S. 166 / Nr. 34 Strassenverkehr (d)

BGE 76 IV 166

34. Urteil des Kassationshofes vom 11. Juli 1950 i. S. Martineili gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.


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Regeste:
Art. 59 Abs. 2 MFG. Schwerer Fall des Führens in angetrtunkenem Zustande.
Art. 41 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB. Voraussetzungen des bedingten Strafvollzuges.
Art. 59 al. 2 LA. Cas grave d'ivresse au volant.
Art. 41 ch. 1 CP. Conditions du sursis.
Art. 59 cp. 2 LA. Caso grave di conducente ebbro.
Art. 41 cifra i CP. Presupposti della sospensione condizionale della pena.

A. - Der dreimal wegen Diebstahls vorbestrafte Martinelli traf am Nachmittag
des 10. Juni 1949 in Zürich den X., Eigentümer eines Cabriolets. Er kannte ihn
von früher her. Die beiden begaben sich zusammen in eine Bar und nachher in
Begleitung einer Frau, die sie dort kennen gelernt hatten, in die Wirtschaft
«Freihof», wo sie weitertranken. Als sie nach 22 Uhr diese Gaststätte
verliessen, war X. betrunken. Martinelli, der seit November 1946 den
Führerausweis für leichte Motorfahrzeuge besass, führte mit stillschweigender
Einwilligung des X. dessen Automobil. Bei der Bar «Sans-Souci» trennte sich X.
mit der Frau von Martinelli. Dieser fuhr mit dem Wagen des X. zum «Freihof»
zurück und trank dort Bier. Gegen Mitternacht erschien sein Bekannter Cesar
Meier mit Alfred Müller und Marie Hunziker. Martinelli lud die drei zu einer
nächtlichen Fahrt ein. Bis etwa 1.30 Uhr unternahm er mit ihnen eine planlose
ausgedehnte Rundfahrt durch die Stadt, wobei versucht wurde, weitere Frauen in
das Automobil zu bekommen. Anschliessend schlug Martinelli seinen Begleitern
einen Abstecher in das Zürcher Unterland vor, um weitere Gelegenheiten zum
Wirtshausbesuch zu finden. Unterwegs tranken die Männer im Automobil zwei

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Flaschen Bier, die sie mitgenommen hatten. In einem Dorfe kaufte die
Gesellschaft Gebäck und ass es. Am gleichen Orte wurde bei einer
Strassenbaustelle eine Petrollampe als Wärmequelle in das Cabriolet genommen.
Bei der Einmündung der Strasse Otelfingen-Wettingen in die Strasse
Würenlos-Wettingen fuhr Martinelli, der das die Einmündung ankündigende
Vortrittssignal übersehen und auch die Einmündung selbst nicht rechtzeitig
bemerkt hatte, etwa um 3.30 Uhr statt nach links oder nach rechts mit etwa 50
km/Std. geradeaus an einen Baum. Alle Insassen des Automobils wurden leicht
verletzt, und am Automobil entstand ein Schaden von etwa Fr. 10000.-. Etwa
zwei Stunden nach dem Unfall enthielt das Blut Martinellis noch 1,27 0/00
Alkohol. Während der Fahrt und zur Zeit des Unfalles betrug der Alkoholgehalt
mindestens 1,5 0/00, war Martinelli somit ziemlich stark angetrunken.
Martinelli kannte seinen Zustand und war sich bewusst, dass er zur sicheren
Führung eines Motorfahrzeuges nicht mehr fähig war.
B. - Am 10. März 1950 verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau
Martinelli in Anwendung des Art. 59 Abs. 2 MFG zu vier Wochen Gefängnis und
Fr. 100.- Busse.
Zur Frage, ob der Fall schwer sei, führte das Obergericht aus, eine
Alkoholkonzentration von etwas 1,5% werde an sich im allgemeinen noch nicht
genügen, einen schweren Fall anzunehmen. Beim Angeklagten komme aber hinzu,
dass er mit einem widerrechtlich benutzten Fahrzeug, mit dessen Führung er
nicht näher vertraut gewesen sei, trotz vorangegangenen ausgedehnten
Alkoholgenusses während mehrerer Stunden eine ausgesprochene Spritztour
unternommen habe. Mit der Einladung an drei Personen, ihn zu begleiten, habe
er auch die Verantwortung für deren körperliche Integrität übernommen und sie
durch seine Fahrweise nicht nur schwer gefährdet, sondern Verletzungen
verschuldet. Objektiv schwer sei der Fall schon angesichts des bedeutenden
Sachschadens.

