S. 112 / Nr. 21 Stimmrecht, kantonale Wahlen und Abstimmungen (d)

BGE 77 I 112

21. Auszug aus dem Urteil vom 21. März 1951 i. S. Constantin von Arx gegen
Solothurn, Kantonsrat.

Regeste:
Finanzreferendum. Art. 17 sol. KV.
Auslagen für den Unterhalt von dem Staat gehörenden Gebäuden unterliegen nicht
dem Finanzreferendum Begriff des Unterhaltes (Erw. 3).
Bewilligung derartiger Kredite durch Budgetbeschluss und Berechnung der
Kompetenzgrenze bei Teilkrediten auf Grund eines Gesamtplanes (Erw. 2).
Referendum en matière financière. Art. 17 Cst. soleuroise.
Les dépenses nécessaires pour l'entretien de bâtiments appartenant à l'Etat ne
sont pas soumises au referendum en matière financière notion de l'entretien
consid. 3).
Octroi de crédits de cette nature par une décision prise à l'occasion de
l'examen du budget; manière de calculer la limite de compétence pour des
crédits partiels accordées sur la base d'un plan d'ensemble (consid. 2).
Referendum in materia finanziaria. Art. 17 della costituzione solettese.
Le spese necessarie alla manutenzione di edifici appartenenti allo Stato non
sono soggette al referendum in materia finanziaria concetto nella manutenzione
(consid. 3).
Stanziamento di erediti di tale natura mediante una decisione presa in sede di
esame del bilancio calcolo del limite di competenza per crediti parziali in
base ad un piano complessivo (consid. 2).

Der Staat Solothurn ist Eigentümer des Palais Besenval und des ehemaligen
Franziskanerklosters in Solothurn.

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Das erstere wird als Schülerinnenkosthaus, das zweite als Kosthaus für Schüler
der Kantonsschule verwendet. Für das Palais Besenval bewilligte der Kantonsrat
im Jahre 1949 für Instandstellungsarbeiten (Fundierung, Abbruch und
Wiederaufbau der Terrasse und damit zusammenhängende Arbeiten) einen Kredit
von Fr. 170000.-. Bei der Ausführung der Arbeiten ergab sich, dass es im
Hinblick auf den schlechten Zustand der Mauern und Decken nicht möglich sei,
lediglich die Fundamente zu sichern und die eigentliche Restauration des
Gebäudes auf einen spätern Zeitpunkt zu verschieben. Das kantonale Hochbauamt
erstattete über diese Fragen einen Bericht, in dem die Gesamtkosten der
Restauration mit etwa Fr. 800000.- angegeben wurden. Am 18. Oktober 1950
bewilligte der Kantonsrat einen weitem Kredit von Fr. 160000.- und genehmigte
sodann am 13. Dezember 1950 den Voranschlag zur Staatsrechnung für das Jahr
1951, der unter der Rubrik I A II F (Baudepartement) einen Ausgabenposten von
Fr. 150000.- für das Palais Besenval enthielt.
Die für die Gesamtrenovation des Schülerkosthauses (ehemaligen
Franziskanerklosters) errechneten Kosten wurden in einem Bericht des
kantonalen Baudepartementes vom Jahre 1947 an die Staatswirtschaftskommission
mit etwas über Fr. 808,000.- angegeben, diejenigen für die Erneuerung des
Mobiliars mit Fr. 116900.-. Es handelte sich hier im wesentlichen darum, die
vorhandenen Schlafsäle in kleinere für 1-2 Schüler unterzuteilen, die Zimmer
zu renovieren und das alte Mobiliar zu ersetzen; ferner waren Fenster und
-einfassungen zu ersetzen und gewisse Arbeiten an der Fassade auszuführen.
Dafür bewilligte der Kantonsrat im Budgetwege für die Jahre 1948 und 1949 je
Fr. 150000.-; für 1950 bewilligte er einen weitem Kredit von Fr. 110000.- und
für 1951 einen solchen von Fr. 100000.-.
Der Beschwerdeführer C. von Arx hat die Kreditbewilligung von 18. Oktober 1950
für das Palais Besenval und die Genehmigung des Voranschlages zur
Staatsrechnung

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für das Jahr 1951, womit für das Schülerkosthaus Fr. 100000.- und für das
Palais Besenval weitere Fr. 150000.- bewilligt wurden, mit staatsrechtlicher
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 17 Ziff. 2 sol. KV angefochten. Diese
Vorschrift bestimmt:
«Der Volksabstimmung unterliegen folgende Erlasse des Kantonsrates:
1. ...
2. Kantonsratsbeschlüsse, welche für den gleichen Gegenstand eine neue
einmalige Gesamtausgabe von mehr als Fr. 100000.- oder eine neue
wiederkehrende Ausgabe von mehr als Fr. 15000.- zur Folge haben.»
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen.
Aus den Erwägungen:
2.- Gemäss Art. 17 Ziff. 2 KV unterliegen der Volksabstimmung
Kantonsratsbeschlüsse, welche für den gleichen Gegenstand eine neue einmalige
Gesamtausgabe von mehr als Fr. 100,000.- zur Folge haben.
Dass auch durch die Aufnahme der Ausgabeposten Nr. 33 und 34 unter Rubrik I A
II F in den Voranschlag für 1951 dem Regierungsrat für die dort genannten
Zwecke Kredite im Betrage von Fr. 100000.- bzw. Fr. 150000.- bewilligt worden
sind, ist nicht streitig. Der Budgetbeschluss hat also nicht nur die Bedeutung
einer Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben sondern stellt einen
Kantonsratsbeschluss dar, der die entsprechenden Ausgaben zur Folge haben
wird. Er unterliegt daher mit Bezug auf die genannten Beträge gemäss Art. 17
Ziff. 2 KV der Volksabstimmung, sofern er eine neue einmalige Gesamtausgabe
von mehr als Fr. 100000.- für den gleichen Gegenstand bedeutet.
Der Kredit für das Schülerkosthaus überschreitet diesen Betrag nicht. Doch
bildet er unbestrittenermassen einen Teilbetrag der Ausgaben für die
Renovation des Schülerkosthauses von mehr als Fr. 800000.- auf Grund eines von
vorn herein aufgestellten einheitlichen Planes. Trotz der Verteilung dieser
Arbeiten auf mehrere Jahre und

