S. 97 / Nr. 18 Rechtsgleichheit {Rechtsverweigerung} (d)

BGE 77 I 97

18. Auszug aus dem Urteil vom 11. Juli 1951 i. S. Wolfisberg gegen Wolfisberg
und Regierungsrat des Kantons Luzern.


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Regeste:
Bäuerliches Erbrecht: Die Auffassung, dass die Anwendung des revidierten
bäuerlichen Erbrechts die Unterstellung unter das BG über die Entschuldung
landwirtschaftlicher Heimwesen vom 12. Dezember 1940 voraussetze und dass der
die Zuweisung nach jenem Rechte beanspruchende Erbe zum Unterstellungsbegehren
legitimiert sei, ist nicht willkürlich.
Droit successoral paysan. On peut sans arbitraire admettre que l'application
du droit successoral paysan révisé suppose l'assujettissement préalable à la
loi fédérale du 12 décembre 1940 sur le désendettement des domaines agricoles
et que l'héritier qui demande l'attribut ion en vertu de ce droit a qualité
pour demander l'assujettissement.
Diritto successorio rurale. Si può ammettere senz'arbitrio che l'applicazione
del diritto successorio rurale riveduto presuppone l'assoggettamento alla
legge federale 12 dicembre 1940 sullo sdebitamento di poderi agricoli. Inoltre
non è arbitrario riconoscere all'erede che domanda l'attribuzione in virtù di
detto diritto la veste per chiedere l'assoggettamento.

A. - Die Beschwerdeführerinnen sind zusammen mit dem Beschwerdebeklagten und
zwei weiteren Brüdern Nachkommen des am 6. März 1936 verstorbenen Landwirts
Xaver Wolfisberg. Dieser hatte am 2. März 1936 elf Grundstücke (neun in
Hochdorf, eines in Hohenrain und eines in Lieli), welche insgesamt als
Liegenschaft «Schönau» bezeichnet werden, dem Beschwerdebeklagten verkauft.

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Die Brüder Wolfisberg führen gegen die Beschwerdeführerinnen einen
Erbteilungsprozess. Durch Urteil des Bundesgerichtes vom 2. Juni 1949 wurde
der Kaufvertrag über die Grundstücke in Hochdorf und Hohenrain ungültig
erklärt. Der Beschwerdebeklagte, welcher die Liegenschaft «Schönau»
landwirtschaftlich nutzt, verlangt Zuweisung dieser Grundstücke an ihn gemäss
bäuerlichem Erbrecht.
Auf sein Gesuch hin unterstellte der Gemeinderat von Hochdorf dieselben
Grundstücke dem Bundesgesetz über die Entschuldung landwirtschaftlicher
Heimwesen vom 12. Dezember 1940 (LEG, AS 1946 S. 29 ff.), in Erwägung, dass
bei der Schatzungskommission des Amtsgerichtskreises Hochdorf das Verfahren
nach Art. 94 LEG/rev. Art. 620 ZGB betreffend Feststellung des
Anrechnungswertes und Zuweisung anhängig sei und dass die Anwendung der
erbrechtlichen Bestimmungen des LEG das Unterstellungsverfahren voraussetze.
Die Beschwerdeführerinnen zogen diesen Entscheid an den Regierungsrat werter.
Sie machten u. a. geltend, der Beschwerdebeklagte sei als einzelner Erbe nicht
berechtigt, die Unterstellung zu verlangen. Wer dazu legitimiert sei, werde in
Art. 10 der Verordnung des Bundesrates über die Verhütung der Überschuldung
landwirtschaftlicher Liegenschaften vom 16. November 1945 (ÜberschV, AS 1946
S. 100 ff.) abschliessend aufgezählt. Der Erbe sei hier und in Art. 2 Abs. 2
LEG bewusst weggelassen worden (Urteil des Bundesgerichtes vom 5. Juli 1948 in
Sachen H. (wiedergegeben in Schweiz. Zeitschrift für Beurkundungs- und
Grundbuchrecht Bd. 30 S. 249 ff.).
Der Regierungsrat wies den Rekurs mit Entscheid vom 25. Januar 1951 ab. Seinen
Erwägungen ist zu entnehmen: Nach Art. 38 ÜberschV könne der Erbe, der die
Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes nach Art. 620 ff . ZGB verlange,
gleichzeitig auch eine Schätzung der Grundstücke durch die zuständige Behörde
(Art. 620 Abs. 2 ZGB) beantragen. Der Schätzung müsse aber auf