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Zur Frage des bedingten Strafvollzuges verwies das Obergericht auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung, wonach derjenige, der in angetrunkenem
Zustande ein Motorfahrzeug führt und dabei fahrlässig jemanden verletzt,
solche Hemmungslosigkeit und Missachtung von Leib und Leben anderer bekunde,
dass ihm schon deshalb allein der bedingte Strafvollzug verweigert werden
dürfe und richtigerweise, besondere Umstände vorbehalten, verweigert werden
solle. Dem Angeklagten stünden keinerlei Gründe zur Seite, die ein Abweichen
von diesem Grundsatz rechtfertigen würden. Die Einsichtslosigkeit, die er
während der ganzen Untersuchung und noch im Beschwerdeverfahren bekundet habe,
lasse vielmehr einen Charakter erkennen, der die Erwartung nicht rechtfertige,
der Angeklagte würde schon durch eine bedingt ausgesprochene Strafe von
weiteren Delikten abgehalten werden. Dazu komme, dass der Angeklagte schon in
früheren Jahren gezeigt habe, dass ihn selbst unbedingte Freiheitsstrafen
nicht dauernd von neuen Fehltritten zu bewahren vermöchten.
C. - Martinelli führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil sei
aufzuheben und die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit es ihn nach
Art. 59 Abs. 1 MFG bestrafe und die Strafe bedingt vollziehbar erkläre. Er
macht geltend, der Fall sei nicht schwer und die Ablehnung des bedingten
Strafvollzuges verletze Art. 41 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
und 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB.
D. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, die Beschwerde sei
abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung.'
1.- Der Kassationshof hat am 19. Januar 1950 i. S. Surbeck auf einen Fall des
Führens in angetrunkenem Zustande Art. 59 Abs. 2 MFG wegen der schweren
Angetrunkenheit des Führers angewendet und die Frage offen gelassen, ob nicht
in anders gearteten Fällen für die Annahme eines schweren Falles auf andere
Merkmale

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abzustellen sei. Der Beschwerdeführer meint, dieser Vorbehalt gelte nur für
Grenzfälle, das entscheidende Kriterium sei immer der Grad der
Angetrunkenheit, wo dieser gering gewesen sei, dürfe Art. 59 Abs. 2 nicht
angewendet werden. Er irrt sich. Diese Bestimmung spricht nicht von «Fällen
schwerer Angetrunkenheit» sondern von «schweren Fällen», woraus zu schliessen
ist, dass es nicht allein auf den Grad der Angetrunkenheit, sondern auch auf
die übrigen Umstände ankommt. Sie können einen Fall des Führens in schwerer
Trunkenheit leicht und einen Fall des Führens in leichter Angetrunkenheit
schwer machen. Als erschwerend dürfen dabei nicht nur Tatsachen berücksichtigt
werden, die schon für sich allein Strafe nach sich ziehen könnten (z. B.
Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch, Übertretung von
Verkehrsvorschriften während der Fahrt, Körperverletzungen), sondern zulasten
wie zugunsten des Täters sind alle Umstände in die Wagschale zu werfen, die
seine Schuld erhöhen bzw. mindern. Wann diese Abwägung einen Fall als schwer
und wann als nicht schwer erscheinen lässt, kann nicht allgemeingültig,
sondern nur für den konkreten Fall entschieden werden.
Der Fall des Beschwerdeführers ist schwer. Der Beschwerdeführer hatte auf
seiner Fahrt erheblich mehr Alkohol im Blute (1,5 0/00), als ein
Motorfahrzeugführer haben darf, ohne sich dem Vorwürfe der Angetrunkenheit
auszusetzen. Die Fahrt wurde unter widerrechtlicher Verwendung eines fremden
Fahrzeuges unternommen, erstreckte sich über eine weite Strecke und war eine
ausgesprochen sinnlose Vergnügungsfahrt, die umso schwerer wiegt, als der
Beschwerdeführer, nachdem er schon am Nachmittag zu trinken begonnen hatte,
schliesslich auch unter dem Einfluss der Ermüdung gestanden haben muss. An die
Führung des Wagens des X. war er nicht gewöhnt. Nach der verbindlichen
Feststellung des Bezirksgerichts, die vom Obergericht übernommen worden ist,
war sich der Beschwerdeführer bewusst, dass er zur sicheren Führung eines
Motorfahrzeuges nicht mehr fähig war. Er gab sich

