S. 74 / Nr. 18 Strassenverkehr (d)

BGE 79 IV 74

18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. August 1953 i. S. Frick
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.


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Regeste:
1. Art. 61 Abs. 2 MFG. Schwerer Fall des Führers ohne Ausweis (Erw. 1).
2. Art. 17 Abs. 2, 58 Abs. 2 MFG. Schwerer Fall des Führens in übermüdetem
Zustande (Erw. 2).
3. Art. 36, 60 Abs. 1 MFG. Wann ist der Führer verpflichtet, anzuhalten und
sich zu melden? (Erw. 3).
1. Art. 61 al. 2 LA. Cas grave de circulation sans permis (consid. 1).
2. Art. 17 al. 2, 58 al. 2 LA. Surmenage du conducteur; cas grave (consid. 2).
3. Art. 36, 60 al. 1 LA. Quand le conducteur est-il tenu de s'arrêter et
d'annoncer l'accident? (consid. 3).
1. Art. 61 cp. 2 LA. Caso grave di circolazione senza licenza (consid. 1).
2. Art. 17 cp. 2, 58 cp. 2 LA. Spossatezza del conducente; caso grave (consid.
2).
3. Art. 36, 60 cp. 1 LA. Quando il conducente deve fermare e notificare
l'infortunio? (consid. 3).

A. - Frick führte vom 2. September bis 11. November 1952 zwei Personenwagen
über Strecken von zusammen mindestens 4300 km in der Schweiz herum, ohne einen
Führerausweis zu besitzen. Am 11. November 1952 zwischen 14.15 und 21.00 Uhr
fuhr er am Steuer eines gemieteten Personenwagens von Thun nach Baden und von
dort nach Zürich. In Thun hatte er zum Mittagessen 3 dl Wein getrunken, und in
Zürich trank er zum Nachtessen zwei Becher Bier. Ungefähr zwischen 22.00 und
23.45 Uhr besuchte er in Zürich zwei Bars und trank zwei Glas Whisky und einen
Kaffee-Grappa. Obwohl er im Kopf einen Druck verspürte und das Gefühl hatte,
Fieber zu haben, führte er etwa um 23.45 Uhr den Personenwagen durch
verschiedene Strassen der Stadt und schliesslich mit 70 bis 80 km/Std. auf der
Uraniastrasse zum Sihlporteplatz. Dort wollte er geradeaus über die Sihlbrücke
fahren, doch änderte er plötzlich die Richtung, um in die Talstrasse
einzubiegen. Da er zu spät und mit übersetzter Geschwindigkeit abschwenkte,
begann der Wagen zu gleiten, durchbrach und beschädigte die Abschrankung eines

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Fussgängersteiges und fuhr auf diesem Richtung Talstrasse weiter, sodass zwei
Personen genötigt waren, sich durch Sprung auf die Strasse knapp in Sicherheit
zu bringen. Frick hielt nicht an, sondern führte den Wagen auf dem Fussgänger
steig weiter in die Talstrasse hinein, bog dann in die Pelikanstrasse ab und
fuhr nach seinem Wohnort an der Tödistrasse.
B. - In Bestätigung eines Urteils des Bezirksgerichtes Zürich erklärte das
Obergericht des Kantons Zürich Frick am 15. Mai 1953 schuldig des
fortgesetzten Führens ohne Ausweis (Art. 61 Abs. 1 und 2 MFG), des Führens im
Zustande der Übermüdung (Art. 17 Abs. 2, 58 Abs. 2 MFG), der fahrlässigen
Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
StGB) und des
pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall (Art. 60 Abs. 1, 36 MFG) und verurteilte
ihn zu drei Monaten Gefängnis und Fr. 200.- Busse.
C. - Frick führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil sei
aufzuheben und das Obergericht anzuweisen, ihn bloss wegen fortgesetzten
Führens ohne Ausweis im Sinne des Art. 61 Abs. 1 MFG und fahrlässiger Störung
des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Art. 237 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
StGB zu verurteilen,
und zwar nur zu Fr. 200.- Busse, nicht auch zu Gefängnis.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Das Obergericht hat den Beschwerdeführer des fortgesetzten Führens ohne
Ausweis mit der Begründung schuldig erklärt, er sei ohne Einschränkung
geständig. Der Beschwerdeführer sieht darin eine auf offensichtlichem Versehen
beruhende Feststellung; der Verteidiger habe nämlich vor Obergericht geltend
gemacht, er halte den Verstoss für «nicht sehr gravierend», weil der
Beschwerdeführer nur vier Wochen nach Ablauf des Lernfahrausweises weiter
gefahren sei, einen Führerausweis für Motorräder besessen habe und sich mit
dem Automobil geschäftlich nach Thun habe begeben müssen, den Wagen also nicht
zum reinen Vergnügen benützt habe. Er beantragt, das

