S. 76 / Nr. 18 Strafgesetzbuch (d)

BGE 76 IV 76

18. Urteil des Kassationshofes vom 5. April 1950 i. S. Wetter gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.

Regeste:
Art. 18 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
, Art. 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
, Art. 230
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 230 - 1. Wer vorsätzlich in Fabriken oder in anderen Betrieben oder an Maschinen eine zur Verhütung von Unfällen dienende Vorrichtung beschädigt, zerstört, beseitigt oder sonst unbrauchbar macht oder ausser Tätigkeit setzt,
1    Wer vorsätzlich in Fabriken oder in anderen Betrieben oder an Maschinen eine zur Verhütung von Unfällen dienende Vorrichtung beschädigt, zerstört, beseitigt oder sonst unbrauchbar macht oder ausser Tätigkeit setzt,
2    Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
StGB. Fahrlässige Tötung durch
Unwirksammachen einer Sicherheitsvorrichtung.
a) Fahrlässigkeit (Erw. 1).
b) Konkurrrenz zwischen Art. 117 und Art. 230 (Erw. 2).
Art. 18 al. 3, 117 et 230 CP. Homicide par négligence dû à la suppression d'un
dispositif de sûreté.
a) négligence (consid. 1).
b) concours entre les art. 117 et 230 (consid. 2).
Art. 18 cp. 3, art. 117 e 230 CP. Omicidio colposo dovuto alla rimozione di un
apparecchio protettivo (consid. 1).
a) Negligenza (consid. 1).
b) Concorso tra gli art. 117 e 230 (consid. 2).

A. - Im Frühjahr 1948 wurde in der Metallwarenfabrik P. & W. Blattmann in
Wädenswil eine dritte von einem Drehstrom-Motor getriebene Schleifmaschine
angeschafft. Damit ein Verlängerungskabel, das Werkmeister Wetter zum Betrieb
dieser Maschine zur Verfügung stellte und das mit einem auf die 15-Ampère-Dose
passenden Stecker versehen war, an die etwa 15 cm unter dieser Dose
angebrachte, für den Schweisstransformator

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bestimmte 25-Ampère-Dose angeschlossen werden konnte, feilte Wetter in den
Stecker eine zweite Nute. Die 25-Ampère-Dose wies zwei sich gegenüber liegende
Rasten auf, die das Einstecken des bloss mit einer Nute versehenen
15-Ampère-Steckers verhindern sollten, weil sonst Gefahr bestanden hätte, dass
dessen 6 mm dicker Erdstift statt in die Erdleiterbüchse in eine der drei 7,5
mm weiten Polleiterbüchsen gerate und damit die Maschine unter eine Spannung
von 290 Volt gegen Erde gesetzt werde. Bei der Verwendung des
15-Ampère-Steckers auf der 15-Ampère-Dose bestand diese Gefahr nicht, weil die
Polleiterbüchsen dieser Dose nur 5 mm Durchmesser hatten, wie anderseits auch
der 25-Ampère-Stecker des Schweisstransformators nicht falsch in die
25-Ampère-Dose gesteckt werden konnte, weil sein Erdstift 10 mm dick war, also
nicht in die 7,5 mm weiten Polleiterbüchsen passte.
Um eine Schleifmaschine zu betreiben, steckte der Arbeiter Casoni am 17.
August 1948 den von Wetter abgeänderten 15-Ampère-Stecker in die
25-Ampère-Dose, wobei er ihn versehentlich um 1800 verdrehte, sodass der
Erdstift in eine Polleiterbüchse gelangte. Als er die unter Spannung stehende
Maschine berührte, um zu arbeiten, wurde er vom Strom getötet.
B. - Am 25. Oktober 1949 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich Wetter
wegen fahrlässiger Tötung zu Fr. 100.- Busse. Es führte aus, es möge
zutreffen, dass der Angeklagte bei der Abänderung des Steckers nicht bedacht
habe, dass er dadurch einen Menschen in Lebensgefahr bringen könnte. Nach
seinen persönlichen Verhältnissen sei er aber durchaus imstande gewesen, die
Möglichkeit eines schweren Unfalles vorauszusehen. Ohne Elektriker zu sein,
habe er sich sagen müssen, der Stecker sei nicht zufällig, sondern gewollt so
angefertigt, dass er nicht in die für die grössere Stromstärke bestimmte Dose
passte. Er habe überdies zugegeben, gewusst zu haben, dass Stecker und Dose
aus Sicherheitsgründen auf einander