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Rechenschaft von dem, was er tat. Das Beispiel des X., der wegen des
genossenen Alkohols auf die Führung des Wagens verzichtet hatte, hätte ihn
ermahnen sollen. Der Beschwerdeführer hat das Leben der Mitfahrenden einer
erheblichen Gefahr ausgesetzt, sie am Körper verletzt und einem Dritten
bedeutenden Sachschaden zugefügt. Gewiss sind Fälle denkbar, in denen der
Schaden durch Umstände erhöht wird, für die der angetrunkene Führer nicht
einzustehen hat. Im vorliegenden Falle liegt jedoch kein Entlastungsgrund vor;
die Fahrt an den Baum ist ganz dem Zustande des Beschwerdeführers
zuzuschreiben und entspricht dem, was einem angetrunkenen Führer normalerweise
zustossen kann ihre Folgen hätten noch bedeutend schwerer sein können. Auch
kommt nichts darauf an, dass die verletzten Personen nicht Strafantrag wegen
Körperverletzung gestellt haben; unter dem Gesichtspunkt des Art. 59 Abs. 2
MFG darf den Verletzungen gleichwohl Rechnung getragen werden.
2.- Wer in angetrunkenem Zustande ein Motorfahrzeug führt, bekundet in der
Regel solche Hemmungslosigkeit und missachtet Leib und Leben anderer so
gering, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe, zu der er verurteilt wird, nur
aufzuschieben ist, wenn bestimmte besondere Umstände gleichwohl ernstlich
erwarten lassen, dass er durch diese Massnahme von weiteren Verbrechen und
Vergehen abgehalten werde (BGE 74 IV 196). Der vorliegende Fall weicht
insofern von der Regel ab, als der Beschwerdeführer in nüchternem Zustande
noch nicht wusste, dass er ein Automobil führen werde, sondern den Entschluss
erst fasste, als seine Hemmungen unter der Wirkung des Alkohols bereits
vermindert worden waren. Trotzdem hat das Obergericht durch Ablehnung des
bedingten Strafvollzuges sein Ermessen nicht überschritten. Nach der
verbindlichen Feststellung des Obergerichts hat der Beschwerdeführer sich vor
Gericht einsichtslos gezeigt. Einsicht in den begangenen Fehler und in dessen
Schwere ist aber erste Voraussetzung dafür, dass eine bedingt vollziehbare
Strafe den

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Verurteilten dauernd bessere. Auch die Freiheitsstrafen wegen Diebstahls, die
der Beschwerdeführer in den Jahren 1933, 1935 und 1941 erlitten hat,
rechtfertigen das Misstrauen in seine Besserungsfähigkeit. Art. 41 Ziff. 1
Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB steht der Berücksichtigung dieser Strafen nicht im Wege. Wie der
Kassationshof schon oft ausgesprochen hat, verbietet diese Bestimmung nicht,
die Voraussage über die Wirkung des bedingten Strafvollzuges auf
Freiheitsstrafen zu stützen, die der Verurteilte mehr als fünf Jahre vor
Verübung der neuen Tat verbüsst hat. Dass der Beschwerdeführer zwei seiner
Vorstrafen in jugendlichem Alter erlitten hat, ändert nichts. Er sieht sie als
Ausdruck einer verunglückten Erziehung an. Gerade die Tatsache, dass seine
Erziehung nicht voll geglückt ist, kann aber den Richter veranlassen, an der
bessernden Wirkung einer bloss bedingten Gefängnisstrafe zu zweifeln. Der
Diebstahl, dessetwegen der Beschwerdeführer im Jahre 1941 zu zwei Tagen
Gefängnis verurteilt worden ist, lässt erkennen, dass der Beschwerdeführer
auch als Erwachsener der Versuchung, sich zu vergehen, besonders ausgesetzt
ist. Auch der ungünstige Leumund, auf den das Obergericht in den Erwägungen
über das Strafmass verweist, erschüttert das Vertrauen, dass der
Beschwerdeführer sich unter dem Ein -fluss einer bloss bedingt vollziehbaren
Strafe bessern würde. Sein Verhalten in der Nacht vom 10./11. Juni 1949 passt
durchaus in das Bild, das der Leumundsbericht von ihm gibt.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.