S. 300 / Nr. 51 Familienrecht (d)
BGE 78 II 300
51. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Dezember 1952 i. S. Eheleute V.
Regeste:
Ehescheidung, tiefe Zerrüttung (Art. 142 ZGB). Ehekrise infolge
freundschaftlicher Beziehungen des Mannes mit einer andern Frau. Pflicht zur
Aufgabe dieses Verhältnisses. Verschulden des Mannes.
Divorce. Profonde atteinte au lien conjugal (art. 142 CC). Trouble causé par
les relations amicales que le mari entretient avec une autre femme. Obligation
de rompre ces relations. Faute de mari.
Divorzio, profonda turbazione delle relazioni conjugali (art. 142 CC).
Turbazione causata dalle amichevoli relazioni che il marito mantiene con
un'altra donna. Obbligo di rompere queste relazioni. Colpa del marito.
Das Kantonsgericht hat mit Urteil vom 25. Oktober 1952 die Scheidungsklage des
Klägers in Anwendung von Art. 142 Abs. 2 ZGB abgewiesen, weil die Ehe der
Parteien zwar tief zerrüttet, die Zerrüttung aber vorwiegend der
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Schuld des Klägers zuzuschreiben sei. Das Bundesgericht weist die Berufung des
Klägers ab.
Begründung:
Der Umstand, dass die Beklagte keine Kinder bekommen konnte, die zwischen den
Ehegatten bestehenden Unterschiede im Charakter und in den Neigungen sowie die
Tatsache, dass bei beiden Gatten die Beziehungen zu den Angehörigen des andern
zu wünschen übrig liessen, bedeuteten für die Ehe zweifellos eine starke
Belastung. Das Zusammenleben wurde aber deswegen nicht unerträglich, was sich
schon darin zeigt, dass der Kläger die im Jahre 1935 geäusserte
Scheidungsabsicht rasch wieder aufgab und die Ehe dann während ungefähr 15
Jahren wie bisher weiterführte. Wie aus den Feststellungen der kantonalen
Gerichte ohne weiteres hervorgeht, ist es dann vor allem deswegen zu einer
schweren Krise gekommen, weil die Beklagte einen Brief von Frau X. an den
Kläger fand, der auf nähere Beziehungen zwischen diesen beiden hinwies. Dass
die Fortsetzung der Gemeinschaft wegen der durch diese Entdeckung
hervorgerufenen Spannungen für ihn unzumutbar geworden sei, kann der Kläger
nicht mit Fug geltend machen. Vielmehr muss von ihm verlangt werden, dass er
die Beziehungen mit Frau X. im Interesse seiner Ehe preisgibt, die nun mehr
als 20 Jahre gedauert hat und wenn auch nicht besonders glücklich, so bis zum
Dazwischentreten von Frau X. für die Gatten doch erträglich war. Entgegen der
Auffassung der kantonalen Instanzen kann daher nicht angenommen werden, dass
die Voraussetzungen von Art. 142 Abs. 1 ZGB erfüllt seien.
Wäre aber in diesem Punkte den kantonalen Gerichten beizupflichten, so müsste
die Klage in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil gemäss Art. 142 Abs.
2 ZGB abgewiesen werden. Wie schon festgestellt, war die Ehe der Parteien auf
jeden Fall vor Beginn der Beziehungen des Klägers mit Frau X. nicht so tief
zerrüttet, dass der
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Scheidungsgrund von Art. 142 Abs. 1 zugetroffen hätte, sondern haben erst
diese Beziehungen zu einer kritischen Situation geführt. Dieses
Freundschaftsverhältnis, das zum Dorfgespräch wurde und in dem vom Kläger
geleiteten Chor Ärgernis,'erregte, ja zu Austritten Anlass gab, war ohne
Zweifel geeignet, die Eifersucht der Beklagten zu wecken und ihre berechtigte
Empfindlichkeit zu verletzen. Der Kläger hätte diese Beziehungen daher
vermeiden oder doch wenigstens frühzeitig abbrechen sollen, auch wenn sie an
und für sich so harmlos waren, wie er behauptet. Dass er sie statt dessen
weiter pflegte, gereicht ihm zum Verschulden. Ausserdem haben Charakterfehler
des Klägers, die ihm ebenfalls in gewissem Masse zum Verschulden anzurechnen
sind, dazu beigetragen, dass das eheliche Verhältnis sich nicht günstig
entwickelte. Demgegenüber kann der Beklagten auf Grund der tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz kein ernstlicher Vorwurf gemacht werden. Wenn
die Ehe als tief zerrüttet anzusehen wäre, müsste dies also zur Hauptsache der
Schuld des Klägers zugeschrieben werden.