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abgestimmt seien. Da der Stecker in der nicht für ihn bestimmten Dose
gelottert habe, habe auch einem Laien auffallen müssen, dass etwas nicht
stimme. Der Angeklagte habe ferner gewusst, dass der Elektriker zur Ausübung
seines Gewerbes einer Konzession bedürfe. Wieder dringende Geschäfte und
daherige Eile noch der Lärm des Fabrikbetriebes vermöchten den Angeklagten zu
entschuldigen, ebensowenig der Umstand, dass die 25-Ampère-Dose an einem
verhältnismässig schwer zugänglichen Orte angebracht sei.
C. - Vetter führte Nichtigkeitsbesehwerde mit den Anträgen, das Urteil sei
aufzuheben und er sei freizusprechen. Er bestreitet die Fahrlässigkeit. Die
Installation sei veraltet gewesen und wenige Tage nach dem Unfalle erneuert
worden. Die Steckdosen seien unter einer Werkbank angebracht und nur mittels
einer Taschenlampe sichtbar gewesen. Der Beschwerdeführer sei in der
fraglichen Fabrik Malermeister und habe keine Ausbildung als Elektriker
genossen. Er habe bloss die Kabel aufbewahren müssen. Im Betrieb fehle ein
Elektriker, was sonst nicht üblich sei. Es habe sich von selbst ergeben, dass
der Beschwerdeführer im Interesse des Betriebes in dringenden Fällen
Handreichungen auf elektrischem Gebiete habe vornehmen müssen. Am kritischen
Tage sei er mit Arbeit überhäuft gewesen; er habe den Stecker in aller Eile
abgeändert, um Betriebsunterbrechungen zu vermeiden. Er habe sich die Folgen
nicht überlegen können, umsoweniger als auch der Lärm des Betriebes ihn daran
gehindert habe. Er habe höchstens mit einem Kurzschluss oder einer
Handverbrennung rechnen, niemals den Tod eines Mensehen voraussehen können.
D. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die
Nichtigkeitsbesehwerde sei abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, er habe im Sinne des Art. 18 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.

StGB die Folge des Einfeilens

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einer zweiten Nute in den 15-Ampère-Stecker aus pflichtwidriger
Unvorsichtigkeit nicht bedacht. Dieser Vorwurf ist begründet.
Nach der genannten Bestimmung ist die Unvorsichtigkeit dann pflichtwidrig,
wenn der Täter die Vorsieht nicht beobachtet, zu der er nach den Umständen und
seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist. Schon die allgemein
bekannte Tatsache, dass der elektrische Strom für Leib und Leben gefährlich
ist und es mannigfaltiger Sicherungsvorrichtungen bedarf, um die Gefahren
auszuschalten, hätte den Beschwerdeführer davon abhalten sollen, die
offensichtlich zu Sicherheitszwecken angebrachte zweite Raste der
25-Ampère-Dose dadurch unwirksam zu machen, dass er in den nicht für diese
Dose bestimmten 15-Ampère-Stecker eine zweite Nute feilte. Um sich sagen zu
können, dass die Verwendung des Steckers auf einer Dose, für die er nicht
bestimmt war, irgendwie gefährlich werden könnte, bedurfte er nicht der
Fachkenntnisse eines Elektrikers; sein Verstand, seine Schulbildung und sein
berufliches Können als gelernter Maler und als Werkmeister reichten aus. In
der Verhandlung vor dem Obergericht hat er denn auch zugegeben, gewusst zu
haben, dass die Stecker aus Sicherheitsgründen so hergestellt sind, dass sie
nur in die dazu gehörende Dose passen. Worin die Gefahr bestehe und wie sie
sich auswirken könne, brauchte er nicht zu wissen; pflichtwidrig handelte er
schon, weil er sich hätte sagen können und sagen sollen, die Möglichkeit eines
tödlichen Unfalles sei nicht ausgeschlossen, wenn die Schleifmaschine mit
einem nicht passenden Stecker an die 25-Ampère-Dose angeschlossen werde. Dass
der Stecker selbst nach dem Einfeilen der zweiten Nute nicht auf die Dose
passte, konnte er bei gehöriger Aufmerksamkeit daraus sehen, dass die Stifte
nur locker in den Büchsen sassen. Auch hätte er wahrnehmen können, dass es
möglich war, den 15-Ampère-Stecker wegen des geringeren Durchmessers seiner
Stifte um 1800 verkehrt in die Dose zu stecken, also einen Zustand