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Bundesgericht habe in Berichtigung der vorinstanzlichen Erwägung gemäss Art.
277bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
BStP von Amtes wegen festzustellen, dass kein schwerer Fall im Sinne
des Art. 61 Abs. 2 MFG vorliege.
Er verkennt, dass die beanstandete Erwägung nicht den Sinn haben kann, er habe
sich auch der Würdigung seines Verhaltens als i schwerer Fall verbindlich
gefügt; denn ob ein Fall schwer sei, ist Rechtsfrage (" 73 IV 113, 77 IV 115),
die der kantonale Richter, wie der Kassationshof, selbst dann frei zu prüfen
hat, wenn der Beschuldigte sich der Anklage unterzieht oder ein Geständnis
ablegt (BGE 70 IV 51).
Materiell aber hält die Würdigung als schwerer Fall trotz der Einwendungen des
Verteidigers stand. Der Beschwerdeführer hat wichtige Verkehrsinteressen
verletzt und grosse Gewissenlosigkeit bekundet, mit einem Personenwagen
während mehr als zwei Monaten im Lande herumzufahren und dabei insgesamt
mindestens 4300 km zurückzulegen, ohne für diese Art von Motorfahrzeugen
jemals eine Führerprüfling abgelegt zu haben oder sich wie ein Fahrschüler zum
mindesten von einer zum Führen berechtigten, verantwortlichen Person begleiten
zu lassen. Weder der Führerausweis für Motorräder noch der Lernfahrausweis für
Personenwagen, den er übrigens nur während eines Teils der genannten
Zeitspanne besass, boten Gewähr für richtiges Führen. Die Verfehlung des
Beschwerdeführers ist wesentlich schwerer als z.B. die eines
Motorfahrzeugführers, der das Gesetz nur dadurch übertrat, dass er einen
Führerausweis nicht rechtzeitig erneuern lässt oder unüberlegt eine
vereinzelte Fahrt ohne Ausweis unternimmt. Dass der Beschwerdeführer die
verbotenen Fahrten nicht zum Vergnügen, sondern teilweise zur Erledigung von
Geschäften gemacht haben will, ist objektiv, unter dem Gesichtspunkt der
Verkehrssicherheit, unerheblich und entlastet ihn auch subjektiv nicht; er
hätte ein Motorrad oder die Bahn benützen oder sich um die Ablegung der
Führerprüfung für Personenwagen bemühen können.