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ihrer Finanzierung in verschiedenen Etappen bilden die Teilkredite zusammen
«eine einmalige Gesamtausgabe für den gleichen Gegenstand im Sinne von Art. 17
KV. Von den Krediten für das Palais Besenval gemäss den Kantonsratsbeschlüssen
vom 18. Oktober und 13. Dezember 1950 übersteigt jeder einzelne die
verfassungsmässige Grenze. Sowohl beim Schülerkosthaus wie beim Palais
Besenval wird durch die angefochtenen Teilkredite die Kompetenz grenzendes
Kantonsrates dem Betrage nach überschritten. Bei jedem der bewilligt en
Kredite stellt sich somit die Frage, ob es sich um «neue» Ausgaben im Sinne
der zitierten Verfassungsvorschrift handelt, oder um «gebundene», die sich aus
einem Gesetz, einem früheren Beschluss oder aus den allgemeinen Ausgaben der
Verwaltung ergeben und dem Volke nicht mehr unterbreitet zu werden brauchen,
weil sie auf einer von ihm bereits genehmigten Grundlage beruhen.
3.- Ausgaben für den Unterhalt von dem Staat gehörenden Gebäuden unterliegen
grundsätzlich nicht dem Finanzreferendum, also auch dann nicht, wenn sie die
Kompetenzgrenze des Kantonsrates überschreiten. Denn wenn durch Gesetz oder
Volksbeschluss die Erstellung oder der Ankauf eines Gebäudes für staatliche
Zwecke bewilligt wird, so hat auch die spätere Erhaltung und Instandhaltung
des Gebäudes als gewollt zu gelten, auch wenn es dafür an einer ausdrücklichen
Ermächtigung des betreffenden Staatsorgans fehlt. Die Ausgaben müssen sich
allerdings auf den Unterhalt beschränken. Eigentliche Erweiterungs- oder
Ergänzungsbauten fallen nicht darunter, Umbauten jedenfalls dann nicht, wenn
die Arbeiten nicht der Erhaltung und dem Unterhalt dienen sollen, sondern dazu
bestimmt sind, das Gebäude einem neuen Zweck dienstbar zu machen. Nach der vom
Kantonsrat schon früher vertretenen Auslegung von Art. 17 Ziff. 2 KV
(Verhandlungen des Kantonsrates 1926 S. 92, zitiert bei ESCHER, Das
Finanzreferendum in den Schweiz. Kantonen S. 124) wie nach der Auffassung, die
in der

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Antwort zum Ausdruck kommt, gehört zum Begriff des Unterhaltes auch die
Beseitigung unzulänglicher Verhältnisse für die im Gelände betriebene Anstalt,
d. h. es fallen darunter nicht bloss Massnahmen, die zur Instandstellung oder
Erhaltung, sondern auch diejenigen, die zu einer zeitgemässen Erfüllung des
dem Gebäude angewiesenen Zweckes nötig sind, veränderten Bedürfnissen Rechnung
tragen. Danach umfasst der Unterhalt nicht bloss die ordentliche, laufende
Instandhaltung, sondern unter Umständen auch einen einmaligen
aussergewöhnlichen Aufwand für den Unterhalt oder eine Um baute, mit der k
eine Zweckänderung des Gebäudes verbunden ist. Diese Auffassung ist durchaus
vertretbar. Sie entspricht auch derjenigen in andern Kantonen (Botschaft des
Kleinen Rates von Graubünden 1933 Heft 5 S. 304 ff. zitiert bei ESCHER a.a.O.)
und findet sich in der Literatur (ESCHER am angeführten Orte; RÖTHELI, die
Finanzkompetenzen des solothurnischen Kantonsrat es, Diss. Ba sei 1948 S.
105). Von solcher Auslegung des kant. Verfassungsrechtes durch die zu dessen
Anwendung berufene oberste kantonale Behörde könnte der Staatsgerichtshof nur
abweichen, wenn sie unzweifelhaft unrichtig wäre. Wenn verschiedene
Auffassungen möglich sind und richtig sein können, müsste er sie hinnehmen,
selbst wenn eine andere als die gewählte Lösung als die bessere erscheinen
würde (Urteil vom 8. Februar 1950 i. S. Stäger und Graf). Übrigens braucht
hier zur Frage, was noch als Unterhalt anzusprechen sei, dann nicht
abschliessend Stellung genommen zu werden, wenn sich ergibt, dass es sich bei
den Arbeiten am Palais Besenval und im ehemaligen Franziskanerkloster um
solche handelt, die im wesentlichen für die Erhaltung und den Unterhalt der
beiden Gebäude notwendig waren.