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alle Fälle die Unterstellung unter das LEG vorausgehen, wie in einem
Kreisschreiben des eidg. Justiz- und Polizeidepartementes vom 1. Februar 1947
und einer Instruktion des Obergerichtes vom 11. März 1947 ausgeführt sei. Der
Rekursgegner sei daher legitimiert, die Unterstellung zu verlangen.
B. - Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird beantragt, den Entscheid des
Regierungsrates aufzuheben. Zur Begründung wird u. a. ausgeführt: Die
Legitimation des Beschwerdebeklagten zum Unterstellungsbegehren werde
willkürlich aus Art. 38 ÜberschV abgeleitet. Diese Bestimmung räume dem
einzelnen Erben bloss das Recht ein, eine Neuschätzung einer bereits dem LEG
unterstellten Liegenschaft zu verlangen. Die Auslegung des Regierungsrates
widerspreche dem klaren Wortlaut des 3. Absatzes des Art. 10 ÜberschV. Dem
Beschwerdebeklagten sei das Recht, die Zuweisung von Grundstücken nach Art.
620 ZGB zu beantragen, nie abgesprochen worden; dieser Anspruch setze aber die
Unterstellung nicht voraus. Es sei eine willkürliche Auslegung des Art. 620
ZGB, «wenn man diesem Artikel eine Voraussetzung
die Unterstellung - vorsetzt, die dieser nie hatte, bzw. eine Voraussetzung
anhängt, die in keiner Gesetzesbestimmung statuiert worden ist». Indem der
Regierungsrat ein Gesetz, das in erster Linie die Entschuldung
landwirtschaftlicher Heimwesen zum Gegenstand habe, auf einen Tatbestand
anwende, der von den Massnahmen der Entschuldung nicht erfasst werde,
verstosse er gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV. -
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
3.- Die Auffassung der Beschwerdeführerinnen, ein Unterstellungsverfahren
dürfe nicht durchgeführt werden, wo keine Entschuldung in Frage steht, sondern
die Anwendung der revidierten Bestimmungen über das bäuerliche Erbrecht
verlangt wird, deckt sich mit dem Standpunkt

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der zürcherischen Rekursinstanz in Sachen H., den das Bundesgericht mit seinem
Urteil vom 5. Juli 1948 als nicht willkürlich geschützt hat. in diesem Urteil
wird aber mit Recht auch ausgeführt, dass der Wortlaut des Art. 2 LEG und der
systematische Aufbau dieses Gesetzes eher für die gegenteilige Lösung
sprechen. in der Tat lautet Art. 2 Abs. 1 ganz allgemein dahin, dass die
Anwendung des Gesetzes eine Unterstellung voraussetze, und nirgends ist
ausdrücklich gesagt, dass diese im ersten Teil des Gesetzes, in den
«allgemeinen Bestimmungen» enthaltene Regel nur für den zweiten, die
Entschuldung ordnenden Teil (Art. 10 ff.) gelte, dagegen nicht auch für den
dritten Teil mit der Überschrift «Allgemeine Massnahmen zur Verhütung der
Überschuldung» (Art. 84 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 84 - 1 Die Stiftungen stehen unter der Aufsicht des Gemeinwesens (Bund, Kanton, Gemeinde), dem sie nach ihrer Bestimmung angehören.
1    Die Stiftungen stehen unter der Aufsicht des Gemeinwesens (Bund, Kanton, Gemeinde), dem sie nach ihrer Bestimmung angehören.
1bis    Die Kantone können die ihren Gemeinden angehörenden Stiftungen der kantonalen Aufsichtsbehörde unterstellen.112
2    Die Aufsichtsbehörde hat dafür zu sorgen, dass das Stiftungsvermögen seinen Zwecken gemäss verwendet wird.
3    Begünstigte oder Gläubiger der Stiftung, der Stifter, Zustifter und ehemalige und aktuelle Stiftungsratsmitglieder, welche ein Interesse daran haben, dass die Verwaltung der Stiftung mit Gesetz und Stiftungsurkunde in Einklang steht, können gegen Handlungen und Unterlassungen der Stiftungsorgane Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde erheben.113
.), wo (in Art. 94
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 94 - Die Ehe kann von zwei Personen eingegangen werden, die das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und urteilsfähig sind.
) die Art. 619
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 619 - Für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991541 über das bäuerliche Bodenrecht.
, 620 , 621
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 619 - Für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991541 über das bäuerliche Bodenrecht.
und 625
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 619 - Für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991541 über das bäuerliche Bodenrecht.