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2.- Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern er sich des Führens in
übermüdetem Zustande (Art. 17 Abs. 2 MFG) überhaupt nicht schuldig gemacht
habe. Sein Antrag auf Freisprechung in diesem Punkte ist daher unbeachtlich
(Art. 273 Abs. 1 lit. b
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
BStP).
Seine Ausführungen sodann, mit denen er darzutun versucht, dass diese
Verfehlung kein «schwerer Fall» im Sinne des Art. 58 Abs. 2 MFG sei, hält
nicht stand. Zu Unrecht wirft er dem Obergericht vor, es habe die Tat «so
ausgelegt, als wäre er betrunken gewesen», was unzulässig sei, da ihn schon
das Bezirksgericht von der Anklage des Führens in angetrunkenem Zustande
freigesprochen habe. Die Vorinstanz hat lediglich ausgeführt, der Genuss
verschiedener alkoholischer Getränke habe sicher zu der Übermüdung
beigetragen, wenn der Beschwerdeführer nicht sogar angetrunken gewesen sei;
jedenfalls sehe die festgestellte Fahrweise derjenigen eines angetrunkenen
Automobilisten sehr ähnlich. Damit wirft das Gericht dem Beschwerdeführer
nicht Angetrunkenheit vor, sondern bloss, er sei infolge Übermüdung, zu der
teilweise auch der Genuss von Alkohol beigetragen habe, ähnlich gefahren wie
ein Angetrunkener. Diese tatsächliche Feststellung bindet den Kassationshof.
So wie sie anhand der Ereignisse zu verstehen ist (zu spätes Abschwenken mit
übersetzter Geschwindigkeit, Durchbrechung einer Abschrankung, Weiterfahren
auf dem Fussgängersteig, dringende Gefährdung von Leib und Leben zweier
Fussgänger), erscheint die Verfehlung als «schwerer Fall». Art. 58 Abs. 2 MFG
träfe selbst dann zu, wenn von der festgestellten Fahrweise nicht gesagt
werden könnte, sie habe derjenigen eines angetrunkenen Automobilisten sehr
ähnlich gesehen. Denn auch dann bliebe es dabei, dass der Beschwerdeführer
infolge seiner Übermüdung nicht nur im Sinne des Art. 17 Abs. 2 MFG in der
Beherrschung des Fahrzeuges behindert gewesen ist, sondern die Herrschaft über
das Fahrzeug sogar zeitweise vollständig verloren hat. Dass niemand verletzt
oder getötet worden ist, steht der Anwendung des

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Art. 58 Abs. 2 MFG nicht im Wege. Es kommt auch nichts darauf an, ob der
vorliegende Fall leichter ist als gewisse andere, die vom Bundesgericht als
schwere Fälle des Führens in angetrunkenem Zustande (Art. 59 Abs. 2 MFG)
gewürdigt worden sind (z.B. BGE 76 IV 166, 171); denn in diesen Urteilen hat
das Bundesgericht weder ausdrücklich noch dem Sinne nach entschieden, dass
weniger krasse Fälle nicht «schwer» seien, noch hat es überhaupt dazu Stellung
genommen, wann auf einen Fall Art. 58 Abs. 2 MFG anzuwenden sei.
3.- Die Strafbestimmung des Art. 60 Abs. 1 MFG trifft zu, «wenn ein
Motorfahrzeug oder ein Fahrrad an einem Unfall beteiligt ist und der Führer
nicht sofort anhält, dem Verunfallten nicht Beistand leistet oder nicht für
Hilfe sorgt oder der Meldepflicht nicht genügt «. Die Rüge des
Beschwerdeführers, diese Bestimmung «erfordere klar nur ein Anhalten, um dem
Verunfallten Beistand zu leisten «,ist somit trölerisch. Wie das Obergericht,
zum Teil durch Verweisung auf die Ausführungen der ersten Instanz, zutreffend
annimmt, hat der Beschwerdeführer sich nach Art. 60 Abs. 1 MFG strafbar
gemacht, indem er sowohl seine Pflicht zum Anhalten, als auch seine
Meldepflicht verletzt hat - Anhalten muss der Motorfahrzeugführer nicht nur,
um einem Verunfallten Beistand zu leisten, sondern auch in allen anderen
Fällen, in denen er an einem Unfall beteiligt ist (Art. 36 Abs. 1 MFG). Ein
Unfall aber liegt schon dann vor, wenn, wie im vorliegenden Falle, bloss
Sachschaden entstanden ist. Auch die Meldepflicht (gegenüber dem Geschädigten
oder der nächsten Polizeistelle) besteht schon bei blossem Sachschaden (Art.
36 Abs. 2 MFG).
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.