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herzustellen, den der Fachmann augenscheinlich hatte verhindern wollen. Der
Beschwerdeführer hätte nicht einen Zustand schaffen sollen, bei dem, auch für
den Nichtfachmann erkennbar, irgend etwas nicht stimmte. Nichts berechtigte
zur Annahme, dass im schlimmsten Falle bloss der Strom kurz geschlossen oder
eine Hand verbrannt werden könnte.
Auch die besonderen Umstände, unter denen der Beschwerdeführer die Tat
begangen hat, entschuldigen ihn nicht. Dass die Steckdosen unter einer
Werkbank angebracht, verstaubt und angeblich nur mit einer Taschenlampe
sichtbar gewesen sind, ist bedeutungslos. Der Beschwerdeführer ist nicht das
Opfer einer durch die ungünstige Lage hervorgerufenen Verwechslung der beiden
Dosen geworden, sondern hat den Stecker bewusst und gewollt für eine Dose
verwendbar gemacht, für die er nicht bestimmt war, und auch Casoni ist nicht
die ungünstige Lage der Dose, sondern die Tatsache zum Verhängnis geworden,
dass der Beschwerdeführer die zweite Sicherungsraste, die den Arbeiter gegen
Versehen schützen sollte und tatsächlich geschützt hätte, durch Einfeilen
einer zweiten Nute in den Stecker unwirksam gemacht hatte. Dass der
Beschwerdeführer mit Arbeit überhäuft gewesen sein will, im Betrieb Lärm
geherrscht hat und der Beschwerdeführer die Abänderung des Steckers in Eile
vorgenommen habe, ist ebenfalls unerheblich; er hatte nicht schwierige
technische Überlegungen zu machen, sondern sich bloss zu sagen, dass er als
Nichtfachmann nicht eine Sicherungsvorrichtung unwirksam machen dürfe; an
dieser einfachen Überlegung hinderten ihn weder knappe Zeit noch Lärm. Auch
der Umstand, dass im Betrieb kein Elektriker vorhanden war, berechtigte den
Beschwerdeführer nicht zu seiner unvorsichtigen Tat. Dass er «auf elektrischem
Gebiete in dringenden Fällen Handreichungen vornehmen musste», wie er
behauptet, ist nicht festgestellt, und zudem ging die Abänderung des Steckers
weit über das hinaus, was man unter Handreichungen

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versteht, die sich ein Laie auf diesem Gebiete erlauben darf. Ein Notstand,
der das sofortige Eingreifen auch eines Nichtfachmannes erfordert hätte, um
grossen Schaden zu verhüten, lag nicht vor.
2.- Der Beschwerdeführer hätte ausser wegen fahrlässiger Tötung auch wegen
fahrlässiger Beseitigung einer Sicherheitsvorrichtung (Art. 230 StBG) verfolgt
und bestraft werden sollen (BGE 73 IV 233). Die Abänderung des Urteils
zuungunsten des Beschwerdeführers kommt indessen nicht in Frage, da die
Staatsanwaltschaft nur wegen fahrlässiger Tötung Anklage erhoben und das
Urteil nicht angefochten hat.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.