, trotzdem dies für ihn erkennbar geworden ist, nicht rechtzeitig Einspruch, so kann, wenn es die Umstände rechtfertigen, dem Überbauenden, der sich in gutem Glauben befindet, gegen angemessene Entschädigung das dingliche Recht auf den Überbau oder das Eigentum am Boden zugewiesen werden.
und Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
1    Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
2    Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584
ZGB in Betracht falle. Hier jedenfalls fehlt jeder Grund zur Annahme einer solchen Schadensfolge. Das angefochtene Urteil stützt sich nur auf unbestimmte Hypothesen, die keinen Ersatzanspruch zu begründen vermögen. Es liegt nichts dafür vor, dass der Kläger über soviel Geldmittel verfügt, dass die Überbauung seines grossen Restgrundstücks keine hinreichende Möglichkeit der Anlage zu bieten vermöchte. Übrigens dürfte nicht ohne weiteres angenommen werden, es fehle dem Kläger an andern, ebenso günstigen Anlagemöglichkeiten. Die Ausnützung des Bauvolumens, wie es dem Kläger nach Ansicht der Vorinstanz nun wegen des Näherbaues der Beklagten entgeht, wäre ohnehin nicht vorteilhaft, denn ein Grenzabstand von 1,50 m und ein ihm entsprechender Gebäudeabstand von 3 m ist für mehrstöckige Wohnhäuser - der Experte rechnet auch für den Kläger mit solchen von 13 m Höhe, wie sie die Beklagte errichtet hat - viel zu gering. Ob eine solche Ausnützung des Baulandes sich als sichere und ertragreiche Anlage und nicht vielmehr als Fehlinvestition erwiesen hätte, ist somit fraglich. Jedenfalls darf nicht das Gegenteil als feststehend betrachtet und auf solcher Grundlage ein Schadenersatzanspruch bejaht und berechnet werden. Grundsätzlich wäre dagegen ein Ersatz für Entwertung des Restgrundstückes in Frage gekommen. Eine solche Entwertung ist aber nicht erwiesen und angesichts der Ausdehnung des Grundstückes des Klägers nicht anzunehmen.
7. Wenn der Kläger gemäss dem insofern endgültig gewordenen erstinstanzlichen Urteil den Preis eines Landstreifens von 76 cm Breite mit Fr. 1050.-- ersetzt erhält, wird er für die Folgen des unerlaubten Näherbaues der Beklagten reichlich entschädigt. Rückt er mit einem künftigen Miethausbau wirklich um soviel über den gesetzlichen Grenzabstand von 1,50 m hinaus von der Westgrenze weg, so gibt dazu gewiss nicht die um 76 cm zu weit vorspringende
BGE 82 II 397 S. 403

Freitreppe des Hauses Nr. 4 der Beklagten Veranlassung. Denn diese Freitreppe entzieht einem künftigen Neubau des Klägers so gut wie nichts an Luft und Licht, wie denn der nur in den Freitreppen (mit Stufen von 35 cm Breite laut S. 4 des Gutachtens) und im Dachvorsprung liegende Näherbau bei weitem nicht die Bedeutung eines Näherbaues der Häuserwände hat. Zur Einhaltung eines grössern als des durch die nachbarrechtlichen Gesetzesvorschriften bedingten Gebäudeabstandes wird sich der Kläger vielmehr deshalb veranlasst sehen, weil mehrstöckige Häuser, um ein angenehmes Wohnen zu ermöglichen, einen grössern Abstand haben müssen. Daraus erwächst ihm aber kein Anspruch auf Schadenersatz gegenüber der Beklagten. Dieser gegenüber fällt nur der Nachteil in Betracht, der dem Kläger aus der Einräumung einer Näherbauservitut entstünde, wobei diese auf Freitreppen und Dachvorsprünge wie sie nun vorliegen, beschränkt wäre (vgl. BGE 22 S. 1042 ff.). Selbst wenn zuträfe, dass der Kläger infolge jener unerlaubten Bauvorsprünge in Zukunft einen Landstreifen von 76 bzw. 35 cm unüberbaut lassen müsste, wäre zu berücksichtigen, dass er diesen freien Streifen nicht schlechtweg verliert, sondern zusammen mit der gesetzlichen Bausperrzone als Vorplatz, Gartenland und dergleichen verwenden kann, ganz abgesehen vom Vorteil, den er aus dem grösseren Zwischenraum der Häuser ziehen wird. Nach alldem besteht kein Grund zur Erhöhung der in erster Instanz auf Fr. 1050.-- bemessenen Entschädigung.
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird in dem Sinne gutgeheissen, dass das angefochtene Urteil aufgehoben und die Forderung des Klägers und Berufungsbeklagten abgewiesen wird, soweit sie den Betrag von Fr. 1050.-- nebst Zins zu 5% seit dem 17. Mai 1954 übersteigt.