S. 125 / Nr. 28 Verfahren (d)

BGE 77 IV 125

28.:Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Juni 1951 i. S. Döbeli
gegen Bürli.

Regeste:
Art. 270 Abs. 3 BStP. Wer vor einem luzernischen Amtsgericht als Privatkläger
auftritt, ist selbst dann nicht zur Nichtigkeitbeschwerde befugt, wenn er
allein die Sache, die der Amtsstatthalter hat fallen lassen, an das
Amtsgericht weitergezogen hat.
Art. 270 al. 3 PPF. Celui qui intervient comme accusateur privé devant un
tribunal de police lucernois n'a pas qualité pour se pourvoir en nullité,
alors même que le juge d'instruction avait abandonné la poursuite.
Art. 270 cp. 3 PPF. Colui che interviene quale accusatore privato davanti ad
un tribunale di polizia lucerne non può interporro ricorso per cassazione,
quand'anche il giudice istruttore abbia abbandonato il procedimento.

A. - Am 8. August 1950 verletzte Anton Bürli die vierjährige Barbara Döbeli,
die in die Fahrbahn seines Lieferungswagens lief. Der Vater des Kindes,
Traugott Döbeli, erhob am 3. Oktober 1950 beim Statthalteramt Willisau gegen
Bürli Strafklage wegen Übertretung des Art. 25 MFG. Das Statthalteramt stellte
am 5. Dezember 1950 die Untersuchung mangels Verschuldens des Beklagten ein.
Döbeli zog am 14. Dezember 1950 die Sache an das Amtsgericht Willisau weiter.
In der Verhandlung vom 14. Februar 1951 liess er beantragen, Bürli sei wegen
Übertretung des Motorfahrzeuggesetzes und fahrlässiger Körperverletzung zu
bestrafen.
Das Amtsgericht sprach Bürli am 14. Februar 1951 frei.
B. - Döbeli führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil sei
aufzuheben und die Sache zur

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Bestrafung des Bürli wegen Übertretung des Motorfahrzeuggesetzes und
fahrlässiger Körperverletzung an das Amtsgericht zurückzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- (Ausführungen darüber, dass der Beschwerdeführer in der Eigenschaft als
Antragsteller nicht zur Nichtigkeitsbeschwerde befugt sei, weil, wenn
überhaupt ein Antragsdelikt vorliege [leichte Körperverletzung], der
Strafantrag verspätet gestellt worden sei.)
2.- Konnte Bürli somit nur wegen Übertretung des Art. 25 MFG oder fahrlässiger
schwerer Körperverletzung verfolgt werden, wozu es eines Strafantrages des
Beschwerdeführers nicht bedurfte, so ist Döbeli zur Nichtigkeitsbeschwerde nur
berechtigt, wenn er im Sinne des Art. 27 @ Abs. 3 BStP e nach den Vorschriften
des kantonalen Rechts allein, ohne Beteiligung des öffentlichen Anklägers, die
Anklage vertreten hat).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist diese Voraussetzung nicht schon
erfüllt, wenn der öffentliche Ankläger davon abgesehen hat, neben dem
Privatstrafkläger aufzutreten, d. h. im Verfahren Anträge zu stellen, sondern
bloss, wenn er nach den Vorschriften des kantonalen Prozessrechtes gar nicht
befugt war, irgendwelche Parteirechte auszuüben, sodass solche einzig dem
Privatstrafkläger zustanden. Denn nur in diesem Falle trifft der Grund zu, aus
dem das Gesetz dem Privatstrafkläger die Nichtigkeitsbeschwerde einräumt. Der
Privatstrafkläger wird zur Beschwerde nur deshalb als befugt erklärt, damit
auch in Fällen, wo der öffentliche Ankläger nach den Vorschriften des
kantonalen Rechtes keine Parteirechte hat ausüben dürfen, auf Seiten der
Anklage ein Beschwerdeführer vorhanden sei (BGE 62 I 5773 IV 53). War der
öffentliche Ankläger im kantonalen Verfahren berechtigt, als Partei
aufzutreten, so besteht kein Anlass, die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
statt ihm dem Privatstrafkläger einzuräumen oder sie beiden zuzuerkennen.

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Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung auch stets angenommen, der
öffentliche Ankläger sei am kantonalen Verfahren beteiligt und daher zur
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde befugt, wenn er in der Sache kantonale
Rechtsmittel (Appellation, Kassationsbeschwerde) einlegen durfte. Dass er
schon im Verfahren vor der kantonalen unteren Instanz Parteirechte ausüben,
insbesondere an der Verhandlung vor Gericht teilnehmen konnte, wird nicht
verlangt. Anerkennt ihn das kantonale Recht in einem kantonalen
Rechtsmittelverfahren als Partei, so besteht kein Grund, ihm nicht auch das
Recht zur Einlegung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde einzuräumen.
Dem Privatstrafkläger ist es daher in solchen Fällen abzuerkennen.
Nach § 51 des luzernischen Gesetzes vom 7. Juni 1865 über das
Strafrechtsverfahren (StrV) tritt der Staatsanwalt vor dem Kriminalgericht und
Obergericht als Kläger auf und ist er «auch befugt, vor den Polizeigerichten
in gleicher Eigenschaft aufzutreten». Ob ihm dieses Recht vor dem Amtsgericht,
das Polizeigericht ist (§ 4 StrV), auch dann zusteht, wenn der Amtsstatthalter
die Untersuchung gemäss § 45 StrV hat fallen lassen, der Staatsanwalt dem
Einstellungsbeschluss zugestimmt hat (§ 49 StrV) und die Sache allein vom
Privatkläger vor das Amtsgericht gebracht worden ist (§ 45 StrV), kann
dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls steht ihm auch in solchen Fällen das
Recht zu, das Urteil des Amtsgerichts unter den Voraussetzungen des § 259 StrV
(abgeändert durch § 68 EG zum StGB) durch Appellation oder gemäss § 271 StrV
durch Kassationsbeschwerde beim Obergericht anzufechten, ausgenommen in
Privatinjurienprozessen (Luzerner Maximen VII Nr. 83). Das wird aus § 266 Abs.
1 StrV abgeleitet, wonach in allen Polizeistrafprozessen, welche an das
Obergericht gelangen, mit Ausnahme der Privatinjurienprozesse, die
Staatsanwaltschaft namens des Staates auftritt. Demnach ist der Staatsanwalt
im Sinne des Art. 270 Abs. 3 BStP am Verfahren beteiligt, auch

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wenn allein der privatstrafkläger die Sache, die der Amtsstatthalter hat
fallen lassen, an das Amtsgericht weitergezogen hat. Entgegen der bisherigen
Rechtsprechung ist daher auch in solchen Fällen der Privatstrafkläger zur
Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht nicht befugt.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.