ZGB über das bäuerliche Erbrecht aufgehoben und durch neue Bestimmungen
ersetzt wer den. Dazu kommt, dass gemäss Art. 620 Abs. 2 ZGB (in der
revidierten Fassung) die Feststellung des Anrechnungswertes nach dem LEG zu
erfolgen hat. Der hieraus im Kreisschreiben des eidg. Justiz- und
Polizeidepartementes vom 1. Februar 1947 gezogene Schluss, dass dieser
Feststellung die Unterstellung unter das LEG vorauszugehen habe, lässt sich
sehr wohl vertreten. Nach alldem kann der Standpunkt der Behörden des Kantons
Luzern, dass das Unterstellungsverfahren im Falle der Geltendmachung des
bäuerlichen Erbrechts durchzuführen sei, auch wenn keine
Entschuldungsmassnahmen gemäss dem zweiten Teil des LEG in Frage kommen, nicht
als willkürlich bezeichnet werden.
Dann kann es aber auch nicht willkürlich sein, dass ein einzelner Erbe,
welcher sich auf das bäuerliche Erbrecht berufen will, als legitimiert
betrachtet wird, das Begehren um Einleitung des Unterstellungsverfahrens zu
stellen. Es ist vielmehr eine notwendige Folgerung aus jenem grundsätzlichen
Standpunkt, die denn auch im erwähnten Kreisschreiben gezogen wird. Freilich
fällt auf, dass in Art. 2 Abs. 2 LEG nur der Eigentümer und der Gläubiger,

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welchem ein Anspruch auf Errichtung eines Grundpfandrechtes zusteht, als
legitimiert bezeichnet werden, während im bundesrätlichen Entwurf (Art. 2 Abs.
2 lit. b) auch der einzelne Erbe, für welchen die Anwendung des bäuerlichen
Erbrechts in Betracht fällt, aufgeführt war (BBl 1936 II S. 309). Indes
scheint es, dass mit der Weglassung des Erben nicht dessen Legitimation
abgelehnt, sondern lediglich die Redaktion des Gesetzestextes «vereinfacht»
werden sollte: Die Ordnung des Entwurfes wurde bei der Beratung in den eidg.
Räten nie angefochten, sondern, wie das eidg. Justiz- und Polizeidepartement
mitteilt, erst von der Redaktionskommission geändert in der Meinung, aus der
Legitimation des Eigentümers ergebe sich ohne weiteres auch diejenige des
Erben, so dass dieser nicht noch besonders aufgeführt werden müsse. Danach
kann auch nicht entscheidend sein, dass Art. 10 Abs. 3 ÜberschV, wonach im
Falle des Gesamteigentums das Unterstellungsbegehren von allen
Gesamteigentümern oder von der zur Vertretung der Gemeinschaft berechtigten
Person zu stellen ist, den nicht zur Vertretung befugten Erben wiederum nicht
erwähnt. Dies umsoweniger, als Art. 38
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 38 - 1 Läuft während der angesetzten Zeit keine Meldung ein, so wird der Verschwundene oder Abwesende für verschollen erklärt, und es können die aus seinem Tode abgeleiteten Rechte geltend gemacht werden, wie wenn der Tod bewiesen wäre.
1    Läuft während der angesetzten Zeit keine Meldung ein, so wird der Verschwundene oder Abwesende für verschollen erklärt, und es können die aus seinem Tode abgeleiteten Rechte geltend gemacht werden, wie wenn der Tod bewiesen wäre.
2    Die Wirkung der Verschollenerklärung wird auf den Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht zurückbezogen.
3    Die Verschollenerklärung löst die Ehe auf.51
daselbst bestimmt, dass der Erbe, der
die Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes nach Art. 620 ff . ZGB
verlangt, gleichzeitig eine Neuschätzung der Grundstücke durch die zuständige
Behörde (Art. 620 Abs. 2 ZGB) beantragen kann. Aus dieser Ordnung konnte der
Regierungsrat, gestützt auf die Auslegung des Art. 620 Abs. 2 ZGB im
Kreisschreiben des eidg. Justiz- und Polizeidepartementes, ohne Willkür
ableiten, dass die Anwendung des revidierten bäuerlichen Erbrechts die
Unterstellung unter das LEG voraussetze und dass der die Zuweisung nach jenem
Rechte beanspruchende Erbe legitimiert sei, die Unterstellung zu beantragen.
Der Ablehnung des gegenteiligen Standpunktes der Beschwerdeführerinnen steht
das Urteil vom 5. Juli 1948 in Sachen H. nicht entgegen. Dass das
Bundesgericht als Staatsgerichtshof für eine einheitliche Praxis der
kantonalen

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Behörden in der Beurteilung der Frage, ob die Unterstellung unter das LEG auch
Voraussetzung der Geltendmachung des bäuerlichen Erbrechts sei, nicht sorgen
kann, mag bedauerlich sein, ist aber die Folge der gesetzlichen Ordnung,
wonach die Frage auf staatsrechtliche Beschwerde hin nur unter dem
beschränkten Gesichtspunkt der Willkür überprüft werden kann.